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Filmfestival 2006

 

Filmfestival Türkei / Deutschland in Nürnberg (07.03.2006 – 19.03.2006)

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Bereits schon zum elften Mal lud das Nürnberger Filmfestival Türkei / Deutschland Filmfans, Gäste, Regisseure und Darsteller ein, um sich dem mit vielen bewegten Dokumentationen, Spielfilmen und Kurzfilmschauen bunt gespickten Programm zu widmen. Mit fast 100 Programmbeiträgen, unter anderem auch Podiumsdiskussionen mit Filmemachern und Schauspielern, gab es für das Publikum eine große Auswahl.
Der Schwerpunkt des gut besuchten Festivals lag hauptsächlich auf Projekten von türkischen Regisseuren und Themen aus dem deutsch-türkischen Kulturkreis. Die derzeitige Debatte um das Thema Gewalt an Schulen kam im Beitrag „Knallhart“ von Detlev Buck zu Ansprache. Der Film wurde erst kürzlich mit Auszeichnungen beim deutschen Filmpreis überhäuft und auch beim Nürnberger Filmfest gab es, neben Constantin Von Jascheroff in „Falscher Bekenner“ einen Preis für den „Besten Schauspieler“. Den Preis für den „Besten Film“ konnten sich allerdings die Macher von „Molly´s Way“ auf die Fahne schreiben.

MOLLY´S WAY

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Regie: Emily Atef
Darsteller: Mairead McKinley, Ute Gerlach, Geno Lechner

Molly (Mairead McKinley) wird nach einem One Night Stand mit dem Polen Marcin schwanger. Während der Vater noch nichts von seinem Glück weiß und wieder in seiner Heimat weilt, macht sich die junge verliebte Idealisten auf den weiten Weg von Irland nach Polen, um ihn wieder zusehen und ihm die freudige Mitteilung zu überbringen. Molly weiß allerdings nur in welcher Stadt er lebt und dass er Schwarzarbeiter in einer der zahlreichen Zechen einer polnischen Industriestadt ist.
Voller Sehnsucht wird sie durch ihre positive Lebenskraft und das Baby im Bauch angetrieben ihn zu finden, doch die Suche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die Irin beginnt in einer heruntergekommenen Pension als Putzfrau zu arbeiten, um sich den längeren Aufenthalt in Polen leisten zu können. Sie freundet sich alsbald mit drei Prostituierten an, die dort ebenfalls arbeiten und leben und macht sich nun bald auch als Mensch unverzichtbar. Morgens putzt sie, Nachmittags sucht sie die Kohlebergwerke der Stadt nach Marcin ab - und begegnet Menschen, die sie zum Bleiben, und Menschen, die sie zum Gehen bewegen wollen. Molly durchlebt eine Suche voller schöner und schmerzhafter Erlebnisse, bei der sie die Hoffnung mutig aufrechterhält, sie zwischenzeitlich verliert und schließlich wieder findet - wenn auch auf andere Weise, als sie erwartet hat. Durch Molly´s westliche Augen erschließt sich eine schier ganz andere Welt mitten in Europa, die sehr von Armut, Not und Misstrauen geprägt ist.
Die Türkin Emily Atef zeigt in Ihrem Film ungefiltert die Tristesse des Lebensalltags der Bürger in denen die Flamme der Hoffnung auf ein besseres Dasein schon längst erloschen ist. Ihr gelingt es immer wieder den Zuschauer einerseits mit der Figur der jungen Frau mitfühlen zu lassen und anderseits nie auch den kulturellen und politischen Aspekt der Nachbarn aus dem Osten aus den Augen zu verlieren.

KNALLHART

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Regie: Detlev Buck
Darsteller:
David Kross, Jenny Elvers, Jan Henrik Stahlberg, Erhan Emre, Hans Löw

In seinem Sozialdrama „Knallhart“ bedient sich Detlev Buck keinen abgedroschenen sozialromantischen Klischees, sondern der puren Wahrheit der Gesetze einer Großstadt. Er zeigt, wie der fünfzehnjährige Michael (David Kross) und seine Mutter Miriam (Jenny Elvers), die von ihrem reichen Ex-Freund auf die Straße gesetzt wird, im rauen Berliner Brennpunkt Neuköln zurecht kommen muss. Neu an der Schule, wird dem schüchternen Jungen mit zartem Gesichtsausdruck die Opferrolle, im wahrsten Sinne des Wortes, aufs Auge gedrückt. Es fließt Blut. Denn sein Alltag ist geprägt von Erpressung, Erniedrigung und den perversen Gewaltspielchen der Jugendgang, die das Sagen hat an seiner Schule. Doch zeigt Buck nicht nur die Bilder der Abzocke, der Schlägereien, er zeigt vielmehr Bilder der sozialen Gewalt, die in den Ghettos regiert. Mit authentischen Bildern von heruntergekommenen Wohnblocks, verwüsteten Straßenzügen und vernachlässigten Kindern, die mit dem Notdürftigsten auskommen müssen zeichnet er die Probleme der Menschen am Rand der Gesellschaft auf. Erst in dieser Umgebung wird man zum Sieger oder Verlierer der Urwaldmechanismen herangezogen. Der Stärkere siegt also. Im Fall von Michael gerät er durch seine Geldbeschaffung, die er dringend braucht um sein Schutzgeld bei seinen Peinigern zu tilgen, in die Klauen ganz anderen Kalibers. Durch sein gutgläubiges und Vertrauenserweckenden Äußeres macht er sich für die örtliche Mafia als Drogenkurier nützlich. Er scheint es geschafft zu haben, die Gang lässt ihn unter der Obhut seiner Arbeitgeber in Ruhe. Er scheint jetzt ein ganz normales Teenager - Leben führen zu können. Es sind aber genau diese Szenen, die den Zuschauer spüren lassen, in welcher gefährlichen Spirale sich Michael jetzt befindet. Denn auch wenn die seelischen Wunden verheilt und die kaputten Hosen gestopft zu sein scheinen, kommende Einschusslöcher sind dagegen schwer rückgängig zu machen. Mit dieser Milieustudie bannt Buck den Beweis auf Zelluloid, dass er fernab von seichter Unterhaltung in der Lage ist, der Gesellschaft einen Spiegel vor Augen zu halten, sie ohne den erhobenen Zeigefinger auf die Menschen und deren Gefühle, Sorgen und Ängste aufmerksam zu machen die wir dem Rand unser Gesellschaft zurechnen.

FALSCHER BEKENNER

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Regie: Christoph Hochhäusler
Darsteller: Constantin Von Jascheroff, Victoria Trauttmansdorff, Manfred Zapatka

Der 18-Jährige Armin (Constantin v. Jascheroff) hat gerade die Mittlere Reife bestanden und erstickt nun an seiner Langeweile und an der Unentschlossenheit, was seine berufliche Zukunft angeht. Der Einzelgänger hockt tagsüber verstört in seinen vier Wänden und weiß nichts mit sich anzufangen. Christoph Hochhäusler versteht sich als Beobachter des pubertären Alltags und zeigt wie der heranwachsende nur zu miserablen Vorstellungsgesprächen und nachts das Haus seiner Eltern in einem kleinen Vorort von Mönchengladbach verläst. Auf einer seiner nächtlichen Touren ist er Zeuge eines tödlichen Autounfalls. Als er am nächsten Tag in der Presse davon hört, dass es sich um einen Promienten der Stadt handelt, schreibt er spontan einen Bekennerbrief. Was als Spiel beginnt, wird bald zur Obsession. Er fängt an wahllos anonyme Botschaften zu Unfällen und Gewalttaten zu schreiben. Immer wieder gleitet der Junge in sein Paralleluniversum ab, indem es bald nicht mehr ausreicht nur noch so zu tun, als hätte er die Taten begangen.

3 GRAD KÄLTER

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Regie: Florian Hoffmeister
Darsteller: Bibiana Beglau, Sebastian Blomberg, Johann von Buelow, Meret Becker

Kalt, grau, trostlos - die Stadt in Franken genauso wie Spanien und wie das Leben der Protagonisten. Das bisschen heile Welt, das in ihrer Umgebung noch übrig geblieben ist, ist pure Fassade. Und die kriegt Risse, sobald Jan zurückkommt. Regisseur Florian Hoffmeister zeichnet in seinem Debütfilm, für den er im vergangenen Jahr den Silbernen Bären des Festivals von Locarno gewann, das Bild einer desillusionierten Generation der um die 30-Jährigen, unfähig, miteinander zu sprechen, unfähig, sich zu binden, aber genauso unfähig, alleine zu sein.
Die Figuren sind eingeschlossen in ihrer Welt, drehen sich in ihrer Kleinstadt, ihrem begrenzten Bewegungsraum, um sich selbst. Die Kamera lässt ihnen kaum Luft, gibt nur selten den Blick auf den Horizont frei. Eingekerkert sind sie, „zu Gast im eigenen Leben“, auch auf der Leinwand eingefangen zwischen Linien und Schatten, Türen und Fensterrahmen. Und sitzen sie dann doch einmal einsam in ihren Wohnungen, flüchten sie an den Bildrand, machen sich klein. Selbst am Bahnübergang, dort, wo es immer „3 Grad kälter“ ist, wo Züge das Blickfeld zerschneiden, kündigt sich keine Ferne an, bietet sich nicht die Möglichkeit, dem ewig gleichen mittelmäßigen Leben zu entkommen. Denn hier fahren lediglich Güterzüge vorbei. Nur Jan, am Strand in Spanien, hat sich die Weite erobert, kann die Arme ausbreiten, die Seeluft atmen.

DER WALD VOR LAUTER BÄUMEN

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Regie: Maren Ade
Darsteller:
Eva Löbau, Daniela Holtz, Jan Neumann, Ilona Christina Schulz

Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Darum geht es sprichwörtlich im Regiedebüt von Maren Ade. Eine junge Lehrerin verläst ihren langjährigen Freund und ihre provinzielle Umgebung, um in Karlsruhe einen Neuanfang zu wagen. Der Film zeigt präzise wie die zurückhaltende Frau sich in ihrer neuen Wohnung und Umgebung einzurichten versucht und auf hilfreiche Hände angewiesen ist. Sie kommt allein nicht zu recht. Auch in Schule stößt sie mit ihrer gespielten Lockerheit und ihrer Art als kleines Mauerblümchen jedoch recht schnell auf Unbehagen im Kollegium und im Klassenzimmer. Für die Rabauken der sechsten und siebten Klassen ist die sensible Frau ein gefundenes Fressen. Jegliche Versuche Härte auszustrahlen und die Schüler zu betrafen enden dann meist beim Elterngespräch ergebnislos und im vollkommener Aufgelöstheit auf der Lehrertoilette oder in den eigenen vier Wänden. Der Zuschauer weiß mehr als die Figur in dem Film selbst in welche Richtung es zu scheinen geht. Als sie durch Zufall eine Nachbarin kennen lernt, kommt bei ihr und beim Publikum spürbar Hoffnung auf und löst für einen Moment die Position aus ständiger Traurigkeit und Mitgefühl auf. Völlig starr verhält man sich trotzdem die meiste Zeit, denn die Bilder der verstörten Frau gehen an die Nieren.

Autor: Robert Krupar

Fotos: Pressefreigabe


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