Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Go! Team Interview

Sample Your Grip

 

goteam1.jpg

Die Band aus Brighton ist wohl zurecht ziemlich einzigartig in der gegenwärtigen Musiklandschaft. Wer sonst klingt so wie drei Musikjahrzehnte zusammen und trotzdem unbeschwert? So ungestüm, naiv, polternd und glückselig war das Debüt, dass man mit Sorge auf das neue Album schaute. Was sollte da groß kommen? Und vor allem: Wie würde das klingen? Und noch viel schlimmer: Wäre die Band noch die selbe, wenn das Album auch nur einen Deut anders klänge als Lo-Fi? "Proof Of Youth" legt ein Statement in die noch glühenden Kohlen des Erfolgs, dass man gar nicht anders kann als zu klatschen und mit begeisterter Miene "Doing It Right" zu gröhlen. Tatsächlich, die Band hat alles richtig gemacht. Ian Parton, der Kopf hinter dem Go! Team, hat auch weiterhin an Studiotechnik gespart. Kurz vor Anschlag flattern da die sensiblen kleinen Zeiger an den Kontrolltafeln des Studios. Und noch immer klingen die Engländer, als habe sie Tarantino mit einer schrottigen Zeitmaschine aus den frühen Siebzgern in die Moderne katapultiert - und im Raum-Zeit-Kosmos mal eben das beste aus den folgenden beiden Jahrzehnten als Genmasse mitgeschleift. Hip-Hop, Soul, Reggae, Rock, Punk, Post-Punk, Kitsch. Alles kunterbunt und quietschig zusammengepresst. Zusammengehalten durch aberwitzige Samples. Nach zwei Jahren jetzt also der "Proof Of Youth". Rapperin Ninja steht Rede und Antwort.

goteam3.jpg

Welcher Moment der letzten zwei Jahre wird dir am meisten in Erinnerung bleiben?
Ninja: Für mich war es Japan. Da haben wir auf einem Festival in den Bergen gespielt. Über unseren Köpfen fuhren Ski-Lifte, überall war Schnee und tausende Fans. Das japanische Publikum ist ja auch ein vollkommen anderes als das europäische oder amerikanische. Die Japaner sind sehr höflich. Sobald du einen Song beendet hast, ist es totenstill. Sie warten irgendwie darauf, dass du ihnen sagst, der Song sei jetzt zuende. Dann klatschen sie kurz, und plötzlich ist es wieder totenstill. Und im Gegensatz dazu: Chicago. Ein völlig anderes Publikum. Auf dem Pitchfork Media Festival haben wir eine Menge Kids aus den umliegenden Vierteln auf die Bühne geholt und einfach nur gefeiert.

Man hält Go! Team oft für eine amerikanische Band, speziell für eine aus San Francisco. Ihr habt dort inzwischen selbst einen Auftritt gehabt. Welchen Eindruck hat die Stadt auf dich gemacht?
San Francisco ist eine geteilte Stadt. Arm und Reich sind fein voneinander getrennt. Du kannst eine Straße hinuntergehen und stehst plötzlich in einem ganz anderen, viel ärmeren Viertel. Da sitzen dann die Crackheads auf der Straße und betteln dich um Geld an. Eine sehr merkwürdige, aber interessante Stadt. Du hast natürlich recht, viele glauben, wir seien eine amerikanische Band. Aber das ist eigentlich nur ein Beweis dafür, dass wir irgendwas verblüffendes an uns haben müssen. Es ist sehr schmeichelhaft, dass uns die Menschen nicht so recht zuordnen können.

The Go! Team Shows sind eine schweißtreibende Angelegenheit. Wie wichtig sind euch Pausen zwischen dem Touren?
Wir brauchen ständig Pausen. Wenn man sich Pop-Idol Shows ansieht, könnte man meinen, es sei ein leichtes, zu singen und sich ausgiebig dazu zu bewegen. Aber es ist harte Arbeit. Vor allem dann, wenn du spät auftrittst. Aber es macht nach wie vor eine Menge Spaß.

Der NME schrieb zur ersten Platte, dass es momentan keine bessere Band auf der Welt gebe. Wie seit ihr mit der Aufmerksamkeit der letzten Jahre umgegangen?
Ach, der NME. Die sind wie Teenager. Im einen Moment lieben sie dich abgöttisch und im nächsten werfen sie dich wie ein abgenutztes Spielzeug in die Ecke. Beim NME weiß man nie, was als nächstes kommt. Deswegen nehmen wir das alles nicht zu ernst. Was die generelle Aufmerksamkeit angeht: Glücklicherweise richtet sich der Fokus immer nur auf die Band als ganzes, nie auf individuelle Charaktere. Außerdem glaube ich, dass sich das ganze mit unserem aktuellen Album verschieben wird. Es kann nicht mehr so sein wie beim Debüt. So funktioniert der Medienbetrieb nunmal. Sie werden behaupten, wir hätten unseren Touch verloren, wir seien völlig over the top. Diese Art von Backlash erwarten wir auch, so naiv sind wir ja nicht zu glauben, wir seien eine heilige Kuh, die nicht geschlachtet werde.

goteam2.jpg

Bist du extrovertierter auf der Bühne als noch vor ein paar Jahren?
Ich war schon immer extrovertiert. Das hat sich nicht wirklich verändert. Meine Performance dagegen schon. Ich denke mir bei Auftritten oft: Ja, diese Performance wiederholst du irgendwann. Wenn ich mir aber Aufnahmen des Konzerts ansehe, bekomme ich so ein mulmiges Gefühl. Man sieht sich dabei, wie man glaubt, dass man aussieht. Was nie stimmt. Man klingt auch nie so, wie man glaubt, dass man klingt. Während des Konzert denke ich mir: Wow, meine Stimme ist super. Und auf Kamera klingt das dann, als habe man eine Kinderstimme zu hoch gepitched. Ich kann also vestehen, warum die meisten Hollywoodstars eine Krise kriegen, wenn sie ihre eigenen Filme sehen und danach zur plastischen Chirurgie rennen.

Wie bereitest du dich auf Shows vor?
Ich habe kein besonderes Fitnessprogramm. Aber je mehr Songs wir schrieben, desto länger werden die Shows. Und so langsam wird es echt anstrengend. (lacht) I'm forced into fitness.

Hattet ihr Bedenken, mit dem zweiten Album den Grip zu verlieren?
Es war unumgänglich, ein zweites Album aufzunehmen. Und die Einflüsse sind nachwievor die gleichen. Die Gefahr war also minimal, dass wir ein qualitativ schlechteres Album aufnehmen würden. Die Frage war ja nur, was wir anders machen könnten. Bei "Thunder, Lightning, Strike" habe viele Menschen behauptet, es sei ein fröhliches Album. Darüber war Ian ganz und gar nicht glücklich, weil er kein besonders fröhlicher Mensch ist. Das nächste Album musste also etwas aggressiver werden. Unser Debüt klang ja noch wie die Übertragung aus einer alten Radio Station. Was auch so intendiert war. Auch das sollte sich ein wenig ändern.

Wie sehr sind The Go! Team eigentlich ein Team? Hat sich Ians Rolle mit dem zweiten Album etwas verändert?
Es ist zumindest mehr ein Team als noch beim Debüt. Es ist immernoch Ian, der die Songs anschleppt. Wir sind auch nie zur selben Zeit alle im Studio versammelt. Immer wenn Ian uns braucht, helfen wir ihm. Und so fügt sich am Ende alles zusammen und jeder hat die Möglichkeit, durch seine Mithilfe einen Stempel aufzudrücken. Speziell bei mir heißt es dann: Ninja, kannst du über das und jenes schreiben? Und ich forsche dann: Ian, welche Stimmung soll das ganze haben? In welche Richtung soll es gehen? Und dann schreibe ich den Text. Am Ende ist es aber ganz klar Ian, der die Fäden in der Hand behält.

Ian hat mal gesagt, man könne sich nicht einfach mit einer Akustikgitarre hinsetzen und einen Go! Team Song schreiben. Wie schwierig ist das denn nun?
Definitiv nicht einfach. Schließlich bestehen die Songs aus vielen Samples, die wie Einzelteile aneinandergefügt werden müssen.

Also geht es weniger um Chaos und mehr um Konzentration?

Nein, am Ende soll es chaotisch klingen.

goteam4.jpg

Helft ihr Ian bei der Suche nach diese verrückten Samples?
Das ist seine Sache. Er treibt sich ständig in irgendwelchen Hinterhof-Plattenläden herum uns sammelt wie ein Irrer. "Cookie Monster Classics" und all sowas. Völlig absurdes Zeug. Natürlich haben wir auch unsere Sample-Leidenschaften. Aber die heben wir uns für unsere eigenen Nebenprojekte auf.

Ian wollte immer, dass deine Stimme eher einem Instrument gleicht. Stimmt das?
Meine Stimme ist tatsächlich eher ein Instrument. Und es wird immer dann eingesetzt, wenn es gebraucht wird. Außerdem sehe ich mich nicht als Sängerin, sonder als Rapper.

War es beabsichtigt, am Lo-Fi-Sound nicht großartig zu rütteln?
Es sollte immernoch Lo-Fi klingen, definitiv. Die meisten Bands lassen ihre Songs so klingen, als habe man sie poliert. The Go! Team dagegen sollen klingen, als habe sich die Band nie im Studio befunden. Gerade so, als sei das ganze auf einem Konzert mitgeschnitten worden.

Habt ihr eure kindliche Naivität bewahrt? Der Titel des Albums deutet das ja an...
Ian meinte, "Proof Of Youth" sei nur eine Phrase. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass da noch eine Menge mehr dahinter steckt, was Ian bloß nicht zugeben will. Ich kann aber verstehen, dass sich viele Menschen durch unsere Musik an ihre Kindheit erinnert fühlen.

Als Gast-Vocals habt ihr euch unter anderem Chuck D. von Public Enemy ins Studio geholt. Ich nehme an, das war deine Idee?
Chuck D. war nicht meine Wahl, obwohl ich natürlich mehr als glücklich bin, dass er schließlich mitgemacht hat. Ian liebt Public Enemy. Und das hat ihn auch enorm beeinflusst. Er hat Chuck D. einfach eine E-Mail geschrieben und ihn gefragt, ob er nicht Vocals beisteuern will. Aber Chuck D. bekommt wahrscheinlich Tonnen von E-Mails pro Tag. Aber unsere Anfrage hat ihm gefallen. Er meinte, The Go! Team hätten Spirit. Da waren wir natürlich glücklich, dass er sich beteiligen will. Schade nur, dass sich bis heute Chuck D. und The Go! Team noch nie getroffen haben. Die ganze Zusammenarbeit hat sich auf das versenden von E-Mails und Dateien über das Internet beschränkt. Aber wer weiß, vielleicht schleifen wir ihn ja auf die Bühne, wenn wir das nächste mal in den USA touren.

Was bedeuten dir heute noch Public Enemy?

Ich habe großen Respekt und tiefe Bewunderung für sie übrig. Als sie groß wurden, war Hip-Hop noch etwas vollkommen anderes, als er heute ist. Damals war das politische und gesellschaftliche Denken tief verankert im Bewusstsein der Rapper. Hip-Hop war lebendig. Es ging um schwarze Kultur, um schwarzes Lebensgefühl. Heute bedeutet das alles nichts mehr. Es geht nur noch um Bling! und das demütigen von Frauen. Mit der heutigen Hip-Hop-Kultur kann und will ich mich nicht identifizieren. Deswegen ist es wichtig sich daran zu erinnern, wie es früher einmal war.

Interessierst du dich für die neue Generation Hip-Hop? Dizzee Rascal oder Lady Sovereign?
Interessant, dass du ausgerechnet die beiden nennst. Denn abgesehen davon, dass ich gar nicht die Zeit habe, mich mit zeitgenössischem Hip-Hop zu beschäftigen, sind Dizzee Rascal und Lady Sovereign kein Hip-Hop. Sie kommen aus der Garage-Szene, was die Menschen neuerdings Grime nennen. Sie sind nichtmal Rapper. Keiner sollte denken, dass sich UK-Hip-Hop so anhört.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


Zum Seitenanfang

ERROR!