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|| Robert Krupar ||

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In den ersten Monaten des Jahres herrschte eine fürchterliche Kälte, die einem ganz tief in den Knochen hing. Erst als sich so langsam die herbeigesehnte Sonne zeigte und mit ihren Fühlern mehr und mehr die roten Nasen des langen Winters verarztet hatte, brach wieder das Gefühl von Beschwingtheit aus, welches die Wonnemonate eben so mit sich bringen. Ich meine da wohl unbewusst den Mai. Da ist ja jedes Jahr so einiges los: unter anderem findet da jedes Jahr das schönste Festival Deutschlands statt. So wurden aber auch in diesem Monat die Grundsteine für zwei meiner liebsten Alben des Jahres 2006 gelegt. Und was hat das mit dem Monat oder der Jahreszeit zu tun? In diesem Fall natürlich nichts - reiner Zufall. Doch bestimmt nicht manchmal die Jahreszeit die damit verbundenen Gefühlswelten? Ob ein Album innerliche Wärme durch ruhige, besinnliche, traurig-schöne Songs spendet oder ob fetzige Britpop-Platten gerade dazu prädestiniert sind die warme Luft auf dem Festivalgelände anzuheizen oder die Tanzfläche in den Clubs zu füllen wenn’s draußen vor der Tür fröstelt ist dann wohl alles Typsache.

Winter
03.02.06 An diesem Freitag kreuzten sich sozusagen zwei fantastische Bands in Hamburg und ich war mit von der Partie. Auf der einen Seite stand die Mannschaft von Death Cab For Cutie, die an diesem Abend ihren Auftritt in der Markthalle hatte. Dem gegenüber stand der grandiose Tomte-Auftritt kurz zuvor im Michell Record Plattenladen am Nachmittag. Ein Zufall für den nur Götter mit musikalischen Interessen verantwortlich sein können. Vor allem auch weil mit der Veröffentlichung von „Transatlanticism“ auf dem Grand Hotel van Cleef beide Bands ein Weile unter dem gleichen Dach wohnten. Die Vorzeichen standen auf: Unvergesslich. Gegen 18 Uhr präsentierten Tomte im völlig überfüllten Laden ihre „Buchstaben über Stadt“. Auch wenn die zwei vorangegangen Alben der Hamburger viel größere und wichtigere Meilensteine für mich sind, besitzen die neuen Songs wie zum Beispiel „New York“ oder „Ich sang die ganze Zeit von dir“ diese Textstellen, die mich berühren, mitreißen und auf eine ganz besondere Art auch motivieren. „Ich habe ein Gespür entwickelt / wie gut es mir geht / oh ein Kuss auf die Stirn / und danke für die Stunden / man fühlt sich als habe man die Liebe erfunden.“ Zum Glück haben sich Tomte nicht neu erfunden.

Frühling / Sommer
Der Band Kante begegnete ich zum ersten Mal dieses Jahr auf dem Bayreuther Uni Open Air als sich ihr Auftritt bei einem heftigen Sturm, der über der Wagnerstadt wütete, aus der Not heraus ins Foyer der Uni verlegt wurde. Die Umbauphase kam einem ewig vor, vielleicht sogar genau so lange wie die Kantefans sich auf den Langersehnten „Zombi“-Nachfolger „Die Tiere sind unruhig“ freuten. Und das warten hat sich gelohnt, damals in Bayreuth und auf den 04. August 2006 den Tag der Veröffentlichung der Platte. Die Hamburger gaben sich nach über zwei Stunden Umbau keine Blöße und präsentierten ein herausragendes Konzert mit einigen ihrer neuen Songs, die völlig überraschten. Und nicht nur Live überzeugten und beeindruckten Kante, auf ihrem Album schien es, als brachten die fünf Protagonisten genau die gleichen verzerrten Gitarrenwände, die ausgewogenen Klavierelemente und die klare Stimme von Peter Thiesen wie an jenem Abend in Bayreuth auf ihre Platte. Ich verschlang sozusagen alle Songs mit ihren verschiedenen Stimmungen und Eigenarten, mit allen groben und feinfühligen Momenten und Effekten, die ich erst nach mehrmaligen hören greifen konnte. „Die Wahrheit“ ist, dass sich das Album in den letzten Monaten bei mir nicht einmal abgenützt hat und mit dem Club-Konzert im September setzten Kante sich nicht nur mit dieser Platte ein Denkmal in meinem Herzen.

Das ein Jahr nie konstant verläuft ist klar. Das Leben macht es grad lebenswert wenn es einen mal mitreißt, mal einen untergehen lässt um dann wieder aufzustehen und zu sagen „Ich hab was gelernt“. Und manchmal plätschert es einfach mal ruhig dahin, ohne das irgendwas großartiges passiert und man mag es, man erfreut sich daran. Wenn dies dann allerdings ein paar Wochen lang andauert, spürt man gleich wieder den großen Stillstand und man muss unbedingt was ändern, weil es so ja nicht weiter gehen kann. Das ist Leben mit all seinen unterschiedlichen aber interessanten Fassetten. Genau wie Appleseed Casts „Peregrin“. Die vier Minuten Instrumentalmusik in "An Orange And A Blue" stehen für Ruhe und Ausgleich, bevor das mit Dramaturgie beladene „Mountain Halo“ aufblitzt und die vier Amerikaner ihre zerbrechlichen Augenblicke zelebrieren. Wenn diese überwunden sind fühlt man sich bei ihren hypnotischen Klängen so wohl und behütet, dass es die schlimmen und düsteren Momente vergessen macht und den Blick nach vorn richtet. „Peregrin“ ist voll bepackt mit unterschiedlichen Stimmungen, die jeden anderes fühlen und interpretieren lässt. Diese zu durchleben macht Spaß - mir jedenfalls.

Herbst
Mein musikalisches Herz sollte sich zu einem späteren Augenblick noch mal öffnen. Durch verzwickte Umstände hatte ich eine Karte für The Rifles im Heidelberger Karlstorbahnhof in der Tasche und wusste nicht so recht wohin mit meiner Meinung. Ich hatte den „Local Boy“ unbewusst auf einen Sommer-Sampler gepflanzt und verschenkt. Erst ein paar Monate danach, als die Bäume schon ihre Blätter verloren, bemerkte ich wie bei mir aus dem kleinen Setzling langsam etwas Großes wuchs. Erst mit ihrem Auftritt im September halfen mir die vier Londoner auf die Sprünge und gossen noch das letzte notwendige Wasser zum Wachsen von „No Love Lost“ nach.

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