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MISC - Juni 2007 l #03

sellfish.de Spezial: Aus Dem Untergrund Nach Oben!

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Diesmal mit:

Death Breath | Call Me Lightning | Jonathan Krisp | President Fetch u.v.m.

Wieder einmal einen verdammt heißen Act haben sich French Kiss Records mit Call Me Lightning an Land gezogen. Dabei funktionierte das Spielchen diesmal umgekehrt: Denn wo das New Yorker Label sonst für die Entdeckungen sorgte, warb man dieses Trio (welches den perfekten Namen für seine funkensprühende Musik trägt) bei den wesentlich bekannteren Revelation Records ab. Kein schlechter Zug. „Billion Eyes“ beispielsweise ist gleich zu Beginn eine famose Nummer zwischen Arschrock und Postcore geworden - ein unbestreitbarer Hit, der auf „Soft Skeletons“ (French Kiss/Alive) aber nicht alleine bleiben soll. Stellt euch die zündend-simplen Ideen der Hives, die Energie von At The Drive-In sowie die Tanzbarkeit von Q And Not U vor - und ihr habt ein ungefähres Bild dieses ebenso trendgerechten wie großartigen Albums. Selten hat Dynamik - welche diesmal deutlich zielgerichteter als auf dem Debüt eingesetzt wird - so viel Spaß gemacht wie bei Call Me Lightning. Zumal hier nie hirnlos nach vorne geholzt wird, sondern parallel zum in die Beine gehenden Sound die eine oder andere Instrumentalakrobatik vollzogen wird. Der Sound von Steve Albini schafft jedenfalls die ideale Basis dafür! Nicht unerwähnt bleiben dürfen außerdem die herrlich hysterischen Vocals von Sänger Nathan Lilley. Oben drauf noch ein kaputt-brillantes Artwork im Booklet: Fertig ist die unterhaltsamste Post-Emo-Indie-Rock-Arschtritt-Scheibe des laufenden Jahres.

Der Untergrund-Status beschränkt sich im Falle Clark rein auf Deutschland. In ihrer Heimat haben die Schweden bereits die Charts erklommen und in Asien werden sie gar als Superstars gehandelt (... aber mal ehrlich, welcher europäische Rocker/Metaller wird in Asien nicht als Superstar gehandelt?). Überraschend wirkt diese Tatsache angesichts der Qualitäten von "Our Best Second Album" (Golden Core/Zyx) ohnehin nicht. Der musikalische Mix aus Harem Scarem, King's X, einer Prise Soundgarden sowie Maroon 5-Hitparadentauglichkeit fällt dermaßen catchy aus, dass einem die Ohrwürmer nach Genuss der elf Tracks nur so durchs Gehirn kriechen. Was nun gleichermaßen Fluch und Segen sein kann, denn wie viel hinter dem Material tatsächlich steckt, bleibt schwer zu sagen. Jedenfalls tun nicht nur die mehrstimmigen Gesänge gut; sondern vor allem die Tatsache, dass Clark ihr Ding gar nicht so ernst nehmen (vgl. z.B. den Albumtitel). Und gerade wenn die Fünf mal etwas kerniger rocken, wird es denn auch vorbehaltlos gut…

Immer wenn man denkt, dem Thema Singer-Songwriter wäre endgültig nichts Neues mehr hinzuzufügen, wird man eines besseren belehrt. Zumeist durch junge, unbekannte Künstler. Wie im Falle Turner Cody. Der New Yorker (Motto: „My stories are true, my worries are few“) verhilft diesem klassischen Genre zwar sicher nicht zu ungehörten kreativen Höhen. "60 Seasons" (B.y_records/BB*Island) gefällt stattdessen mit einem unbekümmerten Charme, der nicht zuletzt an Adam Green ("Abaraxis Foyer", „The Steel Drum“) erinnert. Kein Wunder also, dass Cody nach acht nicht nur selbst vertriebenen, sondern auch selbst gebrannten CDs seinen offiziellen Label-Einstand auf dessen "Antifolk Vol. 1" Compilation feierte. Vorliegende 14 Tracks sind nun eine Art "Best Of" der Jahre 2000 bis 2005. Und wessen Lust auf Liedermacher wie Daniel Johnston oder eben Adam Green ungebrochen ist, der macht mit diesem netten Digipak sicher keinen Fehler.

Es ist schlichtweg ein Jammer, dass uns das großartige Debütalbum von Death Breath im vergangenen Jahr durch die Lappen gegangen ist. Doch es gibt immer eine zweite Chance. Vor allem agieren die schwedischen Prügelknaben auch mit ihrer just erschienenen neuen EP noch im Untergrund. Und dies trotz der Tatsache, dass hier mit Nicke Andersson von Entombed ein Quasi-Szeneprominenter beteiligt ist. Dem dient auch "Let It Stink" (Black Lodge/Rough Trade) wieder als Spielwiese für seine Leidenschaft zu einem an sich hoffnungslos veralterten Sound: Nämlich Deathmetal der alten schwedischen Schule (a lá Dismember) in Kombination mit Crustpunk Marke Discharge und Konsorten. Von denen gibt es hier denn passenderweise eine exzellente Coverversion, während der Rest der sieben Tracks (darunter noch zwei Adaptionen von G.B.H. und Bathory) vehement an die unterbewerteten, famosen Landsmänner von Wolfpack erinnert. Alles in allem eine äußerst lohnende Angelegenheit, welche zudem noch mit einem unterhaltsamen Enhanced-Part aufgestockt wurde. Als Anspieltipp eignet sich gleich der Opener "Giving Head To The Dead" (sic!) ausgezeichnet…

Es ist wohl utopisch, dass Destructo Swarmbots jemals die plakative Forderung dieses Spezials erfüllen können. Schließlich steckt hinter dem martialischen Titel der Formation im Wesentlichen ein gewisser Mike Mare, welcher unter anderem zum Live-Lineup der Postcore-HipHopper von Dälek gehört. Auf "Clear Light" (Public Guilt/Import) lebt dieser mit wechselnder Unterstützung seinen Hang zu apokalyptischen Soundgemälden aus. Das ganze zwar in nur vier Songs, welche aber mit insgesamt einer knappen Stunde Spielzeit entsprechend episch ausfallen. Das exzellent produzierte Werk verzichtet dabei völlig auf Songstrukturen, sondern verfolgt eher den Ansatz verschiedener Drone-, Minimal- oder Ambient-Projekte. Klassische Instrumente tauchen, wenn überhaupt, nur entfremdet auf. So entsteht ein regelrechter Hall-Koloss. Wer sich auf diesen cineastischen Trip einlassen will ist gut beraten, dies mit entsprechender Hingabe und - vor allen Dingen - guten Kopfhörern zu tun.

"No Horse, No Wife, No Moustache" (Cookshop Records/Groove Attack): Ausgehend vom Titel seines Debüts könnte man Jonathan Krisp so einiges attestieren. Zum Beispiel grotesken Humor. Eine gewisse Melancholie. Oder gar androgyne Züge. Erst beim näheren Begutachten erkennt man, welch’ musikalisches Talent sich hier zwischen Auftritten von Patrick Wolf (dort als Fachmann für alles Elektronische) oder The Arcade Fire behutsam etablieren konnte. Diese elf Tracks hier jedenfalls stecken voller instrumentaler Spielereien, gesampleter Elemente - und überraschen durch völligen Verzicht auf Vocals. Wirklich einfach gemacht wird es dem Hörer trotz der fraglos vorhandenen Qualitäten Krisps als Soundbastler jedenfalls nicht. Schon alleine deswegen, weil der Engländer sich weigert, stilistisch oder nur stimmungstechnisch ein konkretes Ziel zu verfolgen: Dance, Elektronika, Indie- oder Folkpop. Egal was er anpackt, er zieht konsequent durch. Und detailversessen. Nicht einmal vor Postrock macht er Halt. Also: Ernstzunehmende Kunst, das ganze. Doch, Humor, den hat er trotzdem, der Jonathan.

Es gehört nicht viel dazu, Mikroboy zu prognostizieren, dass sie nicht lange in Rubriken wie diesen verharren werden. Und dies trotz - oder gerade aufgrund - der Tatsache, dass ihr aktuelles "Demo" (Eigenvertrieb) eigentlich nur zum "Label-aufmerksam-machen" dient. Und jene werden nicht lange auf sich warten lassen... schön blöd wären sie. Denn einmal ist der Sound von Mikroboy zwischen Kettcar und Notwist wie geschaffen für das „gehobene“ Indie-Publikum. Zum anderen bestehen diese zehn Songs problemlos auch neben bzw. nach den angeblichen derzeitigen Trends. Dank Substanz hinter den deutschen Texten, dank intelligenter Instrumentierung zwischen Pop und Elektronik. Nicht zuletzt aber auch deswegen, weil man sich nicht nur die richtigen Vorbilder aussuchte; sondern vor allem, weil hier eigenes Herzblut drin steckt. Und das Potential, dass völlig ohne unnötigen Zwang noch ganz viel gehen wird. Nicht ohne Grund präsentiert sellfish.de die kommende Tour des Trios. Erinnert euch daran, wo ihr zuerst von Mikroboy gehört hab.

Im Ernst, jetzt. Ist da draußen noch jemand, dem das unscheinbare Ableben der Nordmänner von Amulet so nahe gegangen ist wie mir? Trost kommt hier; ebenfalls aus dem Norden Europas. President Fetch stammen aus Dänemark und wildern in ähnlichen Revieren wie ihre Kollegen. Dabei treiben Sänger Molle und seine vier Mitstreiter jedoch den Rock'n'Roll Faktor in deutlich höhere Regionen. Und rücken somit noch näher an Turbonegro heran als erwähnte Amulet. So oder so entpuppt sich das kongenial betitelte "Cruel Beats... Gently Slumbering" (Hep Town Records) als ein definitiver Anwärter für die Obeliga skandinavischer Punk'n'Roll Acts. Übrigens haben wir es hier bereits mit dem dritten Werk von President Fetch zu tun, deren Bekanntheitsgrad bei uns jedoch nach wie vor eher unerheblich ist. Hätte man anstelle der überflüssigen "Kick Out The Jams"-Coverversion die dezent vorhandene Hardcore-Schlagseite im eigenen Sound etwas selbstbewusster durchblitzen lassen, würden mich die "Cruel Beats..." tatsächlich fast umgehauen. So bleiben die 13 Tracks zumindest noch interessanter als das müde neue Turbonegro-Werk.

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