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MISC - Juni 2008 l #32

Quer Rocken: Prügelknaben und Stolpersteine

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Diesmal mit:

Ihsahn | Knights Of The Abyss | Less Than Jake | Might Sink Ships | Setting Sun | Soe'za | Patterns | Falcon5 | Tarentatec | Osis Krull

Nachdem Ihsahn sich mit seiner Band Emperor zur definitiven Formation des skandinavischen Schwarzmetalls mit Anspruch gemausert hatte ("Anthems To The Welking At Dust" und das nihilistische Meisterstück "Prometheus" gelten völlig zu Recht als Klassiker!), wurde es zunächst ziemlich ruhig um den kauzigen Frontmann. Ein wenig beachtetes Solowerk später steht er jedoch erneut in den Startlöchern. Samt dem Potential, mit "Angl" (Candlelight Records/Soulfood) an alte Glanztaten azuknüpfen… und neue Hörerschichten zu erreichen. Denn die neun beinahe im Alleingang entstandenen Songs kombinieren Restbestände der zerstörerisch-komplexen Emperor-Spätphase mit zahlreichen Passagen, welche siebziger Jahre Progrock-Bands entliehen sein könnten. Dass sich Ihsahn dank vermehrtem Einsatz von cleanem Gesang (sowie einem Gastspiel von Opeth's Mikael Akerfeldt) aus dem Bann typischer Blackmetal-Referenzen befreit ohne dabei auch nur eine Sekunde in Keyboard- und Bombast-Niederungen abdrifteten, verdient besonderen Respekt. Ein spannendes Album, mit welchem sich eine eindringlichere Beschäftigung lohnt.
Schade eigentlich: Da bringen Ferret Records in ihrem Metier doch wahrliche viele respektable Releases auf den Markt, so hätte doch dieser Querschuss nun nicht unbedingt sein müssen. Mit Knights Of The Abyss, respektive deren Debüt-Werk "Shades" (Ferret Music/Hellfest/Universal), biedert sich das britische Label nämlich unangenehm der grassierenden Deathcore/-Metal-Welle an. Noch dazu mit einer wenig begeisternden Formation. So bringt das Dutzend Tracks nochmals auf's Tablett, was The Black Dahlia Murder oder Job For A Cowboy vormals frisch(er) zubereitet haben. Zwar hört man nichtsdestotrotz noch ein paar fette Breaks und agile Gitarrenarbeit, wirklich Akzente können schon aufgrund der austauschbaren Vocals zu wenig gesetzt werden. Denn selbst wenn bei Knights Of The Abyss durchaus mehr zu holen ist als reine technische Finesse: So ganz aus dem Genre-Mittelmaß will das ambitionierte Werk nicht herausstechen.
Freilich diskussionswürdig bleibt, wie eine gerade nach vorne rockende Band wie Less Than Jake in diese Rubrik passen soll? Nun ja, zumindest zollt man mit dem neuen Werk "GNV FLA" (Cooking Vinyl/Indigo) seiner Heimat Gainesville ordentlich Tribut. Und dort passieren ja durchaus auch verquer rockende Töne. Gleichermaßen wie auf dem neuen Label der Formation, Cooking Vinyl Records. Und doch stecken die 15 Tracks schlichtweg voller erfrischender Melodycore-Hymnen. Denen man die Jahre, welche die Musiker auf dem Buckel haben, durchaus anhört. Auf diese Weise wurde jedoch auch eine Basis gefunden, erdig rockendes Material mit Sonne-Aus-Dem-Arsch-Ska-Parts samt schönen Bläsersätzen zu kombinieren. Wenngleich nach wie vor nicht in der Liga der Mad Caddies: Handwerklich eine sichere Bank, abgesehen von ein paar allzu gewöhnlichen Standards zudem auch musikalisch eine echte Bereicherung. Zumindest für diejenigen, welche sich auch 2008 noch am Sound der Neunziger erfreuen können...

Von der Bedeutung der Gemeinde Hohenstein-Ernstthal in Sachsen für den Indierock: Deren erste urkundliche Erwähnung findet in Bandform nämlich hiermit statt. Dank den Might Sink Ships, die just vom im gleichen Örtchen beheimateten Sweet Home Records Label in liebevolle Obhut wurden. Was nach Vetternwirtschaft klingt, entpuppt sich jedoch als haltlose Unterstellung: Der atmosphärisch durchaus dichte, sehr dynamische Postrock von "Even Nothing Is Definite" (Sweet Home Records/Poor Dog) klingt nicht nur für ein Debüt enorm ausgereift. Zwischen der Direktheit früher Sub Pop/SST-Bands, dem vertrackten Anspruch der Dischord-Familie sowie ein paar prägnanten Melodiebögen begibt man sich auf überraschend eigenständiges Terrain. Und legt als Trio den Grundstein, in der heimischen Liga auf lange Sicht durchaus ein Wörtchen mitreden zu dürfen.
Dass im Spannungsfeld von Singer-Songwriter-Musik, Independent und Folk noch immer und gerade derzeit viel Aufregendes passiert, verkünden die diesbezüglichen Gazetten ja landauf landab. Mit Setting Sun drängt eine weitere amerikanische Band in dieses Raster, deren mittlerweile drittes Album alles mitbringt, was es braucht, um mein Herz zu erobern. "Children Of The Wild" (Young Love Records/Cargo) offeriert eine Mischung aus wunderbaren Melodielinien und versteckten Stolpersteinen, wie sie einst im Saddle Creek Kontext zuhauf entstanden. Regelrechte Hits wie "How Long" stehen neben abstrakteren Stücken, zwischen euphorischer Stimmung und latenter Melancholie wird zwar bekanntes Terrain betreten… Jenes beackert Mastermind Gary Levitt jedoch auf eine ziemlich einzigartige Methode. Was zur Folge haben dürfte, dass der kreative Pool um Quitzow (die hier ebenfalls an Cello und weiteren Streichinstrumenten zu hören ist) bzw. deren Label Young Love Records nicht zu Unrecht und bestimmt auch bald bei uns als eine der spannendsten Nischen des US-Indie-Sounds gehandelt wird.
Soe'za aus Bristol bzw. London erweisen ihren Hörern auf Anhieb keinen Gefallen: "7 Obstacles" (Gringo Records/Cargo) fordert konsequent. Das Material drängt zwar in die (Tanz-)beine, arbeitet sich angesichts fortwährender Rhythmuswechsel, gewöhnungsbedürftiger Vocals sowie einer generellen Unruhe in die Köpfe seines Publikums hoch. Und hier kommt der Punkt, an dem es interessant wird: Hat man nach der ersten Euphorie bzw. dem folgenden Konflikt das Grundkonzept von Soe'za überrissen, spielen die ehemaligen Tourpartner von Q And Not U endlich ihre Trümpfe aus. Ihr drittes Album entpuppt sich dann als facettenreiches Postcore-Werk, welches unter anderem mit "Use Of Globes" ein paar radikale Hits enthält, die der Washington/Dischord-Szene ebenbürtig klingen. Die umfassend instrumentierten Songs (vier der sieben Beteiligten betätigen sich unter anderem als Percussionisten, einer zusätzlich als Blechbläser) blättern Stück für Stück ihre reichlich spröden Hülle ab - und offerieren am Ende ein eigenwilliges, höchst abwechslungsreiches Glanzlicht des Underground-(Post-)rock.

Zwei imposante Neuerscheinungen auf dem sonst eher mäßig interessanten Markt an Split-Veröffentlichungen - Welche den Rezensenten Band für Band in immer wirrere Sounddimensionen entführen. So startet die Patterns / Falcon5-Kollaboration noch einigermaßen bodenständig. Vorausgesetzt, man kann sich eine reichlich überdrehte Fusion aus Postcore, Funk und Jazz als funktionstüchtig vorstellen. So nämlich empfangen einen Patterns auf dieser schlicht "Split" (Coraille) betitelten EP. Ihre vier Songs bestreiten ziemlich genau die Hälfte der Platte und punkten mit Nachdruck durch die perfekte Verquickung von Tanzbarkeit, melodischen Bassläufen sowie flinken Rhythmuswechseln. Höchst gelungen, was die Kölner da ins Feld führen. Ihr Gegenspieler aus Franken beackert durchaus adäquates Terrain, rockt allerdings noch eine Ecke direkter aus den Boxen. Woraus, euphemistisch ausgedrückt, ein spröder Mix aus holprigen Hot Water Music plus Against Me Einflüssen entsteht. Also: Ebenfalls verdammt gut – Projekt somit ganzheitlich gelungen.
Noch einen ganzen Schritt weiter gehen Tarentatec / Osis Krull, welche mit "The Candy And Springtime Experience" (Discorporate Records) so etwas wie die definitive Umsetzung des Spilt-Gedankens zelebrieren. Auf ihrem über eineinhalbstündigen (!) gemischtem Doppel präsentiert erst jeder der (abermals aus einheimischen Landen stammenden) Akteure für sich eine Handvoll experimentierfreudiger, gut gelaunt jegliche Grenzen auslotende Tracks. Bevor das johlende "Back From Berlin" sowie das darauf folgende Material schließlich beide Welten zusammenführen. So erschließt sich für den Zuhörer eine gängige Hörkonventionen selbstbewusst sprengende Afro-Math-Jazz-Post-Rock-Variation, welche sich die Aufmerksamkeit des (toleranten) Publikums zumeist auch noch rein instrumental erkämpft.

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