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Liars Interview

Bandmutta, logisch!

 

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Angus Andrew

Dass die Liars nicht mehr ganz dicht sind, wusste man spätestens beim Zweitwerk "They Were Wrong, So We Drowned". Das war nämlich eine akustische Reise durch die Walpurgisnacht - und soetwas übersteht man nicht unbeschadet, nachdem man kurz zuvor noch als Dance-Punk-Sensation aus New York gefeiert wurde. Aber das hat die Band ja noch nie gekratzt. Damals nicht, und heute noch viel weniger. Was hätte man auch Kritikern entgegnen sollen, die dem Album die niedrigste Punktzahl ever gaben? Sowohl Spin als auch der Rolling Stone schütteten ihren Ekel förmlich aus. Und was machte die Band? Das einzig richtige, zumindest aus kreativer Sicht: ein neues Konzept-Album nämlich. Diesmal über ein Schlagzeug und einen Tempelberg. Wieder völlig bekloppt, wieder ganz weit draußen und meilenweit von Dance Punk entfernt. Inzwischen ist wohl auch das Label Mute nicht mehr so ganz glücklich. Jedenfalls verzögerte sich der Release des vierten Longplayers "Liars" erheblich. Den Mann am anderen Ende der Leitung lässt das aber erstaunlich kalt. Angus Andrew, Gitarrist und Sänger dieser außergewöhnlichen "Band" ist sogar eher zu Scherzen aufgelegt. Ach ja: in Berlin wohnt er nicht durchgängig. So schön ist es in Deutschland dann auch wieder nicht...

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Lügner! Liars!

Lebst du noch in Berlin?
Angus: Ja, hier in Berlin-Mitte und in Los Angeles. Ich bin sehr produktiv in dieser Stadt. Ich werde nicht ständig abgelenkt. Und da Musik nunmal ein wichtiger Teil meines Lebens ist, verbringe ich viel Zeit dort, wo ich am besten Musik machen kann. In L.A. ist es viel schwieriger, allein zu arbeiten.

Was ist denn der größte Unterschied zwischen Berlin und L.A.?

Ich sehe Berlin eher als Flucht vor der Realität an. Für mich ist diese Stadt wie ein Alien-Planet, wo ich komplett für mich allein sein kann. Los Angeles ist dagegen eine Rückkehr in die Realität. Da schaue ich dann wieder TV und werde mit der amerikanischen Kultur bombardiert.

Hast du in Berlin Kontakt zu anderen Künstlern?
Eigentlich überhaupt nicht. Ich schau mir ab und zu Konzerte an, aber ich bin quasi überhaupt nicht sozialisiert in dieser Stadt. Aber das gefällt mir auch. Schließlich habe ich genug Menschen um mich herum, wenn ich auf Tour bin.

Das Album erscheint recht spät, schließlich seit ihr mit den Aufnahmen seit mehr als einem halben Jahr fertig...
Ja, das liegt am Label. Außerdem brauchte ich sehr lange zum Abmischen. Insgesamt haben wir aber sehr wenig Zeit im Studio selbst verbracht. Ein Liars ALbum besteht hauptsächlich aus Pre- und Postproduktion.

Denkst du überhaupt als Künstler darüber nach, ob sich deine Kunst verkaufen wird?
Nein. Heute noch viel weniger als früher, schließlich verkauft sich Musik ja überhaupt nicht mehr, egal ob sie nun zugänglich ist oder nicht. Natürlich ist die Musik, die ich verkaufe, mein Einkommen. Davon lebe ich. Und deshalb sollte es wohl in meinem Sinne sein darüber nachzudenken, ob die Musik konsumiert wird oder nicht. Aber heutzutage ist es für eine Band ohnehin wichtiger, ständig auf Tour zu sein. Und was das Touren angeht sind wir als Band ganz gut dabei.

In welcher Stimmung sollte man das erste mal die neue Liars-Platte hören?
Ich schätze man sollte ein wenig nostalgisch gestimmt sein und sich an seine eigene Teenagerzeit erinnern. Eine Zeit, in der man Musik noch viel intensiver gespürt hat.

Euer neues Album klingt viel zugänglicher. Ist das ein Zugeständnis an den Hörer?
Auf jedenfall. Es war uns sehr wichtig, eine Verbindung herzustellen. Diesmal war es uns wichtiger, eher den Bauch als das Hirn anzusprechen. Es sollte viel visueller werden, greifbarer. In der Vergangenheit haben wir uns sehr angestrengt, große Konzepte zu erfinden und den Hörer im Vorfeld mit Informationen zu bombardieren. Wir haben viel von unserem letzten Album gelernt. Da mussten wir plötzlich nur noch über das Konzept der Platte reden, anstatt über die Musik. Diesmal sollte die Musik für sich selbst sprechen.

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Aaron und Ron

Das Album mutet sogar ein wenig melancholisch an, was im Liars-Kontext schon ein wenig verwundert...
Oh ja, das Album klingt wirklich fast besinnlich, reflektierend. Wir haben uns wieder dahin zurückversetzt, als wir jung waren. Diese Teenage Angst, die findet man ja auch heute noch überall. Ich erinnere mich noch genau, wie sehr mich Musik in der Jugend berührt hat. Sie war so wichtig. Und an diesen Stellenwert wollte ich mich erinnern. Damals hat es mich kein Stück interessiert, welchen Hintergrund die Band hatte, welches Konzept sie sich für das Album ausgedacht hatte. Ich kannte meistens ja nichtmal die Songtitel. Solange der Song gut war, liebte ich ihn.

Habt ihr euch wieder mit der Musik der Vergangenheit beschäftigt?
Ja, allerdings. Ich habe als Jugentlicher ja eher Guns'n'Roses und Rage Against The Machine gehört. Schreckliche Musik eigentlich. Selbst Prince, Michael Jackson oder Madonna habe ich gehört. Aber ich kann heute nachvollziehen, warum man als Teenager die Smiths so liebt. Obwohl ich in meiner Jugend nie die Smiths gehört habe. Das war mir alles zu intellektuell. Heute weiß ich, wie wichtig deren universelle Texte für die Jugend waren.

Wie wichtig ist bei eurem Songwriting das Vertrauen?
Sehr wichtig. Ein Großteil des Songwriting macht jeder für sich allein. Aaron wohnt in Los Angeles, ich in Berlin - da sitzt man nicht täglich zusammen und schreibt Songs.

Ihr habt wieder mit Gareth Jones (Depeche Mode, Interpol) zusammengearbeitet. Wie wichtig ist der Einfluss eines Mixers?
Er sollte nicht besonders groß sein. Wichtig ist vor allem, dass sich die Person mit Sound perfekt auskennt. Und Gareth ist einer der erfahrendsten. Und was für mich wichtig ist: Man muss diesem Menschen auch mal "Nein" sagen können. Man darf nicht alles aus der Hand geben. Das geht mit Gareth nunmal am besten.

Eine Sache hat mich verwirrt: aus der Rückseite steht der Name von Regisseur Marcus Wambsganss. Er wird dort als "Bandmutta" bezeichnet...
Wie würdest du das übersetzen? (lacht)

Bandmother?

Genauso war es gedacht. Marcus ist mein einziger sozialer Kontakt hier in Deutschland. Deshalb bezeichne ich ihn gern als Bandmutta.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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