Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Pipettes Interview

Monster Bobbys Girls


Rose.jpg

Rose

Im britischen Seebad Brighton muss es nicht gerade aufregend zugehen. Ein paar Möwen, der faulige Geruch von Seetang und ein paar Gestrandete, die im Touri-Müll nach Pfandflaschen suchen. Mehr kann es eigentlich da nicht geben, zumindest im Winter. Wie sonst lässt es sich erklären, dass ein Typ, der sich "Monster" Bobby nennt, zusammen mit drei hübschen jungen Frauen eine Doo-Woop-TweePop-Punkband gründet und ein ausgeklügeltes Konzept vorlegt, mit dem die Band die (Musik-)Welt im Sturm nehmen soll. Und es sogar tut! Rose, Beckie und Gwenno sind so bezaubernd, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als sich nach ihrer hinterhältigen Naivität die Finger zu lecken. Klar, da tauchen wieder die alten Rollenklischees auf. Aber die Pipettes sind genauso kontrovers, wie sie mitreißend sind. "We are The Pipettes", das Debütalbum, hat im ausgehenden Sommer tausende Fans gefunden.

Und jetzt, wo es rotzekalt wird hier in Deutschland, kann man ein paar sonnige Gemüter gut gebrauchen. Riot Beckie und Rose sind aber abseits der Bühne nicht gerade das, was man als Blaupause für 60s Girl-Group gebrauchen könnte. Rose dreht sich eine braune Zigarette nach der anderen, Becki sieht aus, als habe sie dreißig Tage nicht geschlafen. Aber immerhin sind sie jetzt "clean", wie sie beteuern. Nach ungläubigen Schweigen meinerseits wird das "clean" schließlich als "sauber" im Sinne von "frisch geduscht" übersetzt. Beruhigend. Als weibliche Doherty-Klone hätte man sich die Pipettes nun wirklich nicht vorstellen können.

Der Erfolg der Pipettes hat ja nicht lange auf sich warten lassen. Bei eurer ersten Deutschland-Headliner-Tour hat man euren Auftritt hier in Hamburg jetzt sogar verlegen müssen, weil der Andrang zu groß war. Überrascht euch das?
Beckie: Wow, das wussten wir nicht. Wir haben den Überblick verloren, was alles so durch die Presse geht. Und da wir kein Deutsch können, laufen wir quasi blind durch dieses Land und lassen uns von den Reaktionen der Menschen überraschen. Überhaupt ist dieses Tourleben wie ein Blase, in der du gefangen bist. Es ist unmöglich herauszufinden, was da draussen eigentlich vor sich geht.
Rose: Schlechte Dinge über uns kriegen wir dann aber doch mit, komischerweise. Gerade die Indie-Szene in England kann uns überhaupt nicht leiden. Aber das gefällt uns auch. Das war ja der Punkt, warum wir die Pipettes überhaupt gegründet haben: wir wollten Reaktionen provozieren. Menschen sollten auf uns reagieren, egal ob positiv oder negativ! Apathie ist das schlimmste was es gibt auf der Welt.
Beckie: Die UK-Presse verhält sich so kindisch. Sie glauben, sie hätten die Pipettes verstanden, dabei haben sie nicht mal an der Oberfläche gekratzt! Am wenigsten kann uns der NME leiden, weil wir keine Instrumente in der Hand halten und sie nicht verstehen können, was das ganze eigentlich soll, wo wir herkommen und wo wir hinwollen. Sie können nicht verstehen, dass wir tanzen, dass wir Spaß haben wollen, dass es uns egal ist, ob das jetzt cool ist oder nicht. Und sie haben sich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass "glückliche Menschen unsere Musik mögen, reale Menschen allerdings nicht". Wie verrückt ist denn das bitte schön?


RiotBeckie.jpg

Riot Beckie

Absurd!
Rose: Genau! Das scheint ohnehin ein großes Thema zu sein, was die Pipettes umgibt: wie akzeptiere ich die Tatsache, dass Menschen bei einem Konzert einfach bloß Spaß haben wollen!? Wir bemerken das ja auch auf unseren Konzerten. Viele Menschen, gerade auch die jüngeren Konzertbesucher, sind furchtbar verkrampft. Sie wissen einfach nicht, wie sie loslassen sollen. In England ist das besonders schlimm. Im krassen Gegensatz dazu steht Skandinavien, da flippen die förmlich aus.

Sind es die männlichen Rezensenten und Musikjournalisten, die euch verreißen?
Beckie: Nein. Witzigerweise wurde der journalistisch mieseste Artikel über uns von einer Frau geschrieben. Sie hat uns attackiert und versucht, fertig zu machen. In Anbetracht der Tatsache, dass Frauen im Musikbusiness so unterrepräsentiert sind, ist das eine besondere Schande. Es ist gerade so, als würde man als Musikjournalist eine Gay-Band attackieren, weil sie eine Gay-Band sind. Ihr ungefärer Wortlaut war: "Listen to the Long Blondes, they're cool. The Pipettes aren't, and i hate them!"

Warum ecken die Pipettes denn so an?
Rose: Ich glaube was viele Menschen irritiert ist die Tatsache, dass wir als Band eine gewisse Attitüde teilen. Außerdem fällt es gerade im Indie-Bereich vielen Hörern schwer zu akzeptieren, dass wir auf eher unnatürliche Weise entstanden sind. Da war von Anfang an ein Konzept, das ausgestaltet wurde. Und trotzdem sind wir wie eine Kommune, in der jeder einzelne von uns in die Prozesse involviert ist.

Besuchen mehr Männer oder mehr Frauen eure Konzerte?
Beckie: Nein, es gibt eigentlich keine klar erkennbare Zielgruppe, die unsere Konzerte besucht. Und das ist beruhigend, weil wir niemanden ausschließen wollen.

Habt ihr keine Angst, dass einige Männer eure Konzerte besuchen, weil sie eine Art Fun-Feminismus erwarten?
Rose: Es wäre naiv zu glauben, dass das nicht passiert. Aber das kümmert uns natürlich herzlich wenig, solange genügend Menschen da sind, die sich unsere Konzerte ansehen, weil sie unsere Musik mögen.

Also ist der Unterhaltungsaspekt so ziemlich das wichtigste an den Pipettes?

Beckie: Ja. Das war auch Bobbys und unsere Intention, von Anfang an. Es fing ja mit einem Scherz an. "Oh ja, wir haben gerade nichts zu tun, lasst uns eine dieser 60s Bands gründen!" Wir sind in den Proberaum, haben uns betrunken, Spaß gehabt und ganz nebenbei ist diese Musik entstanden. Und dann wurde das ganze auf einmal seriöser. Da war dieser erste Gig, wir wurden nervös, dann kam der zweite Gig, dann der Dritte, dann gingen wir als Support für British Sea Power auf Tour und auf einmal war aus dem Scherz etwas geworden, das unseren Alltag bestimmt. Und wir mussten auch lernen, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen, damit nicht nur wir unseren Spaß haben, sondern auch diejenigen, die Geld dafür ausgeben, uns zu sehen.
Rose: Für uns ist diese Art von Musik ein Eskapismus. Und wir würden es schön finden, wenn die Menschen auf unseren Konzerten ebenfalls die Realität für einen Moment ausklammern können und mit uns feiern. Kein Eskapismus im negativen Sinne natürlich, wie ihn viele Jugendliche heutzutage praktizieren.

Gwenno.jpg

Gwenno

Tanzen Männer aggressiver auf euren Konzerten?
Beckie: Das ist doch keine Gender-Frage! Bestes Beispiel: auf einem Konzert in England standen mitten im Publikum diese fünf Rugby-Spieler. Und was haben sie getan? Sie haben getanzt, wie 14jährige Mädchen! Es ist keine Frage des Geschlechts, ob du aggressiv tanzt oder nicht. Es ist eine Charakterfrage. Das ist das schöne an unseren Konzerten. Frauen und Männer stellen ihre Einstellung in Frage, lassen alte Rollenklischees draussen vor der Tür. Bei uns können sie sein, wie sie wollen. Gerade im Indie-Bereich ist immer wieder dieser Zwang, dass man bestimmte Dinge einfach nicht machen darf. Dass es Formen des Ausgelassenseins gibt, die einfach nicht sein dürfen. Das ist Quatsch.

Warum scheint ausgerechnet jetzt die Zeit reif für die Pipettes? Warum wollen die Menschen gerade jetzt diese Art von 60s Pop und Punk hören?
Beckie: Gerade in England gibt es im Moment diesen New Wave Hype, der einfach nicht abklingen will. Tausende von Bands versuchen verzweifelt zu klingen wie ihre Vorbilder aus den 80ern. Ihnen und ihren potenziellen Fans wird erzählt, dass sie das gefälligst hören sollen. Das ganze wird dann noch gepaart mit einer Glorifizierung der Selbstzerstörung, die wirklich widerwärtig ist. Klar, Selbstzerstörung war schon immer Teil des Rock'n Roll. Aber es wird inzwischen als Marketinginstrument benutzt, was gefährlich ist. Und dann tauchen auf einmal die Pipettes auf und viele merken: wow, das kann also auch Spaß an der Musik bedeuten.

In Deutschland gibt es diese unsäglichen Nostalgie-Shows. Würden die Pipettes bei einer "Das waren die 60er"-Show auftreten?

Rose: Wir benutzen Nostalgie als etwas postives. Wenn du Musik machen willst, die frisch und neu klingt, kannst du das nur mit einem tiefen Verständnis von Musikhistorie. Wir haben großen Respekt vor den 60s, in denen musikalisch so viel passiert ist. Selbst wenn du glaubst, du machst etwas komplett neues, ist immer schon jemand vor dir da gewesen, von dessen musikalischen Schaffen du profitierst. Wir sind aber ausdrücklich nicht daran interessiert, in diese Retro-Schublade gesteckt zu werden. Wir schauen vorwärts, wir sind keine Retro-Fetischisten! Wir leben nicht in einer Fantasiewelt, die 1965 stattfindet. Wir wollen nicht in der Vergangenheit leben.

Was ist denn das größte Missverständnis zwischen Männern und Frauen?
Beckie: Genau das! Dass es nämlich ein Missverständnis gibt. Jeder ist gleich, aber so viele Menschen sind damit beschäftigt, auf Teufel komm raus Unterschiede herauszustellen. Es gibt so eine Gangmentalität, dass man Gruppen einteilt, denen man sich dann zuordnen kann.

Die Pipettes folgen einem ausgeklügelten Plan. Jetzt seid ihr auf dem Weg nach oben. Was könnte euch noch in die Quere kommen?

Rose: Das schlimmste wäre, wenn wir den Glauben daran verlieren würden. Wir wollen schon eine erfolgreiche Pop-Band sein, auf jede kommerzielle, popkulturelle Art und Weise! Aber wir wollen das nur, wenn wir das auf unseren eigenen Idealen aufbauen können, wenn keine Manipulationen von außen in die Band eindringen.
Beckie: Wenn wir in ein paar Jahren zurückschauen, dann hören sich diese Äußerungen vielleicht etwas naiv an. Aber wir wollen eine enorm erfolgreiche Popband sein, die sämtliche Instrumente der Musikindustrie zu benutzen weiß, aber im selben Atemzug wollen wir uns Integrität bewahren und immer in den Spiegel schauen können! Ich hoffe inständig, dass das funktioniert! Wir wurden noch nicht enttäuscht, aber man muss dazu sagen, dass wir ja noch auf einem ziemlich kleinen Level agieren.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


Zum Seitenanfang

ERROR!