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The Robocop Kraus Interview

Bis der erste stirbt…

 

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Fünf Freunde sollt ihr sein

The Robocop Kraus. Lieblingsbandalarm. Sympathische Menschen dazu. Wie geht man da ran? Vielleicht einfach mal erzählen, anstatt einen pseudoobjektive Perspektive einzunehmen. Und deshalb beginnt die Geschichte zum neuen Album „Blunders And Mistakes“ im Wohnzimmer von Sänger Thomas Lang und endet in dessen Küche.

Es ist irgendwann im Juli: Thomas spielt mir das neue Album vor und bleibt sogar im gleichen Raum. Früher hätte er das wohl nicht ausgehalten. Da hat man Bandmitglieder beobachten können, wie sie fluchtartig Plattenläden und Tanzflächen verlassen haben, wenn ihre Musik gespielt wurde. Aber jetzt wartet er auf Reaktionen und er soll sie bekommen: Mein Gesichtsausdruck variiert zwischen gespannt, überrascht, beeindruckt, geschockt, um der Platte schließlich euphorisiert und begeistert meinen Segen zu geben. Das ist natürlich völlig egal, denn er weiß selbst, wie gut „Blunders And Mistakes“ geworden ist, auch wenn natürlich trotzdem jede Form von Anerkennung gut tut.

Posthardcore war gestern, Punk auch – musikalisch. Denn von der Haltung her, ist er mehr präsent als zuvor. The Robocop Kraus machen einfach was sie wollen und gut finden. 2007 geht auch eine Gospel-Einlage, Synthiepassagen und vor allem Pop, Pop und Pop. Sie reißen Grenzen ein, wo eigentlich keine sein sollten und haben mit viel Mut das beste Album der Bandgeschichte gemacht.

Ein paar Wochen nach der „Listeningsession“ sitzen wir in Thomas’ Küche. Seine Freundin hat leckere Muffins gebacken und Keyboarder Markus Steckert, sowie Schlagzeuger Hans-Christian Fuss sind auch da. Eigentlich sollten sie gerade auf dem Weg nach Basel sein, um dort ein Konzert zu spielen, allerdings haben ihnen die Überschwemmungen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das muss ausgenutzt werden. Interview here we go:

Wie ist das Gefühl nach dem Fertigstellen der neuen Platte: stolz auf das eigene Werk und einfach nur froh, den ganzen Prozess hinter sich zu haben?
Markus:
Die Zeit zwischen der Fertigstellung und der Veröffentlichung ist viel zu lange.
Thomas: Du hast gerade total viel Schokolade am Mund (lacht). Wie war die Frage? Achso. Mir geht es ähnlich, das dauert ewig und das wirkt sich vor allem live aus, weil man die neuen Songs spielen will, aber höchstens vier oder fünf ins Set einbauen kann, weil sie ja niemand kennt. Das ist so die Twilight Zone, die Vorhölle der Musik, in der wir uns befinden.

Wie hat sich das auf euch ausgewirkt, als euer Label LADO Pleite gegangen ist?
Thomas:
Pleite ist nicht der korrekte Terminus. Es gab Liquiditätsprobleme.
Hans: Oder wie Carol von Rautenkranz sagt: „Er hat seinen Beruf zum Hobby gemacht.“
Thomas: Wir wussten eine Zeit lang nicht, wo das Album erscheinen wird und wo das Geld für die Aufnahmen herkommen wird. Bis sich das dann mit Hilfe von Epitaph und ANTI geklärt hat.
Hans: Es war eine sehr angespannte Situation.
Markus: In einer Phase, wo wir solchen Nervenkitzel überhaupt nicht brauchen konnten.

In der Zeit ist auch noch Tobias (Helmlinger, Bass) ausgestiegen, stand da zur Debatte, wie es überhaupt mit der Band weitergehen soll?
Thomas:
Total. Wir haben dann sehr schnell festgestellt, dass wir weiter zusammen Musik machen wollen, haben aber überlegt unter einem anderen Namen weiter zu machen. Es war auch klar, dass wir uns musikalisch verändern wollten, haben aber entschieden, dass unser Name flexibel genug ist, um das zu tragen und in das offene Konzept von Robocop Kraus reinpasst. Personell wurde es ja auch immer offener. Am Anfang war das halt so eine Gang, immer die fünf selben Typen. Und dann hatten wir aber den Ausstieg von Jo (Uschalt, Schlagzeug), was richtig hart war, weil es eben der erste war. Und mittlerweile...

...kann jeder kommen und gehen wann er will.
Thomas:
Genau (alle lachen).
Markus: Es ist ein offenes Projekt. Wir experimentieren viel mit Gewalt.
Thomas: Und Unterdrückung.

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Wie war die Zusammenarbeit mit eurem Produzenten Tobias Levin?
Thomas: Tobias Levin ist irgendwie ein Besessener. Das hat einerseits sehr gute und interessante Facetten, weil er sich tief reinkniet und keine Ruhe gibt bis nicht wirklich alles passt und das ist aber natürlich auch sehr anstrengend. Das gab viele Auseinandersetzungen, da sind richtig die Fetzen geflogen. Zumindest für unsere Verhältnisse, denn wir sind ja normalerweise eher so... Franken halt.
Hans: Er hat sich halt wahnsinnig in Details verbissen, die nur er exklusiv gehört hat und so stark gewichtet hat. Während es für uns schon völlig ausreichend war und wir weiterkommen wollten.
Thomas: Das waren dann eben Kämpfe, wer die Entscheidungshoheit hat. Das sind ja dann oft die entscheidenden Fragen, wie viel Zeit man auf was verwendet. Geht es um Genauigkeit im Spiel oder um die Gesamtstimmung einer Aufnahme. In grundsätzlichen Dingen lagen wir aber oft gar nicht so weit auseinander.
Hans: Es ist auch echt beeindruckend, wie er arbeitet. Wie er sich da auch selbst reinfallen lässt.
Thomas: Es ist dann halt sein Projekt mit allen Zweifeln und Eitelkeiten, die so was dann mit sich bringt. Er steckt da genauso viel Herzblut rein, wie ein Musiker.
Hans: Er hat am Ende null Distanz. Das ist zum einen super, zum anderen aber auch sehr schwierig.

Warum habt ihr ihn gewählt?
Thomas:
Wir haben uns mit ein paar getroffen und uns die Studios angeschaut, das ist uns sehr wichtig. Er hatte ein super Studio, was Klang und Atmosphäre angeht. Und unser neuer Bassist Peter (Tiedeken) hat schon mal mit ihm aufgenommen und war begeistert.

Warum habt ihr nicht wieder mit Pelle Gunnerfeldt gearbeitet?
Thomas:
Wir wollten einfach in eine ganz andere Richtung gehen.
Hans: Es ist super verschiedene Dinge auszuprobieren.
Thomas: Wir wollten diesmal eine Produktion, die sich eigentlich in allen Punkten zur letzten unterscheiden sollte. Nicht weil diese schlecht war, sondern weil wir was anderes wollten.

Als Mischer habt ihr Adam Lasus gewählt. Wenn man seine Zusammenarbeit mit Clap Your Hands Say Yeah zu Grunde legt, könnte man meinen es ging darum, dass er die bisherigen Aufnahmen wieder ein Stück weit „kaputt“ macht.
Thomas:
Ja, das ist richtig. Wir haben jemand gesucht, der sich traut etwas kaputt zu machen. Er war auch der erste Engineer, der mal gesagt hat: „Yeah it sounds great, but it sounds too good.“ Da hab ich mich sehr drüber gefreut. Er legt dann irgendwelche Gitarrenverzerrer über die Stimmen und benutzt teilweise „billige“ Geräte, um die Aufnahmen etwas zu verschrotten.

Gab es vor den Aufnahmen einen Masterplan, wie die Platte am Ende klingen soll?
Hans:
Nee, es gab eigentlich vor allem den Masterplan, wie es nicht klingen soll.
Thomas: Wir hatten allerdings einen ganz ausgefuchsten Plan, wie wir aufnehmen wollten. Man kann ja alles getrennt aufnehmen, um dann später alles verändern zu können. Wir haben uns diesmal dagegen entschieden und alles in einen Raum gestellt, um besser zusammen spielen zu können. Wir haben ohne Kopfhörer aufgenommen, damit es richtig laut war und haben Überschneidungen gehabt, dass heißt, wenn dir später eine Gitarre nicht mehr gefällt, kannst du sie nicht einfach rausschneiden.
Hans: Das wird ja jetzt auch immer mehr zum Trend.
Thomas: Man will den Fehler wieder hören und nicht dass alles auf den Punkt gesetzt wird.
Hans: Das war aber bei der letzten Platte auch nicht anders.
Markus: Doch, das haben wir bloß nicht gemerkt, was da alles geschoben wurde.
Thomas: Man wird ja überhaupt nicht mehr gefragt. Da sitzt jemand am Computer und schiebt das auf den Punkt, ohne es anzuhören und zu prüfen, ob es das überhaupt braucht.

Weg vom Sound, hin zu den Songs. Wie kamt ihr darauf Bongos einzusetzen und all solche Dinge, die einem im ersten Moment richtig schocken.
Thomas:
Wir wollten generell viel mit Percussion machen.
Hans: Wollten wir auf der letzten Platte auch schon, aber das hat Pelle uns dann ausgeredet. Er meinte, wir sollen mit unserem „Hippie-Krempel“ aus seinem Studio abhauen (lacht).
Thomas: Wenn überhaupt, hätte er was programmiert, spielen durften wir da nichts.
Hans: Bei einem Track durfte ich was aufnehmen. Mit einer Cola-Dose mit Murmeln drin.
Markus: Waren das nicht die Zähne des Hives-Sängers?
Hans: Stimmt das waren angeblich die Milchzähne des Hives-Sängers.

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Gab es Momente bei den Songs, wo jemand gesagt hat: „Das geht nicht mehr, das ist zu weit draußen.“
Hans:
Das gibt es bei uns eigentlich nicht. Wir entscheiden einfach danach, ob es uns gefällt oder nicht.
Thomas: Ich kenne das Gefühl, das du meinst, aber ich habe mich bei den Sachen immer am sichersten gefühlt. Gerade bei „Ease The Pain“ oder „Chances“ zum Beispiel.

Thomas, du hast mal gemeint, dass ihr entweder auf komplett ehrliche Musik steht oder komplett falsche, so wie Bobby Conn. Meint ihr wirklich alles ernst, was auf eurer neuen Platte zu hören ist oder gibt es da auch ironische Momente?
Thomas:
Ich glaube man tut Bobby Conn unrecht, wenn man seine Musik nur durch die Ironiebrille sieht. Der meint seine Musik bestimmt genauso ernst, wie vielleicht Leute von Tortoise ihre. Er hat halt nur viel Humor, was bei uns auch eine wichtige Rolle spielt. „Ease The Pain“ hat zum Beispiel eine gewisse Überdrehtheit, ist tatsächlich ein bisschen parodistisch, der Text ist aber total ernst und gewichtig, sonst hätte ich das nie so vortragen können.

Das wird wohl das erste Album von euch sein mit dem langjährige Fans richtig zu kämpfen haben.
Hans:
Mir gefällt das. Wenn man zunächst ein wenig überfordert ist, anstatt beim ersten Hören gleich alles abzunicken.

In der Berichterstattung über euch werden selten die Texte erwähnt oder die Themen, um die es auf den Alben geht, obwohl da so viel drinsteckt. Täuscht dieser Eindruck oder empfindet ihr das genauso?
Hans:
Lustig ist, dass in englischsprachigen Reviews oft auf die Texte hingewiesen wird. „Wow, it’s a German band, but the lyrics are very good…
Markus: …better than I can speak.”

Liegt das an deinem Anglistikstudium Thomas oder ist es dir einfach wichtig nicht immer die gängigsten Wörter zu verwenden? Als Nicht-Muttersprachler muss man bei euch manchmal im Wörterbuch nachschlagen, um alle Begriffe zu verstehen.
Thomas:
Da hab ich sie ja auch her die Wörter (lacht). Nein, im Gegensatz zu Muttersprachlern entstehen meine Texte halt nicht aus Dialogen untereinander, sondern vielleicht mehr aus englischen Sachen, die ich lese. Ich habe eine große Zettelsammlung und bau mir dann was zusammen. Am Anfang benutze ich auch immer Quatsch- oder Fülltexte. Erst einmal muss die Musik gut klingen und beim Improvisieren setzten sich dann oft erste Zeilen fest. Warum so wenig darauf eingegangen wird, liegt glaub ich daran, dass sich auch Musikjournalisten mit deutschen Texten einfach viel mehr auseinander setzen. Bei Bands wie Tocotronic oder Blumfeld wird da mehr drüber diskutiert.
Hans: Was ja auch daran liegt, dass englische Texte von deutschen Bands oft total schrecklich sind. Wenn man sich die durchliest, laufen mir reihenweise kalte Schauer den Rücken runter.

Ihr hattet schon häufig Songs, die „politisch“ im weiteren Sinne waren. Mit „Gibraltar“ habt ihr jetzt ein Stück gemacht, das sich ganz explizit mit dem Themenkomplex Globalisierung bzw. Chancenungleichheit zwischen der sogenannten Ersten und Dritten Welt befasst, wie kam es dazu?
Thomas:
Das ist einfach ein Thema aus der Zeitung, wenn man so will. Wo ich mir dachte, das interessiert die Leute vielleicht. Ausschlaggebend war aber auch das Goldene Zitronen-Stück „Wenn ich ein Turnschuh wär“. Ich habe mich dann einfach mal getraut konkret zu werden.

Die Zeugen Jehovas sind auch wieder ein Thema.
Thomas:
Wie immer (lacht). Das ist halt eigentlich so eine Punk-Thematik. Gegen Sekten und all den Scheiß, so Minor Threat-mäßig. Aber ich bin keine 18 mehr und wollte das anders angehen und hab das dann quasi als offenen Brief an meinen Großcousin gestaltet. Die Botschaft „organisierte Religion ist scheiße“ sollte so einen persönlichen Abschluss bekommen.

Abschließende Frage: Nach all den Jahren auf Tour: Wie lange wollt ihr den ganzen Zirkus noch mitmachen?
Thomas:
Bis der erste stirbt (alle lachen). Mit dem Alter hat das jedenfalls nicht so viel zu tun, die Jugend hat die Musik nicht für sich gepachtet. Es gibt auch genügend gute alte Performer. Die Jacob Sisters zum Beispiel.

Interview und Text: Sebastian Gloser
Fotos: Majid Moussavi / Pressefreigaben


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