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|| Michael Streitberger ||

schreibt über...

Boysetsfire.jpgJanka.jpgThe_Thermals.jpgBand_of_Horses.jpgArctic_Monkeys.jpgAnna_Ternheim.jpgTres_Chicas.jpgHeaven_Shall_Burn.jpgKataklysm.jpg


Was als sehr gutes Album seinen Einstand feierte, wurde über das Jahr 2006 hin zu einem Manifest. Für Boysetsfire selbst markierte "The Misery Index: Notes From The Plague Years" nicht nur den Befreiungsschlag aus den Majorfängen, sondern gleichzeitig das Ende ihrer Karriere. Und dies tragischerweise genau an dem Punkt, an welchem sich wirklich alle Stärken der Band um Ausnahmesänger Nathan zu etwas ganz Großem fusionierten. Zu etwas so Großem gar, dass der vermeintliche Klassiker "After The Eulogy" noch übertroffen wurde. Und mit "With cold eyes" die defintive Hymne entstand. Ein paar Glückliche haben vielleicht sogar die limitierte Version des Albums mit Live-DVD ergattern können, in welchem sich Boysetsfire in ihrem vielleicht intensivsten Moment zeigen: Die Show fand statt, als die neue Labelfreiheit auf Burning Heart schon gewonnen, das eigentliche Album den Fans jedoch noch gar nicht bekannt war: Die Beteiligten waren spürbar heiß darauf, es zu präsentieren. Der Mitschnitt des in einem kleinen Kölner Club aufgenommenen Konzerts macht sprachlos. Das Ende von Boysetsfire ist der wohl größte Verlust für die Hardcore-Szene seit Jahren. Ob ihr diese Tatsache bewusst ist, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich war es mir, als ich die Band während der Abschiedstour gesehen habe. Und dabei heimlich eine Träne verdrückte...

Wahrscheinlich liege ich denen, die mich kennen, ohnehin schon zu lange in den Ohren mit dem, was Janka für mich in diesem Herbst bedeutet haben. Der Soundtrack meines Umzugs von Nürnberg nach Hamburg eben. Begleitet von dieser wunderbaren Platte namens "Indiearmevon" (Dekoder Records), deren melancholische Stücke gleichermaßen Trost- und Hoffnungsspender waren, wie sie mir diese außergewöhnliche Stadt schmackhaft gemacht haben. So wurde aus dem Debüt eines kleinen Newcomers eine der prägendsten Scheiben dieses insgesamt nicht ganz so aufregenden musikalischen Jahres. Doch auch abzüglich der persönlichen Involviertheit bleibt hier mit die wärmste, ehrlichste und intelligenteste Platte, welche dieses Jahr bei uns aufgenommen wurde.

Mein Independent-Triumphirat besteht in diesem Jahr aus gleich drei Platten. Da wären einmal The Thermals mit "The Body, The Blood, The Machine" - bei welchen man nach dem großen Vorgänger ja beinahe ahnte, dass diesmal etwas völlig Phänomenales entstehen würde. Und tatsächlich: Auf meinem MP3-Player gab es nur diesen einen Ordner, der über die letzten Monate nicht dem "Delete" Button zum Opfer fiel. Wie auch? Bei so vielen Hits, die so lange und so nachhaltig wirken. Und im Vorbeigehen auch noch wichtige Botschaften hinterlassen. Die Thermals müssten so unfassbar viel größer sein, Wahnsinn. So ziemlich aus dem Nichts kam dann die Band of Horses, die mit "Everything All The Time" da ansetzten, wo Nada Surf mit ihrem letzten Album aufgehört haben. Und mit "The Funeral" sogar gleich das Pendant zu deren "Inside Of Love" ablieferten. Doch auch der Rest pendelte so mitreißend zwischen vorsichtiger Euphorie und authentischem Wehmut, dass es mich schlichtweg in den Bann nahm. Weniger emotional gebunden fühlte ich mich dagegen an die Arctic Monkeys, die mit "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not" einfach ein richtig famoses, tanzbares, lautes Album eingespielt haben. Und gerade weil ich mir sicher bin, dass der potentielle Nachfolger aufgrund des Mangels an juvenil-überbordender Spielfreude in die Hose gehen wird: Ihr Debüt konnte in diesem Jahr von nichts aus Großbritannien übertroffen werden.

Beinahe zaghaft hat Anna Ternheim mit ihrem Debüt "Somebody Outside" ihre Visitenkarte als Singer-Songwriterin bei uns abgegeben. Dabei gilt die Schwedin in ihrer Heimat längst als neue Hoffnung im Pop (mit Niveau). Und das stimmungsvolle Werk zwischen Portishead'scher Zerbrechlichkeit, folkig-verschrobener Wärme und dezenter Jazziness vertonte mir hier so manche melancholische Stunde. Woraus genau eines jener Alben entstand, die man eigentlich viel zu selten aus dem Schrank zieht; weil man in dem Glauben lebt, ein so besonderes Stück Musik nicht einfach "nur mal so" hören zu dürfen. Vor allem nicht, wenn draußen die Sonne scheint. Naja, nun wird es wieder Winter. Und die behutsam arrangierten Songjuwelen wärmen das Herz zunehmend häufiger. Obwohl bei "Bring down like I" vielleicht einmal eine Träne über die Wange kullert. Da ist es eben wieder, das Portishead-Phänomen: Man will Frau Ternheim in die Arme nehmen und trösten, wenn das nur ginge. Ach ja: Sonst noch nachhaltig in Erinnerung geblieben sind mir in diesem Jahr aus der Stilrichtung Singer-Songwriter/Folk/Country vor allem die Tres Chicas, die mit "Bloom, Red & The Ordinary Girl" sogar die besseren Dixie Chicks mimten. Wer das Album irgendwo zu greifen bekommt, darf sich ein Reinhören keinesfalls entgehen lassen.

Hmm, meine Eindrücke zu den Knüppel-Sensationen des Jahres 2007 fasse ich aus Rücksicht auf die stilistische Ausrichtung des Magazins besser kurz: Heaven Shall Burn haben mit "Deaf To Our Prayers" das definitive Statement zum Thema Metalcore abgeliefert, mit welchem es die Vertreter dieser Szene denn auch besser bewenden lassen sollten. Und Kataklysms diesjährige Schlachtplatte "In The Arms Of Devastation" überzeugte durch die finale Kombination von brutaler Härte und enormem Hitpotential. Beinahe unglaublich, wie souverän man diese beiden Pole miteinander fusionierte...

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