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MISC - sellfish.de Beifang 04/07 | 03

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine weitere Heimat bei sellfish.de: Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Heute: Less Talk More Rock

mit: Iskra l Malkovich l Patti Smith l Young Gods uvm.

Erste Sporen abseits des reinen "Auflegens" verdiente sich DJ Dixon alias Steffen Berkhahn als Remixer für Beanfield oder Femi Kuti; mittlerweile gehört er zur viel gebuchten Elite auf einheimischen wie internationalen Tanzfluren. Weshalb ihm wohl auch die Kompilation von "Body Language Vol. 4" (Get Physical/RTD) zugetragen wurde. Mit Beiträgen von Henrik Schwarz über Thom Yorke bis hin zu Herbert stellt er selbstbewusst unter Beweis, dass House und seine Spätfolgen nicht nur negativ waren: 14 mal elegant gemixte, tanzbare elektronische Musik, die auch mit Gehirnzellen funktioniert. /// So schön wir kurz fällt die Debüt 7" von Iskra aus. In bildhübscher, für dieses Format nahezu dekadenter Aufmachung verpackt findet man vier wunderbare Stücke lang treibenden Indierock. Und mag der Titel "A Statue Or The Stone, Subverting The Timezone" (Unterm Durchschnitt/Broken Silence) nicht gerade griffig sein - die Musik auf dieser kleinen schwarzen Scheibe ist es. Und deswegen gleich doppelt gut, weil man den tanzbaren Gitarrenriffs im gleichen Atemzug verfällt, wie man die schnoddrigen Vocals von Friederike Herr ins Herz schließt. So warte ich gespannt auf das Debütalbum der Hamburger und empfehle zum antesten den kleinen Myspace-Hit "Bedroom or dancefloor". Wer ihn schon kennt und mag: Hier gibt es ihn zudem in einer zweiten Remix-Version... /// Der Weg, den Malkovich in den drei Jahren seit Veröffentlichung ihres Debüts eingeschlagen haben, war ein ungewöhnlicher. Zumindest mir kam bislang noch kein Wechsel vom Hardcore-Urgestein Revelation Records zum eher punkorientierten Label Go Kart unter. Dieser Schritt mag ein deutliches Indiz für die Art und Weise sein, mit welcher die Holländer musikalische Grenzen sprengen: Hardcore dient ihnen nur noch als grobe Basis, welche voller Inbrunst mit überdrehten Rock'n'Roll Elementen und ein paar zielsicheren Experimenten angereichert wird. Daraus entsteht ein enorm mitreißender Sound, welcher nicht zuletzt durch die brillanten Vocals von Hugo Malkovich (in bester Ramones-Tradition tragen alle Bandmitglieder den gleichen Nachnamen) veredelt wird. "Kings n' Bosses" (Go Kart Records/RTD) darf schon jetzt als legitimer Nachfolger zu Abhinandas "Rumble" gehandelt werden... Nichts weniger als brillant! /// Als Fortsetzung ihrer "Exchange Session" wollen Four Tets Kieran Hebden und Steve Reid, seines Zeichens Jazzlegende, dieses Werk nicht verstanden wissen. Und doch tragen auch die zehn neuen Tracks klar die charakteristischen, experimentellen Züge der vorhergehenden Kollaborationen. Der tatsächliche Unterschied lässt sich wohl eher in der Produktionsweise finden: "Tongues" (Domino Records) wurde beinahe komplett live aufgenommen und lässt die visionären Klangwelten der beiden avantgardistischen Soundbastler ungefiltert, in beinahe jazzigem Improvisationsreichtum verschmelzen. Was dabei herauskommt gleicht einem Freudenfest für all jene, denen Songstrukturen schon immer suspekt waren oder John Zorn gerne beim Entspannen hören. /// Wären Royseven eine Waschmaschine, sie wären für den Weichspülgang prädestiniert. So zumindest der Eindruck nach den elf Songs ihres Debüts "The Art Of Insincerity" (Island/Universal), welches im heimischen Irland bereits alle Erwartungen sprengte. Die stimmliche Nähe von Frontmann Paul Walsh zu Bands wie Coldplay oder den Manic Street Preachers dürfte jedoch nicht nur ich dem Material attestieren; und schließlich wird diese Tatsache nicht unerheblichen Einfluss auf den Achtungserfolg von Royseven gehabt haben. Der sich hierzulande unbeirrt fortsetzen könnte: Wer sich an der melancholisch-balladesken Ausrichtung der Stücke nicht stört, wird auf elf Songs voller einnehmender Melodien treffen, die nicht lange nachfragen, bevor sie sich im Kleinhirn breit machen... /// Sie mag schon reichlich alt sein, müde ist sie garantiert nicht: Das bewies die kanadischen Rock-Institution Saga im letzten Jahr mit dem gelungenen Longplayer "Trust". Und weil man sich gerade auf der Erfolgswelle wähnte, knüpft man mit "World's Apart Revisited" (Inside Out/SPV) daran gleich an; schließlich gibt es dort den gleichnamigen Longplayer, welcher 1981 für den Durchbruch sorgte, in voller Länge und live zu hören. Das Ergebnis erscheint nun auf Doppel-CD sowie DVD; letzteres Medium wie gehabt mit Bonusmaterial. Und, apropos Bonus: Natürlich ergänzte man die Tracklist des Albums für die Liveshow in Pratteln um jede Menge weitere Klassiker. Das Ergebnis: Eine überraschend unterhaltsame Zeitreise, die in der limitierten Komplett-Version besonders erholsam wird... /// Keine Angst, sie befinden sich in guten Händen. Die Kompositionen, welcher sich Postpunkerin Patti Smith annahm und diesen ihren eigenen, signifikanten Charme verpasste. So spinnt "Twelve" (Columbia/SonyBMG) aus den Vorlagen von Nirvana, Bob Dylan, The Doors, den Beatles oder Tears For Fears (!) ebenso würdevolle wie schaurig-schöne Adaptionen. Und lässt in den Linernotes tief blicken, wie es zu vorliegender Auswahl kam. Kenner von Patti Smiths Oeuvre greifen da ohnehin zu. Wer das Vorbild von PJ Harvey kennenlernen möchte, sollte dem gleich tun. Anspieltipp: Das Stones-Cover "Gimme shelter". /// Trotz der Vielzahl an Metalcore-Veröffentlichungen, die seit 2004 das Licht der Welt erblickten, ist mir das damals erschienene Debüt von Soulgate's Dawn noch in bester Erinnerung. Die Hochphase des Genres hat die Formation aus Jena jedoch unglücklicherweise mit Line-Up-Wechseln verbracht... Auf dem Nachfolger "Deathtrap To Escape" (Burning Season Records) zieht man jetzt sympathischerweise trotzig alle Register, um vielleicht dennoch ein wenig mitmischen zu können. Wünschen will ich dem Fünfer eine breitere Öffentlichkeit gerne, denn das gleichermaßen metallastige wie hochmelodische Material zündet nicht nur aufgrund der fetten Rape Of Harmonies Produktion, sondern vor allem weil Soulgate’s Dawn weiterhin über ein Händchen für brillante Songs in der Schnittmenge aus Dark Tranquillity und Heaven Shall Burn verfügen. /// The Lapse und Van Pelt dürften die beiden häufigsten Assoziationen sein, die einem im Kontext der Vague Angels begegnen. Schließlich sind oder waren beide gleichermaßen Betätigungsfelder von Sänger und Songschreiber Chris Leo (genau, dem Bruder von Ted), der für sein neues Projekt von anderen Musikern - wenn auch nur in Statistenrolle - unterstützt wird. "Truth Loved" (Expect Candy/Hausmusik) entstand ursprünglich als (sic!) Teil von Leos Buch "White Pigeons", wird ab sofort aber auch separat erhältlich sein. Ein Glücksfall für Anhänger des Postrock-Sounds von Make Believe bis Joan Of Arc, die sich schon immer etwas mehr Bauchgefühl a lá späte Karate gewünscht hatten: Das hier wird euer Baby. Und nicht erschrecken: Es hat dennoch einen großen Kopf. /// Dass die Fusion aus Rock und Elektronik oft genug in die Hose geht, steht außer Frage. Genau so wie die Tatsache, dass mit den Young Gods - ausgerechnet aus der Schweiz - eine Formation stammt, welche diesem Manko seit Bestehen entgegen wirkt. Und dies zum einen durch Tracks, deren Experimentierreichtum durch ausgewogenes Songwriting legitimiert wird. Was in der Vergangenheit u.a. schon Mike Patton erkannte. Zum anderen jedoch auch durch konsequentes Trend-Verweigern: Während die Welt seinerzeit beispielsweise auf Ministrys Industrial-Sounds schaute, veröffentlichten die Young Gods sphärische Klänge. Auf dem neuen Longplayer "Super Ready / Fragmenté" (Pias Records) sucht und findet man nun die Balance zwischen beiden Welten: Rock und Elektronik fusionieren hier nicht nur, sie ergänzen sich ausgezeichnet.

Heute: zwischen Bühne und Psychiatrie

mit: Oel | The Jetlegs | Andre Crom

Wie gern würde der coole Indie-Typ in mir schreiben, dass Oel der letzte Alternative-Mainstream-Dreck sind. Sind sie aber nicht. Der Name klingt vielleicht ein wenig unsexy. Und mit Ecken und Kanten haben sie es auch nicht so. Aber wer braucht die schon, wenn er solche Ohrwürmer schreiben kann. Seit über zehn Jahren machen die Hessen das bereits. Mit leicht ins Ohr gehendem Gitarrenpop/Rock, der mal Richtung Indie, mal Richtung Mainstream-Pop schielt, sich und seinen Hörern aber zu keiner Sekunde was vormacht. Bei "Between the Lines" (Eigenvertrieb) handelt es sich bereits um die elfte CD, die das Quartett aufgenommen hat. Fast schon beschämend, dass ich noch nie was von ihnen gehört habe. Oel sind gute Musiker. Erinnern mich manchmal ein wenig an eine softere Radiopopversion von Readymade. Oder an "The Electric Club". Ziemlich genau sogar. Was vor allem an der Stimme von Sänger Sebastian liegt. Dass die Texte kaum über Allgemeinplätze hinausgehen, macht das sympathische Keyboard mehr als wett. Oel wollen nicht viel, sie wollen einfach nur unterhalten. Und wenn sie dich erstmal zum Reinhören gebracht haben, dann ist es eh schon zu spät. Selbst die Ballade "Wherever" kommt nicht zu schwülstig daher. Wer Popmusik mag, der könnte hier ganz schön glücklich werden. Allen anderen ist`s vielleicht zu soft. Aber das kann Oel ziemlich egal sein. Die ziehen ihr Ding schön weiter durch. Wie gesagt: seit über zehn Jahren. Scheint jung zu halten, wenn man so ins Booklet schielt.

Seit der Veröffentlichung ihrer ersten Demo haben The Jetlegs ordentlich an Style zugelegt. Die erste EP „Alright! Let's Go!" (der Titel sagt ja schon fast alles) sammelt mit schönem Artwork Punkte. Exakt die Hälfte der vier Demo-Songs haben sich auf die erste richtige Veröffentlichung gerettet. Für die Kenner: die beiden Songs „Till You Drop" und „Other Side". Die restlichen drei Tracks sind komplett neu. In „Don´t Know" greift man auf eine gut funktionierende "Spoken Word"-Einlage zurück. Gesang gibt's nur im Refrain. In „Waiting" regieren Gitarrenriffs galore. In „Upright Boy" sticht vor allem die Orgel hervor. Dazu leicht schiefer Gesang und schöne Melodien. Schon ist eine gelungene Rock`n Roll-EP fertig. Sie selbst bezeichnen sich zwar als „Punk'n Roll". Aber sind wir mal ehrlich. Mit Punk haben die Jetlegs nichts am Hut. Mit Rock dafür umso mehr. Kann man sich auf ihrer Myspace-Seite von überzeugen. Dort gibt's vier Songs zum Anhören. Richtig Spaß machen die Jetlegs aber erst auf der Bühne. Davon konnte ich mich selbst schon zweimal überzeugen. Innovativ ist das zwar nicht. Das wollen sie aber auch nicht sein. Also: Schweinerockfans an die Front!

Autor:


Nach dem letztjährigen Hit „Notaufnahme“, den er zusammen mit Tigerskin für Liebe*Detail produzierte, gibt Andre Crom mit der „Ambulanz“ nun sein Debüt für Sender Records. Bei den Titeln bedient er sich abermals der Ästhetik der Krankenhaussprache und auch die musikalischen Ausdrucksmittel sind weitreichend genug, um den Körper zu den Tracks auf dem Floor zu schinden. Crom liefert hier vier Tracks ab, die sowohl für den Aufbau der Stimmung zu verwenden sind („Privatpatient“), wie für den Peaktimewahnsinn („Reiner Wahnsinn“) und verspulte Afterhourmomente („Psychiatrie). Dabei verlässt er sich auf die Stärken eines minimalistischen Stils, ohne in die Langeweilefalle von Minimal zu tappen, denn Crom hat immer eine gute Idee, eine einnehmende Hookline oder einen mitreißenden Beat in petto. Damit wird die Ambulanz EP auf den Tanzflächen dieser Welt für mächtig Furore sorgen.

Autor: Steffen Kern


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