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Knarf Rellöm vs. Jeans Team Interview

Der Ultimative Jahresrückblick


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Das Bavarian Open 2006 beginnt mit einem Interview. Zwei Bands stehen auf dem Zettel: Jeans Team und Knarf Rellöm Trinity. In Punkto Eigenständigkeit und Individualismus zwei sich ähnelnde Bands. Die einen, Jeans Team, haben gerade mit "Das Zelt" einen der Clubhits 2006 abgeliefert und mit "Kopf Auf", dem dazugehörigen Album, bewiesen, wie sehr Pop, Techno, Electro und Wanderlieder Hand in Hand gehen können. Knarf Rellöm Trinity auf der anderen Seite outen sich auf der Bühne gern als Tanz- und Kostümfetischisten, Knarf Rellöm selbst macht seit Jahrzehnten elektronische, sinnvolle und sinnfreie Popmusik für den modernen Punk. Er ist es auch, der im BR-Funkhaus die Initiative ergreift und zielstrebig losläuft. Richtung Kneipe. Jeans Team hinterher. Beide Bands kennen sich nicht näher, kommen sofort ins Gespräch. Ich trotte hinterher. Im "Funkstadl", einer urigen Kneipe unweit des Festivalortes, lassen wir uns nieder. Es gibt "Nen Russen", wie Franz Schütte erklärt, ein "Weißbier mit Orangenlimo". Und Cola. Und nur Bier. Und gute Laune.

Knarf Rellöm: Ich habe eure Platte noch nicht richtig gehört, nur so ein erstes mal durchskippen. Hat mir aber gefallen!
Franz Schütte (Jeans Team): Super, das freut mich. Ich habe eure noch gar nicht gehört. Die kam doch auch vor kurzem raus, wie hieß die nochmal?
Knarf: "Move your ass and your mind will follow".
Schütte: Das kann ich mir nicht merken!

Januar: Dänischer Karikaturenstreit.

Schütte: So lange ist das schon her? Wir igeln immer im Studio rum, da vermischt sich alles.
Knarf (ironisch): ...und da schaltet man total ab, ne?
Schütte (nicht minder ironisch): Ja, das ist so entschlackend!
Knarf: Außerdem sind wir ja so konzentriert im Studio, weil wir an unserer Future-Musik arbeiten!

Knarf Rellöm und Jeans Team machen also Future-Musik, kann man das so festhalten?
Knarf: Ich für meinen Teil ja, und das Jeans Team bestimmt auch, oder?
Schütte (abgelenkt): ...ein musikalischer Diskuswurf weit in das nächte Jahrzehnt hinein!
Knarf: Das hast du schön gesagt!
Reimo Herfort (Jeans Team): Aber er hat recht! Man lebt ja als Musiker permanent in der Zukunft. Der Release einer Platte ist ja schon Monate im voraus geplant. Und wenn das dann eintritt, ist die Platte schon längst Vergangenheit! Wir wurden aber bei der aktuellen Platte vom Release-Datum völlig überrumpelt!
Knarf: "Jungs, gebt endlich eure Platte ab, morgen ist Veröffentlichungsdatum!" So in der Art?
Herfort: Naja, eher so: "Wenn ihr die Platte nicht abgebt, machen wir das Label dicht!" (lacht)
Knarf: Bei uns ist das andersrum. "Wenn ihr die Platte abgebt, machen wir das Label dicht!" Prost übrigens!

Februar: Cheney schießt bei Entenjagd auf Mitarbeiter


Knarf: Och, naja. Man muss halt mit allem rechnen, wenn man mit Waffen umgeht! Aber ich kann mich an gar nichts mehr erinnern, was im Februar war.
Herfort: Doch, ich. Ich hab da Geburtstag. Richtig abgesahnt dieses Jahr, weil ich geerbt habe! So konnte ich meiner Freundin dieses Jahr endlich mal was richtig Teures schenken!
Knarf: Was denn?
Herfort: Ein Hermes-Parfüm.
Schütte: Und eine guseiserne Pfanne? (lacht)
Knarf: Naja, aber das mit Cheney, da kann ich mich nicht mehr dran erinnern. Das soll aber nicht heißen, dass ich ein uninformierter Idiot bin!

März: Vogelgrippe

Schütte: Uninteressant!
Herfort: Ich habe aber gehört, dass Richard Ashcroft seine Deutschland-Termine abgesagt hat, aus Angst vor der Vogelgrippe!
Schütte: Wisst ihr was interessant ist? Ich habe neulich einen Bericht gelesen ... (Gelächter) ...jaja, ich habe auch mal einen Bericht gelesen. Das war erstes Halbjahr 2006. Über Wildschweine. Wenn sie die im Osten Deutschlands erlegen, dann gehen die erstmal mit einem Geigerzähler drüber, weil die Dinger von Tschernobyl noch verstrahlt sind. Weil die ja die Pilze und den ganzen Kram so tief aus der Erde graben! Da hast du dann plötzlich verstrahltes Schwein auf dem Teller. Nettes Pendant zum Gammelfleisch übrigens.

Juni: Die T-Frage spaltet Deutschland

Knarf: Ach Gott, nein.
Schütte: Hat sich doch als richtig herausgestellt, zum Schluss. Der Kahn hat sich ja auch hässlich verhalten, in der ganzen Angelegenheit.
Knarf: Du bist also Fußballpsychologe?
Schütte: Ne. Aber das habe ich halt so mitbekommen. Außerdem glaube ich ja, das war eine abgekarterte Sache, damit sie sich am Ende doch noch versöhnen konnten. Da gibt es doch diese Szene nach dem verlorenen Italien-Spiel, wo Kahn zu Lehmann geht. Ich glaube, er streichelt ihn sogar ein bischen. Das war wie eine Segnung! (lacht)
Herfort: Bevor wir das vergessen: im Juni war doch noch der Problembär Bruno! Und ihr werdet das vielleicht nicht wissen, aber es gab da noch eine Angelegenheit mit dem "weißen Reh"!
Knarf: Wie bitte?
Herfort: Das weiße Reh! Das Albino-Reh!
Knarf: Was soll das denn sein?
Herfort: Das wollten sie wegen seiner Mutation erschießen!
Knarf: Ein Reh ist doch Sympathieträger! Wer wollte das denn erschießen?
Herfort: Ein Koch! Der wollte das als Attraktion servieren, als Festtagsessen!

Juli: Fußball WM

Schütte: Ich fand diesen Zidane-Abgang ja grandios!
Knarf: Das sah mir so inszeniert aus. So lasch irgendwie! Als wollte er ihn gar nicht richtig treffen.
Schütte: Also ich hätte den nicht abkriegen wollen!
Knarf: Ich bin mir ziemlich sicher, dass alles inszeniert war. Die haben vorher abgemacht: "Du, Zidane, triffst mich mit dem Kopf an der Brust, nachdem ich dich beleidigt habe. Du willst eh aufhören, die französischen Kinder haben noch was zu lachen, es gibt eine Gewaltdiskussion in Frankreich ...
Herfort: Ich war ja nicht einmal im Stadion, aber Verwandte von mir. Ich habe sie gefragt, wie sie an die Karten herangekommen sind. Sie sagten: "Na von Robert Hood!". Und ich: "Wie, ihr kennt den Techno-DJ?" Da habe ich nur verständnislose Blicke geerntet.

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Da fällt mir ein: Im Juli ist auch noch Syd Barrett gestorben.
Herfort: Kenn ich nicht!
Knarf: Pink Floyd Gründungsmitglied.
Herfort: Pink Floyd finde ich gut! Die haben schöne Platten gemacht.
Schütte: Ne, aber nicht durchgängig, das kann man nicht sagen!
Herfort: Doch. Die eine ist super. Die mit dem Ohr vorne drauf. Die man auf 33 und 45 hören kann, das klingt beides gleich.
Schütte: Ich habe mal den kompletten Pink Floyd Film "The Wall" durchgekotzt. Mit Ankündigung! "Nee, den macht ihr jetzt nicht rein!" Gute Freunde waren das. Reimo war auch dabei, der hat sich aber auch nicht auf meine Seite geschlagen. Sobald der Film anfing, bin ich auf die Terrasse und habe gekotzt. Es war saukalt, Schnee lag auch noch. Zehn Minuten länger, und ich wäre erfroren. Als dann der Film zuende war und die Musik wieder etwas technoider wurde, bin ich wieder rein. Da gings mir dann auch schlagartig wieder gut. Aber eins ist klar: diesen Film lasse ich nicht auf meine Kinder los. Niemals!

August: Terroristen wollten zehn Flugzeuge aus London sprengen.


Schütte: Ach, der Kram. Unglaublich, wie scharf die Sicherheitskontrollen geworden sind. Und was man trotzdem noch immer alles mit reinschmuggeln kann.
Knarf: Babynahrung darf man aber nicht mehr mitnehmen!
Schütte: Doch, bis 100ml. Ich glaube das haben die nur gemacht, damit du an Bord Bier und Sekt kaufst. Damit verdienen die sich dumm und dämlich!

Als Tipp haben die Flugbehörden mitgegeben: wer Sekt oder Bier hat, bitte vorher austrinken.
Schütte: Da kenne ich aber noch einen viel besseren Tipp. Und zwar isst du ein rohes Ei, bevor du losfliegst. Und trinkst Unmengen Schnaps. Da wird der Schnaps in dem Ei gebunden. Im Flugzeug selbst brauchst du nur eine Cola trinken und es macht Peng! So macht man das in Finnland, weil der Alkohol da so teuer ist.

Also ist das kein Terroranschlag...
Schütte: Naja, ein körpereigener Terroranschlag.

Ihr habt in Finnland schon gespielt, oder?
Schütte: Ja, die Skandinavier waren begeistert. Außerdem checken die das mit der Elektronik ganz gut. Hier in Deutschland geraten sie schon aus dem Häuschen, wenn die Gitarre ein bisschen klimpert. Und in Skandinavien finden die das super, wenn möglichst viele Kabel überall rumliegen und aus den Instrumenten möglichst merkwürdige Töne herauskommen.
Knarf: Ihr seid doch bestimmt nicht allein da getourt, oder?
Schütte: Nein. Einmal haben wir sogar nach Laibach gespielt. Ich finde das kann man ruhig mal sagen, dass wir danach gespielt haben.
Knarf: Laibach waren bestimmt beeindruckend, oder?
Schütte: Wahnsinn. Die hatten extra zwei Blondinen mit wellendem Haar auf der Bühne, die nur auf eine Snare eingedroschen haben. Das ist so eine situationistische Trash-Gothik-Show, die Laibach da machen.

September: Gammelfleisch

Knarf: Och Gott. Deine Liste ist irgendwie ...
Herfort: ...krank!
Knarf: ...boulevardesk.
Schütte: Mir fällt noch was zum August ein. Da war ein Freund von mir aus Madrid zu Besuch. Es war auch richtig beschissenes Wetter. Alles war so ein bischen vampirig. Und mein Kumpel ist immer ausgegangen. Freitags hat er das Haus verlassen und ist Montags wiedergekommen. Ab und zu haben wir zusammen was gemacht, aber länger als bis sieben Uhr morgens halte ich das nicht aus. Und irgendwann saß er bei mir in der Küche und sagte: "Oh Franz, it's so sad, you never go out with me!" Das hat mich irgendwie berührt. Weil ich ja Vater bin. Und er so ein völlig anderes Lebensmodell hat.
Knarf: Was hast du denn, Junge oder Mädchen?
Schütte: Mädchen. Vier Jahre alt.
Knarf: Da gehts ja schon richtig ab. Da wird ja schon geredet. Und gelaufen auch schon, oder? Ich kenne mich da nicht so aus.
Schütte: Da geht alles. Da wird manchmal sogar schon ein bischen gefahren.
Knarf: Na, der Kelch ist bisher noch an mir vorbei gegangen.
Herfort: Och, das geht ganz schnell!
Knarf: Neun Monate, hab ich mir sagen lassen. Bist du auch Vater? Wie alt ist dein Kind?
Herfort: Sechs!
Schütte: Wir waren zusammen im Urlaub. Und im Auto zum Strand haben die Kinder immer ganz laut gesungen: "Kein Gott, Kein Staat, Keine Arbeit, kein Geld!" Einer der schönsten Augenblicke 2006.
Herfort: Kinder werden musiktechnisch eh unterschätzt. Neulich hat der Sohn eines Kumpels von uns angerufen, der ist zwölf Jahre alt, und hat gefragt, ob er auf die Gästeliste darf.
Knarf: Viele Kinder finden das ja super, wenn man Musiker ist. Die Löchern einen dann immer mit Fragen, wie das so in einem Studio ist. Um dann auf dem Schulhof angeben zu können: "Ich kenne Knarf Rellöm Trinity!" "Knarf waaaaas??" "Na Knarf Rellöm. Die sind spezieller!"

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Oktober / November: Nordkorea testet erfolgreich die Atombombe.

Knarf: Mit fehlen die positiven Momente 2006.
Herfort: Vielleicht gab es die auch einfach nicht!?
Knarf: Aber es ist schon interessant zu beobachten, dass wir immer wieder ins Private abdriften, um was Positives berichten zu können.
Herfort: Ihr seid ja auch eine positive Band!
Knarf: Ja, so positives Rumgemecker. Neulich wurde ich in einem Interview gefragt: "Knarf, die Fußball-WM muss für dich doch die Hölle gewesen sein, oder?" War aber nicht so. Ich bin nicht geflohen, ich wollte mir das alles ganz genau ansehen.
Schütte: Man muss anwesend sein, um eingreifen zu können!
Knarf: Natürlich sind die Deutschen Spießer. Aber es ist interessant, ihnen beim spießen zuzusehen.
Schütte: Bei mir im Haus hängt immernoch eine Deutschland-Fahne. Aber ich glaube der Typ hat einfach keine Gardinen.
Knarf: Eine nette Begleiterscheinung der Fußball-WM war ja diese unglaubliche Grill-Laune. Es wurde überall gegrillt, das fand ich super. Tonnen von Gammelfleisch wurden da verbraten.
Schütte: Man hatte ja quasi die Lizenz zum richtig viel Bier trinken.

Eine positive Begleiterscheinung waren auch die ausländischen Fans. Die auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zu sehen, wo Hitler früher stand, das war schon super.
Schütte: Wir waren im Winter nach einem Konzert auch mal da. Da waren wir schon ein wenig hohl und haben genau da hingepinkelt, wo er früher stand. So richtig schön ein Peace-Zeichen in den Schnee!
Knarf: Das nenne ich echten antifaschistischen Widerstand!

Der Dezember ist noch ungeschrieben...
Knarf: Joah, Bavarian Open, würde ich sagen.
Herfort: Wir haben vor den Pet Shop Boys gespielt! Und Sekt haben wir mit denen auch getrunken.
Schütte: Das Publikum war wohl etwas irritiert. Ich las ein paar Kritiken über das Konzert, und da hieß es, wir hätten uns wohl, abgesehen davon, dass wir höchst merkwürdige Musik machen, auch noch in der Lautstärke vergriffen. Und das Konzert der Pet Shop Boys war dann auch total leise. Sehr familienfreundlich. Danach kam eine ältere Frau auf mich zu und meinte: "Ihr solltet mehr Musik machen. Das mit dem singen ist ja wohl noch nix!" Aber die Pet Shop Boys waren schon super. Wie eine San Francisco Gay Band. Und die hatten auch total schrottige Videos gezeigt. Als hätten die sich irgendwann mal, als sie beide drauf waren, gegenseitig beim Tanzen gefilmt. Und das wird dann auf rießige Leinwände geworfen. Hut ab. Das ist nicht so beängstigend perfektionistisch die Kraftwerk-Konzerte.
Knarf: Ich hätte gern für den Dezember folgende Meldung: "Zu Weihnachten wird die radikale Mitte in Deutschland abgesetzt und durch eine außer-planetarische Opposition ersetzt!"
Schütte: Die Körperfresser kommen. Mein Resümee: wir haben dieses Jahr viel mit Gitarre und so gemacht. Aber 2007 wird technoider. Mit Tracht und Prügel!

Interview + Text: Robert Heldner
 Fotos: Offizielle Pressefotos


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