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Lavender Diamond Interview

Chicken Soup for Peace Child

 

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Im Zeichen moderner Kommunikationsmittel und in Zeiten von permanenter Erreichbarkeit ist es umso schöner, wenn mal alle Möglichkeiten versagen. Als wir uns mit dem Auto Richtung Köln aufmachen, um das Konzert von The Decemberists zu sehen und vorher deren Support Lavender Diamond zu interviewen, geht der Handy-Akku bereits nach wenigen Kilometern auf der A3 bankrott. Der Promoter hat damit keine Chance uns darüber zu informieren, dass unsere Interviewpartnerin Rebecca „Becky“ Stark krank geworden ist und deswegen alle Interviewtermine abgesagt hat. Das erfahren wir erst, als wir frohen Mutes und mit einem smarten Lächeln den Tourmanager ansprechen. Unser Lächeln wird nicht erwidert.

Weil Becky - Sängerin von Lavender Diamond - aber ein großes Herz für Weitgereiste hat, kriegen wir doch unsere Chance. Eingewickelt in einen dicken Schal steht sie da und sieht so aus, als würde sie jetzt lieber schlafen. Das hat sie nach eigenem Bekunden aber schon den ganzen Tag gemacht. Die Begrüßung ist überaus freundlich und die Aussicht auf eine warme Hühnersuppe beim Vietnamesen um die Ecke, macht Becky schnell gesprächig. Schlagzeuger Ron Rege Jr. kennt den Weg dorthin und ist nicht minder sympathisch. Nachdem die Speisekarte inspiziert und die kitschige Tisch-Deko entfernt wurde, kann es losgehen.

Ihr hattet gestern einen Off-Day, was habt ihr unternommen?
Becky: Wir sind nach unserem Auftritt noch einen Tag in Brüssel geblieben und wollten uns eigentlich nur gemütlich in ein Café setzen, aber stattdessen sind wir ewig durch die Stadt spaziert, während es ohne Ende geregnet hat. Eine ziemlich blöde Idee.

Aber immerhin habt ihr etwas von der Stadt gesehen, diesen Luxus hat man ja nicht oft auf Tour.
Becky: Ja, ich versuche in den Auftrittsorten immer möglichst viel über deren Geschichte zu erfahren. Ich finde es interessant, wie verschieden die ganzen Städte in Europa sind und auch wie sie sich von amerikanischen Städten unterscheiden. In Europa haben die meisten Orte eine viel längere Geschichte, das ist sehr spannend. Man kann auch einiges über die kulturellen Eigenheiten und Traditionen erfahren. Ich habe gesehen hier in Köln ist so ein großes Festival.

Festival...? Ah, du meinst Karneval.
Becky: Oh, das ist Karneval und kein Festival. Stimmt, wir haben so eine Frau mit einem lustigen Hut gesehen, sie sah sehr verrückt aus.

Der Karneval hat aber nicht mehr viel mit Traditionen zu tun, sondern mehr mit Alkohol trinken.
Becky: Das kann ich mir vorstellen... Ich habe auch viel über den Dom gelernt und welche Überreste von welchen Bischöfen dort liegen.
Ron: Was du alles gemacht hast. Ich habe den Dom nur von außen gesehen.
Becky: Ja, ich gebe zu die ganzen Infos habe ich auch nur aus dem Internet (lacht). Als Kind bin ich nie zur Kirche gegangen, vielleicht hole ich deswegen jetzt so einiges nach.

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Auch später ist Becky wohl eher ein seltener Gast in der Kirche gewesen. Darf man ihrer Biografie glauben, zog es sie in den frühen 90ern wohl vor allem in den Dunstkreis von Punk und Post-Hardcore in die Szene um Washington D.C.. Schwer vorzustellen, dass Fuganzi & Co. sie zur frommen Kirchgängerin gemacht haben. Genauso wenig scheint es allerdings zusammen zu passen, dass die ehemalige Punk-Hörerin heute Folkpop macht. Der Umzug nach Los Angeles hat dazu sicher ein wenig beigetragen. Das Debütalbum „Imagine Our Love“ ist ein verhaltenes, manchmal fast schüchternes Stück Musik, das nach und nach wunderschöne Melodien offenbart, mit puristischen Stilmitteln auskommt und trotz einer tief melancholischen Seite immer positiv bleibt.

Das liegt wohl vor allem am markanten Gesang von Becky und ihren hippiegeschwängerten Botschaften, die den Grundstein der meisten Songs bilden. Man mag seinen Ohren zunächst kaum trauen, als Becky im Interview auf die Inhalte von Lavender Diamond zu sprechen kommt und von so verpönten Schlagwörtern wie Liebe, Frieden und Freude spricht. Keine Miene verzieht sie bei Sätzen wie: „Unser Ziel mit Lavender Diamond ist es Liebe zurück in die Welt zu bringen.“ Oder: „Wir glauben daran, dass die Welt viel friedlicher wäre, wenn sich alle Menschen mehr auf die Liebe konzentrieren würden, die sie geben können.“ An diesem Punkt, kann man als Zuhörer nur zwei Richtungen einschlagen: müde lächeln und abwinken oder ihre süß naive Art für erfrischend sympathisch befinden und weitermachen. Wir entscheiden uns für Letzteres.

Ihr seid auf dieser Tour der Support von den Decemberists und habt sie davor bereits in den USA begleitet. Seid ihr mit ihnen befreundet?
Becky: Eigentlich nicht, sie haben uns einfach gefragt, ob wir als Support mitkommen möchten. Wir kannten bis dahin ihre Musik nicht, hatten sie noch nie gesehen und kannten nicht einmal ihren Namen. Wir hatten auch noch nie so eine lange Tour quer durch die USA gespielt, also haben wir ganz schnell zugesagt (grinst). Dann haben wir uns überhaupt erst mal ihre Musik angehört, ein paar Songs im Internet, und dachten uns: „Hurra, die machen ja sogar großartige Musik!“ (lacht). Es hat sich als wirklich gute Idee herausgestellt und das Witzige ist: Ein Freund von uns in Los Angeles arbeitet für Capitol Records, also für das Label der Decemberists und er hat uns sozusagen vermittelt und ihnen empfohlen uns mitzunehmen und als wir ihnen dann am Ende der Tour unsere EP geschenkt haben, waren sie ganz überrascht und meinten: „Oh, ihr habt ja schon eine Veröffentlichung!“ Es stellte sich heraus, dass sie unsere Musik ebenfalls nicht kannten, als sie uns wegen der Tour angefragt hatten (lacht).
Ron: Ganz schön mutig von ihnen uns trotzdem mitzunehmen (grinst). Am letzten Tag unserer US-Tour meinten sie dann: „Hey, wir gehen in Europa auf Tour und brauchen noch einen Support, wollt ihr da nicht auch mitkommen?“
Becky: Wir harmonieren wirklich gut miteinander, wobei es manchmal nicht ganz einfach ist mit ihnen mitzuhalten, denn gerade ihr Live-Sound ist sehr rockig und laut, dagegen verblassen wir mit unserem Folkpop etwas, vor allem wenn das Publikum etwas anderes erwartet. Es ist an manchem Abend also schon harte Arbeit, aber dafür wird man belohnt, weil man viel herum kommt und so viele verschiedene interessante Menschen trifft.

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In Brüssel habt ihr in einem Art botanischen Garten gespielt.
Becky:
Es war großartig, überall diese schönen Blumen. Das ist sowieso das Beste an den Touren mit den Decemberists. Wir spielen fast nur in wunderschönen Clubs, in den USA sind wir sehr oft in Theatern aufgetreten.

Du hast früher selbst viel Theater gespielt.
Becky:
Ja, das stimmt. Das verbindet einen auch mit den Decemberists. Wir haben beide eine Vorliebe für Kostüme. Generell finde ich es gut, dass dadurch das Theater wieder etwas mehr Beachtung findet, denn junge Leute gehen dort heute nicht mehr so oft hin. Im Vergleich zu einem Konzert, achtet das Publikum beim Theater auch vielmehr auf das, was auf der Bühne passiert. Diesen Gedanken versuchen wir auch bei unserer Show umzusetzen. Wir wollen das Publikum unterhalten, damit es auch richtig aufpasst und zuhört. Ich glaube in Zukunft werden unsere Auftritte noch mehr in diese Richtung gehen. Wir werden versuchen mit unserem Auftritt echte Theaterstücke nachzuempfinden.

Du hast russische Literatur studiert. Noch eine Parallele zu den Decemberists.
Becky:
Richtig. Ihr Name kommt von der russischen Revolutionsbewegung. Ich habe mich schon immer für die russische Geschichte interessiert. Im Alter von 13 Jahren kam ich im Rahmen eines Schüleraustauschs in die damalige Sowjetunion. Das ganze nannte sich „Peace Child“ und man hat wirklich viel von Russland gesehen. Es war eine tolle Gemeinschaft, wir haben zusammen ein kleines Theaterstück geschrieben und Songs über unsere Freundschaft gesungen. Das war eine schöne Erfahrung und der Grund, warum ich dann später russische Literatur studiert habe. (Auftritt: Hühnersuppe) Und jetzt könnt ihr uns etwas über euch erzählen (lächelt und vertieft sich in ihren Pott mit warmer Brühe).

Interview: Sebastian Gloser und Verena Kurz
Text: Sebastian Gloser
Fotos: Pressefreigaben / MySpace


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