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MISC - August 2008 l #37

open mind, closed heart: Stilvielfalt.

AbleBakerFox.jpgDaphne_Loves_Derby.jpgDr._Dog-Fate.jpgHeavy_Heavy_Low_Low-Turtle.jpgkoolsavas-bestof.jpgKimoe-streben.jpgSarah_McLachlan-fumbilng.jpgpivot-sountrackofmyhear.jpgTittsworth.jpg

Diesmal mit:

Able Baker Fox | Daphne Loves Derby | Wolftron | Dr. Dog | Heavy Heavy Low Low | Kool Savas | Kimoe | Sarah McLachlan | Pivot | Tittsworth

Das kleine Hamburger Label Arctic Rodeo Records wählt seine Releases mit Bedacht. Wenngleich ein Großteil seiner Veröffentlichungen aus dem Hardcore-Kontext stammt, zeigen die Musiker doch eigentlich immer ihre feine, meist akustische Seite. Da durfte man also gespannt sein, als im Falle Able Baker Fox im Vorfeld von einer "harten Platte" zu hören war. Und wenngleich ich dieser Aussage im Kern zustimme, sollte sie doch in den richtigen Zusammenhang gerückt werden: "Voices" (Arctic Rodeo Records/Alive) hat mit Hardcore nur im Entferntesten zu tun. Das Präfix „Post-“ führt da schon eher auf die richtige Fährte. Das Material erinnert an songorientierte Quicksand, an eine US-Adaption der wunderbaren Hell Is For Heroes oder eine Pop-affine Veröffentlichung aus dem Hause Dischord Records. Die Tracks glänzen mit frappierender Dynamik, bevor sich im Refrain wieder alles auf die Hook konzentriert. Verdammt, hier macht jemand alles richtig. Ach ja, ebenfalls nicht gerade untypisch für Arctic Rodeo - abgesehen von der hübschen Verpackung: Alle Bandmitglieder verfügen über eine renommierte Vergangenheit. Zum Beispiel in Small Brown Bike, The Casket Lottery, Coalesce. Wenngleich solche Hinweise eher kontraproduktiv sind. Able Baker Fox gelang vielmehr ein ziemlich eigenes und angenehm zeitloses Werk, dem man unbedingt ein Ohr leihen, am besten sogar gleich schenken sollte.

Die aus Kent im Bundesstaat Washington stammenden Daphne Loves Derby scheinen schon mit ihrem Bandnamen Freunde des Emorock-Genres ködern zu wollen. Falsch gedacht! Anstellte mit Genre-Standards a lá weinerlichem Gesang sowie Kajal-Dramatik zu langweilen, gefällt ihr Debüt mit moderat rockenden, detailverliebten Indie-Tönen. Welche zugegebenermaßen nichts mit der Brillanz früherer Eyeball-Labelentdeckungen a lá Thursday zu tun haben, mit denen sich die Herren aus New Jersey so gerne brüsten. Denn auch wenn das Gesamtkonzept durchaus aufgeht - Irgendwie plätschert "On The Strength Of All Convicted" (Eyeball Records / Cargo) trotz einiger netter Harmonien und schöner Ideen zu sehr im Hintergrund vorbei. Gepflegte Langeweile auf höherem Niveau, sozusagen. Beinahe etwas spannender klingt da schon das Soloalbum von Daphne Loves Derby Sänger Kenny Choi. Und dies ausgerechnet entgegen der Tatsache, dass dieser unter dem Pseudonym Wolftron ganz bewusst behäbigen Schlafzimmer-Pop inszeniert. Ja, man darf bei den Easy Listening-Melodiebögen durchaus ein ums andere Mal an die Cardigans oder Grandaddy denken. "Flesh & Fears" (Eyeball Records / Cargo) schrammt zwar auch an deren Höchstleistungen elegant vorbei, abgesehen von der christlichen Basis ihrer Tracks bleibt das Ergebnis dennoch ziemlich sympathisch. Und im Doppel-Pack beweist man als Trio oder alleine ohne viel Aufheben, dass klassische Indiepop-Töne eben auch im Jahre 2008 noch recht vital, wenn auch ein wenig verträumt klingen.

Mit ihrem Park The Van-Debüt hatten Dr. Dog vor gar nicht allzu langer Zeit nicht nur sich selbst, sondern auch ihr Label ein ganzes Stück nach vorne gebracht. Das Medienecho war für eine Indie-Veröffentlichung geradezu frappieren hoch und fand nicht nur in der klassischen Rock-Sparte, sondern auch in der kontemporären Musikpresse Anklang. Der Nachfolger bewegt sich naturgemäß auf ähnlichem Terrain: In den weiterhin enorm Beatles'ken Tönen erkennt man auch so manch andere Band vergangener Zeiten wieder. Was einmal mehr Schwachpunkt und Stärke von Dr. Dog gleichermaßen darstellt. Auffallend an "Fate" (Park The Van/Roughtrade) bleibt so vor allen Dingen die wesentlich stärkere Produktion, welche die organisch-analogen Klänge der Formation aus Philadelphia perfekt in Szene setzt. Unbestreitbar dagegen die Qualitäten, welche Dr. Dog als Songwriter vor allem in der ersten Hälfte elf Tracks an den Tag legen: Da hat sich der Blick auf alte handwerkliche Fähigkeiten wirklich gelohnt. Und eben dies gilt auch für die Anschaffung von „Fate“ – zumindest, wenn man auf Sixties Pop, die Shins oder, ähem, das ein oder andere Déjà-vu steht.

Zum Debüt von Heavy Heavy Low Low fehlten mir seinerzeit ziemlich die Worte, um den fiesen Rhythmen, markerschütternden Grooves und komplexen Songauf- bzw. Abbauten Ausdruck zu verleihen. Seitdem haben sich natürlich weiterhin ziemlich reichlich Bands daran versucht, neue Maßstäbe zu setzen. "Turtle Nipple And The Toxic Shock" (Ferret Music) setzt insofern einiges daran, seinen Vorgänger in Punkto Extremität zu toppen. Glücklicherweise macht die Formation aus San Jose abermals keinen Hehl daraus, dass sie sich selbst nicht allzu ernst nimmt. In der Hinsicht geben ja abermals schon Titel und Artwork einige Indizien; der sympathisch abgedrehte Weirdo-Faktor während der 15 gutgelaunten Tracks erledigt dann sein übriges. Denn wo sich der Dillinger Escape Plan in mathematischen Jazz-Abstraktionen verliert, setzen Heavy Heavy Low Low neben reichlich Hysterie lieber einmal ein exzellentes Riff, zündende Breaks oder eine gar nicht einmal so verstümmelte Black Flag-Coverversion ein. Ja, und wer ein wenig zwischen die Töne vordringt, wird die neue Lieblingsrichtung der Herren entdecken: So ganz rar sind sie nämlich gar nicht, die Surf-Elemente (!) auf Album Nummer zwei…

Es ist beinahe zynisch: Eine Zusammenstellung der vermeintlich größten Hits von Labelboss Kool Savas markiert gleichzeitig das Ende von Optik Records. Was durchaus zu bedauern ist. Hielt der in Berlin lebende Deutsch-Türke doch das Independent-Banner höher als so manche Punkband; und steuerte sein Schiff - zur Besatzung gehörten zuletzt u.a. Franky Kubrick sowie Caput - durch Hoch und Tiefs. Das nahende Ende physischer Tonträger findet hier also auch im einheimischen HipHop klare Konsequenzen. Und "The Best Of" (Optik Records/SonyBMG) bringt auf zwei CDs bzw. 32 Tracks das Schaffen von Savas recht gekonnt auf den Punkt. Darunter natürlich auch die obligatorischen Kollaborationen mit Azad, Xavier Naidoo oder Samy Deluxe (!) sowie oben drauf noch fünf Bonustracks. Am Ende bleibt eine durchaus überzeugende Bestandsaufnahme eines für den einheimischen Rap äußerst relevanten Künstlers, welcher sich allzu billigen Hit-Produktionen stets entzog. Allein der Informationsgehalt im Booklet fällt etwas mager aus.
In eine rosigere Zukunft als Savas schauen mag derzeit Kimoe. Zwar muss es der ebenfalls aus Berlin stammende Reggae- bzw. Dancehall-Artist gleichermaßen mit der Musikindustrie aufnehmen, sein Debütalbum "Streben Nach Glück" (Skycap Records/Rough Trade) allerdings mag den aktuellen Zeitgeist ein gutes Stück mehr treffen als der beinahe „old school“ wirkende Sound seines Kollegen. Die 17 Tracks werden angeführt von einer Kollaboration mit Culcha Candela, und auch darüber hinaus vertreiben sonnige Hooklines sowie tanzwütige Beats so manchen Grauschleier. Weitere Gastfeatures sorgen für konstante Kurzweil und wer ein einheimisches Pendant zu Sean Paul sucht, wird bei dem gekonnt produzierten Material garantiert glücklich. Zwar sucht man innovative Neuerungen vergebens und beim Song „Ein Neuer Morgen“ dürften Mono & Nikitaman-Anhänger wissend lächeln – die Rechnung bzw. Sonne geht beim Hören nichtsdestotrotz auf.

Egal, ob die Sony nach der Trennung von Bertelsmann nun zu ihrem alten (ohnehin sympathischeren) Namen zurückkehrt: Via SonyBMG wurden unter der Banner der "Legacy Editionen" in den letzten Wochen einige hochkarätige Veröffentlichungen der Pop-Historie wieder zugänglich gemacht. Und zwar mit teilweise bemerkenswertem Bonusmaterial. So geschehen auch im Falle von Sarah McLachlan, deren kommerziell erfolgreichstes Werk "Fumbling Towards Ecstasy" (SonyBMG) aus dem Jahre 1993 im neuen Outfit samt dickem Booklet, Fold-Out-Digipak sowie auf gleich drei Silberlingen erscheint. Die erste davon enthält das reguläre Album: Ein diskussionswürdiger Klassiker zwischen Folk-Pop und Soft-Rock, angereichert mit jeder Menge spiritueller, beinahe Ambient-artiger Elemente. Der Bonus wird reichlich, wenngleich nicht exklusiv serviert: Die "Freedom Sessions", welche neun alternative Versionen von Albumtracks enthalten, wurden bereits vor über einer Dekade abgefeiert. Darüber hinaus die Live-DVD, welche sich gleichermaßen im Repertoire sämtlicher Fans befinden dürfte. Einen wichtigen Zweck erfüllt dieser Re-Release jedoch über die reine Befriedigung von Sammler-Leidenschaften hinaus: Wer einen Einstig ins umfassende Kompendium der kanadischen Sängerin anstrebt, findet hier durchaus Essentielles.

Entspannte Karibik-Szenerien von Nightmares On Wax auf der einen, gelebte Avantgarde von Pivot auf der anderen Seite: Das Labelrepertoire von Warp Records könnte derzeit kaum breiter gefächert sein. Immerhin: Der Elektronik bleiben die Briten treu. Ganz im Gegenteil zu ihren aktuellen Protagonisten: Richard Pike, Laurence Pike und Dave Miller alias Pivot nehmen es mit Traditionen nicht ansatzweise ernst und schießen dank "O Soundtrack Of My Heart" (Warp/RTD) Konventionen endgültig in den Wind. Und wenn im Info zu dieser Platte Begriffe wie Jean-Michel Jarre und Autechre neben Kategorisierungsversuchen a lá Kraut- und Postrock gleichermaßen fallen, darf man dies durchaus programmatisch verstehen: Das von John McEntire (Tortoise) abgemischte Werk hat explosives Potential, Anhänger der Battles, dem legendären Brain Label sowie irgendwelcher Elektronika-Pioniere gleichermaßen auf seine Seite zu ziehen. Und weite Teile der Hörerschaft gleich wieder zu vergraulen. Wer Spaß an akustischer Herausforderung hat, der könnte in den elf Tracks allerdings wirklich den Soundtrack seines Herzens finden. Auch wenn es schwer fällt, den Kopf dabei auszuschalten.

Immer wieder beeindruckt es experimentierfreudige Hörer (zu Recht), was im Spannungsfeld zwischen HipHop, Breakbeat, House bzw. Elektronik möglich ist. Zumindest dann, wenn die entsprechenden Künstler bereit sind, angestammte Genretraditionen über Bord zu werden - und ihrer Zielgruppe mit Überzeugung auch gewagte Kreuzungen zutrauen. In der Vergangenheit brachte derartiges unter anderem Drum'n'Bass oder Grime zu Tage. Und war bislang das Vereinte Königreich oft die erste Adresse für derartige Kollaborationen, ruft Jesse Tittsworth nun die Stadt Baltimore aus dem US-Bundesstaat Maryland auf den Plan. Der DJ und Produzent, gebürtig aus Washington DC, erspielte sich längst überregional mit diversen Remixen sowie bemerkenswerten Sets einen Namen. Für sein Debüt "Twelve Steps" (Plant Music/Groove Attack) holte er sich nun ebenso stilsicheren wie tanzbodenkompatiblen Support an die Seite. Darunter beispielsweise ex-Five Deez/Spank Rock Pase Rock oder den Miami-Rapper Pitbull. Das Resultat sollte über zwölf Tracks nicht nur die Clubs, sondern auch iPods sowie heimische Stereoanlagen beschallen; mit einem enorm treibenden Sound, welcher die Kreativität zugunsten von Effizienz und Humor manchmal etwas in den Hintergrund drängt. Eben aus diesem Grund aber prädestiniert scheint, zwei Szenen näher zusammen zu bringen.

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