Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Dan Sartain Interview

I’m fuckin’ sick of Johnny Cash

 

DanSartain3.jpg

Dan Sartain: "Can you make me a Snitzel?"

Dan Sartain ist enttäuscht. Soeben hat er erfahren, dass ich hier nicht der Koch bin und ihm deshalb auch kein Schnitzel braten kann. Die Enttäuschung wird noch größer, als er erfährt, dass ich wegen einem Interview hier bin. Nicht sein erstes an diesem Tag. Gerade eben hat er zwei Stunden für „Tracks“ (arte) still sitzen müssen und hat sich währenddessen mit Whiskey betrunken, wie er offenherzig zugibt. Der hagere Mann wirkt sehr getrieben, wie er bewaffnet mit seiner Lederjacke und seinem Gitarrenkoffer durch das Hamburger Molotow huscht. Ständig auf der Suche nach was auch immer. Aber selbst wenn er still in der Ecke sitzen würde, könnte man Dan Sartain schnell erkennen mit seinem Charakterkopf und dem fiesen Oberlippenbalken. Ein Mann, der nicht in seine Rolle gewachsen, sondern geboren wurde. Würde er einen Filmpart übernehmen, müsste er einen Junkie spielen, der Frontmann einer verspulten Tex-Mex-Band aus Birmingham, Alabama wäre. Und genau das ist Dan Sartain auch im wirklichen Leben. Zumindest das mit der Band ist Fakt.

Im Herbst 2006 wurde sein drittes Album „Join Dan Sartain“ veröffentlicht, das entweder euphorische Lobpreisungen eingefahren hat oder teilweise in den Medien überhaupt nicht beachtet wurde. Unverständlich eigentlich, denn mit seiner unaufgesetzten, kaputten Art und seiner Mischung aus Punk, Western, Country und beliebten Spielweisen aus dem Süden der USA müsste Dan Sartain eigentlich genau den Zeitgeist treffen. Eine Zeit, in der sich alle auf einen hilfsbedürftigen Peter Doherty stürzen und immer auf der Jagd nach dem nächsten großen Ding sind. Wahrscheinlich besser so, dass er bis jetzt von beidem verschont geblieben ist.

Als sich Dan Sartain nach kurzen Sprints zwischen Theke und Merchandisestand wieder im Backstageraum verkriecht, bin ich mir nicht sicher, ob er überhaupt registriert hat, dass ich ihn jetzt interviewen will. Hilft nichts, da müssen wir jetzt beide durch. Als ich den winzigen Rückzugsraum betrete, wimmelt es nur so vor Menschen. Es sind definitiv zu viele Menschen für das kleine Kabuff und auch ich komme mir mächtig fehl am Platz vor. Ein paar der Leute kann ich seiner Band zuordnen, wo ich den Rest hinstecken soll, weiß ich nicht; aber schließlich sind wir hier auf der Reeperbahn, da ist alles möglich. Deshalb überrascht mich Dan’s erste Frage auch kaum, als er wissen will, ob ich nicht ein wenig Haschisch für ihn hätte oder zumindest jemanden kenne, der etwas hat. Ich muss passen und bin froh, dass er mich nicht nach härteren Drogen gefragt hat. Dann kann das Interview beginnen.

DanSartain4.jpg

Videodreh zu "Replacement Man". Die
Gitarre ist nur Tarnung, gleich tritt Dan
mit einem langen Messer in Aktion.

Du hast gerade ein Interview fürs Fernsehen gegeben, hat das Spaß gemacht?
Dan Sartain:
Sie haben versucht mich mit einem Haufen Rockabilly-Fragen zu sabotieren.

OK, ich werde versuchen das Thema zu meiden. Im Ernst, ich hatte nicht vor dazu Fragen zu stellen.
Sartain:
Kein Problem, ich könnte den ganzen Tag dazu Fragen beantworten, aber für den Moment...

Reden wir über deinen musikalischen Ursprung. Gab es ein spezielles Ereignis, warum du unbedingt Musik machen wolltest oder ging es zunächst einfach nur ums Touren und das Musik machen selbst?
Sartain:
Es ging ganz klar erst mal ums Touren und all den Kram. Man hatte Sterne in den Augen und wollte einfach irgendwas machen. Es ging darum ein Konzert zu buchen, bevor man überhaupt eine richtige Band hatte. Man wollte etwas auf die Beine stellen. Inzwischen geht es mir einfach darum möglichst viele Shows zu spielen.

Sind die Sterne in deinen Augen immer noch da?
Sartain:
No, not at all. Da sind keine Sterne mehr (lacht höhnisch). Ich bin... einfach glücklich, so wie es gerade ist. Die Konzerte sind gut besucht, ich habe eine Frau und muss Geld verdienen und solange ich tun kann, worauf ich Lust habe und nicht gezwungen bin irgendetwas anderes zu machen, ist alles gut. Wenn es nach mir geht, soll es einfach auf diesem Level bleiben. Und ich weiß, dass es nicht für immer so bleiben wird und das Sachen kommen werden, die schlimmer sind.

Du hast also keine Ambitionen noch erfolgreicher zu werden?
Sartain:
Nein... (überlegt)... Nein.

Es gibt viele Tex-Mex-Elemente in deiner Musik, ist das die Musik mit der du aufgewachsen bist oder wie bist du zu dieser Spielart gekommen?
Sartain:
It’s more the mex than the tex und nein, es ist nicht die Musik mit der ich aufgewachsen bin. Ich habe mich einfach irgendwann dafür interessiert. Aufgewachsen bin ich mit Crosby, Stills, Nash & Young, Jackson Brown und James Taylor. Die Grundlagen für meinen Stil habe ich gefunden, als ich meinen eigenen Musikgeschmack entwickelt habe.

Was hat dich daran gefesselt oder fasziniert?
Sartain:
Schwer zu sagen. Es hörte sich einfach cool an. Irgendwer hat mir mal gesagt, dass das alles ziemlich kitschig wäre, aber mich packt es einfach. Ich liebe alles daran. Zum Beispiel die Akkorde.

Hast du dir schon mal überlegt Musik für einen Film zu machen, denn wenn ich mir dein Album anhöre, muss ich immer sofort an einen Soundtrack und den dazugehörigen Film denken.
Sartain:
Ja, wir arbeiten gerade an so einer Sache. Musik beginnt bei mir immer mit irgendeiner Fantasie. Ich stelle mir zum Beispiel vor mit welchen Musikern ich gerne arbeiten würde oder Musik, in der ich mich einfach wiederfinden kann. Wenn das nicht geht, lasse ich die Finger davon. Man hört oft davon, dass sich Musiker Filme ansehen, um sich dabei inspirieren zu lassen und Melodien oder Beats zu entwickeln. Bei mir ist das noch intensiver: Wenn ich einen Film anschaue, der mir wirklich gefällt, dann versuche ich im Kopf dazu einen Soundtrack zu schreiben. Ich wünschte ich hätte den Soundtrack zu „Rocky Balboa“ aufgenommen, denn da hätten sie echt mal einen besseren Job machen können (lacht). Ich würde auch gerne den Soundtrack zum neuen „Transformers“ Film machen, aber ich glaube da geht nur was mit Heavy Metal.

Du hast also permanent irgendwelche Bilder oder sogar Filme im Kopf, wenn du Songs schreibst.
Sartain:
Ja, auf jeden Fall. Manchmal wünschte ich mir es würde einfach aufhören.

Aber dann hättest du ein Problem.
Sartain:
Nein. Ich glaube... das wäre normal, goddamnit (lacht). Ich fühle mich ansonsten nämlich ein bisschen irre. Der einzige Unterschied zwischen Wahnsinnigen und Musikern ist ja auch nur der, dass Musiker mit ihrem Wahnsinn irgendwas anfangen können. Aber da bin ich wohl nicht der erste, der auf diese Erkenntnis stößt.

In deinem Video zu „Walk among the Cobras“ trägst du verschiedene Masken, ist das auch ein wichtiger Teil von dir, unterschiedliche Rollen anzunehmen? Auch auf der Bühne zum Beispiel?
Sartain:
Das kommt sehr aufs Publikum drauf an. I used to be a bad performer and a good entertainer. Inzwischen ist es umgekehrt, ich bin ein besserer Performer und ein schlechter Entertainer. Früher war ich richtig, richtig... RICHTIG lustig auf der Bühne, jetzt aber nicht mehr. Ich bin verrückter glaub ich (blickt etwas verwirrt durch den Raum).

Join_Dan_Sartain.jpg

In dem angesprochenen Video überfährst du mit dem einen Charakter den anderen. Auf deinem Albumcover bläst du dir die Rübe weg und deine Texte sind voll mit dem Thema Tod. Da liegt die Frage nahe, ob du ein selbstzerstörerischer Typ bist.
Sartain:
Yeah! (grübelnd) YEAH! (triumphierend) Ich meine, Selbstmord ist etwas, über das jeder mal nachdenkt. Ich habe da an Alice Cooper gedacht, wie er sich auf der Bühne aufgehängt hat oder die alten Fotos von James Dean, die sehr cool aussehen, wie er sich selbst erhängt hat. Und dann hat mich noch dieses blöde Misfits-Poster inspiriert, wo JFK das Hirn weggeblasen wird. Es ist also nichts Neues, aber ich mag morbides Zeug auf jeden Fall sehr gerne. Ein heikles Thema in meiner Heimat Alabama, wo alle Angst davor haben, dass ihre Kinder Teufelsanbeter werden. Verdammt noch mal, ich habe schon so viele Wahnsinnige getroffen und kein einziger von ihnen war ein Teufelsanbeter. (verstellt die Stimme) Dieses Jahr werde ich der Teufelsanbeter sein und ich hoffe, dass ich nach meinem Tod in die Hölle komme und Satan mein Gott sein wird (lacht dämonisch).

Lass uns über dein anderes Video zu „Replacement Man“ reden. Da spielst du vor einigen Countryfans, die du dann kurz darauf umbringst. Sollte der Clip einfach witzig sein oder steckt da die Botschaft drin, dass Mainstream-Country totaler Mist ist?
Sartain:
Ja, genau um diese Message geht es. Das freut mich, dass du sie herausgelesen hast (freut sich wie ein kleines Kind). Natürlich sollte das Video einfach lustig sein, aber es ging auch darum die klischeehaften Country-Fans umzubringen. Es war sehr schwierig diese Statisten aufzutreiben, die all diese blöden Tänze konnten. Wir haben dann zwei Tage vor dem Dreh ein paar aus Kalifornien auftreiben können. Es war dann allerdings nicht ganz leicht ihnen erklären zu müssen, dass sie im Video umgebracht werden.

Ich schätze, sie haben sich darüber gefreut.
Sartain:
Naja, immerhin haben sie mir danach noch die Hand gegeben.

Sie wurden ja dafür bezahlt oder?
Sartain:
Nein (grinst). Sie haben nicht wirklich was dafür bekommen. Wir haben ihnen gesagt: „Hey, you will all become famous...“ (lacht).

Der NME hat dir das Label “Postpunk-Johnny Cash” aufgedrückt, bist du glücklich darüber?
Sartain:
Wenn ich sage, dass ich unzufrieden damit bin, bedeutet das dann, dass sie aufhören über mich zu schreiben? (lacht) Ich mag das nämlich, wenn sie über mich berichten... Also ich würde mich selbst nicht so bezeichnen, ich würde mich von allem fernhalten, was Johnny Cash betrifft. Denn man wird sehr enttäuscht, wenn man mich kriegt und sich auf irgendwas mit Johnny Cash gefreut hat. Ich habe ihn wirklich sehr gemocht, but I’m fuckin’ sick of Johnny Cash now. Ich will mindestens fünf Jahre nichts mehr von ihm hören. Seit seinem Tod ist er einfach überall.

Es wird schwer sein diesen Begriff wieder abzuschütteln, weil ihn inzwischen so viele benutzen.
Sartain:
Ich glaube die Leute, die mich mit dieser Bezeichnung in Verbindung bringen, haben sich nicht besonders ausführlich mit Johnny Cash beschäftigt. Ich aber schon und deshalb kann ich sagen, dass wir nichts miteinander zu tun haben.

Was steht demnächst an, du hast erwähnt, dass du Musik für einen Film machen willst.
Sartain:
Wir drehen gerade eine DVD mit dem Titel „Dan Sartain lives“, dafür will ich Musik machen. Außerdem probier ich gerade an etwas herum, wofür ich schon sieben oder acht Songs habe. Sie handeln alle von Seefahrern und dem Meer. Aber ich glaube das wird kein richtiges Album, sondern mehr etwas für echte Fans.

Hast du auch schon Pläne für ein richtiges Album?
Sartain:
Ja, dafür habe ich auch schon acht Stücke geschrieben. Ich hoffe, dass ich sie mit einem Orchester aufnehmen kann und diese Platte soll dann viel besser produziert werden. Man hat mir beim aktuellen Album vorgeworfen, es wäre schon zu gut aufgenommen. Das ist völliger Quatsch, denn meine Lieblingsalben sind alle fantastisch produziert, warum sollte ich also schlechte Aufnahmen wollen. Es wird verdammt viele Streicher und Bläser enthalten! Wer mein aktuelles Album schon nicht mehr mochte, wird das nächste hoffentlich richtig hassen! (zelebriert ein finales Lächeln)

Interview und Text: Sebastian Gloser
Fotos: Pressefreigaben



ERROR!