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MISC - sellfish.de Beifang 10/06 | 01

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Underground vs. Mainstream... Wo die Welt noch in Ordnung ist

mit: Sushimob | The Lost Patrol Band | Henrik Schwarz | Horror Business Records | Bullet For My Valentine

Die Briten von Bullet For My Valentine dürften, was harte Musik angeht, neben Slipknot wohl eine der kommerziell erfolgreichsten Bands der letzten Jahre sein. Und während man in seiner Heimat bereits Platinauszeichnungen davon trägt, lässt sich auch hierzulande das ein oder andere H.I.M.- oder Tokyo Hotel-Groupie hinreißen, zu den Tracks des BFMV-Debüts "The Poison" mitzubangen. Das Label nimmt diese Entwicklung zum Anlass, fleißig Mini-CDs, Singles und in Kürze eine Live-DVD auf den Markt zu werfen. Als Vorgeschmack darauf dient nun auch die "Hand Of Blood" EP (Gun/Sony BMG), welche fünf in der Brixton Arena mitgeschnittene Tracks enthält. Neben dem Titelsong gibt es da zum Beispiel noch die beiden Auskopplungen "Tears don't fall" und "All these things i hate (revolve around me)", ebenfalls live mitgeschnitten, zu hören. Der Sound geht absolut in Ordnung, auf Bühne sind Bullet For My Valentine ein hörbar eingespieltes Team und irgendwie muss ich zugeben, dass ich den Jungs in meinen bisherigen Rezensionen etwas unrecht getan habe: "The Poison" hat durchaus einen, wenn auch etwas zwiespältigen, Reiz. Diese im extrem schlichten Artwork erscheinende Auskopplung allerdings brauchen zumindest all jene nicht, welche sich ohnehin die zughörige DVD besorgen werden...

Mit The Lost Patrol Band hat sich ex-Refused-jetzt-The (International) Noise Conspiracy Dennis Lyxzen ein Hobby geschaffen, in welchem er musikalisch frei von den üblichen Erwartungen musizieren kann. Auf dem Debüt entstanden unter diesen Bedingungen ein paar heimelige Singer-Songwriter-Stücke, während der selbstbetitelte Nachfolger deutlich bandorientierter klang. Bei den neuen Aufnahmen wird Lyxzen nun sogar an den Vocals von den beiden anderen Gitarristen seiner Band unterstützt. "Automatic" (Burning Heart/SPV) ist dabei immer darauf bedacht, ohne überflüssige Schnörkel zu arbeiten und damit streng den Siebzigern verpflichtet zu bleiben. So entstanden zwölf knackige, eher tanzbare als melancholische Songs, deren Authentizität sich auch im stylish-reduzierten Artwork spiegelt: The Jam, Buzzcocks oder die Ramones führt das Platteninfo da passenderweise als Vergleiche an. Ein paar Hits, wie sie auch die Labelkollegen von Randy aus dem Ärmel schütteln, die herrlich reduzierte Produktion von Daniel Berglund (Isolation Years) sowie die Vinyl-kompatible Spielzeit runden diese Retro-Geschichte gekonnt ab. The Lost Patrol Band bleibt damit vielleicht nicht so essentiell wie das sonstige Schaffen ihres Hauptprotagonisten, ist aber fraglos willkommener Nachschub für die nicht eben kleine Fangemeinde des Schweden.

Wahrscheinlich dürfte er vor allem Elektronik-Aficionados ein Begriff sein: Henrik Schwarz. Ein DJ und Produzent, von dem zwar haufenweise EPs, Remixe und Compilationbeiträge kursieren, dessen reguläre Albumveröffentlichungen aber schwer zu finden sind. Mit seinem "DJ-Kicks" (!K7 Records/RTD) Beitrag wird mir nun jedoch nachdrücklich bewusst gemacht, dass hier jemand auch abseits des Insiderstatus Aufmerksamkeit verdient. Denn wie so oft glänzt auch Schwarz' Beitrag zu der Serie mit einer höchst anspruchsvollen musikalischen Auswahl. Zwar blitzen hier Soul und vor allen Dingen Elektronik an allen Ecken und Enden dieser 80 Minuten durch. Getrieben wird der Albumfluss jedoch von der Spielrichtung einer anderen Musikart: Der eigenwillige Flow des Jazz ist es nämlich, welchen dieses herrlich losgelöste Album atmet. Aus Beiträgen von Moondog, D'Angelo, Coldcut oder Marvin Gaye ensteht so ein 23 Tracks umfassendes musikalisches Potpourri, welches sich elegant zwischen Genregrenzen hindurchschlängelt und in seiner höchst stilvoll kompilierten Form einen echten Geheimtipp darstellt.

Keine Ahnung, ob es im Falle Sushimob überhaupt noch legitim ist, von einem "Newcomer" zu sprechen. Nicht aus dem Grund, weil die Band dank einer gelungenen EP und haufenweise Konzerten mit Größen wie den Libertines, Blackmail oder Ash vielen schon ein Begriff ist. Sondern allein deswegen, weil "The Controls And Their Function" (Waggle-Daggle/Broken Silence) ein so fantastisches Album geworden ist. Das Trio, dessen genaue Herkunft mir gar nicht bekannt ist, rockt derart unbeschwert um die im vorherigen Satz genannten Bandnamen herum, dass es eine wahre Freude für alle Indie-Hörer sein dürfte. Unter den zwölf exzellent produzierten Tracks finden sich mit "I go robot", "Take it but leave me" oder "The big astro" eine solche Menge an Ohwürmern, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Dazu kommt mit Matze Brunner ein Sänger, der es ebenfalls mit den Helden der Szene aufnehmen kann. Keine Frage: Sushimob besitzen internationales Format. Doch auch wenn die Songs dieses Debüts in Kürze die besseren Tanzflächen und Clubs dieses Landes beschallen sollten: Das ganze wirkt so charmant unverkrampft, dass man Sushimob jeden Erfolg nur wünschen mag. "The Controls And Their Function" stellt die meines Erachtens bislang beste Veröffentlichung auf dem kleinen Berliner "Waggle-Daggle" Label dar und sollte alle Beteiligten einen gehörigen Schritt nach vorne bringen!

Mit "This Is Not Your Soundtrack For Violence" (Horrorbiz/Green Hell) liefert das sympathische Label Horror Business Records eine Compilation, die eben nicht den typischen, ungeliebten "Labelcompilation"-Charakter hat. Stattdessen gibt es neben einem altbekannten Intro ganze 47 über weite Teile rare und unveröffentliche Songs, welche insbesondere die Hardcore-Seite des kleinen Lünener Labels um den XXXNot EnoughXXX Gitarristen Dave Zolda repräsentieren. Dessen neue Band May The Force Be With You gibt hier auch gleich den (überraschend anderen) Einstand, bevor mit Woof aus Paderborn eine weitere hoffnugsvolle Formation aus Deutschland mit drei Tracks überzeugt - darunter übrigens ein brillantes Battery-Cover, welches nicht auf dem dieser Tage erscheinenden Debütlongplayer "Pride, Passion, Memories" enthalten ist. Auch die Skatecore-Helden von Common Enemy, Steve Austin, Cidestep oder Disobey (welche ihr Debütalbum "Wrong Turns Don't Count" ebenfalls zeitgleich bei Horrorbiz veröffentlichen) steuern Beiträge bei. Und zu guter letzt gibt es mit den 15 Bonustracks auch das weitere Spektrum der kleinen Company zu entdecken: Jason aus Brasilien, Kill Your Idols, die Kromabacherkellerkinder und Nein Nein Nein gehören da beispielsweise dazu. "This Is Not Your Soundtrack For Violence" kommt inklusive schickem 20-seitigem Booklet und ist im Tausch gegen einen 5-Euro-Schein (inklusive Porto!) bei folgender Adresse zu haben: Horror Business Records, David Zolda, Dortmunder Str. 93, 44536 Lünen. Wer einen Blick in den lohnenden Teil des Hardcore-Undergrounds werfen will, lässt sich dieses Angebot nicht entgehen!

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Neue Hoffnungsschimmer und frühe Burnoutsyndrome

mit: The John Doe Thing | Sophia | Justine Electra | The Jai Alai Savant | Boys Night Out

Man könnte ”For The Best Of Us” (Yep Roc Records/Cargo Records) von vorwerfen, dass es nichts ganzes und nichts halbes ist und natürlich die Frage aufwerfen, warum eine EP von John Doe aus dem Jahre 1998 fast zehn Jahre später wiederveröffentlicht wird – in diesem Fall aufgeblasen mit sechs weiteren Songs. Man könnte aber auch einfach feststellen, dass der geschmeidige und dennoch kantige Gitarrenpop von The John Doe Thing noch immer aktuell ist. „A Step Outside“ ist jedenfalls ein fantastischer Song und auch „Let’s Get Lost“ wirkt keinesfalls angestaubt. Aus der damaligen Session hat man einige weitere Songs mit auf diese Veröffentlichung gepackt, darunter unter anderem das Stück „This Loving Thing“, welches Doe mit Dave Grohl zusammen geschrieben hat und ein Cover von Woody Guthrie’s „Vigilante Man“. Interessante Sache, die sofern sie mit dem entsprechenden Preis ausgestattet ist, zurecht einige Käufer finden sollte.

Ende Oktober erscheint das neue Album von Sophia, der munter-düsteren Schwermutband um Mastermind Robin Proper-Sheppard. „Technology Won’t Save Us“ heißt das Teil, das die langsam aber sicher aufkommende Herbststimmung gut auffangen könnte. Vorab gibt es seit einer Weile den Song „Pace“ (unter anderem hier) zu hören und der Macht nicht nur Lust auf mehr, sondern verzaubert postwendend. Gitarrenbreitseite und ein munterer Schlagzeugsound, der nach vorne geht und Freunde der Doves gleich mitnimmt. Klingt deutlich anders als die Hits auf dem Vorgänger „People Are Like Seasons“, was zusätzlich die Hoffnung schürt, dass da was ganz Großes auf uns zukommt...

Die Labelkollegin Justine Electra ist da – zumindest in diesem Jahr – schon einen Schritt voruas. Das Album erst kürzlich veröffentlicht, kommt jetzt schon Nachschub in Form einer EP namens “Fancy Robots“ (City Slang). Darauf enthalten: gleichnamiger Song plus vier weitere Remixe, die sehr elektronisch daherkommen und zumindest für den Augenblick ganz schön gut klingen. Nouvelle Vague geben sich dabei auch die Ehre und schicken den Titel weit raus ins Weltall. Soviel Coolness lässt das Sammler-Herz höher springen und ungeübte Ohren sicherlich verwirrt zurück.

Und schließlich Nachricht Nummer Drei aus dem Hause City Slang: The Jai Alai Savant haben nicht nur einen verdammt illen Namen, sondern auch den tollsten EP-Titel des Jahres abgeliefert: „Scarlett Johansson Why Don’t You Love Me“ heißt das Ding und dahinter möchte man tatsächlich ein dickes, fettes Fragezeichen setzen. Also so persönlich jetzt. Musikalisch geht es bei dem Trio aus Chicago allerdings viel weniger um talentierte Schauspielerinnen, sondern vielmehr um Elefantenflüsterer und Lost in Dubnation. Ganz im Ernst: „Thunderstatement“ ist ein netter Titel und Dub in interessant haben wir ja schon länger nicht mehr gehört. Vor allem nicht, wenn dann noch eine raue Stimme oben drauf kommt, die einen an Ian MacKay (Fugazi) oder Davey von Bohlen (Maritime, Promise Ring) denken lässt. Punk? Dub? Wave? Indierock? Disco!! Februar 2007 kommt die Platte und erst dann wird sich zeigen, ob wir es hier wirklich mit dem heißen Scheiß zu tun haben, als der er uns verkauft wird. Die Finger habe ich mir jedenfalls noch nicht verbrannt. Aber Unterschätzen ist ja eine meiner ausgeprägten Stärken, insofern heißt es abwarten, was uns The Jai Al...who? noch vor den Bug knallen.

Als vor bei mir vor ca. drei Jahren das Debütalbum der kanadischen Screamoband Boys Night Out auf dem Tisch landete, war ich spontan angetan. Die Songs voller Elan offenbarten nur wenig klischeehaften Genrekram und machten irgendwie Spaß. Trotz des ganzen Geschreis und den fiesen Riffs. Das wirkte so anders, als bei so vielen vergleichbaren Bands aus den USA. Immer mit dem Finger am Hookline-Trigger und dem Mut zum Pop war sie ausgestattet diese Band. Jetzt haben sie einen Fehler begangen: Genauso unnötig wie die Remix-Platte nach dem Debütalbum von Linkin Park (oder war da jetzt schon das Debütalbum unnötig?) ist die DVD, die Boys Night Out jetzt in die Weltkatapultieren. So sehr ich DVDs schätze, von einer jungen Band will ich erst mal Songs, Songs und noch mal Songs – oder wenigstens drei Alben bis dann die B-Seiten, Remixplatten, DVDs und Best Ofs erscheinen. Den Live-Auftritt, aufgenommen in Toronto im März 2006, und die beiden bisher gedrehten Musikvideos zu den Hits „Medicating“ und „I Got Punched In The Nose For Sticking My Face In Other Peoples Business“ in allen Ehren, aber möchte ich das als Fan jetzt schon kaufen müssen? Zumal Kameraführung etc. aus nachvollziehbaren Gründen nicht an die gewohnten Hochglanzproduktionen herankommen. Das Herzstück der DVD “Dude, You Need To Stop Dancing“ (Ferret Music) ist die knapp einstündige Dokumentation über die ersten Hürden, die die junge Band nehmen muss: Erste Zerreißproben auf Tour und all die Freuden und Leiden, die einen im Rock’n’Roll halt so packen können, sind hier festgehalten worden. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal in der Geschichte von Musik-DVDs, oft aber schon deutlich spannender und jetzt ab in den Proberaum und nicht mehr vorher rauskommen bis Platte Nummer Zwei auf meinem Schreibtisch liegt.

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