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Genetiks Interview

Die Nürnberger Sonderschule

 

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Nürnberg, die „Nicht-Medien-Stadt". Das alte Lied jammernder Veranstalter und gen Berlin, Hamburg oder Köln fliehender Bands. Definitiv ein Thema, welches bei aller Hassliebe zur „Homebase" auch im sellfish.de Redaktionslager heftig diskutiert wird. Und die Genetiks entpuppen sich dabei als echte Hilfestellung, indem Sänger und Gitarrist Maik Dornberger in unserem Interview die Begründung liefert, warum eben genau Nürnberg die optimale Heimt ist. Ihr jüngst erschienenes, äußerst charmantes Debütalbum „Bitte Zurücktreten" trifft zudem zwischen Wave, Pop und Punkrock den Nerv der Zeit. Grund genug, diese interessante Formation einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.


Maik, kannst du zunächst einmal kurz euere Bandgeschichte erzählen?
Die Genetiks gibt es seit Herbst 1998. Sie wurden ursprünglich zu zweit gestartet, mit Andreas Berg am Schlagzeug (früher: Morpho und Consume Your Producer). Nach ca. einem halben Jahr ist Anselm Lenhardt am Keyboard dazugestoßen. Andreas war bis Ende letzten Jahres dabei. Am Bass gab es in den letzten acht Jahren diverse Wechsel. Kurz nach der Trennung von Andreas ist dann Alexander Otto eingestiegen. Der Bass ist im Moment wieder vakant… bei Interesse: genetiks@gmx.de. Vorher habe ich seit ungefähr 1989 in diversen Lokalbands in Nürnberg Musik gemacht. Größtenteils am Gesang. Anselm hatte bis zu seinem Einstieg nichts mit Musik am Hut. Kreativ war er eher im Bereich Film tätig, dabei sind einige Kurzfilme herausgekommen. Alex ist seit langer Zeit Schlagzeuger und hat auch in verschiedenen Nürnberger Bands gespielt.

Dann noch ein Wort zum Bandnamen: Genetiks, Genoton, Genetiko Madrid…spätestens auf euerer Homepage ist man komplett verwirrt, worauf ihr eigentlich hinaus wollt…
Der Bandname hat keinen besonderen Bezug zu irgendwas und auch keinen speziellen Hintergrund. Wir haben keinen Biologen in der Band. Natürlich hat der Name eine politische Bedeutung, gerade bei der Gentechnik-Diskussion der letzten Jahre. Und das ist erst der Anfang der Fahnenstange, denke ich. Aus diesem Grund wird der Name der Band die nächsten Jahre auch immer aktuell bleiben. Zu den Variationen des Namens, zum Beispiel Genoton: Das kam zufällig bei den Aufnahmen im Studio vor ein paar Jahren. Mir ist da ein Buch über Tontechnik in die Hände gefallen und es gab vor einiger Zeit wirklich eine Firma namens Genoton, die irgendetwas im Bereich Tontechnik herstellte. Ich fand den Namen passend für unsere Musik. Genetiko Madrid ist einfach ein Wortspiel. Ich setze gerne Dinge in einen anderen Zusammenhang bzw. kombiniere Dinge, die eigentlich nicht zusammen passen. Wenn dadurch Verwirrung gestiftet wird, finde ich das gut. Verwirrung führt bestenfalls dazu, dass sich der Verwirrte Fragen stellt. Wenn er aber keinen Bock oder keine Zeit hat sich weiter damit zu beschäftigen, dann steht das halt einfach so da und gefällt eben oder nicht.

Wie würdet ihr euren Musikstil beschreiben und was war der eurer Ansicht nach unpassendste Vergleich, der je gemacht wurde?
Ich sehe viel Punk und viel Wave in unserer Musik. Punk bezüglich der Ungeschliffenheit und des unangepassten Sounds und unserer Kompromisslosigkeit bezüglich mancher Dinge. Wave bezüglich der Keyboard- und Gitarrenflächen, des sehr einfachen Schlagzeuges und der Gesangsmelodien, die es meiner Meinung nach so eher im Wave oder Pop als im Punk gibt. Die Vergleiche mit anderen Bands vom Sound her fand ich bis jetzt meistens sehr passend. Sicher wundern wir uns oft, wenn jemand irgendeine Band als Vergleich für uns an Land zieht, von der wir entweder noch nie etwas gehört haben oder die niemand von uns je gehört hat.

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Euer Debüt „Bitte Zurücktreten" erscheint auf dem Nürnberger Label Millipede Records. Abgesehen von der regionalen Nähe: Warum seid ihr ausgerechnet dort gelandet?
Es gibt hier in Nürnberg nicht viel Auswahl für eine Band wie uns. Es gibt einfach im Gegensatz zu so Medienstädten wie Hamburg oder Köln weniger Labels, Hefte, Auftrittsmöglichkeiten etc. für Bands aus dem Bereich Independent. Ich kenne die beiden Macher von Millipede schon seit ein paar Jahren und habe häufig Kontakt zu ihnen. Da lag es nahe, die Platte bei Millipede zu machen. Weil diese persönliche Nähe und das Vertrauen sehr wichtig sind, wenn man bei seiner ersten Platte vom Tuten und Blasen keine Ahnung hat… und das erste Mal auch etwas Kohle im Spiel ist.

In euerem Booklet habt ihr Fotos von euch in der Nürnberger U-Bahn platziert. Wie ist der Bezug zu eurer Heimatstadt?
Ich denke, da kann ich für uns drei reden. Wir leben gerne in Nürnberg. Alex und ich leben hier schon sehr lange, Anselm auch schon seit ca. 25 Jahren. Über die Jahre hinweg haben wir alle unser soziales Umfeld hier aufgebaut. Der Vorteil von Nürnberg ist meiner Meinung nach die Größe. Klein genug, um schnell Verbindungen herstellen zu können und groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Die Nürnberger U-Bahn haben wir nicht wegen dem Nürnberg-Bezug eingebaut, sondern um das Bild des „Bitte Zurücktretens" herüberzubringen. Wir hatten dieses Bild schon ab dem Zeitpunkt im Kopf, ab dem wir wussten, dass wir eine Platte machen würden. Anselm und ich wollten mit der Band einen Schritt weitergehen und eine Platte aufnehmen und dann viel live spielen. Unser alter Schlagzeuger und unser alter Basser wollten das zu diesem, möglicherweise auch zu keinem anderen, Zeitpunkt nicht. Wir wollten dieses schwierige Thema der Trennung von Personen wegen verschiedener Ansichten einer Sache zum Thema des Album machen und fanden es passend, eine U-Bahn abzubilden, die abfährt und in der wir drin sitzen. In punkto Band sehen wir das so, dass die einen eben am Bahnsteig stehen geblieben sind und die anderen mit der Band weiterfahren.

In dem Zusammenhang: Ihr bezeichnet euch als Teil der Nürnberger Sonderschule. Was steckt dahinter?
Die Nürnberger Sonderschule ist ein Verein, der vor ca. zwei Jahren entstand. Die Idee, die dahinter steckte, war einfach die, dass man zusammen mehr bewegen kann als einzeln. Verschiedene Kumpels und Freunde aus einer bestimmten Band-Szene (Genetiks, Sky Promises Rain, Amen81 etc.), die sich eh irgendwie alle kannten und auch fast alle schon mal miteinander Musik gemacht hatten, sind damals an einem Tisch zusammengeführt worden um sich zu überlegen, was man mit etwas gemeinsamer Kohle und Energie zusammen auf die Beine stellen könnte. Der Name der ganzen Geschichte ist natürlich eine Anspielung auf die so genannte Hamburger Schule, die meiner Meinung nach deutschlandweit nur soviel Gehör findet, weil’s in Hamburg mehr Presse, Labels, Vertriebe etc. gibt. Nürnberg (man kann fast manchmal schon sagen: der Süden Deutschlands) ist da oft irgendwie Stiefkind in der ganzen Geschichte. Deshalb Sonderschule, deshalb Sonderweg vielleicht. Wir wollten da nicht jammern, sondern dem Ganzen etwas entgegen setzen. Vielleicht nicht so ausgeklügelt und feinsinnig wie die eine oder andere der Hamburger Bands, sondern eher frech und mit schlechten Noten (!) - wie Sonderschüler eben.

Wie entstehen euere teils ja sehr eigenwilligen Lyrics?
Jeder dieser Texte muss irgendwie einen Bezug zu mir und meiner Geschichte haben, sonst kann und will ich den auch nicht mit dem nötigen Nachdruck singen. Wenn wir im Übungsraum ein neues Lied zusammen machen, sind es meistens ein, zwei Sätze, die mir spontan einfallen und die müssen auch bestenfalls zur Stimmung und vom Klang her dazu passen. Also, es ist nicht so, dass die Texte daheim am Reißbrett entstehen, dass ein bestimmtes Thema als Text umgesetzt wird und wir ein Lied dazu schreiben. Der „Astronaut" war aber zum Beispiel das erste Mal ein Text, den ich fast vollständig daheim geschrieben habe. Ich kann auch nicht so genau sagen, wie ich da darauf gekommen bin. Wichtig ist mir nur, dass der Zuhörer mit dem Text arbeiten kann, wenn er Bock hat. Er kann ihn selbst interpretieren, wie er will. Da sind meine Texte einfach sehr offen, höchstens einzelne Bilder sind festgelegt. Ich finde Texte langweilig, die auf den ersten Blick klar ersichtlich sind. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Prosa und Poesie. Ich finde es spannender, wenn man mit dem Text spielt, eine Geschichte hineininterpretiert, als wenn man eine Geschichte erzählt bekommt.

Standen englische Texte jemals zur Debatte?
2000 haben wir unsere erste Single aufgenommen und da waren die Texte noch komplett auf englisch. Ich habe wie die meisten Sänger mit englisch begonnen, weil ich auch einfach mit englischen und amerikanischen Bands aufgewachsen bin. Ich habe nie geglaubt, dass es klappen kann, wenn man deutsch singt, ohne dass es gleich nach Schlager klingt. Ich wollte aber auch nicht auf Sprechgesang ausweichen. Als ich die erste Blumfeld-Platte hörte, hat’s mich erstmal umgefegt, weil dass das erste mal funktionierte, dass jemand deutsch sang, es nicht nach Schlager klang und ich die Texte auch erstmal schön fand, ohne, dass ich sie verstand. Beeinflusst dadurch habe ich dann mit meiner damaligen Band Mike Hammer auch deutsch gesungen. Als ich dann mit den Genetiks anfing, gab es plötzlich sehr viele deutsche Bands, die deutsch sangen und zum damaligen Zeitpunkt war ich wieder davon überzeugt, dass englisch viel besser zu dieser Art von Musik passt. Eigentlich wollte ich aber immer deutsch singen. Ich finde es auch irgendwie komisch, nicht in seiner Muttersprache zu singen, zumal ich den Gesang nicht nur als Instrument verwenden möchte. Man hört einfach selten hin, was einer da singt, wenn er englisch singt. Manchmal möchte man auch einfach nicht hinhören, wenn einem da irgendeiner eine Geschichte reindrückt. Am allergeilsten finde ich es allerdings, wenn man es schafft, deutsch zu singen und es klingt gut und bedeutet auch noch irgendetwas. Ich habe dann von heute auf morgen einfach alles umgestellt und singe seit ungefähr vier Jahren nur noch deutsch. Ich finde, dass es sehr gut zu unserer Musik passt und komme auch immer besser damit klar, kann mit dieser Sprache immer besser umgehen und singen.

Ihr habt mit einigen Gästen gearbeitet, die besonders im Falle des Openers an den Vocals eine derbe andere Facette einbringen. Wie kam es dazu und habt ihr noch andere Sänger auf der Wunschliste gehabt, die ihr gerne verpflichtet hättet?
Vielen dank, das ist natürlich ein großes Kompliment an mich. Ich bin der einzige Sänger auf der ganzen Platte! Wir hatten einige Gastmusiker auf der Platte, aber nicht am Gesang und auch eher notgedrungen. Da wir uns kurz vor den Aufnahmen von Schlagzeuger und Bassist getrennt hatten, benötigten wir natürlich schnell Ersatz und wir hatten großes Glück, dass Andrew Morgan von Sky Promises Rain und Radio Z Zeit und Lust hatte, den Bass einzuspielen. Seit längerer Zeit verbindet uns auch eine enge Freundschaft mit Amen81 und da hab ich Heiko gefragt, ob er nicht Lust hätte, Andy etwas Arbeit abzunehmen und auch ein Stück einzuspielen. Diese Gast-Geschichte hat sehr viel Spaß gemacht, wir greifen auch immer wieder gerne auf diese Netzwerke zurück, aber bei der nächsten Platte nehmen wir bestenfalls alles selbst auf.

Auf gewisse Weise ist die Musik, die ihr spielt, gerade ziemlich „angesagt". Hast du das Gefühl, diese Tatsache hat euch in irgendeiner Form schon geholfen?
Möglicherweise. Aber größtenteils helfen einem im Musikgeschäft sowieso nur die Verbindungen, die man eben hat oder nicht. Deshalb ist es für uns immer wieder höchsterfreulich und überraschend, wenn wir Hilfe und Resonanz bekommen. Vor allem von jemandem, den einfach unsere Musik überzeugt hat und der uns vorher nicht kannte, wie z. B. Broken Silence, unser Vertrieb. Ich glaube sogar, dass es manchmal eher hinderlich sein kann, wenn man angesagten Sound macht. Mache ich angesagten Sound, bin völlig unbekannt und kenne die ein oder andere Schlüsselfigur der Szene nicht persönlich, kann es sogar sein, dass das ganze dann eher auf Ablehnung stößt, weil derjenige vermutet, dass wir auf den gerade angesagten Zug aufgesprungen sind… But we were genetik, before you were genetik, hehe…

Filmschauspieler seid ihr ja bereits. Was gibt es sonst noch für Ziele, die ihr mit der Band erreichen wollt?
In erster Linie wollen wir weiterhin Spaß daran haben, zusammen Lieder zu machen und zu touren und dabei Leute kennen zu lernen. Das sollte bei all den Zukunftszielen und der Weiterentwicklung nicht vergessen werden. Ganz konkret wollen wir Ende des Jahres unsere nächste Platte aufnehmen und soviel Konzerte mitnehmen wie möglich. Uns ist es wie schon gesagt auf der einen Seite sehr wichtig, unverkrampft ans Liedermachen oder ans Touren heran zu gehen. Wir stecken uns aber auch ganz konkret Ziele, die wir relativ kompromisslos erreichen wollen. Die Film-Geschichte hat sich über Anselm ergeben und bei so einem Kult-No-Budget-Film haben wir sofort zugesagt, weil wir das, was Gerry Schuster macht, mit unserem Verständnis von Thrash sehr wohl in Einklang bringen können.


Interview + Text: Michael Streitberger
Fotos: Millipede Records


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