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Jamie T Interview

From here to Salvador

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Hat gut Lachen: Jamie Treays

„It’s T for Talent“ titelte vor wenigen Wochen der britische Daily Star und brachte damit im Grunde auf den Punkt, wovon nach den Singles "Sheila" und "If you got the money" ohnehin schon fast jeder überzeugt war. Einfach zu elektrisierend war und ist die Mischung aus The Clash, The Jam, The Streets und The Specials. Zuviele The's im Satz? Schon wieder unruhig? Nun, zumindest bei Jamie T ist die Sorge diesmal zu 50% unbegründet. Hier nämlich müsste es richtigerweise heissen: "It's T for The Mix-Mash". Mix-Mash ist nämlich nicht bloß eines der Lieblingswörter Jamie T's, sondern zugleich Philosophie und Antrieb. "Ich habe mir über die vielen Stilarten keine Gedanken gemacht, sondern einfach nur die Songs aufgenommen, die mir am besten gefielen. Ich wollte ganz einfach ein paar neue Sachen ausprobieren, die für mich einen gewissen Vibe versprühen", näselt der neue Liebling der britischen Fachpresse ziemlich gelangweilt ins Telephon. Es ist Dezember, ca. 1 1/2 Monate vor Veröffentlichung seines Albums "Panic Prevention" und die Promotion läuft auf Hochtouren. In Deutschland hält es ihn nicht lange. Ein Interviewtag, vollgequetscht mit Terminen. Das ist für einen hibbeligen 20jährigen aus der Londoner Vorstadt schon fast zu viel des Guten. Und dann fangen die alle auch noch an, ihn als Genie zu bezeichnen. "Bollocks! Ich habe doch nur ein paar Songs geschrieben, mehr nicht! Wer weiß, ob die mich auch in Zukunft noch als Genie bezeichnen ... Naja, selbst wenn sie meine Musik hassen würden, könnte ich nicht damit aufhören!"

Es passt also alles zusammen: hinter Jamie's Rücken steht keine Band in Röhrenjeans und Chucks, keine verdrogte Rythmuskapelle oder New-Wave-Fetischisten. Hinter Jamie T steht eigentlich niemand. Er ist sein eigener Herr. Herr über tausende kleine Soundideen, Worteskapaden und Songfragmente. Auf "Panic Prevention" nämlich poltert es zwar wie in einer Garage. Heraus kommt allerdings kein x-beliebiger Post-Punk oder New Rave. Sondern in erster Linie Lo-Fi-Alltagsrap. Wie sich Jamie da ausschüttet, wie sich die Worte fast überschlagen und gemeinsam durch die Suburbs von London taumeln, das hat etwas ungemein assoziales und liebenswertes zugleich. Es ist, nun ja ... genialistisch.

Pacemaker - "Cause you're always drunken / We're not captains just skivvy sunken / Humdrum drum, drum, live fast die young"

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Jamie T's dritter Arm: irgendein Technik-Teil

Die Themen nämlich, die Jamie T zu Bassgitarre und Beats rapt, sind geradewegs vom Bordstein gekratzt. Eine ganze Generation liegt in ihrer eigenen Kotze. Und Jamie T hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau darüber zu schreiben. Wo sich Bloc Partys Sänger Kele Okereke pessimistisch und angeekelt abwendet und das Ende der Moral eingeläutet sieht, da schaut Jamie T gleich dreimal genauer hin. "Sheila and her mate Stella", Sheila und der Alkohol also, taumeln durch das versoffene Wochenende. Kotzt sich die Seele aus dem Leib und hat außer kurzem Sex und Spaß auch nichts anderes im Kopf. Allerdings sieht Jamie T in diesem ausschweifenden Lebensstil nichts allzu verwerfliches. Das ist vor allem zwei Tatsachen geschuldet: zum einen ist Jamie erst 20 jahre alt. Und zum anderen pflegt er selbst keinen anderen Lebensstil. Im Unterschied zu vielen seiner Vorort-Lads hat Jamie allerdings Talent. Und nutzt genau das zur Zustandsbeschreibung "seiner" Generation. Kein moralischer zeigefinger droht da durch die Luft zu segeln. Aber eben auch keine Beschönigungen.

Jamie T ist auf wundersame weise eine Versöhnung der Musikgeschichte: links der Punk, rechts der Hip-Hop. In der Mitte Pop. Und von oben Reggea. Und als wäre das noch nicht genug der Loorbeeren, heisst es allerorten: Jamie T hat den Suburban Sound neu erfunden. Was denn nun eigentlich so Suburban sei an seiner Musik, weiß Jamie auch nicht so richtig zu erklären. "Die Suburbs sind merkwürdige, skurrile Orte. Es gibt einfach nicht viel zu tun. Alles ist von einer gewissen Leere, du musst dir deine eigene Beschäftigung schaffen. Dir wird nicht, wie in der Großstadt, alles geboten und vor die Füße gelegt. Und wenn du dir selbst etwas schaffen musst, macht das am Ende sogar mehr Spaß. Langeweile fördert die Kreativität."

So Lonely was the Ballad - "There's never been a better way than getting right out of this town on Monday / Well I still wear my old tap shoes, they fit"

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Suburban-Coolness?

Die Kreativität hat sich Jamie seit Teenagertagen selbst erkämpft. In Wimbledon gibt es nicht viel zu tun, also schnappt er sich ein Schlagzeug und lärmt zuhause herum. "Ich bin in die Musik mehr so reingestolpert. Ich habe eine Weile Schlagzeug gespielt. Aber irgendwann wurde mir das zu langweilig, weil der Kreativität arge Grenzen gesetzt sind. Also habe ich mir einen Bass geschnappt." Nach dem Tod seiner Großtante kauft er sich vom ihm hinterlassenen Geld ein Powerbook und eine einfache Musiksoftware. Er fängt an, im Kinderzimmer seines Elternhauses an Songs zu basteln, trägt Texte bei Open Mic Abenden vor und spielt Bass in der Fußgängerzone von Wimbledon. Er lernt von der Pike auf, was es heisst, als Solokünstler unterwegs zu sein. Ohne allerdings auf die Hilfe seiner Freunde zu verzichten: "Meine Freunde und Bekannte haben mich immer ermutigt und mir geholfen. Eigentlich sind fast alle meine Freunde Musiker oder in irgendeiner Art und Weise mit Musik in Berührung. Sie haben mich musikalisch erzogen, ich habe viel von ihnen gelernt. Sie haben mir Auftritte verschafft, mir Instrumente geliehen. Ich bin ihnen sehr dankbar."

So richtig ins Rollen kommt nämlich alles erst, als Jamie erste Singles auf seinem Mini-Label "Pacemaker Recordings" veröffentlicht. Die EP "Betty and the Selfish Sons" wird zu einem begehrten Exemplar, was nicht zuletzt einem ganz besonderen Umstand geschuldet ist: dem „12 Bar Club“, einem Folk-Club im Londoner Stadtteil Soho. Dort nämlich startet Jamie seine Partyreihe „Panic Prevention Disco“ Anfang 2006. "Der Grund, warum wir das selbst in die Hand nehmen wollten: die meisten Partys gefielen mir einfach nicht. In London wird soetwas immer schnell ziemlich verschnobt und elitär. Das wollte ich gern ändern. Having fun rather than looking cool. 8 Monate lang haben wir das gemacht. Jetzt wird das natürlich weniger, weil ich permanent auf Tour bin oder irgendwelche Promotion-Termine mache. Aber hoffentlich geht das weiter!" Danach geht es Schlag auf Schlag: Jamie findet ein Label, veröffentlicht die Single "Sheila", wird von BBC Radio 1 besonders engagiert unterstützt und ist binnen weniger Wochen auf dem Weg zum neuen Underground-Phänomen.

Salvador - "From here to salvador, the ladies dance / To fill us reckless sons with passions of the heart"

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Begeistert, selbst von so etwas schnödem wie einem Kassettenspieler

Das Klischee des einsamen Lo-Fi-Songwriters, das die Medien jetzt gern aufbauen, ist eigentlich zur Hälfte Unfug, oder?
Genau das habe ich heute auch schon ein paar mal sagen müssen: was für ein verfluchtes Klischee!! Ich habe zwar viele SOngs zuhause aufgenommen, wahrscheinlich knapp 70 Stück. Davon habe ich meine Lieblingsstücke ausgewählt und mit meinem Kumpel Ben darin herumexperimentiert. Er hat mir geholfen, viele Dinge aufzunehmen, die ich gar nicht allein hinbekommen hätte. Irgendwann wurde ich ein bischen irre, weil sich alles in einem kleinen Raum abspielte: da wo ich schlief nahm ich auch auf. Wir sind dann in Bens kleines Studio, das eigentlich sogar noch kleiner war als mein Zimmer. Und dort haben wir uns dann 1 1/2 Monate eingeschlossen und herumexperimentiert. Das Mixen wurde irgendwann ein Problem, weil Ben und ich zwar prima Ideen hatten, aber wir nicht gerade Technik-Geeks sind. Wir haben damals unsere Songs ein paar befreundeten DJs gegeben. und was da dann über die Boxen wummerte, war nicht gerade schön anzuhören. Also haben wir uns schließlich professionelle Unterstützung geholt. "Panic Prevention" wäre ohne Unterstützung meiner Freund nicht möglich gewesen. Das wird gern unterschlagen, ist aber nicht fair.

Und wird die Zukunft auch Lo-Fi bleiben?
Lo-Fi war es vor allem wegen der fehlenden finanziellen Mittel und Ausstattung. Wer weiß wie sich das in Zukunft anhört. Das kann sich jederzeit ändern. Ich habe keine Ahnung ... 

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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