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The Robocop Kraus Interview

 

Unter dem Radar

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Im Juni wird es endlich veröffentlicht, das lang ersehnte neue Album „They think they are the Robocop Kraus“. Hatte man sich über die letzten Alben noch ein wenig zu sehr damit abgemüht, seine eigene Identität zu finden, so ist es mit dem neuen Album definitiv gelungen: ein potenzielles Hit-Album. Die großen Musikmagazine dieses Landes klopfen an, es werden Foto-Shootings gemacht und die Clubs sind voll. Sieht also ganz so aus, als lohne sich das jahrelange Abmühen endlich.

Ihr seit für die Aufnahmen eures neuen Albums extra nach Stockholm gefahren, um euch von Pelle Gunnerfeldt produzieren zu lassen. Mit Aufnahmen für die Hives oder (International) Noise Conspiracy hat er sich ja zu einer regelrechten Koriphäe entwickelt...
Matthias Wendl: Wir kannten den gar nicht, weil wir mit dem ganzen Schweden-Zeug gar nicht so vertraut sind. Wir wußten zwar schon, dass er Hives und so gemacht hat, aber das war nie Musik, die ich jetzt groß gekauft hätte. Und die Zusammenarbeit war natürlich prima (lacht).

Woran merkt man das?
Wendl: Er sagt an der richtigen Stelle das Richtige.
Markus Steckert: Bisher wollten wir einfach nur Platten aufnehmen und nen Typen finden, der uns aufnimmt, aber uns im Prinzip nicht hineinredet. Dieses mal aber wollten wir einen Typen, der auch seinen Senf abgibt. Was aber im Endeffekt gar nicht so vorkam.

Unterscheidet sich euer neues Album dadurch grundlegend von den anderen?
Steckert: Weniger durch die Produzentenarbeit, als vielmehr durch den Sound, was wir letzten endes auch gehofft hatten.
Wendl: Wir waren zum ersten mal richtig glücklich mit dem Sound einer Platte. Das war bisher immer unser Problem.
Steckert: Meistens hat es Live besser geklungen.

Ihr seit bei euren Konzerten eine sehr stilbewußte Band. War der Entschluß, in Schweden aufzunehmen, auch eine Stilfrage?

Steckert: Ne, Nullkommanull. Wir klingen nicht wie irgendwelche Schwedenbands. Hoffe ich. Die Hives zum Beispiel haben einen guten Sound, aber das ist nicht die Richtung, in die wir uns bewegen wollten.

Und in welche wolltet ihr euch bewegen?
Steckert: In gar keine..ach, in unsere. (lacht). Es gab so ein paar Möglichkeiten wie und wo wir die Platte aufnehmen. Eine Möglichkeit zum Beispiel wären die USA gewesen, was aber letztlich am Geld gescheitert wäre. Und dann war es so, dass wir dem Pelle ein paar Proberaumaufnahmen geschickt haben. Wir haben gewartet und gewartet, er hat nie geantwortet. Das wurde uns immer suspekter. Und dann kam plötzlich eine E-Mail von ihm, und die hatte es ganz schön in sich gehabt. Er hatte im Prinzip genau das geschrieben was gehofft hatten zu hören; die Referenzbands, die er angeführt hatte, waren genau die gleichen, die wir auch im Kopf hatten. Pelle hat anhand von diesen lausigen Proberaumaufnahmen genau verstanden, was wir wollten, wo wir hin wollten. Und das hat er dann erstklassig umgesetzt.

Sich von einem renommierten Produzenten unter die Arme greifen zu lassen, war das ein „Auf Nummer sicher gehen“?

Steckert: Uns war nicht bewußt, dass er so renommiert ist. Das bekommen wir jetzt erst zu hören.
Wendl: Ständig werden wir gefragt: Gröndahl-Studios, Wahnsinn! Und dann hat er auch noch nen schwedischen Grammy bekommen zu der Zeit wo wir dort waren. Wir dachten nu: „Ohje, wen haben wir uns denn da an Land gezogen?“
Steckert: Er kam eines Abends an und meinte: „Jungs, ich kann morgen nicht mit euch aufnehmen, ich bekommen einen grammy verliehen...!“
Wendl: Aber man muss auch sagen, dass die Meinungen über ihn sehr unterschiedlich sind. Vom Sound her sind alle zufrieden, aber menschlich muss man erstmal mit ihm zurecht kommen. Er ist ein sehr ruhiger Typ. Aber wenn er mal nen schlechten Tag hatte, kann er ganz schön Druck geben.
Steckert: Aber er hat uns auch immer zu verstehen gegeben, dass er da Lust zu hat. Außerdem haben wir einen wahnsinnig günstigen Preis bekommen, was wir aber auch erst im Nachhinein erfahren haben. Jetzt, nach dem Grammy, wäre er für uns wahrscheinlich unbezahlbar.

Wie lange habt ihr gebraucht?
Steckert: Fünf Wochen.

Welche Unterschiede seht ihr zu „living with other people“?

Steckert: Wir haben versucht, sehr zu reduzieren. Darauf konnten wir uns auch alle einigen. Pro Lied ein bis zwei Ideen, und die dafür dann richtig.

Ein Text sticht besonders hervor: „You don’t have to shout!” Worum geht es da?
Steckert: Es geht um Matthias Rust, kennst du den noch? 1988 ist er mit einer kleinen Cessna unter dem russischen Radar durchgeflogen und auf dem roten Platz gelandet. Er war dann in der UdSSR im Gefängnis, aufgrund diplomatischer Anstrengungen dann doch freigekommen. Wurde dann als Held stilisiert, konnte damit nicht umgehen, war im Krankenhaus, hat sich in eine Krankenschwester verliebt, die ihn abgewiesen hat, woraufhin er sie mit einem Messer bedroht hat. Dann kam er wieder ins Gefängnis. Und jetzt hat er angeblich einen Think Tank gegründet mit Nobelpreisträgern, die nicht genannt werden wollen, um den Nahostkonflikt zu lösen...(lacht) Und das letzte, was wir von ihm gehört haben, ist, dass er in Pinneberg im Kaufhaus einen Cashmir-Pullover geklaut haben soll...

Ein sehr merkwürdigen Titel habt ihr für das neue Album gewählt. Pure Willkür?
Wendl: Man kann da viel hineininterpretieren, muss man aber nicht!

Was stand noch zur Auswahl?
Steckert: Woman in Love … sehr sehr gewagt.

Könnt ihr einen gewissen Skeptizismus bei Fans nachvollziehen, die Angst vor eurem wachsenden Erfolg haben?
Wendl: Das könnte ich nachvollziehen. Hab ich früher ja auch an mir selbst gesehen. Aber wir wachsen da eben so hinein. Dass wir bekannter geworden sind lag ja auch nicht am Medieninteresse, sondern daran, dass wir wahnsinnig viel live gespielt haben. Und deswegen müssen wir uns auch nicht dafür entschuldigen, dass wir jetzt bekannter werden. Das würde ich den Fans aber auch direkt sagen. Es ist klar, neben der Musik ist für uns arbeitstechnisch nichts mehr möglich. Wenn man sagt, man will von der Musik leben, dann muss man da sauch so gut es geht versuchen. Und dann kann man seine Platten eben nicht mehr einfach nur über den Mailorder verkaufen. Und ich hoffe, dass da auch das Verständnis da ist von den Leuten.
Steckert: Wir sind auch darauf bedacht, jeden Schritt bewußt mitzuerleben.

Gibt es Grenzen, die ihr nicht überschreiten würdet?

Steckert: Sicher! Wir sind, was da angeht auch noch ziemlich eng geschnürt. Enger geschnürt, als es unserem Plattenlabel lieb ist. Nehmen wir zum Beispiel die Größe der Konzerte: Wir als Musiker lieben es natürlich, in kleinen Clubs zu spielen. Und als wir dann bei Lado unter Vertrag kamen war es so, dass wir zwar immernoch in 100er Clubs gespielt haben, aber draußen vor der Tür nochmal 100 Menschen waren, die nicht mehr rein konnten. Da kannst du eben nicht mehr die Fahne hochhalten und sagen: Wir spielen nur in besetzten Häusern. Wir wollen allen die Chance geben, die Shows zu sehen. Und dann muss du halt in größeren Clubs spielen, wo die Bühne auf einmal nen Meter hoch ist und Security an der Tür steht. Klar haben wir uns darüber Gedanken gemacht. Aber das muss man halt irgendwie zulassen. Für uns gibt es nichts schlimmeres als wenn die Location zu klein ist und Leute wieder nach hause geschickt werden müssen. Ein gutes Beispiel ist Lyon: Da gab es einen club, in dem wir schonmal gespielt hatten. Da wollten wir jetzt wieder hin. Nur leider hatte er kurz zuvor zugemacht. Dann gab es noch die Möglichkeit, in einer kleinen Bar zu spielen. Und da passten nur 100 Menschen rein, es waren aber viel mehr gekommen. Auch welche, die meinten, sie seien 5 Stunden Auto gefahren für nichts.
Wendl: Man muss sich aber auch die Grenzen immer wieder neu definieren.
Steckert: Vor fünf Jahren haben wir zum Beispiel Intro-Interviews abgelehnt. Oder Visions. Jetzt ist das zumindest kein Problem mehr. Höchstens was das Fernsehen angeht. Also in irgendeine blöde Fernsehshow zu gehen, darauf hätte ich keine Lust.

Interview + Text: Robert Heldner


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