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The Long Blondes Interview

"Und wer fährt mich jetzt nach hause?"


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Wenn jemand die Long Blondes im Jahr 2005 bereits kannte, dann durch diesen einen Song, in dem eine Frau ihren Ex-Lover am Weihnachtstag wieder wegschickt, weil er irgendwas ziemlich verbockt hat. „You know what you did wrong and Christmas is cancelled this year“ sang Kate Jackson sehr bestimmt und wollte Weihnachten lieber alleine bei Fish und Chips verbringen.


Jetzt ist die erste Platte der Long Blondes erschienen. „Someone To Drive You Home“ heißt sie, und was die Texte betrifft, steht sie dem Anti-Weihnachts-Song von 2005 an Abgeklärtheit in nichts nach. 19jährigen Mädchen wird ans Herz gelegt, sich noch nicht auf eine feste Beziehung einzulassen und statt dessen mal die gleichgeschlechtliche Liebe auszuprobieren, an anderer Stelle wird über Selbstmord philosophiert. Die Prise Feminismus ist geblieben, und auch die Popmusik mit Versatzstücken aus Wave und Punk. Ein bisschen 80er-mäßig klingen die Long Blondes schon, weshalb Vergleiche mit den Pretenders oder Blondie natürlich nahe liegen. Doch es gibt noch eine Band, mit der das Quintett etwas gemein hat: mit Pulp. Nicht nur kommen die Long Blondes aus derselben Stadt (Sheffield), auch wurde ihr Debütalbum vom ehemaligen Pulp-Bassisten Steve Mackey produziert.

Kate Jackson wurde von der NME in die Top Ten der zehn coolsten Menschen der Welt gewählt, und auf allen Fotos sehen die Bandmitglieder aus wie von Kopf bis Fuß von einem Londoner Second-Hand-Profi eingekleidet. Umso überraschender, wie Reenie (Bass) und Emma (Gitarre, Keyboard) jetzt hier sitzen, ein bisschen schüchtern, aber unglaublich freundlich – so sind die Briten nun mal. Beide tragen ganz normale Klamotten, grinsen und Emma hat so eine Kette mit Delphinanhänger um den Hals, die sie gleich noch sympathischer macht. Sie wollen gar nicht mehr aufhören mit dem Erzählen. Und sie sind nicht geschminkt. Auf der Bühne später schon. Doch jetzt glaubt man auch Kate (die aus der Ferne auf einmal gar nicht mehr so stylish und cool wirkt), dass sie durchaus das eine oder andere Wochenende ganz ohne Makeup verbringt.

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Es kursieren so viele B-Seiten, Alternativversionen und Demos von euren Songs, dass man sich mühelos ein komplettes neues Album daraus basteln könnte. Ist euch das recht?
Reenie: Wenn wir eine Single produzieren, versuchen wir immer auch, eine B-Seite zu machen. Einige Bands machen Remixes oder Live-Tracks, aber wir bevorzugen es, gleich neue Songs rauszubringen. Vielleicht stellen wir die selbst bald alle auf einem Album zusammen.
Emma: Die Leute kannten uns nicht, bevor die Single rauskam. 7inch-Singles sind schwer zu kriegen, deshalb finde ich es okay, dass man sie im Internet anhören kann. Ich glaube, dass die Leute, die unsere Songs auf ihrem Computer haben, trotzdem eine Collection kaufen würden. Es ist schöner, alles auf einer CD zu haben, und das Booklet enthält interessante Informationen über die Entstehung der Lieder oder der Texte.

Warum ist „Christmas Is Cancelled“ nicht auf dem Album zu finden? Das wäre bestimmt für manche in der Weihnachtszeit ein Grund mehr gewesen, die Platte zu kaufen.
Reenie: Wir hatten vor, den Song in diesem Jahr neu aufzunehmen und als Single rauszubringen. Leider blieb keine Zeit mehr. Die alte Version wollten wir nicht mit auf das Album nehmen, weil wir dieses in einem Durchlauf von Anfang bis Ende durchproduzieren wollten.
Emma: Außerdem könnte ein Weihnachtssong die Platte für den Rest des Jahres irrelevant machen. Der Song ist aber seit kurzem auf unserer Myspace-Seite.
Reenie: Vielleicht nehmen wir „Christmas Is Cancelled“ nächstes Jahr mit einem Orchester auf. Mit Glocken und so.

Die Long Blondes hatten lange Zeit keinen Plattenvertrag. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Reenie: Wir wollten auf den richtigen warten. Wir haben Angebote bekommen, aber nicht besonders viele. Als wir begannen, mit Rough Trade zu verhandeln, wussten wir, dass sie genau die Richtigen für uns sind. Wir wissen bis heute nicht, warum wir so lange keinen Vertrag bekommen haben. Aber inzwischen ist uns das auch egal.

Warum Rough Trade?
Reenie: Wir haben die Idee eines unabhängigen Labels immer gemocht.
Emma: Die wirklich großen Labels haben die totale Kontrolle über ihre Bands. Rough Trade lässt uns genügend Freiraum, uns in der Musik und unseren Videos selbst zu verwirklichen.

In Artikeln wird ziemlich viel über euren Kleidungsstil geschrieben. War es geplant, aus Kate eine Stilikone zu machen?
Reenie: Nein, das war es nicht. Kate war schon immer so. Sie hat in einem Klamottenladen gearbeitet. Ich glaube, sie fühlt sich wohl in der Rolle. Sie braucht mehr Aufmerksamkeit als der Rest der Band. Zum Glück.
Emma: Ich könnte niemals die Frontfrau einer Band sein. Ich bin auch froh, dass Kate das übernimmt.

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Vertreten die Long Blondes einen gewissen intellektuellen Anspruch? Ihr habt alle studiert.
Reenie: Dorian schreibt die meisten Texte. Natürlich sind die davon beeinflusst, was er liest und sieht. Wir sehen uns aber nicht als eine intellektuelle Band. Andererseits wollen wir aber auch nicht mit anspruchsloser Musik in Verbindung gebracht werden. Manchmal ist es ganz angenehm, jemandem davon singen zu hören, dass er einfach nur eine gute Zeit hat. Aber ich bevorzuge Musik, die ein bisschen mehr in die Tiefe geht.
Emma: Wir sind ja auch älter als viele der neuen Bands, die gerade in England unter Vertrag genommen werden. Viele sind bereits bei einer Plattenfirma, bevor sie überhaupt ihr Studium beginnen. Das beeinflusst natürlich die Texte.

Was habt ihr studiert?
Emma: Geschichte und Buchwissenschaften.
Reenie: Medienwissenschaften. Ehrlich gesagt fühle ich mich auch hinter der Kamera wohler. Es ist ein komisches Gefühl, jetzt auf der anderen Seite zu stehen.

Emma: Ja, und auf der anderen Seite der Presse.

Ihr habt also kein Problem damit, wenn die Leute eure Musik nur beim Schminken oder zum Tanzen hören?
Reenie: Ich höre mit am liebsten Musik, wenn ich mich zum Ausgehen fertig mache. Bestimmte Musik kann einen dann in die richtige Stimmung versetzen. Deshalb finde ich es schön, wenn sich die Leute vor dem Weggehen die Long Blondes anhören.

Welche Musik hört ihr momentan während eurer Tour am liebsten?
Reenie: Ich höre andauernd das B-Seiten- und Raritäten-Album von Hefner.
Emma: Das kommt darauf an, was ich auf meinem Ipod habe. Momentan viel von der 80er-Band The Associates. Die hat Dorian nämlich auf seinem Ipod.

Dies ist eure erste offizielle Europa-Tour. Wie gefällt sie euch?
Reenie: Sehr gut. Wusstest du, dass wir unser erstes ausländisches Konzert in Dresden gespielt haben? Ich mag Dresden sehr gerne.

Ich habe euch das erste Mal 2005 bei „Trash“ in London gesehen.
Emma: Guter Gig, sehr alkohol-lastig... Da zum Beispiel war ich viel mehr aufgetakelt.
Reenie: Oh ja, wir trugen alle verschiedene Farben. Und Kate hatte diesen weißen Hut auf. Ich fürchte da haben wir es ein bisschen übertrieben...

Interview + Text: Silvia Weber
Fotos: Offizielle Pressefotos


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