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Haldern-Pop Festival Special #2

Kein Freitag ohne Regen

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Da ist gerade jemand ausgerutscht. Wuuuusch. Und keiner lacht. Auf einem Festival lacht einen keiner aus, wenn man ausrutscht? Nun, erstens sind wir hier auf dem Haldern, einem der freundlichsten Festivals dieser Republik, und zweitens ist hier jeder mindestens zweimal ausgerutscht. Auf einer 10 Zentimeter dicken Schicht Schlamm.
Wo man auch hinsieht: Wasser, aufgeweichte Erde, Regenschirme – Die Veranstalter, allen voran aber die Festivalbesucher, hat es dieses Jahr hart erwischt. Der Himmel hatte beschlossen, seine Pforten zu öffnen. Und das im August.
Dabei war alles so vielversprechend: den 5. und 6. August 2005 gab sich die alternative Musikszene die Klinke in die Hand. Allen voran Franz Ferdinand, Mando Diao, Nada Surf, Kaiser Chiefs ... Das Line-Up war grandios, das Festival ausverkauft. Alles war vielversprechend... und dann das.

Die erste Band, die an diesem Tag mein Aufsehen erregen, sind mal wieder The Robocop Kraus. Trotz ungünstigster Wetterbedingungen machen sie Laune und bewegen ein wenig die starre Masse vor der Bühne, die mit ihren Regenschirmen nicht so genau weiß wohin. Alle Hits aus dem gerade erschienen Album „They think they are the Robocop Kraus“. Alle Hits aus allen anderen Alben davor. Schade. Das Haldern wäre perfekt gewesen, zig neue Fans zu rekrutieren.

Danach fangen die Kaiser Chiefs an. Und ja, man hat viel von ihren gehört im Vorfeld. Von wegen Reinkarnation des Brit-Pops. Die Chiefs liefern eine Rock’n Roll Show, die nicht zuletzt durch ihre unzähligen Hits des Albums „Employment“ begeistert. Und das ist hierzulande noch nicht einmal erschienen. Mitgrölfaktor Nummer eins dieses Festivals. Und ein Nananananan hört man ab sofort zu jeder Tages- und Nachtzeit quer über den Zeltplatz.
Wahnsinn.

Nada Surf sind danach ein kleiner Rock-Ruhepol. Gute Musik, da erzähle ich niemandem etwas neues. Viele neue, schöne Songs vom kommenden Album „The weight is a gift“. Wirklich mitreißend ist aber nur „Hyperspace“. Als Festivalband überzeugen sie also nicht so ganz. Warum genau kann man noch nichteinmal richtig festmachen. Das Quäntchen Entertainment fehlt wohl doch etwas. Vielleicht lag es ja an Mattahew Caws; der Sänger feierte just an diesem Tag seinen 38. Geburtstag.

Ganz im Gegensatz zu den folgenden Kaizers Orchestra. Meine Güte. Ich wußte ja, dass sie gut sind. Aber Live sind sie eine Größe. Hier haben die Norweger die richtige Mischung zwischen Unterhaltung und beängstigender Rock-Polka gefunden. Tonnen, Gasmaske, Orgel. Alles da. Der Regen ist schon eine weile gegangen, offene Ohren überall. Und die einsetzende Dunkelheit verleiht dem ganzen eine morbide, mitreißende Schönheit. Danke!

Dann, um 23:20 Uhr, betreten Franz Ferdinand die Bühne. Hinter ihnen vier gigantische Konterfeits ihrer Gesichter. Ein wenig übertriebene Selbstbewihräucherung ist das schon. Die Musik ist natürlich mitreißend, genauso wie die neuen Songs, von denen mit keiner sagen kann, sie wären nicht gut! „Evil and a heatehen“ ist jetzt schon der Hit des Jahres. Große Band, große Show. Und ab dafür.



Kein Samstag ohne ... ohne Regen

Saint Thomas
sind langweilig, die Magic Numbers kommen zu spät und müssen deswegen ins Spiegelzelt (was ihrer unterhaltsamen Zeitreise in die Sechziger Jahre aber eher noch mehr Glanz verleiht) und The Coral sind bekifft. Ja, was soll das auch: sie spielen eine Show herunter, als hätte man sich wohl oder übel aufgerafft, zusammen abzuwaschen. So lustlos habe ich lange keine Band mehr spielen sehen. Weniger Tüten, mehr Rock’n Roll bitte!

Moneybrother ist danach am Drücker und verwandelt die Herzen der stolzesten Festivalfrauen mal wieder in einen Klumpen Keksteig. „Joannaaaaaaaaa!“ Jaja. Lieber mal kurz umsonst Tabak holen. Und nachsehen, ob das Zelt noch steht. Und nein: Sarah Kuttner wurde nirgends gesichtert!

Dann: House of Love. Kaum einer wußte wirklich etwas mit ihnen anzufangen. Immer wieder hört man: „Wer’s das?“ „House of Love!” “Nie gehört!” “Soll ja ne Reunion sein...“ War es auch. Und was für eine. Die Musik, irgendwo zwischen den Pixies und The Smiths, war nicht nur gut, sie war sogar überraschend gut! Der Abend wird würdig eingeleitet.

Es folgen Phoenix. „Everything is Everything“ ist jetzt schon ein Festival-Klassiker. Die haben in meinem Herzen ja schon auf dem Hurricane ordentlich aufgeräumt mit dem Vorurteil musizierender Franzosen. Diesmal bin ich gefangen. Ganz tolle, treibende Tanzmusik. Getanzt wird allerdings wegen des Regens und des Schlammes so gut wie gar nicht.

20:35 Uhr betreten Tocotronic die Bühne, und was soll ich sagen? Kaum einer der sie noch nicht gesehen hat. Eindeutig KEINE Festivalband. Dirk von Lotzow gibt den verzweifelt bemühten Entertainer, was ihm höchstens noch in der Ansage gelingt, dass das nächste Lied ein Cover sein und „Heimatlied“ heiße. Es wird „Aber hier leben nein danke“ gespielt. Der Sound ist selbstverständlich großartig.

Die schönste Ansage des diesjährigen Haldern Pop Festivals: „Leute, gleich kommen Mando Diao auf die Bühne. Und ich soll euch ausrichten: Nach dem dritten Song hört der Regen auf! Versprochen!“ Und genauso war es dann auch. Der Auftritt der Schweden wird dann auch der enttäuschendste für mich. Schwammig. Rasselnd. Wie ein Keuchhusten. Und wieder einmal viel zu schnell. Warum nur? Warum, liebe Mandos, könnte ihr nicht ein wenig Tempo rausnehmen. Ihr seit doch keine Punks! Ihr wollt doch die größte Band der Welt sein, oder nicht? So schnell kann man das nicht werden. Trotzdem: Rock’n Roll eben.

Das Haldern war dieses Jahr leidgeprüft. Aber es hat sich selbst grandios überstanden. Wäre das Line-Up allerdings nicht so gut gewesen: es wäre eine Tortur gewesen. So aber hatte ich einen Grund zu bleiben. Ich freue mich aufs nächste Jahr! Ganz ehrlich!


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