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The Kills Interview

Der europäische Sohn

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Alison Mosshart (alias VV) darf heute nicht photographiert werden. Genauso wenig wie Jamie Hince (alias Hotel). „Während des Auftrittes ist es okay, aber jetzt bitte nicht.“, sagt Alison und klappt ihr Notebook zu. Beide sehen wirklich nicht gerade fit aus: Jamie Hince wirkt mehr als müde, die Augenringe sind so groß und dunkel, dass man Angst bekommt. Und auch Alison Mosshart wirkt eher erschöpft als euphorisch. „Wir sind ja auch schon seit Monaten unterwegs.“, antwortet mir Hince und zündet sich eine Zigarette an. „Aber wir sind schon lieber auf Tour als im Studio.“

Wer die Show an diesem Abend im Star Club in Dresden verfolgt mag es kaum glauben: die Kills aus England liefern eine Show, die dem Mythos Rock’n Roll endlich wieder Leben einhaucht. Beziehungsweise eine doppelte Portion Tod. Auf der Bühne liefern die beiden sich eine Mischung aus Sex, Drugs und Rock’n Roll, die so unverdaulich und direkt ist, dass an diesem Abend wohl viele nach hause gegangen sind mit dem Gedanken, sich doch endlich wieder Löcher in die Jeans zu schneiden.

So direkt waren sie schon immer. Alison stammt aus Amerika und tourte dort schon in jungen Jahren mit der Punk-Band Discount durch unzählige Clubs. Jamie Hince, früher bei den Art-Punks Scarfo, lernte sie anfang des neuen Jahrtausends in London kennen und beide gründeten die Kills. Nach der Black Rooster EP folgte 2002 das Album „Keep on your Meanside” und hinterließ allerorts offene Münder. Die rauhe Mischung aus Punk, Rock und Velvet Underground begeisterte, nicht zuletzt durch die sparsame Verwendung von Gitarre, Vocals und Beatbox. Eine Formel, die sich auch auf dem 2005 erschienen Album „No Wow“ wieder bewährte.

Ihr wolltet euer neues Album ursprünglich mit Keyboards einspielen. Stimmt das?
Jamie Hince: Ja, ursprünglich war das so gedacht, als eine Reaktion auf das erste Album, als wir für alles noch Unmengen an Zeit hatten. Danach war es schwieriger, da wollten wir auch eine Veränderung. Ich glaube, dass die Kills mehr sind als eine Band mit Drummachine, Gitarre und Stimme. Und das wollte ich mit der Keyboard-Platte herausarbeiten. Aber letztendlich waren wir noch nicht soweit. 

Ihr stammt aus zwei verscheidenen Ländern. Beeinflußt das euer Musikverständnis?
Hince: Ich glaube nicht an ein nationale Identität in der Musik. Alison hat viele englischsprachige Bands gehört, ich viele amerikanische. Das überschneidet sich schnell.
Alison Mosshart: Jamie hat mir viele englischsprachige Künstler gezeigt, die ich vorher nicht kannte. So wie PJ Harvey zum Beispiel.

Gibt es Unterschiede im Touren zwischen Amerika und Europa?
Hince: Definitiv. Ich toure lieber in Europa. In Amerika ist das immer ein Road-Trip. Diese unglaublichen Entfernungen machen mich völlig fertig. In Amerika ist alles viel gewaltiger. So viel schlechtes, so viel Gutes, so viel Schönheit und so viel Hässlichkeit. Das ist da viel konzentrierter als irgendwo sonst auf der Welt. In Amerika legt man so viel Wert auf Sicherheit, nicht erst seit dem 11. September, dass mich immer befangen macht. Bei Konzerten wird man durchsucht, als sei man ein Schwerverbrecher.
Mosshart: In Amerika sagt dir ständig jemand, was du zu tun hast. Die erste Woche ist das noch in Ordnung, aber danach geht einem das unglaublich auf die Nerven. Die Menschen merken das schon gar nicht mehr, das ist ganz schön beängstigend.

Ihr seit sehr kunstinteressierte Menschen. Warum macht ihr Musik? Ist das einfacher?
Mosshart: Nein, einfacher ist es nicht. Aber es ist viel dringlicher. Ein Konzert zu spielen ist einmalig, jedesmal. Das kann man nie genauso wiederherstellen.
Hince: Außerdem ist es die relevanteste Kunstform. Und klar, es ist einfacher eine Band zu sein, ein Musiker, als ein Schriftsteller. Als ich jung war, sind es vor allem Bands gewesen, die mich weitergebracht haben, die mich umgehauen haben, von denen ich sagen kann, dass sie von einem Augenblick auf den anderen etwas bei mir ausgelöst haben. Außerdem verändert Musik heuzutage eine Generation viel mehr als Malerei oder andere Kunstformen.
Mosshart: Ich glaube, wenn du ein richtiger Photograph bist, dann glaubst du auch, dass es die relevanteste Kunstform ist.

Ihr seit, wenn ihr nicht gerade tourt, in London. Ist das wirklich gerade das Mekka der Rockmusik?
Hince: Wir sind viel zu selten da, um das richtig beurteilen zu können. Klar, da kommen gerade sehr viele Bands her. Ich denke, im Moment ist wieder eine gute Zeit für neue Musik aus der Gegend. Aber musikalisch beeinflusst mich diese Stadt nicht.

Was beeinflusst dich dann?
Hince: Velvet Underground. Und wenn man diese Band erst einmal liebt, dann fängt man an, alle Informationen über sie zu sammeln. Aller Photographien, alle Bücher, alles periphere wie die Warhol-Filme usw. Und da spielt New York eben auch eine große Rolle.

Ihr seit beide in Kleinstädten aufgewachsen...
Hince: Ja, und da wollte ich immer weg. Die Entscheidung habe ich irgendwann getroffen. Die Kleinstadtatmosphäre hat mich immer deprimiert.
Mosshart: Wenn du da aufwächst, wo wir aufgewachsen sind, dann ist das der letzte Platz auf der Welt, an dem du den Rest deines Lebens verbringen willst.
Hince: Großstädte faszinieren und inspirieren mich. Diese Konzentration von Menschen. Ich liebe es mit all diese Eindrücken bombardiert zu werden. Und das passiert eben in Städten wie New York, London, Glasgow, Berlin. Die haben eine eigene Geschichte. Sowohl musikalisch als auch politisch als auch literarisch.

Warum mag euch gerade der NME in England so gerne? Ihr seit etwas untypisch für den gegenwärtigen Rock’n Roll Hype...
Hince: Der NME ist eine merkwürdige Sache. Viele Menschen in der Musikszene halten den NME für sehr dumm, sehr oberflächlich. Aber zugleich ist der NME auch sehr wichtig für Bands, die groß rauskommen wollen. Diese Zeitschrift ist zu einer Plattform geworden, auf der Bands genauso gehypt wie zerstört werden können. Das ist auf der anderen Seite natürlich irgendwie auch irrational. Dass die Macht bei dieser einen Zeitschrift liegt. Aber die anderen Musikzeitschriften stehen dem in nichts nach. Dürfen sie auch nicht, denn heutzutage stehen sie unter dem Druck, sofort neue Bands zu entdecken. Aber ich würde jetzt auch nicht behaupten, dass wir eine besonders schöne Beziehung zum NME haben. Da sind so viele Dinge außerhalb des NME-Komsoses entstanden.

Heutzutage erscheint es fast wie eine Investition, seine Band in einer Musikzeitschrift abgedruckt zu sehen.
Hince: Klar. Und diese Art der Werbung funktioniert.
Mosshart: Das ist ziemlich bizarr und wenn das so weitergeht, wird es bald kaum noch Musikszenen geben, in denen sich eine Band nach oben arbeitet. Dann wird es nur noch darum gehen: wer hat wieviel Geld und kann in den NME investieren.
Hince: Was aber nicht zerstört werden kann, ist die Faszination einer Band, der Grund, warum Menschen von einer Band begeistert sind. Das kann man nicht künstlich herstellen. Nichtmal der NME.

Interview + Text: Robert Heldner


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