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Flowerpornoes
Wie Oft Musst Du Vor Die Wand Laufen ...
4 Ohren - 2 Meinungen - gleiche Punktzahl
Ulrich Blanche gibt
Michael Streitberger gibt
Richtig großartige, verschachtelt intelligente Texte schreibt Tom
Liwa, der Kopf der 80er Deutschpoprockband Flowerpornoes, die nun ihr
erstes Studioalbum seit nunmehr elf Jahren vorlegen: „Wie oft musst du
vor die Wand laufen bis der Himmel sich auftut?“
Nach der
letzten Tour 1996 hatte der Duisburger Liwa diverse Soloprojekte und
sehr viele kleine Livekonzerte gegeben bevor er die Reunion zuerst
träumte und dann in realiter vollzog. Der knautschgesichtige
Mitvierziger hat immer noch und wieder viel zu sagen, weniger zu singen
allerdings. Viel wird einfach nur gesprochen, die freundlichen, selten
großen Gitarrenakkord-Sprünge perlen loungeartig nacheinander, wobei
die Zwischenräume meist mit simplen und oft beliebigen
Streichermaterial gefüllt. Auf den ersten Songs wirkt Liwas
gesanglicher Ausdruck arrogant, näselnd und einfach. Doch
Doppeldeutigkeit, Mehrschichtigkeit, Wut und ihre leisere Schwester
Ironie brechen auf der zweiten Hälfe des Albums unvermutet durch,
nachdem man schon gelangweilt die Augen verdreht hat. Doch dann sieht
man sich ständig gezwungen, unbedingt Textzeilen aufschreiben. „Du
kannst mein Herz haben, wenn du versprichst, dass du’s nicht brichst.“
– Schön und tief ist das, mit einem Wort – elegant. Man sieht sich
gezwungen sehr bewusst zuzuhören, nichts scheint beliebig, eins
erwächst zwingend aus dem vorhergehenden. Besonders die Texte von Songs
wie Mikado (wenn man vom Refrain absieht) oder Sigmund Grimm (wo Liwa
beweist, dass er doch singen kann!) oder Nicolas H. lassen einen mit
ihrer konzentrierten Bilderdichte den Atem anhalten. Wohl weil ihnen
eine derartige Tiefe bisher schon alters- und erfahrungsmäßig kaum
gelang coverten junge deutsche Bands wie Klee und Viginia Jetzt! Tom
Liwa oder holten sich Texte von ihm. Wie Element of Crime sind die
Flowerpornoes immer noch und weiter glaubwürdig, nicht nur weil beide
würdigen, älteren, deutsch-singenden Herren immer zu ihren mittlerweile
etwas lächerlichen englischen Bandnamen stehen, sondern weil beide vor
allem eins sind: Poesie!
"... Bis Der Himmel Sich Auftut?" lautet der komplette, reichlich
metaphorische Titel dieser, für die eine Hälfte sicherlich
überraschenderweise zurück an die Öffentlichkeit gekehrten Band.
Und
weil die anderen sich wahrscheinlich gar nicht mehr erinnern werden,
dieser Hinweis: Sagst du "Indiepop aus Deutschland", impliziert das
automatisch eine Person: Tom Liwa. Solo, in verschiedenen
Kollaborationen, einer Band namens No Existe oder eben als Fontmann der
Flowerpornoes. Diese lagen lange Zeit - genauer gesagt nicht weniger als
elf Jahre - auf Eis. Und wurden nun unter dem gleichen "bescheuerten
Bandnamen" (Eigenaussage der Flowerpornoes auf ihrer Homepage)
reanimiert. Doch mag dieser Name eher wie ein passender Titel für das
letzte Blumfeld-Album klingen: Mit der affektiert-skurrilen
Herangehensweise eines Distelmeyer haben die Flowerpornoes nur am Rande
zu tun. Der angenehm unterproduzierte neue Longplayer findet wie schon
seine Voränger aus den Neunzigern etwas neben der Spur statt: Er trägt
weder die Handschrift einer bestimmten Szenemetropole (vielleicht auch
deswegen, weil Liwa in einer Stadt namens Duisburg geboren wurde...)
noch die Aufdringlichkeit der derzeit so angesagten deutschsprachigen
ChartpopperInnen. Stattdessen treffen schaurig-schöne Streicher in
"Tahiti" auf rockige Passagen und die dezent spirituelle Ausrichtung des
Frontmanns; von welcher hier allerdings (glücklicherweise) ein guter
Teil durch die Band kompensiert wird. In einigen Momenten,
beispielsweise während dem wunderbaren "Zahnarzttochter", erinnern die
Flowerpornoes am ehesten an Erdmöbel. Dabei dürfte die mittlerweile über
20 Jahre mehr oder minder aktive Formation ja eigentlich eher als deren
Vorbild dienen. Selbst wenn dieser Status durch "Wie Oft Musst Du Vor
Die Wand Laufen..." nicht zusätzlich untermauert wird, bleibt doch ein
ohen Zweifel angenehm zeitloses Werk, an dessen Substanz sich das Gros
der zu dieser Band aufblickenden Kollegen (darunter beispielsweise auch
Klee) die Zähne ausbeißen werden. Schön.
Spielzeit: 50:36 / Indiepop