Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Troy von Balthazar Interview

Every part of me, made to give.

 

troy_04_interview.jpg

Troy von Balthazar. Bei den etwas älteren Semestern klingelt es bei diesem Namen natürlich sofort. Troy von Balthazar ist Sänger von Chokebore und seit einiger Zeit eben auch Solo-Künstler. Chokebore ist eine Indieband, in deren Zusammenhang immer wieder der Begriff „legendär“ fällt und wenn man sich so die Entstehungsgeschichte zum selbstbetitelten Solo-Debüt von Troy von Balthazar anschaut, könnte die Bezeichnung auch hierbei gut passen. Laut Album-Credits sind die Songs nämlich an den verschiedensten Orten geschrieben und aufgenommen worden. In Los Angeles, auf Hawaii, in Leipzig „in a big cold flat, old style coal heating”, in Berlin “while people scream” und “somewhere in the northern mountains of france”. Das sprengt den gewöhnlichen Aufnahmeprozess locker.

Unabhängig davon ist die Platte einfach eine richtig gute geworden. Eine, die sich schwer tun wird in die Jahres-Bestenlisten der Masse zu kommen, dafür aber eine, die bei ein paar wenigen auch über das Jahr hinaus hartnäckig ganz nah am Herzen bleiben wird. Was wohl insbesondere dann passiert, wenn man auf eine kantige Mischung aus Lo-Fi-Sound, Akustikgitarren und verzweifelter Stimme steht. „Troy von Balthazar“ ist verschroben, melancholisch bis depressiv, kauzig, textlich sexuell aufgeladen und vor allem immer wieder wunderschön.

Und er ist ein richtig interessanter Mensch, was man unter anderem dann erfahren kann, wenn man sich den Podcast auf seiner Website anhört. Darin erzählt er, dass er liebend gerne Menschen interviewt. Einfach so. Auf Konzerten oder generell im Nachtleben. Und er freut sich, wie ein kleines Kind, über seine Einstiegsfrage, die er immer und überall stellt, die da lautet: „What is the best music to make love to?“ Da liegt es nahe den Spieß mal umzudrehen und ihm diese, sowie einige weitere Fragen im Rahmen seiner Support-Tour für Tocotronic unterzujubeln.

Diese Frage muss natürlich am Anfang stehen: Zu welcher Musik kann man am besten Liebe machen?
Haha. Ähm... ich denke das beste Album für diesen Zweck ist „Maxinquaye“ von Tricky. Was noch...? Prince natürlich.

Prince? Das ist doch ein Klischee oder?

Stimmt. OK, dann mein Album. Haha.

Wirklich?
Ja! Und natürlich alle Chokebore-Alben. Viele Leute erzählen mir, dass sie zu Chokebore Sex haben.

Dein Album ist in Deutschland gerade eben erst erschienen, die Songs sind aber bestimmt schon fast zwei Jahre alt, warum hat das so lange gedauert?

Ja, sie sind wirklich schon so 1 1/2 Jahre alt. Das Album ist zunächst in Frankreich auf einem kleinen Label erschienen, allerdings haben die keine Kontakte nach Deutschland, which is too bad, da das für mich eine sehr wichtige Sache ist, weil ich in Deutschland viele Freunde habe. Das war echt schade, weshalb ich das Label dann unter Druck gesetzt habe, damit das Album irgendwie in Deutschland erscheint und am Ende habe ich dann ja ein schönes Label in Berlin gefunden.

Wie entstand die Verbindung zu deinem Label Sinnbus?

Ich glaube sie mochten die Musik und dann haben sie gefragt, ob wir zusammen arbeiten wollen und das wollte ich natürlich. Sie kannten bereits Chokebore und zudem hatten wir gemeinsame Freunde. Das sind echt coole Leute dort.

troy_05_interview.jpg

Wenn es um dein Album geht, sprechen natürlich alle auch von Lo-Fi. Ist das eine Einstellung oder gibt es manchmal schlichtweg keine besseren Aufnahmemöglichkeiten?
Nein, daran liegt es nicht, denn inzwischen kann man wirklich mit einfachen Aufnahmen einen guten Sound haben, der nicht nach Lo-Fi klingt. Durch den ganzen digitalen Kram, kann man aus allem Hi-Fi machen. Ich liebe aber einfach den Klang von Lo-Fi-Aufnahmen, ich liebe alte Mikrofone, ich liebe es auf Tapes aufzunehmen, da ist einfach ein ganz spezielles Gefühl mit dabei, das ich genieße. Meine Ohren mögen das.

Gibt es irgendwelche Künstler oder Alben, die dich beeinflusst haben, ebenfalls Lo-Fi aufzunehmen?
Nicht wirklich. Ich sitze einfach viel alleine mit meinem Vier-Spur-Gerät herum und mag den Klang der Aufnahmen.

Du hast dein Album an vielen verschiedenen Orten aufgenommen, hast du dort überall gewohnt?
Ja, habe ich. Ich habe keinen festen Wohnsitz, weshalb ich eigentlich ständig unterwegs bin. Ich habe einen Song auf Hawaii aufgenommen, dann habe ich eine Weile in einer Blockhütte in einem Wald in Frankreich gewohnt und in Los Angeles war ich auch. Es ist einfach so: Wenn mir jemand sagt, dass ich nächsten Monat in seiner Bude bleiben kann, bin ich dort. Und wo ich bin, nehme ich auch auf.

Ich kann mir ganz gut vorstellen, wie du in Berlin oder Leipzig gewohnt hast, aber wie kommst du in eine verlassene Hütte irgendwo in Frankreich?
Als ich in Frankreich war, habe ich einfach herumgefragt, ob jemand einen Platz kennt, wo ich bleiben kann. Und die Familie eines Freundes hatte eben so ein kleines Häuschen in einem Wald, wo sie eh fast nie hingefahren sind. Das war wirklich perfekt. Da war nichts. Keine anderen Häuser, einfach nur Stille und Einsamkeit. Ich habe sehr viele Songs dort geschrieben und auch einige aufgenommen.

Ist das Reisen für dich sehr inspirierend oder schreibst du mehr direkt über das, was so in dir vorgeht?

Das Reisen ist auf jeden Fall sehr inspirierend. Es ist sehr wichtig, because that’s what I do every day. Mein ganzes Leben haha. Ich habe ja ein Buch geschrieben und darin geht es vor allem um all die merkwürdigen Orte, an die ich komme. Es ist erst kürzlich erschienen und während der Tour mit Tocotronic habe ich schon mit dem zweiten begonnen. Ich tippe es auf einer alten Schreibmaschine und ich liebe auch da diesen Klang und das ganz besondere Gefühl dabei. Ich benutze dafür nie einen Computer.

Da gibt es ja eine Gemeinsamkeit zwischen dem Lo-Fi-Sound bei der Musik und dem alten Klang der Schreibmaschine. Ersteres kannst du allerdings auf Tape bannen, bei einem Buch lässt sich das nicht transportieren oder?

Well… (Stille)... No. Das kann man nicht, das stimmt. Aber die Art wie ich schreibe ist für mich wichtig. Und am Ende ist ja etwas anderes entscheidend: Bei der Musik kommt es auf den Song an, nicht so sehr auf den Sound. Ein guter Song ist auch bei einer Lo-Fi-Aufnahme gut und genauso verhält es sich bei einem Buch. Alles was zählt, sind starke Sätze. Auch wenn mir die Art, wie ich etwas mache wichtig ist, ist am Ende nur das Ergebnis entscheidend.

Hast du einen bestimmten Stil beim Schreiben?

Nein, ich schreibe einfach nieder, was mir durch den Kopf geht. Ich versuche nicht eine Novelle zu schreiben und alles zu kontrollieren. Ich will frei sein und natürlich.

3_Girls.jpg

Apropos Freiheit. Du bist in den letzten Jahren an so vielen verschiedenen Plätzen gewesen, bist du schnell von einem Ort gelangweilt oder fühlst dich dort eingeengt?
Nein, eigentlich nicht. Ich musste einfach immer umziehen oder bin auf Tour gegangen. Ich würde gerne einmal für längere Zeit an einem Ort bleiben. Das Blöde an den ständigen Wechseln ist nämlich, dass ich so keine Beziehung führen kann oder intensive Freundschaften aufbauen kann. Ich kann keine Routine entwickeln, weil ich sie fast jeden Tag durchbrechen muss. Meine Freundinnen verlassen mich, weil ich nicht da bin.

Viele Leute träumen davon aus ihrem Alltag auszubrechen. Sie wollen, aber können nicht.
Es ist schwierig das tun, aber es ist definitiv möglich. Du musst es „einfach“ nur tun. Als ich angefangen habe so zu leben, hat es nur etwas Mut gebraucht. Ich habe mir für meinen Job ein klares Ziel gesetzt. Ich wollte genau so viel Geld verdienen, dass es reicht eine Website aufzubauen, meine Songs aufzunehmen und eine Tour zu buchen. Und so ist es gelaufen. Ich habe so viel gearbeitet, bis ich genau 2000 $ hatte. An dem Tag habe ich meinen Job gekündigt und habe eine Tour zusammengestellt. You have to do it! Und seitdem bin ich frei oder zumindest fühle ich mich frei. Ich tue was ich will. Wenn du ein Sklave bist, musst du nett sein und ständig Angst haben. Wenn du das natürlich nicht so empfindest, ist es ok. Ich habe mich jedenfalls wie ein Sklave gefühlt.

Als was hast du gearbeitet?
Ach, das war eigentlich eine ganz coole Stelle. Ich saß in einem Büro in Los Angeles und habe für eine Firma gearbeitet, die sich für Tierschutz einsetzt. Es waren echt nette Menschen, aber ich habe gemerkt, dass ich in diesem Büro verrückt werde. Ständig hing ich am Telefon und wollte viel lieber Musik machen.

Das hast du geschafft und jetzt bist du mit Tocotronic unterwegs. Wie ist es so mit ihnen auf Tour?

It’s great, man! Sie sind sehr sehr nette Menschen. Das ist glaub ich die schönste Tour auf der ich jemals war. Die Konzerte sind gut besucht und das Publikum ist fast immer nett. Ich werde das alles vermissen, wenn es vorbei ist. Mit Chokebore waren wir mal mit Nirvana auf Tour, das war auch super, aber die Tour hier ist besser.

Nirvana und Tocotronic. Ganz schön unterschiedliche Menschen was?
Absolut (lacht).

Was dürfen wir als nächstes von dir erwarten? Du schreibst gerade an deinem zweiten Buch, willst du ein weiteres Solo-Album veröffentlichen?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe es bereits aufgenommen und versuche es nun in absehbarer Zeit zu veröffentlichen und ein drittes habe ich bereits zur Hälfte geschrieben. Das ist eigentlich alles, was ich schon immer machen wollte. Alben und Bücher veröffentlichen. Eine Freundin zu haben, wäre allerdings schon ganz schön, ich werde sonst noch wahnsinnig vor lauter Einsamkeit. BUT, it’s totally worth it. Manchmal muss man eben andere Dinge opfern. I’m okay (lacht).

Irgendwelche Pläne wieder etwas mit Chokebore zu machen?
Ich habe keine Ahnung. Wir hatten eigentlich bereits ein komplettes Album geschrieben, aber als wir es dann aufnehmen wollten, sind wir irgendwie auseinander gegangen. Vor ein paar Tagen habe ich noch davon geträumt. Ich habe geträumt, dass ich die anderen anrufe und sage: „Hey, let’s do a tour!“ Wer weiß, wer weiß...

Interview und Text: Sebastian Gloser / Überschrift aus dem Buch "3 Girls" von Troy von Balthazar
Fotos: Sebastian Gloser (3) / Pressefreigaben


Zum Seitenanfang

ERROR!