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Benjy Ferree Interview

Her mit der Bühne!


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...zur Freude John Steinbecks?

Benjy Ferree ist ein Kauz. Im besten, wohlwollenden Sinne. Er ist ein Kauz, weil seine Musik so anachronistisch, zeitlos und verschroben daherkommt. Aber auch, weil er einfach wie ein Kauz aussieht. Und so redet. Am Telefon macht er jedenfalls nicht den Eindruck, irgendjemand anderes zu sein als ein Musikliebhaber, ein Cineast, ein hingebungsvoller Romantiker. Und damit ist man in der heutigen Zeit ja schon ein Kauz. Als er das Telefon in die Hand nimmt, grüßt er höflich und beantwortet die ersten drei Fragen lediglich mit einem fröhlichen "Yes, Sir!". Zum Glück ändert sich das schnell. Benjy Ferree mag nämlich keine Floskeln, keinen Small Talk. Erst mit der eigenen Ehrlichkeit beginnt sich Ferree zu öffnen. Kein Trick meinerseits, Dinge aus ihm herauszulocken. Es ist einfach ein Anliegen.

Benjy, ich habe dein Album jetzt seit einem Monat und es begleitet mich überall hin. Ich höre kaum noch etwas anderes. Man könnte sagen, dieses Album befriedet mich. "It soothes me!"
Das ist ein wunderbares Kompliment! Denn genau diese Musik liebe ich auch. Musik, die mich beruhigt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dass dir mein Album gefällt!

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Im Herzen: Maryland

Du stehst noch am Anfang deiner musikalischen Karriere. Macht es dir etwas aus, offen über deine Musik zu reden?
Ach, keiner könnte besser über meine Musik Auskunft geben als ich selbst. Gerade in Deutschland sind die Journalisten sehr direkt und interessiert. Die einzig merkwürdige Erfahrung war vor ein paar Wochen, als mich ein Musikjournalist interviewed hat, der offenkundig noch nie einen Song von mir gehört hatte. Er war sehr nett und es war mir auch vollkommen egal. Aber ich konnte einfach nicht verstehen, warum er mich sprechen wollte. Aber es macht mir nichts aus, über mich und meine Musik zu reden. Ich hatte in den letzten vier Stunden fünf Interviews, ich bin jetzt Profi! (lacht)

Ferree wird in Silver Spring, Maryland geboren. Mitten an der Ostküste. Ein amerikanisches Idyll: Fischerhäfen an der Chesapeake Bay. Weiden voller Kühe und Schafe, verträumt, malerisch, katholisch. Inklusive Hauptstadt eines ganzen Riesenstaates: Washington D.C. Ferree wächst im Prince Georges County auf, mit der Musik von Bad Brains, Rare Essence, Fugazi. Das hört man auch auf seinem Debüt, "Leaving the Nest". Obwohl man da schon ganz genau hinhören muss. Denn eigentlich ist es eine Art Folk-Album geworden. Ein musikalisches Idyll. Wenn auch ein emotional ziemlich gerodetes Idyll. Bevor es nämlich zu "Leaving the Nest" kommen konnte, mussten erst einmal Träume zerstört werden. Ferree ist jetzt Anfang dreißig. Aber er hat schon einen Lebensentwurf begraben.

Stimmt das? Dass du Schauspieler gewesen bist?
Ich war nie wirklich ein Schauspieler. Ich habe das studiert, ja, aber ich würde mich nie als Schauspieler bezeichnen. Es ist lange her, dass ich nach Hollywood ging. Da war ich 21 Jahre alt, jetzt bin ich 32. Die Leute scheinen zu glauben, dass ich geradewegs aus Hollywood komme, aber das ist jetzt auch schon wieder sieben Jahre her. Kein einziger von meinen Songs wurde dort geschrieben! Und rückblickend betrachtet war der einzige Grund, warum ich ein paar Jahre in Hollywood blieb, der, dass ich mir eine Existenz aufgebaut hatte, aus dem ich mich nicht wegtraute. Ich musste nach Los Angeles ziehen, um das zu verstehen. Ich weiß jetzt, dass ich keine Filme machen kann. Ich habe meine Gitarre, um Ideen zu artikulieren. Also mache ich jetzt lieber ein Album anstatt einen Film zu drehen.

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Das Logo des ehrwürdigen Labels Domino Recordo, Heimat von u.a.: Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, Lou Barlow oder Bonnie 'Prince' Billy

Du bist jetzt bei einem der interessantesten Indie-Labels der Welt, Domino (Franz Ferdinand usw.), die bald dein Debütalbum "Leaving the Nest" veröffentlichen. Wann warst du dir denn sicher, dass du lieber Musik machen willst als vor oder hinter der Kamera zu stehen?
So richtig sicher war ich mir erst, als ich meine Freunde um mich hatte, die drauf und drann waren, mit mir zusammen dieses Album einzuspielen. Ohne Denni Kane und Brendan Canty (Fugazi) hätte ich das ganze wahrscheinlich nie beendet. 2005 hat Laris Kreslins 1000 Stück meiner EP "Leaving the Nest" gepresst und verkauft. Er wollte keinen Gewinn machen, nur die Platte an die Leute bringen. Er ist der Gründer von "Arthur Magazine", einem grandiosen Underground Fanzine. Er meinte: "Wenn nur genügend Leute dein Album in die Finger bekommen, dann wird sich auch ein Label für dich interessieren!" Naja, irgendwann hat er mir dann die Leute von Domino vorgestellt. Der einzige Grund, warum ich bei ihnen einen Vertrag unterzeichnet habe, war, dass sie durch und durch nette Menschen sind. Ich kenne Franz Ferdinand ohne irgendwelche anderen Bands dieses Labels nicht, das ist mir vollkommen egal. Naja, irgendwie musste mir Laris auf den Kopf hauen und sagen: komm schon, ich würde dir nichts empfehlen, das nicht gut für dich ist! Tja, und jetzt sind die Menschen bei Domino meine Freunde. Ist alles Glückssache. Und ich bin gerade der glücklichste Mensch überhaupt!

Haben sie bei Domino Druck gemacht? War das komisch, dass du aus einer EP ein ganzes Album machen solltest? Das klingt nach Auftragsarbeit...
Zu Anfang schien mir das auch etwas merkwürdig. Aber dann dachte ich mir: die EP hat ohnehin noch kaum jemand gehört, mache ich eben ein ganzes Album daraus. Vier Songs habe ich letztlich noch hinzugefügt. "Dogkillers", "Private Honeymoon", "In the Woods" und noch einen Song, der mir gerade entfallen ist. "In the Woods" hatte ich schon seit einer ganzen Weile. Der ist damals nur deshalb nicht auf der EP gelandet, weil die Qualität furchtbar war. Also, um auf die Frage zurück zu kommen: sie haben mich nicht gezwungen. Eher ermutigt, daraus ein ganzes Album zu machen.

Das Album hat mit "Dogkillers" einen sehr lauten, mit "In the Woods" einen sehr leisen Höhepunkt. War das beabsichtigt, zwischen zwei Stilarten so hin- und herzupendeln?
Nein, soetwas plane ich nicht. Ich wollte mich nicht selbst zensieren, sondern meinem Songwriting freien Lauf lassen. Wenn dabei so unterschiedliche Songs dabei herauskommen, finde ich das umso besser. Früher habe ich mich gezügelt, habe mir selbst verboten, gewisse Stilarten auszuprobieren. Deshalb habe ich auch solange kein Album zustande gebracht.

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"Leaving the Nest": ein Anachronismus, ein Meilenstein.

Du arbeitest immer noch als Barkeeper in Washington D.C.?
Ja. Ich bin immer noch Barkeeper. Das ist mein Job. Musik ist nur Spaß. Versteh mich nicht falsch: wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich ohne Frage die Musik wählen. Aber bei realistischer Betrachtungsweise: auf Indie-Labels gibt es Unmengen Bands, die nebenher ihre Jobs haben. Das ist bei mir auch so, das macht nichts. Mich kennt hier in Europa keiner, das finde ich nicht schlimm. Selbst wenn du in Amerika berühmt bist, bedeutet das einen Scheißdreck. Selbst die Villen, die sie bei MTV Cribs zeigen, sind geliehen. Ruhm und Geld bedeuten nichts, ich bin mit Archie Bronson Outfit getourt, das macht mich zu einem glücklicheren Menschen!

Was ist dein ultimatives Karriere-Ziel?
Mein ultimatives Karriere-Ziel ist es, nicht von Domino Recordo gedropt zu werden. Wenn mein Vertrag bei ihnen irgendwann ausläuft, möchte ich einen neuen bei Domino und für den Rest meines Lebens Musik machen! Und als glücklicher alter Mann in einem Schaukelstuhl sterben. Mit der Gitarre in der Hand.

Und den Kinder zu Füßen?
Und deren Kinder. Und meine Nachbarn.

Welche Filme inspirieren dich beim Songschreiben?

"Les Quatre cents coups" von Truffaut zum Beispiel. Allein die Szene, in der er ausbricht und Richtung Ozean rennt, inspiriert und berührt mich immer wieder. Er ist zwar frei, hat endlich das Meer erreicht. Aber da ist immer noch der Ozean, den es zu überqueren gilt. Ja, die europäische Filmszene hat es mir angetan. Gerade auch die deutsche. Fritz Lang ist einer meiner absoluten Lieblingsregisseure. Aber da ist noch so viel, was ich gern sehen würde.

Gehörst du auf der Bühne eher zu den Künstlern, die sich stärker oder schwächer fühlen, wenn sie ihre Musik teilen?

Auf Konzerten bin ich nicht wirklich schwach und verletztlich. Es ist vielmehr eine Kommunikation, die dort entsteht. Außerdem ist an Verletztlichkeit, die man auf der Bühne zeigt, nicht negatives. Das hat immer etwas charmantes. Ich will die Gedanken und die Musik teilen. Das geht nur, wenn ich mich anderen Menschen konfrontiere. Wir haben ja alle nichts zu verlieren. Wir könnten morgen schon tot sein. Wenn mir jemand einen Plattenvertrag anbietet: her damit, ich mache eine Platte. Ihr wollt, dass ich live spiele? Her mit der Bühne. Ich werde alles mitnehmen und mich um Verletzlichkeit nicht kümmern.  

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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