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Regina Spektor Interview

The Show Becomes A Home

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Spektor, Regina

Die Odyssee eines Regina Spektor Interviews beginnt im Herbst 2006. Der Interviewtermin mit der New Yorker Künstlerin in Hamburg steht, nach langem Bangen. Und ich bin froh, endlich mal Auge in Auge mit der Person zu sein, die mal eben das beste Klavier-Songwriter-Album des letzten Jahres gemacht hat. Regina allerdings will dann doch nicht, nicht mal live spielen. Sie weigert sich zu fliegen, nachdem einer der spektakulärsten Anschlagspläne in der Geschichte Großbritanniens aufgedeckt wurde. Ihre Europa-Tour wird gestrichen, das war es erstmal mit Regina Spektor. Im Frühjahr dann die frohe Kunde: In Deutschland wolle die New Yorkerin zwei Shows spielen. Bischen mager das ganze, aber gut. Vielleicht bietet sich erneut eine Chance für ein Interview. Wieder steht ein Termin, diesmal in Berlin. 17:30, der Wind pfeift durch die Gassen und in den Gliedern steckt die Kälte des Winters. Dann plötzlich klingelt das Handy: "Sorry, die Künstlerin fühlt sich nicht so gut. Das Interview muss leider ausfallen." Ich sehe schon das Warner-Gebäude, so nah bin ich. Erstaunlich unprotzig, ziemlich elegant sogar. Was soll's, wieder nichts.

Die letzte Chance, eine Woche später, am Telefon. Spektor residiert in Hamburg, in irgendeinem schicken Hotel. Sie ist unter einem anderen Namen gebucht, das durchstellen auf ihr Zimmer dauert ewig. Schließlich piepst ihre zarte Stimme durch die Leitung, und ich denke: Endlich angekommen, hat es also doch noch geklappt. "Hi. Ehem, kannst du einen Moment warten?" Stille in der Leitung, es wird gekramt und gestolpert, gegangen und geraschelt, am anderen Ende der Leitung. Dann wieder Regina: "Ich war auf der Suche nach einem Telephon, das ... ehm, du weißt schon ... so ein kabelloses Telephon. Aber aus irgendeinem Grund ist es diesem Hotel nicht möglich ... wartest du nochmal einen kurzen Augenblick?" Die Diva ist wieder verschwunden. Herr im Himmel, ist das eine Odyssee, denke ich und fluche leise. Schließlich ist die Exil-Russin und New Yorker Anti-Folk-Ikone doch zu sprechen. Es beginnt zäh.

Wenn das Internet nicht lügt wünsche ich dir erstmal nachträglich alles Gute zum Geburtstag!
Danke.

Du hast an dem Tag eine Show in Newcastle gespielt, stimmts?
Ja.

Ich würde mit Dir gern ein wenig über Heimat und das Gefühl von Heimat sprechen...
Hm. Und für welches Magazin ist das genau?

Ein Online-Magazin. Sellfish.
Aha. Und ihr habt euch auf dieses Thema spezialisiert?

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Die Künstlerin, das unbekannte Wesen

Eh, nein.
Oh, ich bin nur neugierig.

Okay. Also, wo bist du zuhause?
New York City.

Und da fühlst du dich auch zuhause?
Na klar.

Regina wurde in Moskau geboren. Ihre Eltern und sie selbst sind Juden, emigrieren 1989 im Zuge der Perestroika über Italien nach New York. Regina lässt ihr Klavier zurück, sonst nicht viel. Ihre neue Heimat heißt USA. Und dort fühlt sich die junge Künstlerin sehr bald sehr wohl. Sie nimmt weiterhin Klavierunterricht, wechselt ein paar mal die High School, macht ihren Abschluss und geht aufs Purchase College, NY. Der eigentliche Knackpunkt, die Befreiung von den starren Regeln der klassischen Musik, den Input, den bekommt sie von der New Yorker Anti-Folk-Szene. Im East Village spielt sie in Bars und Cafés, spielt mit Freunden in Hinterhöfen und tritt überall dort auf, wo Künstler und Pianos herumstehen. Spätestens mit "Begin To Hope" letztes Jahr hat sie sich von der Szene gelöst. Vielleicht ist sie ihr auch wieder zu starr geworden. Regina Spektor ist jetzt eine international gefeierte Künstlerin, mit drei Single-Auskopplungen, Videos, Airplay, Konzerten, ausverkauften Tourneen. Und doch bleibt sie undurchsichtig, spielt entweder die Rolle der unscheinbaren, naiven Künstlerin, wie in der "Good Morning America"-Show. Oder aber sie gibt ab und zu die kleine Diva, wie, unglücklicherweise, in diesem Interview. Spektor bleibt undurchsichtig.

Wenn du in Europa bist, willst du da nicht auch Russland einen Besuch abstatten? Warst du da seit eurer Emigration überhaupt wieder?

Nein, war ich nicht.

Und du willst da auch nicht hin?
Das würde ich so nicht sagen. Aber ich war auch noch nie in Japan. Alles kommt zu seiner richtigen Zeit.

Aber zu Russland musst du doch eine spezielle Beziehung haben. Schließlich wurdest du dort geboren!
Klar, das ist ja wohl auch logisch.

Erinnerst du dich an eure Emigration?

Na klar. Zehn Jahre ist ein gutes Alter, um alles aufzunehmen. In dem Alter ist man schließlich schon eine eigenständige Person.

Hast du dich damals entwurzelt gefühlt?
Nicht auf eine besonders dramatische Art und Weise. Wenn du zehn Jahre alt bist und deine Familie um dich herum hast, dann hast du eine mobile Heimat! (lacht) In dem Alter sind deine Eltern dein Zuhause.

Konntest du die Gründe eurer Emigration verstehen?
Ja. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, wie du als Zehnjähriger warst. Aber ich war eine sehr selbstbewusste Person. Ich habe alles in mich aufgesogen.

Wenn du auf Tour bist, fühlst du dich da heimatlos?
Nein, erstaunlicherweise überhaupt nicht. Was eigentlich überrascht, weil ich mich mit New York so verbunden fühle. Das liegt, denke ich, daran, dass New York auf bestimmte Art und Weise die Welt repräsentiert. Die Stadt ist so groß und beherbergt eigentlich jede Sprache, jede Nation und jede Kultur der Welt. Deshalb fällt es mir auch so leicht, mich an nahezu jedem Ort der Welt zu Hause zu fühlen.

Hast du kleine Rituale, um dich an einem Ort einzurichten?

Oh nein, dazu bin ich viel zu chaotisch.

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Das Cover, der Stern.

War das Symbol deiner Religion auf dem Cover von "Begin To Hope" bewusst gewählt?
Das kam eher zufällig. Ich hatte ein großes Foto-Shooting in London, das war ziemlich aufgestyled. Als ich mir die Bilder ansah, dachte ich mir: "Nein, das soll nicht das Album repräsentieren." Irgendwann habe ich mich mit einer Freundin in New York getroffen und eher beiläufig ein paar neue Bilder gemacht. Und zufällig trug ich dabei meinen Stern. Natürlich ist es im nachhinein schön, dass der Stern auf dem Cover zu sehen ist. Da steckte aber keinesfalls ein Plan dahinter.

Spielt Religion eine große Rolle für dich?
Ja. Es ist ja nicht bloß irgendeine Religion, es ist eine Erbschaft. Es ist also nicht bloß ein spiritueller Glaube, sondern auch eine Verbindung zu meinen Vorfahren und meiner Heimat.

Kann Religion eine zweite Heimat sein?
Auf jedenfall. Vor allem die Gemeinschaft einer Religion kann eine zweite Heimat sein. Die meisten Religionen schöpfen ihren Wert daraus, dass man etwas gemeinsam erlebt und ergründet.

Das Video zu "On The Radio" ist wunderschön. Darin sieht man dich als Musiklehrerin...
Ja. Meine Mutter ist selbst Musiklehrerin und unterrichtet die Kinder aus dem Video an genau dieser Schule. Es war so schön, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Ständig kamen sie an und fragten: "Are you Miss Spektors daughter?" Das war sehr niedlich.

Hattest du selbst zu dieser Zeit ein großes Interesse an Musik?
Oh ja. Ich hatte ja nebenbei Klavierunterricht in meiner Freizeit. Da musst du schon gesteigertes Interesse an Musik haben, sonst macht das keinen Spaß.

Du bist in der Bronx aufgewachsen. Hast du dort etwas gelernt, was du woanders nicht hättest lernen können?
Schwierige Frage. Die Bronx ist ein sehr spezieller, facettenreicher Ort. Die Menschen dort sind untereinander sehr freundlich. Es ist wie eine kleine Stadt innerhalb einer großen Stadt.

Eine Gemeinschaft, dessen Teil man sein muss, um sie zu verstehen...?

Vielleicht. Allerdings ist die Bronx offener als viele andere Stadtteile und Kommunen. Ich glaube, wenn du ein paar mal diesen Ort besuchst, wirst du ganz schnell Menschen wiedererkennen und irgendwie ein Gefühl dafür bekommen, was es heißt, in der Bronx zu leben.

Du hast dich da von Anfang an zu Hause gefühlt?
Ja. Ja, soweit ich mich daran erinnere.

Hat New York einen speziellen Vibe für Künstler?
Oh ja. Die ganze Stadt brummt nur so vor Kunst. Es gibt dort so viele Künstler, die bettelarm sind. Und Kunst ist ja meist dann am dringlichsten, wenn sie aus der Not geboren wird.

Hast du noch eine enge Verbindung zur Anti-Folk-Szene?
Also wenn du mit enger Verbindung meinst, dass ich mich dort täglich mit den Menschen treffe, dann sicherlich nicht. Aber was Einfluss und Respekt angeht: Da besteht definitiv eine enge Verbindung!

Du hast das Klavier als klassisches Instrument gelernt. Stehen sich klassische Musik und Improvisation im Gegensatz zueinander?

Am Anfang war das sicherlich noch nicht so. Als ich angefangen habe, Klavier zu lernen, habe ich viele Solokonzerte gelernt, bei denen der Komponist Freistellen gelassen hat, die zur Improvisation gedacht waren. Das hat mich damals sehr überrascht. Das ist auch ziemlich gemein, dass das den Schülern vorenthalten wird, weil man ja sehr lange braucht, bis man soweit ist, Solokonzerte zu spielen. Ich glaube also nicht, dass sich klassische Musik und Improvisation gegenüber stehen. Es nur so, dass im Laufe der Zeit jede etablierte Kunst ihre eigenen Regeln aufstellt. Es wird den Menschen entrissen und auf einen Sockel gestellt, preziös und starr. Ich bin froh, beides verinnerlicht zu haben. Auf der einen Seite die Ausbildung, die viel der Improvisation später überhaupt erst möglich macht. Und auf der anderen Seite das unbedarfte Herangehen an Musik, das vielen klassisch Ausgebildeten abgeht.

Wenn du dich heute abend auf der Bühne ans Klavier setzen wirst: Art Heimatgefühl?
Ja. Wann immer man etwas wiederholt, immer und immer wieder, und es sich natürlich und richtig anfühlt, dann ist man zu Hause. The Show becomes a home.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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