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Captain Planet Interview

Hochneurotische Wohlstandskids

 

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Es beginnt als zaghaftes Kräuseln auf der Oberfläche und wächst zu einer derart bedrohlichen Welle heran, dass es unmöglich wird, sich der Sogwirkung von „Wasser kommt, Wasser geht“ zu entziehen. Ein Album mit der Kraft der Gezeiten, das sich vor artverwandtem Output von Bands wie Turbostaat nicht zu verstecken braucht. Dabei ist die Musik im Kern doch einfach nur Punk. Ohne großen Schnickschnack, aber viel Energie. Von Begeisterung für den Erstling zeugen auch durch die Bank positive Kritiken in der Presse hinauf bis zu namhaften Medien wie dem Online-Ableger der „Zeit“. Keine Frage, ein Interview mit „Captain Planet“, der dafür verantwortlichen Band, muss her – wir haben Fragen, Sänger/Gitarrist Arne, Gitarrist Benjamin und Bassist Marco die Antworten.

Arne: Wir warten echt noch auf die erste Klatsche! (lacht) Meistens ist ja so ein Medium sehr persönlich geschrieben und da merkt man dann auch wie die Leute sich mit der Platte auseinander gesetzt haben. Es ist wirklich ein tolles Gefühl, wenn dir jemand sagt: „ich hab mich mit 'nem Bier hingesetzt und nach ein paar Hördurchgängen hat es klick gemacht.“ Wobei es für mich jetzt natürlich nicht geiler ist in der Visions zu stehen als anderswo.
Benni: Ich hatte schon ein bisschen Schiss vorher. Man arbeitet so lange an dem Album und steckt da total viel Herzblut rein. Wenn es dann so viele Leute umhaut ist es natürlich das Beste was passieren kann!

Die Platte klingt wie aus einem Guss, in Anbetracht dessen, dass ihr euch dafür aber viel Zeit gelassen habt sind die Songs sicher nicht am Stück entstanden. Wie schwer war das alles auf einen Nenner zu bringen?
Benni:
Vom Sound her ist es einfach so: Wir haben eine Gitarren-Einstellung, eine Bass-Einstellung und eine Schlagzeug-Einstellung und dann wird das aufgenommen. Wir benutzen keine Effekte. Und wir versuchen dann schon drauf zu achten, dass alles inhaltlich und musikalisch zusammenhängend klingt. Das schlimmste für mich ist immer wenn ich Alben höre bei denen man merkt, dass versucht wurde alle möglichen Musikrichtungen abzudecken.
Marco: Ich finde, dass der älteste Song („Zugehört“) auch gar nicht so zu den anderen passt. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich damals noch nicht in der Band war.
Arne: Deshalb haben wir den auch an den Schluss gepackt, weil der so ein bisschen Crew-mäßig ist.

Die Texte sind ja doch auch sehr persönlich. Ist das eine Kunst, nicht zu viel von sich Preis zu geben?
Arne:
Das meiste ist einfach auf meinem persönlichen Mist gewachsen. Aber ich hab ja da meine netten Tricks, indem ich in meinen Texten einfach mal aus Sicht einer anderen Person schreibe. In die lässt sich dann immer schön alles reinprojizieren. Es gibt zwar auf der Platte noch einige ältere Songs, die in der Ich-Perspektive verfasst sind, aber das kann ich eigentlich gar nicht mehr so richtig. Aus anderen Perspektiven fällt es mir da viel leichter, Dinge zu verklausulieren.

Du hast in einem anderen Interview ziemlich deutlich gesagt, dass dich fröhliche Text langweilen.
Arne:
Naja, kennst du irgendeinen „coolen“ Song der davon handelt wie schön und toll das alles da draußen ist? Ich nicht..

Würdet ihr mir trotzdem zustimmen, dass eure Texte und eure Musik etwas Mitreißendes und Mut machendes an sich haben?
Arne:
Jemand hat mal gesagt, dass unsere Musik für ihn „positive Melancholie“ ausstrahlt. Ich glaube das trifft es auf den Punkt. Das ist auch eine gute Beschreibung für das, was unsere Musik und Musik im Allgemeinen für mich darstellt. Manchmal merke ich auch, dass mir etwas zu negativ geraten ist und ich versuche das dann noch zu ändern.
Benni: Es gibt da zum Beispiel in „Wespenstich“ diese eine Textzeile, die Arne uns geschickt hatte: „Und du kommst keinen Meter weiter“. Das war ihm dann aber zu negativ und er hat aus „keinen Meter weiter“ dann wenigstens „einen Meter weiter“ gemacht (lacht). Letztendlich ist es aber doch dabei geblieben.

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Das Album erscheint auf „unterm durchschnitt“ - ein Label, das mit seiner Philosophie für politische und gesellschaftliche Emanzipation steht. Am Anfang war ein guter musikalischer Draht zu Andreas, dem Label-Chef, aber die Band kann sich mittlerweile auch so sehr gut in dieses Umfeld einordnen. Dass es zwischen so reflektierten Menschen schon mal unterschiedliche Ansichten gibt und die Fetzen fliegen, versteht sich von selbst.

Benni: Es gibt immer wieder mal Auseinandersetzungen über Inhalte im linken Spektrum und sei es nur über bestimmte Flyer. Aber klar, grundsätzlich kann ich mich in diesem Umfeld schon gut verorten.

Nun sind Arnes Texte wie erwähnt weniger politisch denn persönlich. Inwiefern wollt ihr dennoch Denkanstöße geben oder Menschen mit eurer Musik beeinflussen?
Arne:
Musik beeinflusst immer die Menschen. Nur weil ich nicht politisch schreibe, heißt das nicht, dass ich kein politisch handelnder und denkender Mensch bin. Diese Band hat ein hohes politisches Bewusstsein. Wir machen da vielleicht eher eine Art „politischer Basisarbeit“. Bevor man nämlich anfängt, groß politische Strategien zu entwerfen, sollte man bei sich selber anfangen. Unsere Musik ist ja sehr an den Menschen gerichtet. Ich appelliere an die Emotionalität der Menschen (lacht).
Benni: Letztens wurden wir in einem Bericht als „hochneurotische Wohlstandskids“ bezeichnet. Da hieß es, dass die „Spätadoleszenz von heute“ sich eher mit sich selber auseinander setzt.

Und habt ihr auch wirklich den Glauben daran, Dinge ändern zu können?
Benni:
Auf jeden Fall im Kleinen. Es gibt ja unterschiedliche Perspektiven wie man Widerstand gegen etwas organisieren kann. Du kannst zum Beispiel sagen das bestehende System ist kaputt so wie es ist, aber ich suche mir wenigstens alternative Strukturen aus, in denen ich leben kann und vielleicht ein wenig freier bin. Und in solchen Strukturen würde ich uns auch verorten. Das sind oftmals Strukturen die durch andere Ansichten über das Leben und die Welt geprägt sind und ich würde das eher als alternative Struktur als einen direkten Gegenentwurf sehen. Es wird zwar immer versucht solche Dinge auszudünnen, wie man in Hamburg am Beispiel der Hafenstraße sehen kann, aber ich glaube dass solche autonomen Strukturen immer bestehen bleiben werden.

Nach musikalischen Einflüssen gefragt zeigen sich dann doch extreme Unterschiede in der Band. Natürlich liegen die größten Wurzeln im Punk/HC-Kosmos, aber Arne beispielsweise holt sich viele seiner Inspirationen auch aus Singer/Songwriter-Musik und Textern wie John K. Samson. Und ist der Meinung, dass alles was man hört und mit dem man sich beschäftigt einen Menschen auch irgendwie beeinflusst.

Benni:
Bei mir geht das manchmal sogar so weit, dass Musik auf einer aktuellen Lieblingsplatte auch der Musik ähnelt die ich dann mache. Mir ist schon öfter aufgefallen lupenreine „Samiam“-Riffs zu spielen. Aber die waren wirklich verdammt gut! (lacht)

Und was war für euch der Auslöser Punkrock zu spielen?
Marco:
Das war einfach nur eine Entscheidung auf dem Dorf. Da gab es eine Clique von Leuten und zwei davon haben beschlossen eine Band zu gründen. Außerdem hatten wir viele Skater die ihren Kram angeschleppt haben. Da auch keiner ernsthaft musikalisch irgendwas konnte und man sich was gesucht hat wo man einfach dagegen sein konnte hat sich Punk ja quasi angeboten!
Benni: Ich mochte einfach alles was sich wuchtig angefühlt hat. Darüber hinaus konnte ich da dem Drang nachgeben, mich Scheiße zu benehmen.
Arne: Das war eher ein schleichender Prozess. Ging es vielleicht mal mit NOFX los, waren es dann später Bands wie Gorilla Biscuits die einen beeinflusst haben. Obwohl ich mich nicht schäme zu sagen anfangs Pearl Jam gecovert zu haben!

Um nochmal auf die gesteigerte öffentliche Wahrnehmung einzugehen - gibt es für euch Grenzen, bei denen ihr sagen würdet, da mach ich nicht mehr mit?
Marco:
Wir fällt da als Beispiel eine Konzertanfrage eines Veranstalters ein, der auch von McDonalds gesponserte Festivals durchführt. Das wären dann schon Dinge bei denen ich mir zweimal überlege, ob ich Lust habe auf Veranstaltungen zu spielen, die von Marlboro oder McDonalds gesponsert werden.
Benni: Ich würde das auch nicht nur auf konkrete Magazine oder Orte beschränken, sondern auf Sachen wo ich mich selbst falsch dargestellt oder falsch wahrgenommen sehe. So lange ich merke, dass ich das noch selbst bin, habe ich kein Problem damit. Genauso ist das vielleicht dann mit Turbostaat und Warner. So lang die Platten so authentisch und cool bleiben wie deren neue, ist es mir egal, wo sie veröffentlicht wird. So lange die Musik stimmt!

Bei Captain Planet jedenfalls stimmt nicht nur die Musik. Und auch wenn der Bekanntheitsgrad der Band auch in Zukunft nach oben zeigen sollte, muss man sich um die Bodenständigkeit dieser sympathischen Menschen trotzdem keine Sorgen zu machen.

Empfohlen sei auch ein Besuch eines der mitreißenden Konzerte der Jungs. Für die Nordlichter wäre da die leicht verspätete „Wasser kommt, Wasser geht“-Releasefeier am 24.11. in Hamburg eine gute Gelegenheit.

Interview und Text: Dominik Waßerloos
Fotos: Karsten Bahnsen / hinterm-deich.net


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