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Biffy Clyro Interview

Fag Canadian!

 

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Simon Neil, Ben und James Johnston sind voller Vorfreude. Wenige Stunden vor einem weiteren Support-Auftritt für Bloc Party und wenige Wochen vor Veröffentlichung ihres vierten Albums "Puzzle" sind die drei Schotten wissbegierig und auskunftsfreudig. Es liegt eine Menge hinter der Band, und wohl auch noch eine Menge vor ihr. Von Beggars hat man sich getrennt, nicht ganz im Einvernehmen, aber trotzdem im guten Glauben, mit 14th Floor und Warner Music endlich den Erfolg einzufahren, der sich mit "Infinity Land" (2004) schon angekündigt hatte. Vertrackte Hymnen, verspielter Rock - im Biffy Clyro Universum liegen eingängige Popmelodien und rüstig-verschwurbelte Songfragmente ganz dicht aneinander. Mit "Puzzle" hat man sich jetzt, ganz stilecht für ein Durchbruchsalbum, geöffnet und gesammelt. Ohne dabei das eigene Gesicht zu verlieren. Kein Wunder, wenn man, dem eigenen Vernehmen nach, das wichtigste Album der Bandkarriere veröffentlichen will.

Ihr habt dem NME gesagt, dass das Album euer wichtigstes sein wird. Warum?
Simon Neil: Nun, zum ersten mal in der Biffy Clyro Geschichte haben wir das Gefühl, dass die Leute da draussen hungrig sind auf neue Songs. Außerdem finden wir, dass Puzzles ein Album geworden ist, das nur wenige Bands hätten machen können. Ein Album, das man sich auch in 20 Jahren noch wird anhören können. Es entspricht nicht einfach nur einem vergänglichen Zeitgeist.

Also kann man schon sagen, dass es drei Biffy Clyro Alben brauchte, bis das perfekte Album enstanden ist? Viele Bands wollen so etwas nicht gern zugeben.
(alle unisono): Oh doch!
Simon: Wir haben mit "Puzzles" gelernt, dass man eine Idee auch mal über einen längeren Zeitraum verfolgen kann. Früher sind wir von einer Idee zur nächsten gehastet und haben das ganze dann in Albumform gegossen. Inzwischen fokussieren wir uns und gehen einer Idee nach, die sich als gewinnbringend herausgestellt hat. Bisher war es so: Biffy Clyro sind auf einem kleinen Indie-Label, die Beachtung ist gering, du kannst machen was du willst. Wir haben uns ausgelebt und herumexperimentiert. Inzwischen haben wir unseren Weg gefunden.

Ihr habt mit Garth Richardson einen neuen Produzenten ins Boot geholt. Er hat schon mit Rage against the Machine zusammengearbeit und hat einen großen Namen im Musikgeschäft. War das ausschlaggebend?
Simon: Nein. Er passte einfach perfekt. Der Vibe den er versprüht, der hat uns gefallen. Natürlich hat er großartige Alben produziert, das ist natürlich ein Bonus. Wir haben ja schon zu Uni-Zeiten von seiner Arbeit geschwärmt. Dass wir tatsächlich mal mit ihm ein Album aufnehmen würden - das haben wir damals nun wirklich nicht gedacht. Trotz des großen Namens glaube ich aber, dass wir es würdig waren, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir wussten, dass die Songs jetzt die richtige Größe haben. Und in einem solchen Moment brauchst du auch einen Produzenten, der alles aus dir herausholen kann, um ein perfektes Album aufzunehmen! Klar, den ersten Tag haben wir nur mit offenen Mündern dagestanden und waren richtig kleinlaut und ehrfürchtig. Aber irgendwann wurde uns klar: hey, das ist nur ein Kerl der uns helfen wird, ein super Album aufzunehmen.
Ben Johnston: Für ein paar Wochen waren wir sein Boss! (lacht) Wir haben sein Einkommen bezahlt. Fag Canadian! (lacht noch mehr)

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Ich habe gehört ihr hättet einige seiner Ideen nicht akzeptiert? Warum? Und wie muss man sich das vorstellen?
Simon: Er arbeitet mit vielen Bands zusammen, die gerade erst ein Debütalbum zusammenschrauben. Diese Bands wissen noch gar nicht, was sie erreichen wollen und können. Da ist es natürlich hilfreich, wenn dir der Produzent viel unter die Arme greift. Wir aber haben schon drei Alben im Rücken und wir wussten genau, wie "Puzzle" klingen sollte. Es hat eine weile gedauert bis Garth merkte, dass wir beim Songwriting keine Hilfe brauchen. Dass sich seine Arbeit auf den Sound beschränken würde. Auf der anderen Seite mussten wir uns auch verändern. Noch nie haben wir so lange in einem Studio an unseren Songs gearbeitet. Wir mussten eine immense Geduld aufbringen, das war uns vorher fremd.

Wie muss man sich das vorstellen: ein Orchester und Biffy Clyro?
Simon: Wie ein Bond Theme! (lacht) Wir wussten von Anfang an: wenn wir in einem Song Streicher und Bläser haben wollen, dann machen wir das auch. Endlich hatten wir ein ordentliches Budget, um das ganze auch umzusetzen. Das macht einen Song dann natürlich episch und tragisch. Aber ich glaube wir haben es trotzdem geschafft, unsere Identität zu behalten.

Ich bekomme ja immer leicht Angst, wenn ich höre, dass eine Rockband Streicher einsetzen will...
Simon: Dann warte mal auf das Album, da wirst du deine Furcht hoffentlich verlieren. (lacht) Um ehrlich zu sein: wir wollten das von Anfang an. Und tatsächlich war es unser Produzent Garth der meinte: "Nee Jungs, lasst das mal lieber bleiben!" Aber spätestens beim Mixen hat er dann gemerkt, dass es die richtige Entscheidung war.

Wir habt ihr denn mit dem Orchester zusammengearbeitet? Die Gefahr ist ja groß, dass alles zu cheesy wird.
Simon: Wir haben mit Graham Revell zusammengearbeitet, Wochen bevor das Orchester überhaupt gebucht war. Wir haben ihm gesagt, wie es klingen soll, und er hat dann kurze Samples angefertigt, um uns einen ersten Eindruck zu verschaffen. Und als wir dann schließlich die fertigen Songs zusammen mit dem Orchester hörten, waren wir geplättet. Es hörte sich überhaupt nicht cheesy an, es war einfach ganz wundervoll. Ich war zu der Zeit gerade in New York, saß in einem Cafe mit Kopfhörern auf und war völlig von den Socken. Ich musste vor Aufregung richtig hysterisch lachen. Ein komischer Anblick.

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Ihr habt im Vorfeld ja ganze drei Singles veröffentlicht, bevor das Album auch nur einen Veröffentlichungstermin hatte. Wer ist denn auf diese Idee gekommen?
Simon: Ach, wir wollten schon mit der ersten Single, die es nur zum download gab, beweisen und zeigen, dass es uns noch gibt. Wir habe ja noch nie so viel Zeit verstreichen lassen zwischen einzelnen Alben. Außerdem mögen wir den Gedanken, dass die Leute einen besseren Zugang zum Album finden, dass sie schon ein wenig vertraut sind mit dem Sound, mit der Art und Weise, wie Biffy Clyro diesmal klingen werden.

Warum habt ihr Beggars verlassen?
Simon: Weil wir große Ambitionen hatten. (lacht ein wenig gequält) Wir haben bisher kaum in Europa gespielt, überhaupt nicht in Amerika sondern immer nur auf unserer Insel. Irgendwann willst du raus, hast größere Ambitionen und brauchst dafür auch ein Label, dass diese Ambitionen zum einen natürlich unterstützt, zum anderen aber überhaupt zu leisten fähig ist. Uns ist es wichtig, unsere Musik an neue Orte zu bringen. Schau dir das mal an: wir werden heute Abend für Bloc Party eröffnen. Das wäre vorher überhaupt nicht möglich gewesen. Beggars ist uns also etwas zu klein geworden. Für sie war alles perfekt - wir hatten die richtige Größe, alles war in Ordnung. Nur für uns nicht, wir hatte andere Ambitionen.

Trotzdem seit ihr zumindest in England bei 14th Floor. Das Label ist ja winzig!
Simon: Richtig. Wir sind die einzige Rockband. Und es arbeiten im Label fast genauso viele Mitarbeiter wie Biffy Clyro Bandmitglieder haben! (lacht) Außerhalb von UK ist es Warner. Und das erleichtert eine Menge. Da müssen wir uns zwar hinter Green Day und My Chemical Romance anstellen, dafür ist aber auch die Verbreitung eine ganz andere.

Die Grundthematik ist eine sehr traurige und tragische. Deine Mutter ist gestorben. War das Album eine Heilung für dich?
Simon: Nein, eine Heilung war es nicht. Musik ist einfach nur die einzige Möglichkeit für mich, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

"Puzzle" ist also euer persönlichstes Album?

Simon: Ja. Deswegen sind wir auch so stolz darauf, weil wir wissen, was es an kraft gekostet hat, dieses Album aufzunehmen. Es ging hauptsächlich um rohe, nackte Gefühle. So expressiv waren wir vorher noch nie!

Interview + Text:
Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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