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Tegan & Sara Interview

Back In Your Head

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Tegan & Sara, die beiden kanadischen Zwillinge, haben mit "The Con" bereits ihr fünftes Album veröffentlicht und noch immer tun sie sich schwer in Europa, in Deutschland im speziellen. Lange hat es gedauert, bis sie sich überhaupt mal wieder haben blicken lassen. Und eine Albumveröffentlichung auch hierzulande lässt weiterhin auf sich warten. Das hat viele Gründe. Die meisten sind wohl darauf zurückzuführen, dass sich Labels bisher wenig getraut haben, eine Zwillingsband aus dem Indie-Pop Sektor in diesen Landen adequat und ohne Klischees zu vermarkten. Von der Tatsache, dass sowohl Tegan als auch Sara lesbisch sind, mal ganz abgesehen. Ein heißes Eisen also? Mitnichten, wie die zurücklegende Deutschlandtour gezeigt hat. Die Tour war nahezu ausverkauft - eine Tatsache, die Sara beeindruckt hat, wie sie freimütig mitteilt. Deshalb also, ganz ohne Albumveröffentlichung im Rücken, hier ein kleines Interview mit einer außergewöhnlichen kanadischen Band, die seit Jahren mehr Furore verdient, als sie zumindest hierzulande auszulösen vermag.

Wann ward ihr das letztes mal in Deutschland...?

Sara Quinn: Äh...das war...

2003!
Richtig. Warum fragst du, wenn du das eh schon weißt?

Ich teste.
Ah. Wie bei diesen Einbürgerungstests.

Vier Jahre habt ihr euch hier nicht blicken lassen!
Ja, das ist traurig. Die langweilige Story dazu ist die: wir hatten keinerlei Unterstützung vom Label. Wenn Tegan und ich international touren wollten, mussten wir das aus eigener Tasche bezahlen. Wir konnten es uns also einfach nicht leisten, nach Deutschland zu kommen.

Aber ihr wisst schon, dass ihr gerade hier in Deutschland viele Bewunderer habt!?
Oh mein Gott, ja natürlich! Das witzige war ja, dass wir inzwischen ein Label gefunden haben, mit dem wir international touren können. Und gerade die meinten, dass in Deutschland momentan überhaupt nichts ginge. Und plötzlich sind die Shows überall ausverkauft und das Label sagt: "Oh wow, you got fans!" Fuck, natürlich haben wir hier Fans, eine ganze Menge sogar!

Aber das Album kommt trotzdem nicht raus...
Ja, das ist ärgerlich. Wir versuchen aber, das ganze noch vor unserer nächsten Tour im Februar hier zu veröffentlichen.

"The Con" ist euer fünftes Studioalbum. Wie tourt es sich damit?
Ganz wunderbar. Das liegt zum einen daran, dass Tegan und ich inzwischen viel bessere Musiker sind, zum anderen aber auch daran, dass unser Publikum ausgesprochen heterogen ist. Es kommen so viele unterschiedliche Menschen, die alle respektvoll miteinander umgehen und es auch noch unterhaltsam finden, wenn Tegan und ich auf der Bühne mal wieder ununterbrochen reden. Außerdem haben wir eine fantastische Band, die, wie ich finde, live fast noch besser klingt als auf Platte.

Es scheint, als hättet ihr mit "The Con" endlich den richtigen Sound und das richtige Konzept gefunden!
Wir sind jetzt 26 Jahre alt, in dem Alter fangen viele Künstler gerade an, ihr erstes Album zu veröffentlichen. Wir machen aber schon so lange Musik zusammen, wir waren schon immer Tegan & Sara, wir haben nicht in irgendwelchen Coverbands gespielt oder in miserablen Bands Gitarre. Wir hatten von Anfang an die gleiche Zielsetzung - und wuchsen quasi musikalisch damit auf. Deswegen ist "The Con" inzwischen auch so befriedigend für uns. Aber wer weiß, vielleicht mögen wir das Album in fünf Jahren auch überhaupt nicht mehr, wer weiß? Mit 19 Jahren dachte ich ja auch, unser erstes Album sei perfekt - das war es zu diesem Zeitpunkt für uns ja auch. Inzwischen mag ich es gar nicht mehr.

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War Chris Walla (Death Cab For Cutie) da eine große Hilfe?
Oh ja. Wir haben ihm die Demos zu den Songs gegeben, auf denen Tegan und ich alles komplett allein eingespielt haben. Anstatt alles zu verpflücken und umzudrehen hat er gesagt: okay, wir folgen diesem Masterplan und machen alles genau so wie ihr es euch vorgestellt habt. Er war der Überzeugung, dass alles, was wir tun oder lassen wollten, genau richtig für das Album war. Matt Sharp hat natürlich auch entscheidend ddazu beigetragen. Und Jason McGerr von Death Cab For Cutie auch. Sie haben unsere Ideen verwirklicht, sie irgendwie richtig ausgebaut. Es ist schön, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht erst herausfinden müssen, was du ihnen eigentlich sagen willst. Die sofort wissen, wie du dir einen bestimmten Sound vorstellst und das ganze dann umsetzen.

Nach der Tour zu "So Jealous" habt ihr eine lange Pause gemacht. Warum eigentlich?
Wir hatten keine längere Pause seit wir mit 19 Jahren unser erstes Album veröffentlicht haben. Wir waren sieben Jahre auf Tour und vollkommen ausgebrannt. Für mich war es auch wichtig, irgendeinen Ort aufzubauen, den ich mein Zuhause nennen kann. Ich bin vor Jahren schon nach Montreal gezogen, aber habe nicht einmal die Zeit gefunden, alle Kisten auszupacken. Irgendwie wollte ich mir endlich mal ein Leben aufbauen, mich mit Freunden treffen, an meinen Nebenprojekten arbeiten.

Was war mit Tegan?
Sie hat die Auszeit gehasst!

Wie sieht das eigentlich aus, wenn ihr eine Auszeit nehmt? Geht ihr euch aus dem Weg?
Wir leben mehr als 3.000 Kilometer voneinander entfernt... (lacht) Aber bewusst aus dem Weg gehen wir uns nicht. Tegan war mal für ein paar Monate in Montreal, das war sehr schön. Aber eigentlich haben wir sehr unterschiedliche Leben, Interessen und Freunde.

Ich weiß nicht, ob das Zitat von dir oder von Tegan ist: "There are unspoken things between twins". Was heißt das?
Wir sind zusammen aufgewachsen, wir haben das gleiche Alter, wir sind zusammen zur High School gegangen, hatten die selben Erfahrungen als Heranwachsende - man teilt deshalb viele Sachen, auch die unausgesprochenen. Ich habe keinen Bruder und weiß nicht, ob das nun ein Phänomen speziell bei Zwillingen ist. Erst gestern haben wir noch darüber geredet, wie gut wir auf Tour miteinander auskommen. Denn eigentlich ist das ja ein unnormaler Zustand, dass erwachsene Menschen wochenlang miteinander herumhängen, von morgens bis abends. Tegan und ich können das aber besonders gut, weil es genau das ist, was Familien nunmal tun. Sie sind zusammen.

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Du brauchst also keine Pause von Tegan?
Nein, eher eine Pause von "uns". Davon, eine Band zu sein, ständig unterwegs zu sein, immer unter Beobachtung. Irgendwann, spätestens nach zwei Jahren, will man einfach nur nach Hause und ein normales Leben führen.

Und ihr braucht keine Zeit, euch wieder aneinander zu gewöhnen?
Nein. Als wir uns nach vielen Monaten in Montreal wiedertrafen, um "The Con" zu schreiben, war es so, als hätte die Pause nie existiert.

Akzeptiert ihr eigentlich Vorschläge voneinander?

Wir schreiben eigentlich nicht direkt Songs zusammen. Aber wir geben uns schon Feedback auf einzelne Demos. Klar, ich höre Tegan schon zu, wenn sie mir Tipps gibt. Aber ich vergesse sie sofort wieder (lacht).

Viele eurer Fans sind Teenager und du hast mal gesagt: "It's important to spread an honest message." Hattet ihr das im Hinterkopf, als ihr "The Con" aufgenommen habt?
Nein, das bezieht sich eher auf unser öffentliches Auftreten. Wir hatten von Anfang an den Anspruch, uns so zu geben, wie wir nunmal sind. Wir wollten nie auf die Bühne gehen und den abgefuckten Rockstar geben. Wir wollten natürlich Role Models sein, ja, aber nicht auf eine Art, die den Kids etwas predigt. Wir wollten immer auf die Bühne gehen und das Beste geben. Das geht aber nicht, wenn du zugedröhnt bist. Man ist einfach nicht gut, wenn man betrunken ist. Es ist unterhaltsam für dich selbst, aber nicht für das Publikum. Wir sind verantwortungsvolle Menschen, auf und neben der Bühne. Und dieses Bild setzt sich dann in der Öffentlichkeit fort - in der Presse, bei den Fans.

Du erwähnst die Presse: Habt ihr da schlechte Erfahrungen gemacht? Gerade in Kanada, wo das Interesse an euch wesentlich größer ist?
Ich denke, viele Musikjournalisten sind sehr faul und egozentrisch geworden. Es ist keine Kunstform mehr. Es geht in den meisten Artikeln nur noch darum, was der Journalist über die Band denkt - und nicht darum, was die Band eigentlich ist und ausmacht. Musikjournalismus ist zu einem narzisstischen Bloggen geworden, wo es eigentlich vollkommen egal und austauschbar geworden ist, was und wie du es schreibst, weil irgendwie jeder darüber schreibt und schreiben kann. Es wird nicht mehr als Kunstform gebraucht, auch als Kunstform, einem Künstler wirklich näher zu kommen.

Eure Songs beschäftigen sich viel mit der Liebe und speziell mit Beziehungen. Die Charakter scheinen immer wieder aneinander vorbeizudriften...
Ja, Liebe und Beziehungen spielen eine große Rolle in unseren Songs. Gerade bei "The Con" habe ich viel an meine zurückliegende Beziehung gedacht, vornehmlich aber über mich selbst geschrieben. 4 1/2 Jahre habe ich eine Beziehung geführt, die sich irgendwo zwischen dem zerfahrenen, ungeordneten Musikerleben und einem ganz normalen Alltagsleben mit Steuern und Hausarbeit befand. Darüber habe ich mir auf dem neuen Album den Kopf zerbrochen. Das Musikerleben eignet sich sehr schlecht für Beziehungen. Und das muss irgendwann auch mal verarbeitet werden. Nicht zu wissen, was einen in Zukunft erwartet. Ich habe ja auch Verantwortung zu tragen, künstlerisch. Wenn ich morgen keine Alben mehr veröffentliche, betrifft das auch noch andere Menschen, nicht bloß mich.

Bist du ein rastloser Mensch?
Das hängt ganz davon ab, in welcher Situation ich mich befinde. Ich brauche Strukturen. Sobald mein Leben unruhig verläuft, verhalte ich mich absolut chaotisch!

Interview + Text + Fotos: Robert Heldner

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