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Das Fräulein

 

Regie: Andrea Štarka
Darsteller: Mirjana Karanović, Mirija Skaričić, Ljubica Jović, Andrea Zogg, Zdenko Jelčić, Pablo Aguilar

„Das Fräulein“ wurde 2006 mit dem „Goldenen Leoparden“ als Bester Film in Locarno ausgezeichnet.

Ana (Mirija Skaričić) ist jung und ziellos. Außer der kleinen Schachtel mit den Milchzähnen ihres Bruders darin und einem Sack Klamotten besitzt sie nichts. Sie lässt sich treiben und landet irgendwann bei Ruža (Mirjana Karanović), Leiterin einer abgelegenen Arbeiterkantine irgendwo am Rande von Zürich. Anas offene Art, ihre Lebenslust und der genaue Blick, mit dem sie die kleinen Dinge betrachtet, die sonst durch die verschmierten Fensterscheiben des weitläufigen Esssaals immer verschwommen bleiben, wirken befremdlich auf Ruža. Ana spricht während der Arbeit mit den Gästen, sie tanzt und lächelt, organisiert eine große Geburtstagsparty für Ruža, auf die sich die introvertierte Alleinlebende nur zögerlich einlässt.
Und dann ist da noch die 60-jährige Mila (Ljubica Jović), Kantinenangestellte. Sie arbeitet hart, damit der Traum ihres Mannes - ihrer ist es schon lange nicht mehr -, ein Haus in Kroatien zu kaufen und in die gemeinsame Heimat zurückzukehren, vielleicht irgendwann einmal Wirklichkeit werden kann. Regelmäßig klaut er ihr Geld aus dem Schächtelchen auf dem Kühlschrank und gibt vor, es für Dacharbeiten am neuen Haus zu gebrauchen.

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Ana schafft es mit der Zeit, durch ihre ganz eigenwillige Art, die beiden Frauen aus ihrem langjährigen Arbeitsalltag herauszureißen. Dass Ana an einer schweren Krankheit leidet und ihre extreme Art, das Leben zu leben daher rührt, will sie selbst nicht begreifen und erzählt den anderen beiden vorerst nichts davon.
Langsam und von Tag zu Tag intensiver, vollzieht sich eine Annäherung zwischen der vor sich selbst und ihrer Vergangenheit flüchtenden Ana und Ruža, die zu ängstlich ist, um nur für einen kurzen Moment auszubrechen aus ihrem stillen, einsamen Leben, das sie mit niemandem teilen will. Immer mehr finden sie zueinander und holen sich gegenseitig aus ihren isolierten Gedankenwelten. Dabei müssen beide einerseits Kompromisse eingehen, lernen aber gleichzeitig eine andere Perspektive auf das Leben kennen und lieben. Seit Anas Ankunft erwacht Ruža aus 25 Jahren Bewegungslosigkeit, Stillstand. Aus dem verstaubten Schächtelchen unter ihrem Bett gräbt sie alte Familienfotos hervor und schmückt damit die kahlen Wände ihrer dunklen Wohnung. Dann begleitet Ruža Ana ins Krankenhaus. Leukämie, fortgeschrittenes Stadium. Ana steht bald danach an der Autobahn und hofft, mitgenommen zu werden. Wo die Reise hin gehen soll bleibt offen. Vielleicht zurück nach Sarajevo. Vielleicht auch nicht.

Ana ist Bosnierin, Mila Kroatin, Ruža ist Serbin, alle drei Schauspielerinnen machen ihre Sache sehr gut. Das verbindende Element zwischen den Protagonistinnen sind kleine Schächtelchen. Schächtelchen, deren Inhalte symbolisch für die Aufbewahrung der Vergangenheiten, Sehnsüchte und Träume der drei Frauen stehen.
Die junge Regisseurin, Andrea Štarka, selbst in der Schweiz geboren und Tochter einer bosnisch-kroatischen Familie erschafft eine Studie über drei starke, eigenwillige Frauen aus drei verschiedenen Gegenden eines Landes. Ein Land, das es so nicht mehr gibt. Ex-Jugoslawien und der Krieg stehen zwar nicht im Vordergrund, trotzdem lässt sich die Art und Weise, wie die Protagonistinnen sich selbst und ihre Umwelt wahrnehmen immer nur in Zusammenhang mit ihrer Geschichte und Herkunft sehen. Treffpunkt ist die Schweiz.
Mit einfühlenden, sehr intelligenten Dialogen und einer Ruhe, die der gesamte Film in sich trägt, beschreibt Štarka die langsame Annäherung zwischen verschiedenen Welten, in denen sich die Frauen, jede für sich, bewegen, sich treffen, verändern und wieder weiter ziehen.

Ana: „Alle Krankenhäuser riechen gleich, nur die Aussicht ist eine andere.“
Ruža: „Die beste Aussicht ist die, die du selbst wählst!“


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