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Immergut 2008 - Nachbericht

Why is everything so locked up?

 

Zum ersten Mal seit Jahren ist das Immergut Festival nicht vollständig ausverkauft und das obwohl 2008 wieder deutlich mehr potentielle Headliner am Start sind, als im Vorjahr. Ob es daran liegt, dass sich die Veranstalter weitestgehend den aktuellen Trends im Indiezirkus verweigern und keine New Rave-Clowns, keine angesagten Elektro-Hypes und fast keinen Post-Punk-Klon von der Insel gebucht haben?

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Wahrscheinlich. Und trotzdem ist es erstaunlich, dass nicht bereits Namen wie The Notwist, Slut, The Lemonheads und The Weakerthans ein mit 5 000 Besucherinnen und Besuchern doch noch recht überschaubares Festival ausverkaufen – die ganzen tollen Zwischentöne noch gar nicht berücksichtigt. Das sorgt zwar dafür, dass man bei den Auftritten immer genügend Platz hat, aber schade ist das trotzdem irgendwie. Diese Bookingpolitik unterstreicht damit aber natürlich auch den Charakter des Festivals und die Idee der Macher. Einerseits nicht den Trends hinterhecheln zu müssen, während andere Festivals sowieso mit ganzen anderen Gagen aufwarten können und andererseits sich natürlich trotzdem nicht neuen Sachen zu verschließen. Dadurch wirken andere Line-Ups oftmals spannender, dafür gibt es aber auch selten Ausreißer nach unten. Im Folgenden das, was in diesem Jahr hängen und zum Glück nicht verschlossen blieb:

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Donnerstag, 29. Mai 2008

Premiere: Zum ersten Mal ist das Festivalgelände bereits Donnerstagabend geöffnet, das NVA-(Disco)-Zelt auf dem Zeltplatz fällt dafür aus. Schade. Auch schade, dass Bodi Bill nicht in der Zeltbühne spielen dürfen, weil die Stadt Neustrelitz lieber Bürokratismus betreibt, anstatt die derzeit spannendste Elektro-Kapelle Deutschlands auftreten zu lassen. Dafür aber Studio Braun. Heinz Strunk, Rocko Schamonie und Jaques Palminger in Höchstform. Immer zwischen albern, absurd und ganz groß. Gute Einstimmung auf das, was da in den nächsten zwei Tagen und zwei Nächten noch kommen soll. Computerfreak, Computerfreak… und dann ausnahmsweise Donnerstag mal früh ins Bett.

Freitag, 30. Mai 2008

Aufwachen, schwitzen, aus dem Zelt flüchten, wunderbares Wetter, Badesee, einkaufen, essen, noch mehr trinken und dann endlich Musik, wobei die Musik des großartigen Ólafur Arnalds natürlich eigentlich dafür gemacht ist einen um 3 Uhr ins Bett, better known as tent, zu bringen. Dunkelheit und ein deutlich längeres Set hätten diesen Auftritt wohl unvergessen gemacht, so gibt es drei Stücke in 30 Minuten der Marke Sigur Rós, Album Leaf und wie sie eben alle heißen an der Post-Eisbergschmelze-Front.

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Danach schnell rüber zur Zeltbühne, denn Hersbrucks finest The Audience treten an, um uns einmal komplett durchzuschütteln. So geht Retro-Rock n’ Roll, wenn man es nicht darauf anlegt Retro zu sein. Wer die fünf Vögel in den letzten Jahren bei einem ihrer zahlreichen Live-Auftritte schon mal gesehen hat, weiß um die (Live-)Qualitäten der Band. Absolut konkurrenzfähig. Regional, national, international. Die Welt soll es wissen, da braut sich was zusammen in Nürnberg…

Das selbe gilt für Berlin, denn dort haben Trip Fontaine und Ter Harr (die den Samstag eröffnen) ihren Proberaum. Zweitgenannte machen so was wie Mathrock in lebendig und spannend und veröffentlichen im Herbst 2008 ihr Debütalbum auf Sinnbus Records, wobei sich jetzt schon abschätzen lässt, dass das ganz schön gut werden könnte. Trip Fontaine wiederum werfen alles zusammen, was in den letzten und nächsten 15 Jahren Post-Hardcore ging und gehen wird. Explosiv, mitreißend, komplex, eingängig und gerade an diesem frühen Abend soooo gut.

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Dagegen kann man schon mal verblassen, selbst wenn man größere Artikel in den einschlägigen Musikmagazinen bekommt, als alle bisher genannten Acts. Blood Red Ossi - you know your name. Gut, aber vielleicht besser im Konzertrahmen aufgehoben: Menomena und iLiKETRAiNS. The Weakerthans und The Notwist verblassen erwartungsgemäß nicht. Erstere hatten zwar beim legendären Immergut von 2004 einen noch bezaubenderen, aber John K. Sampson und seinen Homies kann man trotzdem nie widerstehen; genauso wenig wie den Acher-Brüdern, sowie Martin Gretschmann. The Notwist spielen ein Best Of mit Schwerpunkt auf dem neuen Album „The Devil, You + Me“. Da stimmt einfach alles.

Später lässt King Klatsche dann wieder seinen unsäglichen Indieballermann auf die Menge los, der trotzdem bis in die frühen Morgenstunden funktioniert und dafür sorgt, dass wir den Inhalt unserer Geldbeutel fast komplett am Bierstand abliefern.


Samstag, 31. Mai 2008

Heute scheiden sich bis 20 Uhr an fast jeder Band die Geister. Ter Haar, Microstern, John Goldtrain, Cartridge, Lo-Fi-Fnk und Get Well Soon sind für die einen Offenbarung, für die anderen einfach nur lame. Selten hat man hier so eine Fluktuation zwischen Zeltplatz und Festivalgelände erlebt. Die Reibungspunkte tun jedenfalls gar nicht so schlecht und zum Glück ist eine streitbare Kultur hier noch zu haben.

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Erst als Girls in Hawaii die Bühne entern herrscht Konsens. Indiepop at it’s best. Sechs Belgier vom Typ Muster-Schwiegersohn, die alle mitnehmen, die auf handgemachte, ver- und bezaubernde Popmusik stehen. Das zweite Album „Plan Your Escape“ hat etwas gebraucht, jetzt ist es in unserer Mitte angekommen. Diese Band von nun an bitte immer. Jedes Jahr. Auf jedem Festival.

Danach gehen die Diskussionen wieder weiter. Wir sagen nein zu den Fotos und ja zu Peter Licht. Ja zu Slut und ja zu den Lemonheads – aber nur vom Zeltplatz aus. Die Ingolstädter haben einen merkwürdigen Sound, hauen dafür aber zum Schluss ihren alten Hardcore-Brocken „Cloudy Day“ raus. Evan Dando ist selbst merkwürdig und kann sich zuweilen an seine alten Hits nicht mehr erinnern, ist trotzdem schwer sympathisch, obwohl der Herr offensichtlich immer noch hilfsbedürftig ist auf dem ein oder anderen Gebiet.

Unterm Strich: Wetter super, tolle Headliner, einige Highlights davor, dazwischen und danach. Immergut bleibt Immergut. Punkt.

Text: Sebastian Gloser
Fotos: Anne Behrndt


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