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Final Fantasy Interview

Talent im Trinkwasser

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Owen Pallett ist das fast schon klassische Wunderkind: intelligent, besessen, begabt und auf eine beunruhigende Art zurückhaltend. Leise. Er macht lange Pausen, manchmal verirrt er sich in Gedankengängen, dann entschuldigt er sich wieder für seine Fahrigkeit und dann ist er so angestrengt bei der Sache, dass man es ein wenig mit der Angst bekommt. Aber schon nach wenigen Sekunden Gespräch weiß man, dass sich das zuhören lohnt. „Final Fantasy“ ist nämlich wieder eines dieses kanadischen Projekte, bei denen man spürt, dass sie so und nicht anders nur aus diesem Teil der Welt kommen können. Es gibt sie eben doch, die Nationalität in der Musik. Und wenn Owen Pallett da heftigst widersprechen würde: man spürt das kanadische in „Has a good home“, dem Debütalbum des jungen Violinisten. Diese Reserviertheit eines Kanadiers findet schon in der Instrumentierung ihren Ausdruck: Violine, Gesang, sparsame Drumparts, mehr braucht es nicht, um ein beklemmendes, schönes, trauriges Album zu schaffen.

Das „Arcade Fire“ Mitglied Pallett schafft sich seine eigene Sparte. „Violindie“ sagen die dazu, die unbedingt einen Begriff brauchen. Wer Final Fantasy jedoch live gesehen hat, findet nur eine einzige Bezeichnung dafür: Leidenschaft. Nur mit Violine und Fußpedal werden Loops übereinander gestapelt, dass später am Abend das „Nachtasyl“ in Hamburg wie ein Orchestergraben brummt. Der Tourauftakt ist geglückt.

Welche Erwartungen hast du von der anstehenden, ersten eigenen Tour hier in Europa?
Ich habe keine Erwartungen, eher sorge ich mich ein wenig. Ich nehme auf Tour immer unheimlich ab und schlafe schlecht. Und davon kann man ganz schön verrückt werden. Dafür sind menschliche Körper einfach nicht geschaffen, denke ich. Zumindest meiner. Aber ich freue mich. Ich suche schon die ganze Zeit nach Souvenirs.

Kannst du dich daran erinnern, als du das erste mal eine Violine in der Hand hattest?
Nein, da war ich noch sehr klein, vielleicht drei Jahre alt. Die Violine, die ich jetzt spiele, an die erinnere ich mich genau, wie ich sie bekommen habe. Ich sah sie in einem Schaufenster und hab mich sofort verliebt in das Teil. Damals habe ich noch auf der Straße gespielt. Acht Stunden täglich, einen ganzen Sommer lang, habe ich auf Torontos Straßen gespielt, um mir das Geld für die Violine zu verdienen. 18 Jahre war ich damals alt.

Was war ausschlaggebend dafür, dieses klassische Instrument zu lernen?
Ich war schon immer interessiert an Komposition. Das, was mich wirklich dazu gebracht hat, das Instrument zu lernen, war die Tatsache, dass ich auf eine Musikschule ging und drei wunderschönen Mädchen begegnete, die Violine spielten. Ich war vollkommen verknallt. Die drei Mädchen waren richtig talentiert, aber sie haben hinter meinem Rücken über mein miserables Violinenspiel gelästert. Und als ich das erfuhr, habe ich ein Jahr lang wie ein Besessener an meinem Können gearbeitet, nur um die drei Mädchen zu beeindrucken.

Ich stelle es mir schwierig vor, zu einem solchen Instrument auch noch zu singen ...
Ja, wenn man zur Violine singen möchte, dann muss man ganz schön hart arbeiten. Ich glaube, ich bin ein elend schlechter Sänger.

Bist du nervös vor einer Show wie dieser? Dass du da allein auf der Bühne stehen wirst?
Ja, ich leider an einer ziemlich krassen Bühnenangst. Vor meiner ersten Show, in einem kleinen Club in Toronto, drückte ich Menschen Flyer in die Hand. Ganze drei waren gekommen und ich war trotzdem unglaublich nervös. Dann kamen irre Bauchschmerzen dazu und als ich schließlich auf die Bühne ging, habe ich zwei Stunden durchgespielt. Ich hatte solche Angst, dass ich nicht aufhören konnte oder wollte. Ein Jahr später unterhielt ich mich mit einer Freundin, die damals auch da war, über das Konzert und sie meinte: „Ja, war ganz schön langweilig...!“

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War es mit den vorherigen Projekten einfacher? Mit Les Mouches, den Hidden Cameras ..... ?
Ja, da kann man sich gut verstecken und Unmengen Bier in sich hinein kippen. Aber wenn man mit der Art, wie diese Band spielt, nicht ganz einverstanden ist, dann kann auch das ganz schön anstrengend werden. Win (Arcade Fire’ Frontsau) und ich hatten neulich einen Streit darüber, dass er immer ins Publikum springt bei Konzerten. Das geht mir auf die Nerven, ich will nicht Teil einer Green Day Show sein.

Welchen Stellenwert hat Komposition für dich?
Ich war schon immer an Komposition interessiert. Schon seit ich ein kleiner Junge war. Zum ersten mal Musik geschrieben habe ich mit zwölf, für ein Computer Spiel. Ich habe mich nach der High School dann eher für Moderne Musik interessiert. Ich wollte Musik machen, zu der ich auch meine eigenen Texte schreiben konnte. Mein Musiklehrer hat mal behauptet, das jemand, der komponiert, niemals eigene Texte schreiben dürfe. Das würde nur in die Hose gehen. Diese Ansicht hasse ich, aber vielleicht wollte er mich auch nur auf den Arm nehmen.

Wie entstehen deine Songs?
Ich schreibe Musik und Texte nie zur gleichen Zeit. Meistens entwickle ich musikalische Ideen, wenn ich unterwegs bin, auf der Straße oder sonst wo. Und Texte entstehen meistens nur dann, wenn ich betrunken bin.

Findest du leicht einen Abschluss? Bist du jemals 100%ig zufrieden mit deiner Musik?
Natürlich bin ich zufrieden. Glaubst du ich schaue zurück auf die letzten Sechs Monate, in denen ich Musik gemacht habe, in dem Gedanken, dass das Zeitverschwendung war? Ich glaube sowieso nicht, dass es Genies gibt. Menschen sind voller Fehler. Das gehört zum Menschsein dazu.

Aber braucht ein Künstler nicht eine gewisse Unzufriedenheit, um weiter Musik zu machen?
Nein, da muss ich dir widersprechen. Schau dir Paul McCartney an. Wie zur Hölle konnten er und John Lennon weiterhin Songs schreiben zu einer Zeit, als alle schon meinten, sie seien die besten Songwriter aller Zeiten. Paul McCartney hat deswegen weiter gemacht, weil er davon überzeugt war, dass er ein Genie sei. Musik macht man nicht, weil man unzufrieden ist, Musik macht man, weil man es kann.

Was macht, bezogen auf den Albumtitel „Has a good home“ für dich ein gutes zuhause aus?
Ich habe nicht mal ein richtiges Zuhause. Der Titel ist also eher ein Scherz. Nein, eigentlich bezieht sich der Titel auf meine Freunde und Familie in Toronto. Was inzwischen aus Final Fantasy geworden ist macht mir ein wenig Angst. Ursprünglich war es dazu gedacht, Musik für mich, meine Freunde und meine Familie zu machen. Und jetzt bin ich seit Monaten auf der anderen Seite der Erdkugel und hab sie schon ewig nicht mehr gesehen.

Hast du soetwas wie einen Mentor? Jemandem, der dich kritisiert und weiterbringt?
Es gibt einige Menschen, zu denen ich aufschaue. Aber da ist niemand, den ich als Mentor bezeichnen würde. Normalerweise frustrieren mich Menschen auch eher.

Ein bemerkenswertes Lied ist „This is the dream of Win and Regine“ …
Damals dachte ich vor allem, dass es ein ganz cleverer Titel wäre. Damals, als er entstand, waren Arcade Fire noch nicht so berühmt wie sie es jetzt sind. Es gab zwar dieses Rumoren, die Gerüchte von dieser Band, (zur Hälfte, weil sie so gute Musik machten, zur anderen Hälfte, weil es ein echtes Ehepaar in der Band gab. (lacht)) Damals haben Wolf Parade, eine befreundete Band, sich immer mit den Worten vorgestellt: „Hi, ich bin Win und das ist meine liebliche Ehefrau Regine.“ Das hat sich dann als Running-Gag verselbständigt. Außerdem gibt es einen „Dntel“-Song, der so ähnlich klingt. Naja, letzten Endes wollte ich ein Lied schreiben, das Paare zusammenhält. Am Anfang hat das nicht funktioniert, das Stück wurde immer deprimierender. Statt Paare zusammenzuhalten hätte es sie auseinander gebracht. Deswegen musste ich es freundlicher, poppiger gestalten. Er sollte wie ein Heiligenschein über den Paaren schweben. (grinst)

Was hat Montreal bzw. Kanada an sich, dass die musikalische Weltöffentlichkeit mehr und mehr darauf blickt?
Frag mich was leichteres. Es ist jedenfalls nichts im Trinkwasser. Montreal ist eher wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst. In Kanada hat sich etwas verselbständigt: wenn du eine gute Band bist, dann bist du nur in dem Augenblick gut, wo du deine erste Show spielst und die Leute völlig aus dem Häuschen geraten. Beim dritten mal heisst es: oh ja, die sind gut, die hab ich schon mal gesehen. Und beim siebten mal: oh Gott, ich hab die Band schon tausendmal gesehen! Und sobald du ein Album draußen hast, heißt es: oh nein, das letzte, was wir jetzt brauchen, ist solch ein Album!

Interview + Text: Robert Heldner


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