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Blackmail Interview

Never Forever

 

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Anfang des Jahres ist mit „Aerial View“ das fünfte reguläre Studioalbum von Blackmail erschienen, im Herbst widmet sich die Band schon wieder dem nächsten Projekt: In Berlin wird das Stück „Medusa im Tam Tam Club“ von Künstler (und Blackmail-Fan) John Bock aufgeführt und Blackmail liefern die musikalische Unterstützung in Form von eigenen Songs in leicht abgeänderter Form. Könnte sicher spannend werden und ist bekanntlich nicht das erste Mal, dass sich Blackmail über den üblichen Bandalltag hinauswagen.
Bereits im letzten Jahr waren die Koblenzer maßgeblich am Soundtrack zum Film „Kammerflimmern“ beteiligt, Aydo Abay veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Platten mit seiner zweiten Band Ken und Kurt Ebelhäuser tobt sich zeitweise bei Scumbucket aus und produziert befreundete Bands. Nach dem Sommer geht es noch einmal auf ausgeprägte Deutschlandtour; an Beschäftigung mangelt es den vier Koblenzern also sicher nicht. Wir trafen die Band am Rande ihrer Tour im Frühling und warfen mit Aydo Abay (Gesang, Gitarre) und Carlos Ebelhäuser (Bass) einen Blick auf über zehn Jahre Blackmail.

Hartnäckig halten sich die Erzählungen über eine Band, die angeblich oft abgehoben und arrogant daherkommt und gerne mal chemische Aufputschmittel probiert. Der Weg im Nürnberger Hirsch führt zunächst über den Tourmanager: „Dauert nur noch ein paar Minuten, die Band muss noch ‚Buzz’ spielen.“ Buzz spielen, was heißt das nun wieder? Ein neuer Fachbegriff für das Konsumieren von irgendwelchen Pillen? ‚Wenig’ später sollen wir darüber aufgeklärt werden.
Als es nach gestoppten 47 Minuten Wartezeit schließlich zum Interview kommt, ist von all den Klischees nichts mehr zu spüren. Die Herren blicken völlig nüchtern auf die zwölfjährige Bandgeschichte zurück und sind überaus freundlich, auch wenn Abay zunächst versucht alle Klischees zu bestätigen. Unterlegt mit einem herzhaften Lachen löst er das Problem der mangelnden Sitzgelegenheiten: „Kniet euch doch einfach vor uns!“
Wäre durchaus angebracht, wenn man die Diskografie von Blackmail betrachtet, machen wir aber dann doch nicht und finden noch Platz auf einer Couch.

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Aerial View (2006) Friend or Foe? (2003) Bliss Please (2001) Science Fiction (1999) Blackmail (1997)


Ihr habt ‚Buzz’ gespielt, was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Carlos Ebelhäuser: Das ist ein Musikquiz für die PlayStation, da muss man Melodien erkennen.

Ist da auch Blackmail-kompatibles dabei?
Aydo Abay: Nur (grinst). Bis auf Mario (Matthias, Schlagzeug) erkennen wir eigentlich alles, es geht nur um Schnelligkeit.

Wer hat gewonnen?
Abay: Natürlich ich (lacht).

Wie lief die Tour bis jetzt?
Abay: Bis auf Österreich war’s super. Da haben die uns aber auch an Orte geschickt, wo man fast nur Ski fährt.

Nach über zehn Jahren Blackmail: Woher nehmt ihr die Motivation abends auf die Bühne zu gehen und eine gute Show zu spielen?
Abay:
Spaß.
Ebelhäuser:
Ja, vor allem Spaß und man bekommt ja auch was zurück durchs Publikum. Vor den Auftritten wird es halt immer langweiliger, aber seit es ‚Buzz’ gibt, ist auch das besser geworden.
Abay: Wir holen uns die Motivation während der Konzerte. Es dauert meistens so vier, fünf Songs bis wir richtig drin sind und je nach Publikumsreaktion steigert sich das dann.

Seid ihr inzwischen gemeinsam oder auch jeder einzeln für euch mit der Band inzwischen zufriedener, als früher zu „Science Fiction“-Zeiten zum Beispiel?
Abay:
Nee, eigentlich nicht. Das ist gleich geblieben, damals gab es eben andere Highlights und heute gibt es wieder ganz andere High- und Lowlights. Die Umstände werden anders.
Ebelhäuser:
Man setzt ja auch immer seine Maßstäbe hoch. Hätte uns 1999 jemand in Aussicht gestellt, dass wir so und so viele Platten machen oder dass wir mal nach Japan können, dann wären wir damals natürlich durchgedreht. Heute ist das immer noch geil, aber manchmal fast schon selbstverständlich.

Welche Maßstäbe setzt ihr euch jetzt?
Ebelhäuser:
Immer noch einen drauf zu setzen. Jede Platte noch ein bisschen anders machen. Noch rockiger oder noch poppiger, aber das wird natürlich immer schwerer. Und nachdem wir es auch bereits nach Japan geschafft haben, setzt man sich auch auf dem Gebiet andere Ziele, nämlich Europa richtig zu erreichen. Wir würden gerne mal nach Skandinavien, Holland, Belgien oder Spanien.
Abay: Wir haben ja das Glück, dass wir das alles schrittweise machen können.

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Spielen auch Verkaufszahlen eine Rolle, wenn man ein gewisses Level erreicht?
Ebelhäuser:
Nee, weil man das schlichtweg nicht planen kann, wie sich gerade etwas verkauft. Und darauf wird ja auch beim Songwriting keine Rücksicht genommen. Natürlich gibt es mal das ein oder andere Stück, was dann zu abgefahren ist oder viel zu lange ist und man dann merkt, dass man noch ein paar Stücke in dem und dem Kaliber braucht.

Stört es, dass man nicht mehr die gleichen Freiheiten wie früher hat, weil ihr natürlich nicht die Songs am Publikum ausrichtet, aber dennoch ja ein gewissen Stil fortführen wollt?
Ebelhäuser:
Naja, das man nicht mehr so frei ist, wie bei den ersten Platten ist klar. Natürlich war am Anfang alles offen, aber dieses Gefühl erreichst du dann nie mehr. Wobei man das auch nicht entgültig sagen kann, wer weiß vielleicht macht man ab der siebten Platte wieder etwas völlig Abgedrehtes.
Abay:
Ich glaube das kommt jetzt. Das fing schon beim Entstehen der aktuellen Platte an, wir haben schon viel aufgerissen, wo wir uns gefragt haben, ob man das noch machen kann oder soll und ich glaube das geht noch weiter.

Seid ihr Künstler, die mit völliger Überzeugung nach jeder Platte sagen, dass es die beste ist, die ihr jemals gemacht habt?
Abay:
Wir geben die Platte solange nicht aus der Hand, bis wir nicht zufrieden sind. Ob das dann die Beste ist, kann man eigentlich immer erst Jahre später beurteilen. Aber in dem Moment, wo man fertig ist, denkt man sich auf jeden Fall: „Hammer!“
Ebelhäuser: Und dann kommt die Phase, wo dir die Platte auf die Nerven geht und dann geht das immer hin und her.

Habt ihr etwas über die Jahre gelernt, an das ihr anfangs vielleicht noch zu naiv herangegangen seid?
Abay:
Man muss sich sein Publikum immer noch jedes Mal erspielen. Da gab es Sachen, die für einen selbstverständlich waren und bei der Tour zu „Friend or Foe?“ war mir das völlig egal und ich glaube Kurt (Ebelhäuser, Gitarrist) auch, ob das Publikum jetzt drauf abfährt oder nicht, aber mittlerweile bin ich wieder auf dem Standpunkt, wenn schon Leute auf die Konzerte kommen, dann will ich die auch zufrieden nach Hause schicken und unterhalten und das geben, wofür die bezahlt haben.
Ebelhäuser:
Wir haben jetzt live auch eine Videokonzeption, die Bekannte für uns erstellt haben. Das bringt einen neuen visuellen Aspekt mit ein, womit wir eben auch noch etwas mehr zu bieten haben. Das hätte schon immer gepasst, aber jetzt ist es möglich geworden und wird noch nach und nach ausgearbeitet.

Habt ihr auch was Elementares gelernt, was das Album machen betrifft?
Abay:
Eigentlich nicht, nur dass wenn wir uns ins Studio setzen und an einer Sache arbeiten, auch etwas bei rum kommt. Die Reife sorgt dafür, dass man schneller erkennt, was funktioniert und was nicht.
Ebelhäuser: Manchmal kommt alles in einem Fluss, dann geht wieder gar nichts voran und man weiß hinterher aber auch immer nicht, woran es lag. Und wenn es mal sehr lange dauert, dann sind die Songs meistens auch scheiße.

Ist es immer noch ein großer Kraftaufwand für euch ein Album aufzunehmen?
Abay:
Die Endphase ist das schwierige, der Anfang eigentlich eher nicht. Wenn man anfängt, ist da immer die Euphorie, aber wenn es dann am Ende um die Details geht. Die Songs fertig zu stellen ist anstrengend.
Ebelhäuser: Inzwischen haben wir ein eigenes Studio, weswegen man auch viel mehr Zeit hat rumzuprobieren. Früher war das nicht so, dann musste es halt fertig werden.

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Ihr habt über die Jahre immer mehr Bestätigung bekommen, auch von Kritikerseite und Labels, kann das eher zur Sucht oder zur Gewohnheit werden?
Ebelhäuser:
Gewohnheit. Seit der zweiten Platte sind wir zu 95% Kritikerlieblinge geworden, das freut einen natürlich am Anfang, weil man unsicher ist, ob das ankommt, was man da macht, aber irgendwann wird es schlichtweg zur Gewohnheit. Aber man will ja natürlich auch keine schlechten Kritiken, es gibt kein Gegenbeispiel, dass man sagt: „Jetzt nervt’s, ich hätte gerne mal schlechte Kritik!“ Aber es geht ja nicht um die Kritikermeinungen, sondern um die Fans und Hörer und da wäre mir es viel wichtiger, wenn wir öfter im Radio gespielt würden, als dass wir überall gute Kritiken bekommen.
Abay: Wir hatten auch gedacht, dass „Aerial View“ zerrissen wird, egal wie sie geworden wäre, das jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen ist, aber dem war nicht so. Die Platte hat sogar noch mehr abgesahnt, sogar bei Blättern, die uns eigentlich nie so gemocht haben. Die Spex hat jetzt ein Loblied auf das Album gesungen, dabei haben die uns früher nicht mal mit dem Arsch angekuckt.

Und generell dieser Status als erfolgreiche Band, kann da irgendwas zur Sucht werden?
Abay:
Bei dieser Tour zeigt es sich ganz gut: In Deutschland und der Schweiz läuft es gut und dann kommst du nach Österreich in einen Ort namens Aigen, stehst vor Leuten und merkst es ist Dorf-Disco-Time, die stehen da, weil sie halt ausgehen wollen und dann vermisst du natürlich das, was du bei den Konzerten davor hattest. Ich weiß nicht, ob das dann schon Sucht ist? Da stehst du vor Leuten, für die könntest du „Smoke on the water“ spielen und die würden ausflippen.

Die Musikbranche ist voller großer Egos, färbt das ab?
Abay:
Fast alle Musiker, die ich kenne haben große Egos. Das färb also nicht ab, das ist einfach so. Reinhard Mey ist vielleicht eine Ausnahme (lacht).

Der hat mal gesagt, dass er in seinem Leben alles besingen möchte.
Abay:
Eine schöne Aufgabe (grinst). Hat er denn schon einen Song über Topfdeckel gemacht?

Könnte gut sein. Habt ihr euch schon mal kreativ überschätzt oder irgendwas gemacht, wo ihr euch im Nachhinein gedacht habt, „das hätten wir mal besser gelassen“?
Abay:
Es gibt diverse Fehler, die man machen kann. „Bliss Please“ ist zum Beispiel zu lange, aber das sind Kleinigkeiten und über große Fehler braucht man gar nicht mehr nachdenken und nichts bereuen, denn da kann man eh nichts mehr dran ändern.

Wird es Blackmail noch in fünf Jahren geben?
Ebelhäuser:
Kann man nicht sagen. (räkelt sich tiefer in die Couch) Hätten wir vor fünf Jahren aber auch nicht sagen können. Solange es Menschen gibt, die sich für uns interessieren und die Band haben wollen, dann geht es wahrscheinlich weiter, sofern wir uns unter einander gut verstehen und Spaß haben. Wir werden aber sicher nicht die Band werden, die weiterhin Platten macht, obwohl es keinen mehr interessiert.

Auch nicht, wenn man dafür wieder ein Stück mehr Freiheit zurück bekommt?
Ebelhäuser:
Nee, das bringt ja nichts. Man muss immer das Bewusstsein haben, es müssen sich so und so viel Leute dafür interessieren, die Platte gut finden, die Platte schlecht finden, die Platte kaufen, zu den Konzerten kommen, ansonsten hat es keinen Wert. Selbst die Künstler, die behaupten sie machen all die Musik nur noch für sich, haben mindestens ein bestimmtes Level an Fans, sonst würden sie das nicht machen.

Vermisst man aber nicht trotzdem diese Naivität aus den Anfangstagen?
Ebelhäuser:
Doch natürlich. Ein Stück weit haben wir das ja mit Japan wieder bekommen. Weil wir überhaupt nicht wussten, was dort abgeht. Wir haben halt jeden Scheiß mitgemacht. Die hatten dort eine Musiksendung, die halt viel geiler war, als das hier bei VIVA abläuft.
Abay: Eine Mischung aus Harald Schmidt und Musiksendung.
Ebelhäuser:
Da saßen dann Bloc Party, Razorlight und Blackmail, die dann so ein Quiz mitmachen. Du kennst die Presse nicht und machst halt Blindflüge. Was man sich in Deutschland drei Mal überlegen würde, wird dort möglich und deswegen hoffen wir ja auch darauf, jetzt mehr ins Ausland zu kommen, weil dann ein bisschen das ursprüngliche Gefühl zurückkommt.

Abschließende Frage, nicht erschrecken die stellen wir allen Bands: Drei Dinge, die ihr vor eurem Tod tun wollt?
Abay:
Kind zeugen, Baum pflanzen, Haus bauen.

Dein Ernst?
Abay:
Hätte ich Bock drauf. Baum hab ich schon gepflanzt, ein Kind auch schon. Ach das heißt ja auch „einen Sohn zeugen“ oder? Und ein Haus hätte ich auch gern (überlegt und schweift ab). Wir sind hier übrigens von der Polizei angehalten worden, weil es in der Nähe einen Überfall gegeben hat und sind gefragt worden, ob wir das waren.

Und ward ihr es?
Abay:
Ja. Jetzt können wir es ja sagen.


Interview: Robert Heldner und Sebastian Gloser
Text: Sebastian Gloser
Fotos: Sebastian Gloser (1), Pressefreigaben


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