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MISC - sellfish.de Beifang 09/06 | 01

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Dream Theater - Score: 20th Anniversary Live 2-DVD & 3-CD

Rhino / Warner

Sicherlich herrscht kein Mangel an Live-Veröffentlichungen von Dream Theater. Weder auf CD noch auf DVD. Und dennoch hat "Score: 20th Anniversary Live Tour With The Octavarium Orchestra" seine Daseinsberechtigung. Zum einen, weil sich das Set beinahe ausschließlich der neueren Phase der New Yorker Vorzeigeproggies widmet (und damit nicht Gefahr läuft, sich selbst Konkurrenz zu machen). Zum anderen, weil der Aufwand, welcher für diese Produktion betrieben wurde, seinesgleichen sucht. Mit einer wahnsinnigen, technisch perfekten Kulisse wurde am 1. April in der Radio City Music Hall das komplette Konzert in der Heimatstadt der Amis mitgeschnitten. Neben den großartigen Visualisierungen überzeugt "Score" besonders aufgrund des extra für diese Tour aufgefahrenen Orchesters sowie natürlich der üblichen Marathon-Spielzeit. Haken nur: Das überwiegend von den letzten beiden Studioalben stammende Songmaterial kann den Vergleich mit dem direkten Konkurrenten, dem DVD-Mitschnitt zum Überwerk "Metropolis", nicht standhalten. In technischer Hinsicht und Umsetzung bewegt sich "Score" aber auf einem von dieser Band nicht gesehenen Niveau. Frickelige Meisterstücke wie "Another one" oder thrashiges Material wie der Opener "The root of all evil" faszinieren ohne Vorbehalte. Und dank einiger DVD-Extras wie zusätzliche Performances oder einer Dokumentation kommen Fans hier definitiv auf ihre Kosten. Weshalb diese Version dem Drei-CD-Set im Zweifelsfall vorzuziehen ist.
 -- / ca. 180 min / Prog-Metal / dreamtheater.net
Michael Streitberger

Icepick - Violent Epiphany CD

Alveran / Abacus / Spv

Beinahe zeitgleich zum aktuellen Hatebreed-Werk "Supremacy" schlägt ein weiteres Album mit klarer Jamey Jasta-Handschrift ein: Bei Icepick steht der hyperaktive Promi-Hardcore'ler nämlich ebenfalls am Mikrofon. Doch anstelle von Metalcore lebt Jasta hier mit Hingabe seine Oldschool-Leidenschaft aus. Und das tut er auf "Violent Epiphany" nicht alleine. Stattdessen steht man klar in der Tradition des letzten Skarhead Albums "Kings At Crime", deren Lord Ezec hier ebenfalls an den Vocals zu Wort kommt. Genauso wie Produzent Zeuss, den man an der Gitarre aber nur deswegen hört, weil Frank 3Gun (ex-Ringworm, ex-Terror, jetzt-Hatebreed) bei den Aufnahmen gerade nicht mit an Bord war... Soll heißen: Hier steht nicht alleine der vermeintliche Frontmann im Mittelpunkt. Nein, die Mischung macht's. Denn die sorgt dafür, dass diese gute halbe Stunde zu keiner Sekunde langweilig wird. Und höre ich da jemanden etwas von Allstar-Band murmeln? Dann gebt euch bitte mal die Features beim Song "Real recognizes real": Roger Miret, Ice T, Al Barr, Paul Bearer (!!!) oder Freddy Madball sind davon nämlich nur die elitärste Auswahl... Musikalisch liefert die bereits 1995 gegründete Formation auf ihrem Debüt (!) eine ständig drückende Mixtur aus New Yorker Schule, Hatecore und natürlich dem Sound der Hauptbands aller Beteiligten ab. Wobei man gekonnt den Mittelweg zwischen überschäumender Energie, Aggression, melodischen Hooklines sowie mitreißenden Gangshouts findet. Und weil das ganze aus all diesen Gründen so richtig frisch und eingängig klingt, gefällt mir "Violent Epiphany" sogar noch ein bißchen besser als das neue Hatebreed Album.
Bewertung: 8 von 10 Sternen / 32:53 / Hardcore / alveranrecords.com
Michael Streitberger

No Means No - All Roads Lead To Ausfahrt CD

Wrong Records / Cargo

"All Roads Lead To Ausfahrt"... Was für ein wunderbarer Titel für ein Album. Und wer No Means No kennt, der weiß auch, dass er sich keine Sorgen machen muss, dass die Kanadier im 27. Jahr (!) ihrer Karriere musikalisch gen Kraftwerk oder Rammstein abdriften. Doch weil das gerne benutzte Wörtchen Postpunk im Kontext des chronisch unterschätzten Trios ebenfalls etwas deplaziert wirken würde, macht eine genauere Beleuchtung ihrer Musik Sinn. Denn trotz höchst intelligenter, famos abwechslungsreicher Tracks sind auch diese 14 Stücke wieder endlos weit von der Verkopftheit vieler Genrekollegen entfernt. "All Roads Lead To Ausfahrt" hat es dementsprechend in sich, ist prall gefüllt mit ironischen Texten, superdynamischer Musik und verzichtet natürlich nicht auf krude Hit (man höre nur "Faith"). Der Ideenreichtum der Herren ist gerade angesichts ihres Alters frappierend. Das zynische "In her eyes" zum Beispiel, welches man zwischenzeitlich auf Zeitlupentempo herunterfährt, bildet einen wunderbaren Kontrast zu den Momenten, in welchen man wieder die Lust am Lärmen entdeckt. Und da wäre da noch der "Mondo nihilissimo 2000", ein überdrehter Humppa-Offbeat-Punkrocksong. Für neugierige Skeptiker: Auch diese 14 Songs stellen wieder eine perfekte Chance dar, den Einstieg in den Kosmos der sympathischen alten Herren zu finden... Aus welchem es dank der einzigartigen, unterhaltsamen, klugen Mischung aus Punk, Prog, Jazz und Hardcore kein Entrinnen mehr gibt. Und: Lasst euch um Gottes Willen nicht die anstehende Konzertreise der drei in Würde ergrauten Musiker entgehen. Außerdem hier nur kurz der Hinweis, dass No Means No nicht nur ihre schwer erhältlichen früheren Studioscheiben für den europäischen Markt wiederveröffentlicht haben. Mit "The People's Choise" erschien vor zwei Jahren eine nach wie vor äußerst empfehlenswerte Compilation, um die Vergangenheit der Band aufzuarbeiten.
Bewertung: 8 von 10 Sternen / 53:08 / Postpunk / southern.com/southern/band/NOMEA/
Michael Streitberger

Profession Reporter - The Lipstick Durability Test CD

Unter Schafen Records / Alive

Nach ihrer Split-Veröffentlichung mit Skinny Norris hier nun also das erste Album von Profession Reporter. Und was für einen wunderbaren Plattentitel sie sich haben einfallen lassen. Ja, und was für eine schöne Platte das überhaupt geworden ist... Ein kleines Rundum-Wohlfühl-Paket für den gesetzten Indierocker, das auch noch hübsch aussieht. Und mit dem eher Emorock-infizierten Sound der EP kaum noch etwas zu tun hat. Warum auch? Die Band stammt schließlich aus dem Umfeld der Koblenzer Indierock-Allstars von Ken - und überhaupt sind die Biographien der fünf Mitglieder eng mit der Independent-Szene verwurzelt. Was "The Lipstick Durability Test" zu einem Liebhaberalbum macht, bei dem es niemals darum geht, neue Wege zu beschreiten. Sondern schlicht und einfach darum, den Spirit der Neunziger ganz unverkrampft wieder aufleben zu lassen. Jene Zeit, bevor die Seattle-Szene von A&Rs beherrscht war und ein Label wie SST (bei welchem Drummer Lars witziger Weise ein Praktikum machte...) im Monatsrythmus neue, lärmiger Perlen veröffentlichte. Obwohl: Mit dem Lärm haben es Profession Reporter eigentlich gar nicht so. Eher schon mit einer Prise Dramatik ("End, they will"). Oder sogar 'mal einer Muse'schen Kopfstimme, wie im Opener. Nochmal: Der Sound von Profession Reporter mag einerseits sicher konventionell sein. Andererseits aber grundsympathisch, gut gemacht und Roots-bewusst. Vor allen Dingen aber gibt es Alben wie "The Lipstick Durability Test" heute gar nicht mehr so oft zu hören.
Bewertung: 7 von 10 Sternen / 43:04 / Indierock / unterschafen.de
Michael Streitberger

Rahim - Ideal Lives CD

French Kiss / Alive

"Klangklangklang" heißt der Opener dieses Albums. Aber was wie der Titel einer Kunstausstellung über die Coverartworks von Kraftwerk klingt, ist eigentlich eine aus New York stammende Band, die sich musikalisch schwer gen Washington D.C. orientiert. Denn wenn jemand beim ersten Kontakt mit Rahim an die Burning Airlines denkt, trifft das den Nagel ziemlich exakt auf den Kopf. "Ideal Lives" darf sich nämlich gerne als der kleine Bruder des großartigen Channels Albums, welches ja ebenfalls dieser Tage erscheint, bezeichnen. Und das nicht nur, weil das Album mit J Robbins von dem Herren produziert wurde, der nach seinen Jahren bei Jawbox in beiden erwähnten Bands tätig ist. Mit Bluetip und Fugazi lassen sich mindestens noch zwei weitere musikalische Bezugspunkte im Dischord-Umfeld ausmachen. Dreh- und Angelpunkt im Sound von Rahim bleibt immer der Rhythmus. Dem Bassspiel von Ryan McCoy bzw. Phil Suttons Drums ordnet sich alles unter; sebst Gitarrist Michael Friedrich fügt sich da mit ein. Das hat natürlich Auswirkungen auf die ungewöhnlichen Melodielinien, zumal es bei Rahim keinen festen Sänger gibt. Weshalb den elf Songs neben der sehr prägnanten Dynamik auch eine charmante Grätsche zwischen Pop und atonalen Momenten zu eigen ist. Dabei geht man etwas minimalistischer vor als die Formationen ihres Produzenten. Und dennoch kann man sich den Harmonien des Trios nicht verschließen. Vor allem, wenn sich beispielsweise in "Enduring love" auch noch Organs oder an anderer Stelle schräge Bläser in das Klanggewand drängen. Vorsicht also: Rahim kommen heimlich und durch's Hintertürchen. Sind sie erstmal in deinem Kopf, wirst du sie nicht mehr so schnell los. Ein tolles Debüt.
Bewertung: 8 von 10 Sternen / 36:53 / Postpunk / rahimrahim.org
Michael Streitberger

Redkey – Rage Of Fire CD

Dockyard 1 / Roughtrade

Maschinelles Intro, dann der Titeltrack und klar ist, was hier los ist: Metal! Powermetal von Leuten, die ihr Handwerk verstehen. Allerdings wird auf „Rage Of Fire“ weniger auf hymnische Chöre und ausufernde Gitarrensoli gesetzt, sondern auf frischen, unverbrauchten Sound, garniert mit kraftvollen, flüssigen Gitarrenattacken, zeitgemäßen Riffing, bombastischen Drums, sowie einer ausdrucksstarken, den Songs noch die gewisse Note verleihenden Stimme des Sängers Thomas Rettke. Da sind wir auch schon gleich beim Thema: Rettke und Gitarrist Sascha Paeth heimsten bereits in früheren Zeiten Erfolge mit ihrer Vorgängerband Heavens Gate ein, bevor man sich anderen Aufgaben widmete. Redkey soll nun aber kein Nachfolgeabklatsch werden, sondern will als neues, unverbrauchtes Projekt mit neuen Mitstreitern verstanden werden, welches sich einen individuellen Weg durch die Gefilde des Powermetal bahnen will. Ganz im metaphysischen Sinne von Genre – Oldies wie Judas Priest oder Razor X. Hymnenartige Kracher wie „Rebellion“ oder das von Leadgitarrenduellen dominierte „Peace & War“ geben ihr bestes, dass das Debutalbum der Wolfsburger die Herzen von Millionen von Headbangern höher schlagen lassen dürfte. Wer nichts mit der Stilrichtung anfangen kann, den kann auch „Rage Of Fire“ nicht mehr bekehren. Für Fans des ganzen aber sicherlich ein weiteres exzellentes Album in der Sammlung, zumal mit dem abschließenden Angels – Cover „The Fortune“ und gleichzeitigem Duett mit Edguy – Frontmann Tobias Sammet sozusagen fast schon ein Kleinod mitgeliefert wird.
Bewertung: 6 von 10 Sternen / Powermetal / 51:31 / dockyard1.com
Uwe Wollein

Ulme - The Glowing CD-EP

BluNoise / Alive

Ulme sind keine gewöhnliche Band. Was sich zum Beispiel daran festmachen lässt, dass die kleine aber feine Fangemeinde der Norddeutschen ganze sechs Jahre auf ein neues Lebenszeichen warten musste. Und dann sogar nicht mehr als eine EP herausspringt. Die hat es aber wieder in sich. Denn schließlich ist das ungewöhnlichste an Ulme immer noch die Musik, welche von den Gebrüdern Heesch plus Verstärkung fabriziert wird. Der '97 Longplayer "Ordinary Diva" war für mich damals das mitreißendste deutsche Noiserock-Album überhaupt gewesen. Keine Ahnung, warum ich Ulme im Anschluss plötzlich aus den Augen verloren hatte. Schließlich folgten seitdem noch zwei Longplayer, bevor man etwas unbeachtet von der Bildfläche verschwand. Nun tut es einfach gut, wieder von ihnen zu hören. Denn schon der eröffnende Titeltack macht seinem Namen alle Ehre: Die Gitarren glühen, bis der Sound aufflackert und einen schweißtreibenden Flächenbrand entfacht. Atmosphäre, Spannung und Lärm verschmelzen zu glutheißer Lava, die sich ihre Bahn durch mein Gehirn zieht. "Azrael" muss dann direkt in der Rock'n'Roll Hölle mit Hilfe einiger Bluesmusiker eingspielt worden sein und Textzeilen wie "I love the way we fuck" passen wie die Faust auf's Auge. "Underground beauties" lässt dann schließlich nur einen Gedanken zu: Das einzig wichtige ist, dass diesem Aufflackern ein reguläres Album folgt. Randnotizen: Produziert hat Guido Lucas, mit Tim Liedtke ist der ehemalige Sissies-Bassist neu im Line-Up und das Artwork geriet wieder ganz wunderbar. Willkommen zurück und bis bald.
Bewertung: 8 von 10 Sternen / 20:58 / Independent / ulme-music.com
Michael Streitberger

Vader - Impressions In Blood CD

Regain Records / Soulfood

Sie sind der Inbegriff eines Geheimtipps, dem langsam immer mehr Metalfans Beachtung schenken: Deathmetal aus Polen. Die Rede ist von Vader, welche sich unter Kennern längst den Status von Klassikern der Marke Morbid Angel, Cannibal Corpse oder Deicide erspielt haben. Nirgendwer sonst in Europa schafft es, Destruktion derart präzise, blitzschnell und auf den Punkt gebracht zu organisieren. Es lässt einen immer wieder den Atem stocken, dass hier von nur vier Musikern ein Sound kreiert wird, der so extrem dicht voller Fills, Breaks und anderen instrumentalen Kapriolen steckt, dass man als Hörer schnell unter einem Overkill zu leiden droht. Doch wer sich durch den in den heimatlichen Hertz Studios produzierten Wall Of Sound arbeitet, wird belohnt. Denn ihren einheimischen Kollegen (a lá Decapitated) - wie auch einem Gros der Konkurrenz aus Übersee - hat man eines voraus: Songs, die trotz aller technischer Finesse mit einem gewissen Wiedererkennungswert ausgestattet sind. Auf ihre alten Tage haben sich Vader sogar noch einmal derart zusammengerauft, dass sie mit "Impressions In Blood" ihr vielleicht stärkstes Werk überhaupt abliefern. Die atemberaubenden Fähigkeiten der Polen sind dabei stets präsent und dürften bei musizierenden Gleichgesinnten abermals für bewunderndes Kopfnicken, beim Gros der Deathmetal-Gemeinde für frenetisches Bangen und im Metalcore-Lager für neidische Blicke sorgen. Fazit: Ein saubrutales, aber eben auch ziemlich abwechslungsreiches Album (man höre nur das Bolt Thrower-Style-Monster "Predator"), welches sich kein Genrefan entgehen lassen sollte.
Bewertung: 8 von 10 Sternen / 37:18 / Deathmetal / vader.pl
Michael Streitberger


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