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iLiKETRAiNS Interview

Morbide Geschichtsstunden mit ordentlich Lärm im Gepäck

 

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2007. Retro war gestern und recycelt wurden inzwischen auch schon fast alle Stile, die irgendwann einmal in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtig oder dominant waren. Sogar New Rave gibt es. Wer jetzt aus der Musiklandschaft herausstechen will, muss schon besonders sein. Äußerlich auffällig und musikalisch herausstechend. iLiKETRAiNS sind auf einem guten Weg und könnten zumindest in der englischen Presse so etwas wie einen Hype auslösen. Dabei passen sie kein bisschen in das moderne Schema und eingängige Schubladen. Hier geht es nicht um Postpunk oder Britpop. iLiKETRAiNS sind fünf kauzige, zum Großteil bärtige Typen, die sich in klassische Uniformen von britischen Eisenbahnbeamten hüllen und eine Vorliebe für Lieder haben, die das gewohnte Songformat locker sprengen.

Wer die Band beschreiben will, kommt früher oder später nicht um den Begriff „Kopfkino“ herum. Wer Gefallen an iLiKETRAiNS finden will, muss Zeit mitbringen und darf sich nicht an einer morbiden Stimmung stören. Fans von Instrumentalmusik, die auch mal ausbricht und von düsteren Vocals begleitet wird, sind hier genau richtig. The Birthday Party werden sicherlich immer wieder als Vergleich herhalten müssen. Bassist Alistair Bowis verortet die Einflüsse folgendermaßen: „Wir mögen Musik, der man wirklich seine Aufmerksamkeit widmen muss, bei der man sich anstrengen muss, um belohnt zu werden. Künstler und Bands wie Nick Cave, Sigur Ròs oder Scott Walker kreieren mit ihrer Musik jeweils eine fantastische Atmosphäre, wie wir es selbst auch schaffen wollen.“ In den selben Topf mit den genannten Gruppen möchte er iLiKETRAiNS natürlich nicht werfen und überhaupt fällt es bislang schwer die Band einzuordnen. „Wir wurden zunächst unter der Marke Post-Rock einsortiert, aber nur weil wir Elemente davon in unserer Musik haben, sind wir noch lange nicht Post-Rock. Inzwischen hat die Musikpresse das Genre „History-Rock“ entworfen, das passt zwar thematisch sehr gut, allerdings haben wir wenig gemein mit den anderen Bands, die sie auch dort einordnen.“

Schubladendenken bringt offensichtlich nichts, vielleicht hilft da die Herkunft weiter: Ihr kommt aus Leeds. Seid Ihr dort mit anderen Bands befreundet und fühlt Ihr Euch als Teil der britischen Musikszene oder hat das für Euch keine Bedeutung?
Als wir angefangen haben, hatten wir fast keine Beziehungen zu anderen Bands. Je öfter wir dann aufgetreten sind, desto mehr haben wir dann kennen gelernt. Inzwischen gibt es dort wirklich eine Community, in der wir uns zu Hause fühlen und in der jeder bereit ist den anderen zu helfen, wo man nur kann. Bands wie ¡Forward Russia!, This Et Al oder Napoleon IIIrd und viele andere sind uns immer wieder über den Weg gelaufen. Es gibt im Moment so viel unterschiedliche Musik in Leeds, it would be impossible to list everyone who is doing amazing stuff und neue Bands kommen ständig empor. Es ist ein aufregender Ort. Teil der Szene in Leeds zu sein ist deutlich greifbarer, als Teil der britischen Szene zu sein. Jede Stadt oder Region hat ihr eigenes Ding und da gibt es wenig Verbindungen untereinander, obwohl wir natürlich auch ein paar Bands von woanders kennen gelernt haben mit denen wir so oft wie möglich spielen. Dazu gehören unter anderem Redjetson und Strange Death of Liberal England.

Dieser Tage erscheint in Deutschland die erste Single von iLiKETRAiNS in Deutschland und die Beachtung dafür wird wohl eher gering sein. Könnte daran liegen, dass man es den Hörern nicht gerade einfach macht. „Spencer Perceval“ offenbart zwei Songs, die zusammen nicht weniger als 15 Minuten Spielzeit auf die Waage bringen. Harter Stoff also? Zumindest für diejenigen, die schon in der Schule im Geschichtsunterricht komplett abgeschaltet haben. Wer allerdings ein wenig Eigeninteresse mitbringt und sich anhand der Starthilfe Wikipedia tiefer gräbt, wird belohnt. Da offenbaren sich unter Garantie Auszüge aus der Geschichte mit der man sich noch nie beschäftigt hat: Am 11. Mai 1812 erschoss John Bellingham den britischen Premierminister Spencer Perceval, den er für seine Gefangenschaft in Russland und eine nicht gezahlte Entschädigung verantwortlich machte. Davon erzählen der Titelsong und die B-Seite „I Am Murdered“ – einmal aus der Sicht des Attentäters und einmal aus der Sicht von Spencer Perceval selbst. Sicherlich nicht der typische leicht verdauliche Stoff für eine erste Single.

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Warum habt Ihr Euch diese historische Figur ausgesucht und warum ist Geschichtsstoff immer wieder so interessant?
Es ist eine faszinierende Story und das einzige Mal in der Geschichte, dass ein Attentat auf einen britischen Premierminister erfolgreich war. Wir wollten die Gefühle ausdrücken, die jemand durchlebt, der so weit gebracht wird, weil er sich von der Regierung so derart im Stich gelassen fühlt, dass er bereit ist einen Mord zu begehen. Die Charaktere, die uns am meisten inspirieren Songs zu schreiben, sind diejenigen mit großen Tragödien oder Katastrophen in ihren Leben, weswegen sich diese Geschichte sehr gut geeignet hat. Sowohl aus der Sicht des Mörders John Bellingham, als auch aus der Sicht des Opfers selbst. Wir beziehen uns immer wieder auf historische Figuren und Ereignisse, weil die Geschichten einfach so interessant sind und so unterschiedlich, obwohl wir uns mit einem ganz bestimmten Typ von Geschichten beschäftigen. Das macht unsere Songs deutlich interessanter, als wenn wir über eher alltägliche Themen schreiben würden, was bereits schon tausende Male gemacht wurde und wahrscheinlich besser, als wir es jemals könnten.

Den Hintergrund dieser Geschichte habt Ihr in der Single nicht abgedruckt. Ist das eine bewusste Entscheidung, damit die Hörer selbst auf Entdeckungsreise gehen?
Wir wollen unsere Hörer einladen tiefer in die Geschichten einzutauchen und wir sind auch sehr offen für Vorschläge für Songs über andere Geschichten, die sie kennen und entdeckt haben. Um unseren Hörern etwas auf die Sprünge zu helfen, haben wir eine Rubrik auf unserer Homepage, wo wir kurze Biografien über die Charaktere unserer Songs auflisten, damit man von da an weiter suchen kann.

Ihr habt ein Band T-Shirt auf dem das Geburts- und Todesdatum von Spencer Perceval draufsteht. Ist das nicht ein bisschen merkwürdig ein T-Shirt mit seinem Namen zu tragen? Es hebt sich jedenfalls deutlich von „normalen“ Bandshirts ab.
Ja, wir wollten mal etwas anderes machen und nicht nur unseren Bandname im Design haben. Wir mochten die Idee, dass Leute diese Shirts mit obskuren geschichtlichen Figuren und Daten tragen und damit Menschen verwirren, die nicht wissen worum es dabei geht. So ein bisschen wie Freimaurer oder ein Geheimbund. Das nächste Shirt-Design wird aber ein ganz normales mit unserem Namen drauf.

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Überhaupt scheint das Artwork und alles, was nicht direkt mit der Musik zu tun hat, bei iLiKETRAiNS keine untergeordnete Rolle zu spielen. Mit Ashley Dean hat man einen Mann an Bord, der sich fast ausschließlich um das Erscheinungsbild der Band kümmert. Er hat auch das fantastische, detailverliebte Video zu „Spencer Perceval“ gedreht oder vielmehr gebastelt. Parallelen zu Michel Gondry („Vergiss mein nicht!“, „The Science of Sleep“) sind dort auszumachen und werden von Bowis sogleich bestätigt: „Ashley bewundert Regisseure wie Michel Gondry, aber er hat auch unverkennbar seinen ganz eigenen Stil. Das beinhaltet auch die Tatsache, dass er sich manchmal für lange Zeit in sein Studio einschließt – und ja, das Video war ein hartes Stück Arbeit!“ Auch auf der Bühne ist man um eine visuelle Seite bemüht: „Wir wollen unsere Konzerte für die Zuschauer zu eindringlichen Erlebnissen machen und ihnen wirklich das Gefühl einer Show vermitteln, anstatt nur ein paar Typen mit Instrumenten zu zeigen.“

Fühlt Ihr Euch jetzt was das Songwriting betrifft etwas eingeschränkt, weil die Fans auf weitere Geschichtsstunden hoffen? Was können wir denn auf dem Album erwarten, das voraussichtlich Ende des Jahres erscheint?

Wir führen die historischen Themen auf jeden Fall weiter, weil das Album dann sehr stimmig ausfällt. Ich würde nicht so weit gehen und es mit dem gefürchteten Wort „Konzeptalbum“ beschreiben, da die Geschichten unter einander nicht zusammen hängen, aber es ist auf jeden Fall eine Platte mit einem speziellen Thema. „Spencer Perceval“ wird auf dem Album enthalten sein, sowie einige neue Songs. Wenn wir mit den Aufnahmen fertig sind, werden wir beginnen uns Gedanken darüber zu machen, was als nächstes kommt. Es wäre schön, die historische Perspektive weiterzuführen, denn wie ich bereits gesagt habe: Da gibt es noch so viele interessante Geschichten über die wir schreiben könnten. Andererseits wollen wir nicht auf der Stelle treten, sondern uns weiterentwickeln. It is early days yet, but there are a couple of vague ideas starting to form.

Wo werden iLiKETRAiNS deiner Meinung nach in einem Jahr stehen?
Wir werden ein Album im Rücken haben, das hoffentlich gut angekommen ist, viel touren, Orte besuchen an denen wir noch nie zuvor waren und dann werden wir an den nächsten Songs arbeiten. Ich kann es kaum erwarten zu sehen, in welche Richtung sie gehen werden.

Interview und Text: Sebastian Gloser


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