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Interview mit !!! (Chk Chk Chk)

Now...That Was Punk!

 

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Nic Offer stürzt aus dem engen Molotow wie ein Gejagter und steht mit blankem, bierbäuchigem Oberkörper in der kühlen Frühlingsluft. Er atmet eigentlich nicht, er keucht und gestikuliert. "Now...that was Punk!" kreischt er schrill und lacht sich dabei halb tot. Wenige Minuten vorher hatte er sich auf der Bühne des ausverkauften Clubs noch das T-Shirt ausgezogen und ausgewrungen. Literweise Schweiß tropften zu Boden, überall im Raum klebten Körper aneinander, alles war hypnotisch, miteinander verbunden. Ein unglaubliches, mitreißendes KOnzert war das gewesen. Das weiß auch Nic. "Es war eigentlich gar nicht so sehr die Hitze, die mir da unten zugesetzt hat", hechelt der Frontmann und zeigt auf die Treppe des Clubs, "es war vielmehr der fehlende Sauerstoff. Ich war kurz vorm Kollaps!" Trotzdem, eines der besten Konzerte der !!!-Geschichte, nach eigenem Bekunden.

Am sonnigen Spätnachmittag sah er noch etwas fitter aus. Da saß man zusammen in der Frühlingssonne und plauderte. Nic ist ein Plaudertyp. Gib ihm ein Stichwort, stell das Diktiergerät an, lass ihn reden. Das Gute dabei: er redet keinen Stuß. Seine Band, seine achtköpfige Band, um genau zu sein, ist konzeptuell verknotet. Nic weiß genau, was !!! sind. Und wo sie hin wollen. Das war schon auf "Louden Up Now", ihrem Durchbruch-Album 2004, so. Und das ist auch auf dem neuesten Streich, "Myth Takes" nicht anders. Warp Records, die !!! unter Vertrag haben, nennt es "a cut’n’paste pop art sound-splash built from lupine post-punk bass patterns, spaghetti western guitars, African polyrhythms, house bleeps and vintage Philly soul". Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Über den Bandnamen sollte man ohnehin kein Wort verlieren. Der ist nunmal einsilbig. Chk Chk Chk, !!!, öff öff öff - ist doch egal. "Bloß scheiße beim Googlen!", sagt Offer und lacht herzlich.

Warum aber nun ein Gespräch über Punk? Sind !!! Punk? Oder Disco-Punk? Funk? Warum ausgerechnet diese achtköpfige Band, und nicht - Dustin's Bar Mitzvah? Oder Distillers? Nun, nach diesem Abend im Molotow ist klar, warum !!! Punk sind - wegen der unbedingten, unmittelbaren Live-Energie...

Sind ChkChkChk eine Punkband?
Viele nennen das, was wir machen, Disco-Punk oder Funk-Punk. Das ist schon okay, damit kann ich mich abfinden. Das erstaunliche am Punk ist ja, dass er in jedem Land etwas anderes bedeutet. Traurig finde ich nur diejenigen, die heute noch im Ramones T-Shirt rumlaufen und glauben, das wäre in irgendeiner Art und Weise Punk.

Du hast in einem Interview gesagt: "Punk erneuert sich alle zehn Jahre". Wo steht Punk jetzt?
Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt einschätzen kann. Punk ist eine Jugendbewegung. Punk ist Rebellion. Punk ist Wut. Ich bin jetzt 32 Jahre alt, wie wütend kann ich denn noch sein? Punk ist eine Frage der Generation. Und die ältere Generation kann die jüngere nie so ganz verstehen. Ein 40-jähriger Metal-Freak wird Nu-Metal Ende der Neunziger auch nicht gerade toll gefunden haben. Aber es war etwas neues. Das ist bei Punk genauso. Als wir angefangen haben, fand uns jeder zum kotzen. Und sieh dir an, was jetzt plötzlich alles so rumgeistert.

Also ist Punkmusik vor allem für die Jüngeren?
Es gibt Elemente in mir, die werden immer Punk bleiben. Aber generell fühle ich mich einer Punk-Szene nicht mehr zugehörig. Ein Freund von mir meinte neulich, dass du dir die Musik, die du hörst, nicht aussuchen kannst. Sie wählt dich. So gern ich auch sagen würde, dass ich noch Black Flag höre: ich kann mir keinen Moment in meinem Leben vorstellen, in dem ich eine Black Flag Scheibe auflege.

Punk hat immer auch ein politisches Sendungsbewußtsein. Glaubst du, dass das heute noch so ausgeprägt ist?
Im Moment ist es nicht gerade in Mode, besonders politisch in seinen Texten zu sein. Das finde ich aber auch nicht schlimm. Wenn man nichts zu sagen hat, sollte man es lassen. Wenn man als Künstler politisch nicht relevant sein kann, dann sollte man es auch bitte nicht versuchen. Als Punk Ende der Siebziger aufkam, da war es relevant, da brauchte man diese Form des musikalisch-politischen Ausdrucks. Fuck This, Fuck That. Das war geradezu revolutionär. Wenn du das heute machst, klingt es irgendwie peinlich. And not fresh! Vielleicht ändert sich das bald. Dass die Leute angepisst sind davon, dass keiner mehr etwas zu sagen hat...

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Äußert sich die Bedeutungslosigkeit der ursprünglichen Punkmusik darin, dass man heute zum Beispiel Dance und Electro mit Punk kombiniert?
Nein, Re-Interpretation ist einfach nur ein natürlicher Prozess. Das hat Rockmusik ja auch schon mit dem Blues getan. Blues war als schwarze Musik bedeutungslos geworden, bis die Rockmusik den Blues wieder aufgegriffen hat. Das ist mit Funk genauso. Funk und Disco sind der neue Blues. Die Weißen intepretieren diese ehemals schwarzen Musikstile komplett neu. Und das wird mit Hip Hop in naher Zukunft ebenfalls passieren.

Manchmal hat es den Anschein, als sei die Kombination von Musikstilen der Herangehensweise an einen Hollywood Blockbuster nicht ganz unähnlich: Dinge zu kombinieren, die beide schon existieren, um damit einen hundertprozentigen Kassenschlager zu landen...
Ja, das ist eine passende Definition. Disco-Punk oder New Rave, das hat irgendwie den Anschein, ein ziemlich ausgeklügelter Plan zu sein. Als sitze da jemand in den Chefetagen und plane das ganze. (wird leiser) Es hört sich vielleicht ungerecht an, aber wir werden auch heute abend wieder vor 150 Menschen spielen, die genau diese Art von Musik hören wollen. Disco-Punk. Funk-Punk. (wird wieder lauter) Ich habe auf meinem iPod eine Sammlung von 70s Bands. Die hören sich alle gleich an. Jede einzelne Glam-Rock-Band klingt wie eine verdammte Sweet-, T-Rex- oder David Bowie Kopie. Das gibt es also schon immer: einige wenige originelle Künstler und eine Heerschar an Kopien.

Aber diese Stil-Wellen, die sich durch die Jahrzehnte ziehen, woran liegt das?
Weil junge Bands immer auch die Musik verarbeiten, die sie als Jugendliche gehört haben. Das war ja bei mir auch nicht anders. Ich habe die Ramones verarbeitet, 50s und 60s Musik...

Aber ist es nicht erstaunlich, dass bestimmte Genres heute eine immer kürzere Halbwertszeit besitzen? Punk brauchte Jahre, bis er tot war. Bei New Rave werden schon die vermeintlichen Erfinder, wie die Klaxons, als Totengräber des Genres bezeichnet.
New Rave ist aber keinesfalls mit Punk zu vergleichen! New Rave ist nur eine Sub-Bezeichnung, kein eigenständiges Genre. Punk war ein Urknall. Es gab da Country, Rock'n'Roll, Rock, Pop - und plötzlich Punk. Das ist heute ein ganz natürlicher, verinnerlichter Begriff. Das war wie ein gigantischer Stein, der ins Wasser fiel und große Wellen nach sich zog. New Rave ist eigentlich nur ein Kieselstein.

Fühlst du eine gewisse Punk-Mentalität auf der Bühne?

Ja. Einfach loszulegen. Mit aller Kraft Musik machen. Klar. Das ist Punk.

Ihr seit meistens acht Bandmitglieder auf der Bühne. Wie technisch ist die Band ChkChkChk?
Es ist eine ganz gesunde Mischung. Wir haben grandiose Musiker. Aber auch ziemlich schlechte. Ich bin ein beschissener Sänger. Und Schlagzeugspielen kann ich auch nicht besonders gut.

Wie spontan könnt ihr als Kollektiv sein?
Sicherlich spontaner als viele andere Bands, die unserem Genre zugerechnet werden.

Danke für das Interview, Nick!
Gern geschehen. Aber eines möchte ich gern von dir wissen...

Was?
Bist du ein begeisterter Punk-Hörer?

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Nein, eigentlich nicht. Jedenfalls kein traditioneller Punk. Ich verstehe Punk eher als musikalische Herangehensweise. Das hat mich an Chk Chk Chk auch so fasziniert - dass ihr sowohl verstört als auch begeistert. Das macht Punk für mich aus: die Verbindung von etwas Verstörendem mit eingängigen Pop-Melodien.
Ja, das sollte Punkmusik sein. Irgendwie penetrant, ohne dabei völlig durchzudrehen. Ich kann auf Platte natürlich 75 Minuten ins Mikro brüllen und sagen, das ist Punk, nur weil das keiner versteht.

Für mich war ja auch das Weiße Album der Beatles Punk, schon wegen "Number 9"...
Wenn du so anfängst, kommst du aber vom Hundertsten ins Tausendste. Aber ich verstehe, was du meinst. Es müssen in der Musik immer Gewohnheiten und Traditionen gebrochen werden, damit etwas neues entsteht. Aber wenn man das als Punk bezeichnet, wäre auch Freejazz Punkmusik.

Welche musikalische Sozialisation hast hinter dir? Warst du auch Szenen-zugehörig?
In der High School war ich der typische Smiths und Depeche Mode Fan. Das hat sich dann irgendwann in Black Flag und Fugazi geändert. Ich habe irgendwann in der Punkband The Yahmos gespielt. Da ging es eigentlich fast nur darum, wie verrückt auf der Bühne herumzuspringen. Jeder verdammte Song handelt bloß vom beschissenen System, hahaha.

Interessant, dass du erst Smiths und später Black Flag gehört hast...
Keine Ahnung warum. Wahrscheinlich, weil die ersten Punkbands, die man mir gezeigt hat, kompletter Schrott waren. Ich habe ja auch die schlechte Sex Pistols Platte vor der guten Sex Pistols Platte gehört. "The Great Rock'n'Roll Swindle", einfach nur langweilig. Das war bei Black Flag auch so. Zu der Zeit haben auch alle, die sich als Punks bezeichneten, dieses verfluchte Exploited T-Shirt getragen. Dann habe ich mir mal The Exploited angehört und sie bis aufs Mark gehasst. Das war so unendlich schlecht. Die einzige Punkband, die ich von Anfang an mochte, waren die Dead Kennedys.

Interview und Text: Robert Heldner
Fotos: offizielle Pressefreigaben


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