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MISC - sellfish.de Beifang 04/07 | 02

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Heute: Die letzte Runde MISC im klassischen Stil

mit: End Of Level Boss l Hatesphere l Hoods l Lake Of Tears uvm.

Nach dem Ableben der ersten Adresse für deutschsprachigen Punkrock, Vitaminepillen Records, veröffentlichen Bitume aus Oldenburg ihren vierten Longplayer via den stilsicheren Kölnern von Rookie Records. Gut so, denn der gelungene Vorgänger "Punkrock Motorcity" aus dem Jahr 2004 bekam seinerzeit nicht die Aufmerksamkeit, welche ihm gebührte. Was sich mit "Gut Im Trend" (Rookie Records/Cargo) hoffentlich ändern wird. Jedenfalls sollte die Scheibe im Gegensatz zur in der Vergangenheit etwas übereifrigen bzw. holprigen Herangehensweise der Band diesmal alle Freunde des ansprechend rockenden Deutschpunks begeistern. Dabei bieten Bitume neuerdings eine überraschend große Stilvielfalt innerhalb des Genres, welche sich neben den schwer poppigen Refrains besonders in den vielen ruhigeren Momenten festmacht. Die Nordlichter lassen sich dafür von den intelligenten Texten But Alive's inspirieren, packen ihre Stücke voller Ohrwurmmelodien in bester Boxhamsters-Tradition und wissen im Gegensatz zu allen beiden, wie man an der passenden Stelle richtig rockt. Wer sich jetzt beschweren will, dass das ja immer die gleichen Referenzen sind: Bis Musik mit dem Stempel "Deutschpunk" ihren schlechten Ruf wieder los hat, wird es noch ein ganze Weile dauern. Da sind Bands wie Bitume umso wichtiger, denn sie beweisen, dass es neben Kettcar-Verkopftheit und Terrorgruppen-Spaßkultur anders geht... und dies übrigens trotz Archi Alerts angenehm dreckigen Wirkens als Produzent. Schließlich: Wo Bitume sich in der Vergangenheit mit Coverversionen von Madonna bis Camouflage gelegentlich selbst degradierten, überzeugen sie heute durch 14 hymnische wie kluge Eigenkompositionen, für die sie ein elegantes Schlupfloch zwischen Plakativtiät und Emoduselei fanden.

The Blackout Argument sind nicht nur die indirekte Nachfolgeband, sondern passenderweise eine auch musikalisch spannende Liaison von Flyswatters treibendem Emorock sowie dem Hardcore-Sound von Paint The Town Red. Beide Bands stammten ja aus München, konnten trotz vielversprechender Alben und guter Resonanz jedoch nie den großen Sprung schaffen - und haben mittlerweile leider das Zeitliche gesegnet. Doch, bedenkt man die Konsequenzen, scheint ihr Ableben nur halb so schlimm: So haben wir nun The Blackout Argument, welche auf spannende Weise beide musikalischen Welten sowie einige Ex-Mitglieder vereinen... Mit ihrer sehr melodischen Melange aus Hardcore und fettem Rock veröffentlichten sie zwei EPs, welche nun über Bastardized Recordings zeitgleich zugänglich gemacht werden. "Munich Angst" (Bastardized Recordings) markiert dabei quasi das Debüt und erschien im letzten Jahr via dem englischen Engineer Records Label: Die fünf Tracks klingen durchaus reizvoll, jedoch noch eine deutliche Spur ungehobelter als der "Munich Valor" (Bastardized Recordings) betitelte Nachfolger. In diesem halben Dutzend Songs hat der Fünfer offenbar seinen ureigenen Sound perfektioniert, der grob zwischen Boysetsfire (für deren letzte Tour man in Kürze den Support stellen wird!), Zero Mentality und Waterdown eingeordnet werden kann. Beachtlich jedenfalls, dass The Blackout Argument schon in einem so frühen Stadium Hits wie "Forever yours" hervorbringen. Da blitzt die jahrelange Erfahrung aus anderen Bands doch deutlich durch. Alles in allem sind beide EPs - die es in limitierter Fassung übrigens auch als Doppelpack zu erstehen gibt - eine vielversprechende Einstimmung auf den Debütlongplayer "Decisions", der im September via Lifeforce Records erscheinen soll.

Es ist doch beachtlich, dass es momentan gerade jungen Bands gelingt, dem an sich todgespielten Genre Emocore noch etwas Leben zu entlocken. Distance In Embrace taten genau dies mit ihrem vor zwei Jahren erschienenen Debüt "The Consequence Of Illusions". Doch entgegen meiner Prognosen wurde noch kein größeres Label auf die Fähigkeiten der Mindener aufmerksam, so dass auch das Nachfolgewerk "Utopia Versus Archetype" via dem sympathischen Partner Horror Business Records erscheint. Nichtsdestotrotz wurde das Werk dank fetter Rape Of Harmonies-Studio Produktion äußerst kompetent in Szene gesetzt; übrigens steuern die drei Engineers Patwick W. Engel, Heaven Shall Burn-Gitarrist Alexander Dietz sowie Ralf Müller auch den einen oder anderen instrumentalen Beitrag dazu. Vor allem aber verstehen es Distance In Embrace exzellent, gleichermaßen eingängige wie fett rockende Songs zu schreiben, die in der Schnittmenge Thrice, Billy Talent und frühe Shadows Fall vorbehaltlos überzeugen können. Tracks wie "Each seperate dying ember" kleistern die Lücke zwischen Metal- und Emocore zwar mit einer ordentlichen Lücke Pop zu, die Energie klassischer Hardcore-Formationen blitzt nichtsdestotrotz an allen Ecken und Enden durch. Also: Hier lohnt sich die unkomplizierte Reinhör-Möglichkeit via MySpace 'mal wirklich, um sich von den Fähigkeiten der Band überzeugen zu lassen!

Dem schon nicht gerade zurückhaltenden Debüt "Prologue" von vor zwei Jahren lassen End Of Level Boss nun einen hörenswerten Hauptakt folgen: "Inside The Difference Engine" (Exile On Mainstream/Soulfood) macht sich in einer Ecke breit, die mittlerweile eigentlich gar nicht mehr so dicht besiedelt wird. Dafür richten es sich die ständigen Lineup-Wechseln unterworfenen Engländer (nur Bassistin Elenajane kommt aus Kanada) gleich doppelt bequem ein. So werden die unglücklichen Helmet-Restbestände rüde beiseite geschoben, mit Wino Weinrichs Hidden Hand angestoßen und aufgrund der strukturübergreifenden Goovedefinition respektvolle Blicke von Seiten Voivods geerntet. Acht Stücke lang geht das so. Und wenn das Stoner- und Doom-Publikum sein Bewusstsein nicht nur durch einschlägige Substanzen erweitern möchte: "Inside The Difference Engine" bzw. dessen Songs - wie beispielsweise das großartige, mal zähfließende mal aufbrausende "End Of Line" - werden die Hörerschaft in einen vernebelten Sog ziehen, welcher allenfalls der Nackenmuskulatur gesundheitliche Spätfolgen zuführen kann. Doch keine Angst: Diese selbstbewusste Grätsche zwischen Postrock und konventionellen Genresounds verliert sich niemals in artifizieller Belanglosigkeit. Dafür steht schon der, Entschuldigung, saucoole Name: End Of Level Boss lassen ganz richtig erahnen, dass man trotz der enormen musikalischen Fähigkeiten dieses Trips nicht alles ernst nehmen kann bzw. muss. Großes Kino.

Der unterschwellige Trend einiger deutscher Independent-Bands, die sich musikalisch gen Schweden orientieren, wird ausgerechnet aus der Elektronika-Szene mit einem Gegenentwurf konfrontiert: Johan T Karlsson bzw. sein Projekt Familjen zieht seine Einflüsse und Inspiration nämlich klar aus einer besonderen Phase der musikalischen Biographie unseres Landes. Soll heißen: Der Stockholmer fusioniert auf "Det Snurrar I Min Skalle" (Adrian Recordings/Import) kühle Kraftwerk-Synthetik-Gerüste mit dem organischen Flair von Krautrock-Acts und Melodielinien bzw. Grooves aus der Dance-Szene. Warum das Ergebnis in seiner Heimat derart gut rezipiert wird, hat jedoch noch andere Gründe. Nicht ganz zufällig nämlich teilt sich Karlsson nicht nur sein Label mit Formationen wie David And The Citizens oder Laakso, er produzierte für seine Kollegen eben auch einen guten Teil ihrer Alben. Und hat so umgekehrt einiges zum Thema Songwriting gelernt, was er für seine eigenen Kompositionen adaptierte: Familjen lässt bei aller eigenwilligen Detailverliebtheit der Tracks niemals den funktionieren Song aus dem Fokus; die Relevanz steriler Beats und Sounds steht gleichwertig neben dem Pop-Faktor der durchgehend mit schwedischen Vocals versehenen Tracks. Das Ergebnis geht so einerseits schnell ins Ohr, verfügt jedoch auch über eine enorme audiophile Substanz und bleibt dabei angenehm weit von den Standard-Rezepturen landläufiger Wave-Acts entfernt... auch wenn diese Szene, nicht zuletzt aufgrund der Vocals, sicherlich ebenfalls Gefallen am Schaffen des skandinavischen Produzenten finden wird. Gespannt sein darf man jedoch eher, ob der Spagat zwischen Independent- und Elektronika-Zielgruppe auch hierzulande funktionieren wird.

Während überzeugte Metalheads Hatesphere sicherlich schon eine ganze Weile auf dem Plan hatten, entdeckte ich die Dänen erst im Nachhinein: Um genau zu sein, im fünften Jahr ihres Bestehens und auf etwas anderem Wege. Durch die Produzententätigkeit von Frontmann Jacob Bredahl nämlich, welcher in den letzten Monaten neben Hatesphere selbst auch so mancher populären Metalcore-Formation (darunter Zero Mentality oder Liar) in seinem Aarhusener Smart 'n' Hard Studio zu einem fetten Sound verhalf. Mit diesen Namen im Hinterkopf fiel mir das 2005er Werk "The Sickness Within" in die Hände - und überzeugte mich aus den gleichen Gründen, aus welchen auch "Serpent Smiles And Killer Eyes" (Steamhammer/SPV) wieder nicht mehr aus der Rotationsschleife will: Der hyperenergetische Thrashmetal von Hatesphere stagniert nämlich auf exakt dem hohen Niveau, welches die schwedischen Kollegen von The Haunted seinerzeit mit ihrem Debüt geschaffen hatten. Soll heißen: Ohne sich auch nur ansatzweise an gängige Trends anzulehnen, positioniert sich der technisch höchst ansprechend umgesetzte Thrash des Fünfers zwischen Death- bzw. Metalcore-Zitate sowie einer konsequenten Verneigung vor den allmächtigen Slayer. Doch trotz der offensichtlichen Einflüsse ihrer Vorbilder können die neun Tracks uneingeschränkt überzeugen. Und spätestens beim ebenso fiesen wie genialen, mit angezogener Handbremse rockenden "Drinking with the king of the dead" hat man die Konkurrenz vom Platz gefegt. Das Hatesphere Qualitätsversprechen könnte also lauten: Image ist nichts, Songwriting alles. Und jeder, der zündende Songs über pseudo-böses Posing setzt, wird sich der mitreißenden Energie dieser Scheibe nicht widersetzen können. Ein Prädikat für "Serpent Smiles And Killer Eyes"? Das beste Slayer-Metalcore-Album des Jahres!

Mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit tritt diese Formation aus Sacramento in Kaliforniern in Erscheinung, um uns im Windschatten von Hatebreed seit weit über zehn Jahren durchgehend ordentliche Oldschool-Hardcore-Scheiben zu offerieren. Dass der Vierer dabei immer besser wird, geht durch die Konzentration auf erwähnten, wesentlich erfolgreicheren Major-Act leider verloren. Mittlerweile ist die Truppe auch den Victory-Deal los; für "Ghettoblaster" (Alveran Records/A-Team) fand sie stattdessen eine Company, welche für ihr Anliegen mehr Einsatz zeigen dürfte. Denn trotz - oder wegen - des Sängerwechsels gelang ein Album, mit dem die Band frühere Leistungen locker toppen kann. In gerade einmal 22 Minuten machen die 12 Songs (darunter zwei Livetracks) klar, dass die Hoods das Potential (und die Hooklines!) haben, ganz oben mitzumischen. Präzise Hassattacken stehen gleichberechtigt neben straight geknüppelten Songs; neu im Programm sind derbere Punk-/Oi-Kaliber wie "Willie Nelson And A Twelve Pack", die an eine Mischung aus Blood For Blood und Agnostic Front denken lassen. Beruhigend diesmal auch das Coverphoto: Gut zu wissen, dass sich nicht jede US-Hardcoreband gleich so ernst nimmt. Auch wenn man textlich trotzdem metertief im Klischee-Sumpf watet: Die Hoods haben mit "Ghettoblaster" einen verdammt starken, naja, "Longplayer" am Start, der ihnen mit etwas Glück den Weg nach oben ebnen könnte...

Ja, verdammt: Die mit dem dämlichsten Namen seit Dekaden gesegneten Itchy Poopzkid müssen sich eben diesen Kommentar dazu hier zum tausendsten Mal anhören. Doch damit nicht genug: Schließlich wollen die drei mit "Time To Ignite" (Where Are My Records) offensichtlich an die Vorbilder von Blink 182, Bloodhound Gang und Yellowcard anschließen... Wofür ihnen scheinbar jedes Mittel recht ist. Neben Supportshows für erwähnte übliche Verdächte waren das in der Vergangenheit unter anderem Gastspiele auf dem Taste Of Chaos Festival und - jüngster Promo-Deal - der Kampf um's Überleben an der Seite von Madsen in der MTV Serie "Band Trip". Wieso sich von den Tomte-Jünglingen über Musiksender bis hin zu Magazinen wie Visions oder Uncle Sally's eine so große Fraktion für den gesichtslosen Funpunk der Formation aus Eislingen erwärmen kann, bleibt mir ein Rätsel. Nicht, dass die 13 Tracks ihres dritten Albums ausnehmend schlecht wären. Die tausendfach gehörten 3-Akkorde-Variationen mit Emo-Zuckerguss werden aber derart glattgebügelt und radiokonform dargeboten, dass Silbermond im direkten Vergleich wie rüpelige Asipunks herüberkommen. On top wird man als unbedarfter Hörer auch noch mit "Prima-zum-Staub-saugen"-Balladen wie "Leftrightwrong" belästigt. Itchy Poopzkid setzen damit in der Liga an, in welche ich momentan voller Besorgnis die Donots driften sehe... Noch Fragen? Ihr erreicht die Herren online unter http://www.scheisscombo.de

Die schwedischen Melancholie-Rocker Lake Of Tears hatten sich bekanntlich 2003 aufgelöst; und die Mitglieder der Band waren seit dem schwächeren Abschiedsalbum "The Neonai" sowie einer halbgaren Greatest Hits Compilation auch etwas zu recht eine Weile in der Versenkung verschwunden gewesen. An das Bandhighlight "Headstones" (1995) konnte erst mit dem Wiedervereinigungs-Werk "Black Brick Road" angeschlossen werden: Plötzlich schien die Inspiration zurück, welche in den Anfangstagen über den Aufnahmen schwebte. Dass im Entstehungsprozess auf bewusstseinserweiternde Substanzen nicht verzichtet wurde, versteht sich von selbst. Was beim neuen Longplayer "Moons And Mushrooms" (Dockyard 1/Soulfood) gleichermaßen der Fall war, wie sich spätestens durch den Titel erklärt... Auch sonst sucht man unter den acht Tracks vergeblich Veränderungen. Was je nach Standpunkt belanglos oder toll sein kann. Wer auf Gothic-beeinflussten Düsterrock inklusive Psychedelik- sowie leichtem Kitschfaktor steht und mit den skandinavischen Trauerweiden noch nicht in Berührung gekommen ist, der darf angesichts ihrer momentan guten Kondition ruhig einmal ein Ohr riskieren. Wesentlich interessanter ist jedoch das zeitgleich veröffentlichte Debüt von Sha-Mat: Die niederländische Formation hat mit "Upstream" (Yeah Yeah Yeah/Point Music) ein kraftvolles, vielseitiges Rockwerk an den Start gebracht. Dessen Qualität sich am offensichtlichsten auf die ausdrucksstarken Vocals von Sängerin Stephanie Vondenhoff stützt. Diese meistert es mühelos, innerhalb einer dreiviertel Stunde wie Alanis Morisette, Anneke van Giersbergen und Skin gleichermaßen zu klingen. Getoppt wird deren charismatische Röhre durch ihre instrumental topfitte, vor Ideen strotzende Band. So entsteht ein ebenso kurzweiliger wie eingängiger Trip durch balladeske Soundscapes, groovende oder aggressive Songbretter - allesamt mit enormem Wiedererkennungswert ausgestattet. Und selbst wenn den 13 sehr modern inszenierten Tracks ein gewisses Crossover- bzw. Nu-Rock-Moment anhaftet: Die Songs sind einfach zu gut, um unter dieser Kategorisierung zu leiden. Besonders attraktiv wird "Upstream" schließlich noch dadurch gemacht, dass dem ohnehin exzellent produzierten Werk eine DVD samt 5.1 Mix und Videoclips beiliegt.

Zwei Platten außerhalb der üblichen sellfish.de-Bewertungsmuster, die es doch verdienen, auf unserer Seite Beachtung zu finden. Beide gleichermaßen mit leichtem Vorbehalt dem Jazz zuzuordnen, schlägt Silje Nergaard einen deutlichen Bogen in Richtung ansprechender Popmusik. Auf "Darkness Out Of Blue" (Emarcy/Universal) beschenkt sie ihre Hörer mit Vocaljazz, der jenseits der Massentauglichkeit einer Norah Jones auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Kitsch wandelt. Das elegant arrangierte Werk rückt die gefühlvolle Stimme der Norwegerin unverholen in den Mittelpunkt; bandelt zwischen gelungenen Standards aber auch immer wieder mit formatradiotauglichem Material an. "When Judy falls" beispielsweise klingt so unbeschwert und tanzbar, dass die Herkunftsszene der Songwriterin aus Oslo einige Probleme damit haben dürfte. Der Vorwurf, die zwölf Eigenkompositionen würden an Tiefe vermissen lassen, sind phasenweise auch nicht von der Hand zu weisen; geben "Darkness Out Of Blue" aber eben auch jenen angenehm leichten, gutgelaunten Charme... der in diesem Genre sonst viel zu selten zu finden ist. Nicht ganz unähnlich liegt der Fall bei Trompeter Nils Wülker. Der von der Fachpresse gerne wiederholt als "Wunderkind" bezeichnete 29-jährige macht dem Titel seines neuen Werkes "Safely Falling" (Ear Treat Music) alle Ehre: Die elf weitgehend instrumental gehaltenen Songs strotzen nur so vor lockeren Grooves, dezenten Melodien sowie akzentuierten doch nie aufdringlichen Bläsereinsätzen. Insbesondere die beiden mit Gastvocals veredelten Songs kristallisieren sich als Höhepunkte heraus: Heine Totland macht aus "Where life begins" einen kleinen Ohrwurm, während Silje Nergaard "Complete me" mit ihrem unverwechselbaren Organ eine eigene Handschrift verleiht. Mag "Safely Falling" an einigen Stellen auch seicht klingen: Das Vermögen von Nils Wülker, seine Fähigkeiten nicht über den Songfluss zu stellen, darf nicht übersehen werden.

Erinnert sich noch jemand an die Londoner So Solid Crew? Jene vielköpfige britische HipHop Community, aus deren kreativen Umfeld unter anderem Miss Dynamite und Lisa Mafia hervorgingen und welche noch vor dem Grime Hype mit einer Adaption jenes Sounds - zumindest in der Heimat - für Furore sorgte? Schon zu diesen Zeiten machte auch die Roll Deep Crew erstmals von sich reden. Ebenfalls aus East London stammend, waren die wilden 13 (so zumindest die aktuelle Zahl der Mitwirkenden) jedoch beinahe ausschließlich im Untergrund via Liveshows und auf Mixtapes in Erscheinung getreten. Vom Debütalbum "In At The Deep End" (2005) bekam man hierzulande ebenfalls kaum etwas mit; "Rules & Regulations Vol. 1" (Roll Deep Rec./Groove Attack) könnte dies nun mit einer prall gefüllten Stunde Musik voller überschäumender Ideen ändern. Dabei sind die 16 Tracks eher in der Tradition eines Street Albums zur Überbrückung bis zum zweiten regulären Longplayer zu verstehen. Der ohrenbetäubende Mix aus HipHop, Soul, Drum'N'Bass, Garage und Ragga - auf welchem man unter anderem von Wiley und Target gefeatured wird - hat aber durchaus das Zeug dazu, zwischen Acts wie Yes Boss oder Plan B für Aufmerksamkeit zu sorgen. Nicht zuletzt, weil ausschließlich neue Produktionen enthalten sind ein lohnender Anspieltipp für die entsprechende Zielgruppe.

15 Songs lang gibt es auf dem neuen Album von Vindicator, einer seit über zehn Jahren bestehenden Formation aus Hamburg, klassischen Hardcore europäischer Machart zu hören. Und mittendrin erklingt dann plötzlich ein Track namens "Kill the king"... und ich könnte schwören, dass Motörhead's Lemmy im Refrain einen Gasteinstand am Mikrofon beiträgt! Sei es auf den neuen Shouter Uwe oder ex-Warpath-Gitarrist Jannick zurückzuführen: Bei genauerem Hinhören finden sich jedenfalls auch an anderer Stelle geschickt eingestreute Rock'N'Roll/Oi-Parts, die für Abwechslung und Wiedererkennungswert sorgen. Den Sympathiefaktor schrauben die Fünf übrigens unter anderem dadurch hoch, dass es auf der Homepage ein gemeinsames Foto mit Shopping-TV-Ikone Harry Wijnfoord zu sehen gibt. Die etwas rumpelige Produktion tut ihr übriges, um "On And On..." (Street Justice Records/New Music) zu einem authentischen Sounderlebnis zu machen: Fans von Discipline und Only Attitude Counts dürfen hier ungehört zugreifen! Wer es etwas dicker produziert und vor allen Dingen amerikanischer mag: Das neue Album von All Out War heißt "Assassins In The House Of God" (Victory Records/Soulfood). Und wer hätte gedacht, dass das Material trotz unglaublicher Brachialität und aufgemotztem Sound auch noch halbwegs gelungen ist? Mit Nuclear Assault auf der einen und den Cro Mags auf der anderen Seite hat sich die Band um Frontröchler (und die einzige Line-Up-Konstante) Mike Score offenbar ein paar Vorbilder gesucht, die ihren Sound zumindest vorübergehend aus der üblichen Metalcore-Sackgasse führen. Denn wer genauer hinhört, entdeckt nicht nur musikalische Finesse in Form von sporadischen Breaks, Melodien und Tempiwechseln, sondern vor allem einige nette Reminiszenzen an ein paar deutsche Thrashbands der Achtziger: Die Soli der komplett neu besetzten Gitarristenfraktion sowie ein paar Vocalparts dürften nicht nur mich in selige Kreator-Zeiten zurückversetzen. Abgesehen davon bleibt die Hoffnung, dass sich All Out War während ihrer elf neuen Songs nicht fortwährend bierernst nehmen... und im Zweifelsfall der Tipp, auf eingangs erwähnte Hamburger zurückzugreifen!

Heute: Steh auf und rock´ das Leben

mit: The Clerks l Welcome To Circus Punk-A-Billy Vol. 2 l Pardon Ms. Arden

“Steh auf und rock´ das Leben / nur einmal bist hier / du musst alles geben“: So startet „Antenne Offbeat“ (Wolverine Records/Soulfood), das dritte Album von The Clerks. Diese hedonistisch angelegte Message rheinländischen Ska-/Reggae-/Dub-Combo - hier kurzum „Offbeat“ getauft - darf man aber nicht leichtfertig als Motto für die gesamtem15 Titel nehmen. Und tatsächlich: „Antenne Offbeat“ liefert zwar Hymnen und Melodien für den bevorstehenden Sommer und lädt ein zum Relaxen, Mitnicken und Träumen. Aber: Glücklicherweise präsentiert sich das dritte Album der Clerks recht abwechslungsreich und trotz der als Party-Musik inflationär produzierten Ska- und Reggae-Ryhtmen auch mit genügend Anspruch und Augenzwinkern um sich positiv abzusetzen. „Radiolied“ zum Beispiel ist eine gelungene Mischung aus Melodien und Mitgift: Die Musik-Kultur der Nation aufs Korn genommen - und dabei sich selbst treu bleiben. So gehört sich das. Aber auch mit den restlichen Tracks haben mich die Clerks restlos überzeugen können. “Antenne Offbeat“ ist eine sehr gute Scheibe jenseits des Ska/Reggae-Mainstream-Gedöns. Für alle Freunde der Sonne: Offbeat vom Feinsten für eure Ohren. 

Ebenfalls auf Wolverine Records: Mit dem Sampler „Welcome To Circus Punk-A-Billy Vol. 2“ wird die zweite Runde im Punk-A-Billy-Wahnsinn eingeläutet, einem Virus der vermehrt wieder um sich greift. Der kochend-klebrige Sirup aus Punkrock, psychotischem Rock´n´Roll und klassisch-derbem Rockabilly setzt sich hier in den 31 Songs jenseits des Wahnsinns und diesseits der Genialität (oder umgekehrt) noch im letzten Winkel des Gehörgangs fest. Wie immer wird ohne große Aufwärmübung direkt das Tanzbein zur Belastungsggrenze gebracht. Nach dem spitzen Opener „Creatures Of The Night“ (The Creepshow) zeig Bands wie The Ripmen, Mad Sin, The Peacocks oder Dice For Lights wie der Hase auf dem vollbepackten Sampler läuft: Schnell, schleimig, schmutzig und stickig. Eine Haufen packender, arschtretender Melodien zusammengetragen von den Alben der wichtigsten und bekanntesten Bands und - wie es sich für eine gelungene Compilation gehört - ergänzt durch die besten Newcomer-Acts. Ein Muss für alle Punk-A-Billys da draußen, eine Standortbestimmung für alle Bands des Genres und für alle DJs der Szene ein gefundenes Fressen.

Ein ganz anderes Feld, auf dem sich Pardon Ms. Arden aus Bayern bewegen - aber auch kein schlechtes. Seit Dezember letzten Jahres ist das Debütalbum fertig und findet nun nach den bekannten Live-Kreuzzügen seinen wohlverdienten Weg in die Plattenregale. Und welch Glück: Pardon Ms. Arden haben auch jenseits eines cleveren Wortspiels im Albumtitel ordentlich was zu bieten. Die elf Songs des Debütalbums „I Bet You´re Pardon Ms. Arden“ (I Hate Music Records) der drei Großraummünchener zeugen von großem handwerklichen Geschick und noch mehr Herzblut. Über die knapp 40 Minuten schafft es das Trio um Lead-Sänger Nick Sauter griffige Rock-Nummern zu schnüren, die allesamt an eine Mischung aus Oasis, den Beatles, den Libertines und Retro-Band-Klonen wie etwa Sugarplum Fairy erinnern. Ein Brückenschlag der englischen Rock-Kultur mit Purzelbaum rückwärts an die Isar - und das Ganze ohne an Fahrt zu verlieren oder in kreativer Belanglosigkeit zu enden. Beeindrucken können insbesondere ohrwurmige Nummern wie „My guitar has caught a cold“ oder „The ballad of true mates“, das vor Kraft und Dynamik nur so strotzt und den Punkrock geschickt streift. Mit dem wunderbaren „Catherine“ (mit ein Gruß an die Gallagher-Brüder) und „What went wrong“ beweisen dann Pardon Ms. Arden endgültig, warum sie sich mit ihrem Debüt-Album ganz und gar nicht verstecken brauchen. Ganz im Gegenteil: „I Bet You´re Pardon Ms. Arden“ mit der Single-Auskopplung „Disco Queen“ muss raus an die Leute, in die Radios, auf die Bühnen da draußen. Das ist große Rock-Musikkultur von ein paar Jungs aus Bayern. Mein Respekt, ich werde den Weg der Drei aufmerksam verfolgen und brauch wohl gar nicht viel Glück zu wünschen. Das wird gut.  


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