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Tele
Wir brauchen nichts
Vor sechs Jahren war ich auf dem Weg nach Wien, um Sportfreunde
Stiller, Chewy und Jugendstil zu sehen. Ein Wochenende voller Spaß lag
mir bevor. Ein - nennen wir es mal - Unfall, sorgte dafür, dass daraus
nichts wurde. Stattdessen ging ich mies gelaunt in den Nürnberger
Hemdendienst. Das Alternativprogramm begutachten. Weder Hidalgo, noch
ihre Vorband Tele, konnten mich aufheitern.
Klar, ich wollte was
erleben. Juvenilen Pop hören, den die Sportfreunde damals noch ganz
gut hinbekamen. Tele fand ich langweilig. Die Freiburger hatten kurz
davor eigenhändig ihre erste Platte „Tausend und ein Verdacht"
veröffentlicht. Erst 2004, nachdem ihre erste Platte noch mal bei
Tapete neu aufgelegt wurde, und die erste CD auf dem Majorlabel
Universal erschien, nahm ich die Band anders wahr. Reichte aber nicht,
um mich damit zu beschäftigen. Man hat ja viel zu tun. Es sollte also
bis Ende 2004 dauern, ehe ich Tele überhaupt eine faire Chance gab.
Die nutzten sie umgehend. Mit dem Album „Wovon sollen wir leben"
erfanden sie sich neu. Weg vom Indie-Gitarrensound, hin zum
hemmungslosen POP. Inklusive Keyboard-Arrangements, Synthiebläsern und
Judith Holofernes als Backgroundsängerin. Heraus kam ein Album, das im
Pop der 80er zu schwelgen schien und dennoch weit mehr war, als nur
ein wehmütiges Aufwärmen alter Hits. Tele hatten ihre eigenen Hits.
Und haben sie immer noch. Der neueste nennt sich „Mario“. Bei Stefan
Raabs Bundesvision Song Contest reichte es nur zum zehnten Platz.
Einer schlechter als die Landesvertreter Massive Töne im Vorjahr.
Egal, Tele sind bereit. Sind von Freiburg nach Berlin gezogen. Die
befreundete Band Geschmeido (mit der man sich auch den Schlagzeuger
teilt) hat das Sextett gleich mitgenommen. Oder war es andersrum?
Mittlerweile legt man ganz andere Strecken zurück, war mit Phoenix,
Juli und Wir sind Helden auf Tour. Und dank dem Goethe-Institut auch
drei Wochen in Afrika unterwegs. Noch immer sind sich Tele bewusst,
dass sie „mit Schmerzgrenzen für gewisse Indie-Hörer spielen“. So
beschränkt ist der heutige Indie-Hörer aber hoffentlich nicht. Tele
gehen nicht mehr ganz so repetitiv vor. Der Refrain bleibt auch
hängen, wenn er nicht tausend mal im Lied vorkommt. Zudem ist „Wir
brauchen nichts“ sehr abwechslungsreich geworden. Der Song „Fieber“
startet mit einem schier unglaublichen Chor. „Rio de Janeiro“ kommt
wie eine moderne Swingnummer ums Eck. Es wird nichts verklausuliert,
Sachen werden beim Namen genannt. Man kann nur ahnen, wie viele
Popzitate sich auf der Platte verstecken. Der abschließende Titeltrack
„Wir brauchen nichts“ schießt in seiner Monotonie ein wenig übers Ziel
hinaus. Das ändert aber nichts an der Großartigkeit der Platte. Alle
Erwartungen erfüllt. Ein gutes Dutzend neue Ohrwürmer. Der Sommer kann
kommen.
/ Spielzeit: 47:17 / Pop