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MISC - Juni 2007 l #01

sellfish.de Spezial: Knüppel aus dem Promosack (Michael Streitberger)

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sellfish.de Spezial: Knüppel aus dem Promosack

mit: A Perfect Murder | Forever In Terror | Haemorrhage | Municipal Waste | 3 Inches Of Blood | Becoming The Archetype u.v.m.

Wenn da 'mal nicht den verbitterten Kritikern des Genres in die Hände gespielt wird: Handwerklich zwar ordentlich, jedoch ziemlich konventionell eröffnen Anterior diese Rubrik. "This Age Of Silence" (Metal Blade/SPV) watet konsequent den Rand des Metalcore-Sumpfes entlang. Und allein die harmonischen Melodiebögen sowie ein paar exzellente Breaks bzw. Gitarrenpassagen bewahren dieses Debüt davor, in die üblichen Untiefen abzurutschen. In der dreiviertel Stunde beweisen die jüngst wieder zum Trio geschrumpften Herren aus Wales nachhaltig, dass sie sich bei der obligatorischen Wahl zwischen Hardcore und Metal eindeutig für letzteren entschieden haben. Somit also eher In Flames oder ihre Landsmänner von 3 Inches Of Blood denn Heroen wie Darkest Hour oder Hatebreed. Wer ähnlich verfahren würde, der soll sich gerne den Vorzeigetrack "Dead Divine" auf der MySpace-Seite von Anterior anhören.

Die Entwicklung von A Perfect Murder weg vom Metalcore hin zu Pantera-artigen Thrash-Sounds kann man grundsätzlich ja nur begrüßen. Ich persönlich muss jedoch leider gestehen, dass mir die unbändige, monotone Wucht ihres Victory-Debüts "Unbroken" mehr zusagte als der letztjährige Nachfolger. Ähnliches gilt auch wieder bei "War Of Aggression" (Victory/Soulfood); auch wenn die zehn neuen Tracks ganz subjektiv sicherlich den kreativen Höhepunkt der Kanadier markieren. Schließlich haben sie ihre Mischung aus genannten Pantera, deren Down-Ableger sowie den allmächtigen Crowbar mit dem neuen Material endgültig perfektioniert. Auch deswegen, weil nicht nur Kevin Randel seine Transformation zu Phil Anselmo mittlerweile vervollständigte. Auch die "Banging-forcierende“ Gitarrenarbeit erinnert immens an "Vulgar Display Of Power". Respekt also für ein veritables Werk, welches sicherlich seine Abnehmer findet ...und verdient hat!

Mehr als einen Achtungserfolg konnten Becoming The Archetype mit ihrem Debüt vor zwei Jahren einheimsen. Auf "The Physics Of Fire" (Century Media/EMI) setzt das Quartett aus Atlanta nun alles daran, seinen Ruf als einer der versiertesten Extrem-Metal-Newcomer dieses Planeten zu untermauern. Mit Erfolg! Die elf Stücke finden trotz aller Kapriolen den schlüssigen Zwischenweg aus Metalcore-Trends, Göteborg-Schule, grindigem Highspeed-Geknüppel, leicht kitschigen Pop-Refrains - und verleihen dem Ganzen sogar noch eine progressive Note. Wie diese wilde Mixtur funktioniert ist gar nicht so leicht in Worte zu fassen. Doch die Spielfreude aller Beteiligten trägt sicherlich wesentlich zum Gelingen der enorm kurzweiligen 50 Minuten bei. Darüber hinaus sorgen die deutlich stringenteren Refrains endgültig dafür, Becoming The Archetype auf das nächste Level (welches irgendwo in direkter Nähe zu Into Eternity liegen dürfte) zu hieven.

Eine ganz und gar großartige Mischung aus Kid Dynamite, Sick Of It All und Good Riddance haben Deny Everything (feiner Name auch) ja schon auf ihrer letztjährigen EP gespielt. Mit dem Album-Debüt "Fire This Time" (Yo-Yo Records) wurde dieser Mix nun endgültig perfektioniert. Und was hier in 15 Tracks bzw. zwanzig Minuten auf den Hörer einprasselt, so wird mir schnell bewusst, avanciert zum großartigsten Statement, welches hierzulande zum Thema Hardcore 2007 formuliert wurde. Die Kölner liefern - strikt dem "Shorter, Faster, Louder"-Motto verpflichtet - ein musikalisches Brett der Extraklasse ab und geizen dabei auch inhaltlich nicht mit relevanten Themen (Linernotes lesen macht Sinn!). Da passt es denn auch prima, dass sich das Berliner Label Yo-Yo Records entschlossen hat, neben der obligatorischen Vinyl-Version auch eine CD-Variante anzufertigen. Definitiver Pflichtstoff für Anhänger aller oben genannter Formationen und vielleicht die momentan attraktivste Form der "support your local scene"-Umsetzung. Falls es jemand noch nicht gemerkt hat: Ich bin begeistert!

Auch in Cleveland, einst dank Integrity oder Ringworm Szene-Hochburg der herrlich klischeehaften "Hatecore-Szene", machen sich die allgegenwärtigen Metalcore-Auswüchse breit: Forever In Terror halten zwar zumindest namenstechnisch bei dem üblichen Jargon mit, musikalisch lehnt sich "Restless In The Tides" (Metal Blade/SPV) jedoch eher an Vorbilder wie Unearth sowie deutlich komplexeren Strategen wie Dillinger Escape Plan an. Zwar gelingt es dem Material, rechtzeitig auf den (dank der feinen Harmonielinien sogar ziemlich melodiösen) Punkt zu steuern. Die kehligen Vocals von Frontmann Tim Felger im Zusammenspiel mit der mangelnden Identität der Kompositionen allerdings ziehen das ambitionierte Werk gnadenlos auf Durchschnittsniveau zurück. Auch wenn man Forever In Terror anhört, dass es bei ihnen noch einiges zu holen gibt: Im momentanen Veröffentlichungsüberfluss braucht es etwas mehr als technische Fähigkeiten plus entsprechender Nähe zu den einschlägigen Vorbildern, um im Ohr (oder dem Warenkorb) hängen zu bleiben.

72 Minuten, 34 Songs: Mit ihrer Singles-Collection „Haematology“ (Power It Up/Twilight) dürften die spanischen Metzler von Haemorrhage selbst versierten Gore-Gourmets die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Da hilft es nur, die teils schwer gesuchten Singles, Splits und EPs in kleineren Häppchen zu genießen. Beispielsweise die Beiträge zur Doppel-Split mit C.Denied aus dem Jahre 1994, welche hier dank restauriertem Sound in neuem (blutverschmierten) Glanz erstrahlen. Überhaupt scheint es charakteristisch für Haemorrhage, dass sie in Kleinformaten deutlich kurzweiliger klingen als auf Album-Distanz. Was unter anderem auch an ein paar klasse Coverversionen (u.a. Carcass, Kortatu) sowie dem hier vertretenen quirligen Stilmix der verschiedenen Bandphasen – von Grind über Death bis Crust und, ähem, Hyperblast (…) - liegen dürfte. Insofern: Bringt Spaß und kommt dazu mit informativem Booklet samt witziger Linernotes.

Another Blast from the Past: Die wieder auferstandenen Hirax knüpfen nach zwischenzeitlicher, aber jahrelanger Abstinenz weiterhin an alte Thrash-Tugenden an. Denn auch wenn das Promoinfo das Gegenteil behauptet: "Assassins Of War" (Selfmade God Records) bietet Retrosounds pur. Die fünf Tracks offerieren in gut zwanzig Minuten Spielzeit genau die Chose, wie sie vormals von Destruction oder Exitus fabriziert wurde. Jedoch ohne deren - und sei es nur soundtechnische - Fortentwicklung. Ob es dies nun ausgerechnet gebraucht hat? Das hängt wohl vom individuellen Grad der Metal-Affinität an: In den Achtzigern hätte diese EP sicher für einiges Aufsehen gesorgt. Heute werden sich zumindest überzeugte Kuttenträger noch am Charme der Aufnahmen erfreuen können.

"Mid 90ies Screamo Hardcore" kategorisieren Kill Kim Novak ihren Sound. Und weil davon bislang abseits der üblichen Szene noch nicht so viele etwas mitbekommen haben, veröffentlichen die Soester vor ihrem ersten regulären Albumrelease im Herbst noch einmal die beiden Vorgänger-EPs "Kopfleuchten" (2003) bzw. „Kaskaden“ (2005). Neu "03:05" (A Team/Alveran) betitelt, erfreuen die insgesamt zwölf Tracks mit einer ansprechenden Mischung aus early Refused sowie Narziss (ein Vergleich, der allerdings besonders durch die deutschen Lyrics nahe liegt...). Wie sich die US-Schauspielerin Novak (u.a. Vertigo) den Hass der Vier verdient hat, bleibt mir zwar ein Rätsel. Zumindest musikalisch wird dieses Gefühl ansprechend kanalisiert... Auf dem folgenden Werk denn hoffentlich auch mit einer konstant stärkerer Produktion.

Maintain sind ebenfalls hierzulande beheimatet, was man dem aktuellen Album "With A Vengeance" (Swell Creek/Soulfood) jedoch wieder einmal keineswegs anhört. Stattdessen zelebrieren die Hannoveraner Metalcore amerikanischer Prägung in Reinkultur. Schließlich ist man ja nicht erst seit gestern dabei, sondern etablierte binnen fast zehn Jahren - wenn schon keinen eigenen Stil - denn doch ein Dasein als echte Alternative zu Bands wie Unearth bzw. Neuzugängen Marke Parkway Drive. Instrumental und produktionstechnisch bis ins letzte Detail ausgefeilt besteht das Material nämlich auch den Langzeittest: Stellenweise brillante Gitarrenharmonien, monströse Grooves sowie die abwechslungsreichen Vocals sorgen in Kombination mit dem fetten Sound binnen kurzer Zeit für steife Nacken und machen - zumindest für diese 40 Minuten - die derzeitige Übersättigung an der Stilrichtung vergessen. Als Anspieltipp sei allen Interessierten mein persönlicher Lieblingstrack "Arsonists" ans Herz gelegt. Und, ach ja: Bevor ihr euere Kohle Caliban in den Hintern schiebt, gebt diesem ungleich stärkeren Werk eine Chance!

Zerstückelte und zerredete ("Voiceover" sollte zum Unwort des Jahres gewählt werden!) Rezensionsexemplare fliegen normalerweise hochkant aus unserer Tonträger-Rubrik heraus. Für Municipal Waste, die old school Thrashcore-Combo aus Richmond, machen wir hier jedoch eine kurze Ausnahme. Schließlich entschied sich das Trio mit dem neuen Werk "The Art Of Partying" (Earache Records) - der Titel verrät es - endgültig dafür, auf die Spaßschiene umzuschwenken. Zumindest inhaltlich. Musikalisch glänzen die 15 Tracks nämlich nach wie vor mit einer herrlich derben Mischung aus DRI, Sacred Reich, S.O.D. oder Discharge. Hoffnungslos anachronistisch, klar. Aber vom Artwork bis zum Sound so konsequent, authentisch und energetisch umgesetzt, dass man sich dem Charme einfach nicht entziehen kann. Wer also immer noch dem Ableben von The Accüsed nachtrauert: Hier findet ihr Trost!

Da sage nochmal einer, Kiffen würde antriebslos und langweilig machen: Pig Destroyer jedenfalls treten - vermutlich sogar unbewusst – einen eindrucksvollen Gegenbeweis an. Auf "Phantom Limb" (Relapse/SPV) knüppeln sie sich durch ein nihilistisches Hochgeschwindigkeits-Szenario, welches zwischen Noise, Sludge, Gind und Death so ziemlich alles mitnimmt, was Schmerzen verursacht. Dass die 14 Tracks letzten Endes sogar funktionieren, mag man bei der ersten handvoll Hörversuche kaum glauben. Doch schon da bleiben die ersten griffigen Riffs hängen. Und ehe man sich's versieht, entpuppt sich das vermeintlich hyperextreme Werk als kurzweiliges, durchaus humoristisches Pendant zu all den verkopften Mathcore-Akrobaten, welche momentan durch den Converge/Dillinger Escape Plan-Sog nach oben gespült werden.

Sie waren die wohl zarteste Versuchung für "konventionelle" Headbanger, Kontakt mit dem Metalcore-Genre aufzunehmen: 3 Inches Of Blood aus Kanada, deren Debüt "Advance And Vanguish" vor fast drei Jahren dank zweier Charakteristika aufhorchen lies. Das eine war der enorme Hitanteil ihrer Kompositionen. Das andere, direkt damit zusammenhängend, die Vocals von "Zweitsänger" Cam Pipes: Sein räudiges, derbes Gebrüll schien direkt der Hardcore-Szene entsprungen und bot das gewisse Extra neben Jamie Hoopers hohem Eierkneiforgan - welches den Iron Maiden-/Judas Priest-infizierten Tracks naturgemäß gut zu Gesicht stand. "Fire Up The Blades" (Roadrunner Records) knüpft nun an exakt diese Rezeptur an. Und auch wenn die Hitdichte mit dem Vorgänger nicht ganz mithalten kann (ein zweites "Deadly Sinners" beispielsweise lässt sich nicht finden): Dank Highlights wie "Trial Of Champions" dürfte der Popularitätsgrad der Formation weiter steigen, außerdem tut der angezogene Härtegrad dem Material spürbar gut...

The Wooden Latch sind eine junge Formation aus 66540 Neunkirchen, die mit "Breakout" (NKRC Records) ihren Einstand geben. Die neun Tracks mit einer guten halben Stunde Spielzeit pendeln jedoch etwas unentschlossen zwischen zu vielen Rhythmuswechseln, Emorock sowie vereinzelten Numetal-Eruptionen. Dabei sollte die hübsche Sängerin Mona Seer The Wooden Latch doch helfen, etwas mehr Aufmerksamkeit auf das ausbaufähige Potential aller Beteiligten zu lenken. Ein bisschen hat man nämlich den Eindruck, als hätten die Fünf bei aller Demonstration ihrer musikalischen Fähigkeiten die Songs aus dem Blick verloren. Gelingt es ihnen in Zukunft, das Wesentliche eines Liedes mehr in den Fokus zu rücken, würde ich mich über ein Wiederhören dennoch freuen.

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