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Rhesus Interview

Shit And Commercial


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Das Wochenende naht. Mit großen Schritten. Nur noch wenige Stunden vom Ende der Arbeitswoche entfernt, zufrieden, das Ende mit einem gemütlichen Konzert im Hamburger Knust beginnen lassen zu können. Rhesus haben sich angekündigt. Entspannter, sonniger Pop, denke ich mir, genau das richtige nach einer stressigen Woche. "Sad Disco", das Debüt der Franzosen, war ein ziemlich gefälliges Gemisch aus Phoenix-artigen, tanzbarem Pop und einer Brise Rockmusik, die allenthalben mal durch die doch an einigen Stellen sehr glatte Produktion blies. Man konnte zumindest erahnen, dass in der Band viel mehr steckt, als sie bereit war, auf ihrem Debüt zuzugeben. Und tatsächlich: das Konzert diesen Freitag Abend ist, zwar nicht vollkommen anders, aber zumindest so rockig, dass es einen in Punkto Energie, Lautstärke und Gitarrenwand schon vor den kopf fährt. Und gar nicht mehr so verträumt daher kommt. Lange Rede, kurzer Sinn: Rhesus können die E-Gitarren auspacken. Wattebäusche also wieder zurück zum Schminkspiegel in die Handtasche, Mädels!

Wenn man heute jemand auf der Strasse fragen würde, welche große (Indie-)Rockband aus Frankreich kommt: keiner könnte sie beantworten. Phoenix vielleicht noch. Und das war es dann auch schon. Simon weiß das. Im Gegensatz zu seinen Bandkollegen hat er darauf sogar eine Antwort: "Wir haben eine sehr große Indie-Gemeinde in Frankreich. Aber sie ist hermetisch abgeriegelt. Das liegt in der Natur der Sache: sie singen alle auf französisch!" Das kennt man irgendwoher. Deutschland? Zum Beispiel. Anders als Belgien. Oder Schweden. Dänemark. Keine durchgehenden Europäisierungstendenzen also. Und das ausgerechnet bei Frankreich und Deutschland. Laura (Bass), Aurelien (Gitarre, Gesang) und Simon (Drums) sehen das allerdings nicht besonders tragisch. Warum auch. Mit PIAS haben sie ein Label im Rücken, dass Länderübergreifend agieren und vertreiben kann. Und ihnen den Nährboden bereit für ausgedehnte Touren. 2001 gegründet hat so auch bis letztes Jahr gedauert, dass sich endlich ein Label für die drei interessierte. Prompt wurde das Debüt-Album aufgenommen. Und jetzt, außerhalb von Frankreich, ganz Europa betourt.

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Euer Debüt ist vor kurzem erschienen und ihr bereist jetzt ganz Europa. Ist das etwas komplett neues für euch?
Aurelien: In Frankreich kennen wir mittlerweile sämtliche Clubs. Da haben wir wirklich alles abgegrast. Über 300 Gigs haben wir allein in Frankreich hinter uns. Da hat man dann eigentlich alles gesehen. Deswegen ist es auf jedenfall spannend und etwas neues für uns, hier zu touren!

Gibt es diesbezüglich einen prägnanten unterschied zwischen Deutschland und Frankreich?
Aurelien: In Frankreich ist die Kommunikation mit dem Publikum natürlich eine andere. Du kannst dämliche Witze machen und das Publikum unterhalten. Aber auf Englisch ist das schwierig. Du hörst ja, wir sprechen nicht besonders gut englisch. Aber es gibt auch noch andere Unterschiede: in der Schweiz zum Beispiel sind die Menschen unglaubich schüchtern auf Konzerten. Sie schauen die meiste Zeit auf den Boden und zeigen kaum Reaktionen. Keine Ahnung woran das liegt.

Ihr habt gesagt, dass ihr erst eine Platte machen wolltet, als ihr bereit dazu ward. Das hat vier Jahre gedauert. Ist "Sad Disco" jetzt das Non-Plus-Ultra?
Simon: Wenn ich jetzt zurück denke, dann habe ich ein wenig das Gefühl, die Platte sei überproduziert. Auf der Bühne sind wir viel Energie-geladener. Viel härter und schneller als auf Platte. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass die Platte das nicht einfängt. Die nächste wird auf jedenfall das Live-Gefühl wesentlich stärker einfangen.

Was war der Grund dafür?
Simon: Vielleicht weil wir in einem winzigen Raum geprobt und die Stücke entworfen haben. Alles war sehr ruhig. Wir kamen morgens, spielten den ganzen Tag, und gingen abends wieder. Aurelien: Wir haben die Songs vorher nie Live gespielt. Das wird bei der nächsten Platte definitiv anders sein. Heute abend werden wir schon zwei neue Songs spielen.
Laura: Drei!
Aurelien: Stimmt, sogar drei. Jedenfalls wissen wir jetzt, wie das alles Live klingen soll.

War es vielleicht auch ein wenig die Schuld des Produzenten (Denis Moulin)?
Aurelien: Nein, definitiv nicht. Wir sind ja erst ins Studio gegangen, als wir genau wussten, wie die Songs klingen sollen. Der Produzent musste quasi nur noch die Regler bedienen.

Habt ihr Druck verspürt? Dass das Debüt absolut perfekt sein muss?
Simon: Wir waren sehr gut vorbereitet, bevor wir aufenommen haben. Sechs Monate Arbeit steckten da drinn!
Aurelien: Und dann standen wir da plötzlich in einem riesigen Studio. Und es war einfach beeindruckend. Aber weil wir alles schon ausgetüftelt hatten, kam auch gar keine naive Experimentierfreude auf. Wir haben die Songs eingespielt und das wars.

Was habt ihr vom Produzenten lernen können? Er ist ja ein sehr erfahrener Produzent.
Laura: Wir haben gelernt, sehr präzise zu sein. Außerdem unglaublich viel über Synthesizer und sehr viel andere, sehr technische Aspekte des Musikmachens.

Kritiker werfen euch vor, nicht besonders französisch zu klingen.
Simon: Das nehmen wir eher als Kompliment. Es war ja schließlich unsere Intention, nicht französisch zu klingen. Viele sagen: die französische Singsprache ist in der Rockmusik mehr als deplaziert. Es hört sich oft grauenhaft an.

War es schwierig, in einer anderen Sprache Texte zu schreiben?
Aurelien: Nein, ich höre seit meinem 10. Lebensjahr englisch-sprachige Musik. Damit wächst man auf, da kommt das schreiben dann ganz natürlich. Unsere Texte sind ja auch keine sehr langen, großen Geschichten wie sie Dylan zum Beispiel geschrieben hat. Unsere Texte sind viel eher wie kleine Polaroid-Aufnahmen. Kleine Einblicke in große Zusammenhänge.

War es ein großer Schritt für euch, ein nirgendwie normales Leben aufzugeben und ständig auf Tour zu sein?
Aurelien: Natürlich! Denn wir müssen vom touren leben. Von den Einnahmen der Platte allein geht das nicht! Aber wir wollen natürlich mehr. Mehr Menschen erreichen, mehr Erfahrung sammeln. Und das geht eben nur durch touren.

Wir haben schon festgestellt, dass es sehr wenig bekannte französische Bands gibt. Wie sieht das andersrum aus? kennt ihr deutsche Bands? Simon: Ahh, klar! Notwist zum Beispiel. Und Liquido!

Wirklich? Die kennt ihr?
Aurelien: Klar! "Narcotic" war ein riesen Hit in Frankreich!

Es ist immer ziemlich lächerlich, nach den Einflüssen zu fragen. Deswegen sei die Frage etwas anders formuliert: Welchem eurer musikalischen Helden würdet ihr eure Platte zeigen?
Simon: Die Frage ist für mich schwer zu beantworten. Ich sehe rückblickend so viele Schwächen des Albums, dass ich am liebsten sofort ein neues aufnehmen würde.
Aurelien: Ich würde sie Thom Yorke zeigen. Aber er würde sie hassen. "Shit and Commercial" Und weg damit.

Interview + Text: Robert Heldner


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