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MISC - Juli 2007 l #02

sellfish.de Spezial: Neben der Spur - Vom Wegrand aufgelesen

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Diesmal mit:

The Colombos | Me & You | TV Smith | Hellfueled | Symphony X u.v.m.

Als ehemaliger Sänger von Saosin dürfte sich Anthony Green nicht lange über den Major-Erfolg seiner ex-Kollegen geärgert haben. Schließlich liegt sein Hauptaugenmerk mit Circa Survive mittlerweile auf einer deutlich außergewöhnlicheren Band. Was wohl auch ihr Label Equal Vision erkannte, welches "On Letting Go" (Equal Vision/Cargo) eines der aufwendigsten Artworks ihrer Karriere spendierten. Womit man perfekt den besonderen Anspruch des Werkes widerspiegelt. Und dies, obwohl die Musik von Circa Survive sicher nicht auf Äußerlichkeiten ausgerichtet ist. Im Gegenteil: Die zwölf von Brian McTernan wunderbar produzierten Tracks klingen weder über die Maßen vertrackt noch versucht sich die Band, mit fadenscheinigen Pop-Melodiechen ein größeres Publikum zu erspielen. Es ist vielmehr die Liebe zum Detail, mit welcher hier Spannungsbögen erzeugt werden, die einen staunen lassen: Hier flirrende Gitarrenläufe, dort überraschende Fills... Und vieles mehr. Zudem wird vom Hörer aber auch verlangt, den eigenwilligen Gesang Greens als besonderes Trademark zu akzeptieren. Das musikalische Resultat überzeugt dennoch voll und siedelt sich zwischen Thursday und Coheed And Cambria an, ohne die individuelle Note vermissen zu lassen.

Unter Zuhilfenahme eines etwas unpassenden Labelrückhalts - nämlich aus dem Metal-Umfeld - wagen The Colombos aus Schweden den Weg zu uns in südlichere Gefilde. Und werden hierzulande zumindest bei denjenigen offene Türen einrennen, welche sich ihr Herz gerne mit dem heimeligen Indierock von Fireside, Starmarket oder Division Of Laura Lee erwärmen. Unter den Burning Heart-erfahrenen Fittichen letzterer entstand übrigens auch "Thousand Ways To Look Clever" (Regain Records); weshalb stilistische Überschneidungen sicherlich kein Zufall sind. Doch die zehn Tracks gefallen auch ohne Individualisten-Trips. Mit catchy Songs samt einer vehementen Orgel, welche eine ungehobelte, treibende Mischung aus Garage-Rock, Pop und Punk entzündet. In nur neun Tagen eingespielt wirkt das Debüt der Colombos wie ein Output der pubertierenden Kinder von Soundtrack Of Our Lives. Denen dank einem unverkennbaren Händchen für tanzbare Ohrwürmer eine blendende Zukunft bevorstehen sollte.

Zwei mal lassen Rookie Records (respektive Lizenzgeber Boss Tunage) in dieser Woche traditionelle Punkhistorie wieder aufleben. Los geht es mit den Briten von Decadance Within, welche unbeeindruckt von ihrem geringen Bekanntheitsgrad zwischen den späten 80ern und frühen 90ern eine schier unüberschaubare Anzahl an Tracks einspielten. Zu den Hochzeiten fanden sich darunter gar zwei Alben auf dem englischen Peaceville-Label, welches damals noch dem Crustpunk näher stand als dem Metal heutiger Tage. "Reflections" (Rookie Records/Boss Tunage/Cargo) kompiliert nun in vorbildlicher Aufmachung einen Querschnitt durch das gesamte Schaffen von Decade Within - und offeriert dabei eine überraschende stilistische Bandbreite. Vom old school Hardcore über Crust-Elemente bis hin zu rockigerem Material bleiben die 49 (!) Songs mit weit über zwei Stunden Spielzeit - samt stark schwankender Soundqualität - durchgehend kurzweilig; wenngleich phasenweise etwas anstrengend, so doch unbedingt geeignet für Anhänger des rauen Spät-80er-Stoffs a lá Heresy. Und: Individueller als die aktuelle Band von Bassist Ian Gasper - Stampin Ground - klingt "Reflections" allemal. Schon optisch von ähnlich gelagerten Veröffentlichungen hebt sich auch das Live-Album "Crossing The Red Sea With The Adverts" (Rookie Records/Boss Tunage/Cargo) von TV Smith & The Bored Teenagers ab: Die 16 Tracks - darunter die kompletten elf Tracks des Debüts! - erscheinen als originelle Vinyl-Replik auf komplett schwarzer CD. Musikalisch gehen die Engländer dagegen entsprechend straight zur Sache: Punkrock in der UK-Tradition der 70er. Als Opener schmettert man dem euphorischen Haufen des Londoner 100 Clubs gleich den Hit "One Chord Wonders" entgegen. Und läutet damit eine Zeitreise ein, die jedoch selbst angesichts des 51. Geburtstages des Frontmanns keineswegs angestaubt klingt. Stattdessen markiert die CD vielmehr ein vehementes Statement, dass TV Smith als re-aktivierte Band auch im 30. Jahr ihres Bestehens noch auf Sendung sind!

Hellfueled entpuppen sich im fünften Jahr ihres Bestehens schon als echte Institution im Rockzirkus: Die Schweden um Ronnie James Dio-Soundalike Andy Alkman (der heißt wirlich so!) klingen auf „Memories In Black“ (Black Lodge) exakt wie auf den beiden Vorgängerscheiben. Nämlich nach den Siebzigern. Nach Dio. Nach Black Sabbath. Die Unterschiede zu den beiden Vorgängern liegen im Marginalbereich: Mag die Hitdichte diesmal noch ein wenig höher sein – sogar das Artwork erinnert an die eigene Vergangenheit. Wer also auf Rocksound der alten Schule steht und knackige Riffs (gerne auch ´mal in Stoner-Manier) jederzeit hyperagilem Gefrickel oder kitschigem Bombast-Sound vorzieht, wird ausgerechnet in Hellfueled sein Heil finden…

Me & You
aus Brighton starten in ihr Debütalbum mit einer kongenialen "laid back" Version von Roni Size's "Brown Paper Bag": Völlig entschleunigt und mit durch Brazil-Elemente ersetzten Drum'n'Bass-Linien glänzt der Standout-Track in völlig neuem Licht. Auch sonst präsentiert sich das Duo für einen Tru Thoughts-Release überraschend flockig-leicht: Erst in "Wouri Rider" gibt es altbekannte Drum'n'Bass Beats zu hören; allerdings in Kombination mit Calypso-Elementen! Insgesamt erinnert das Material dank der omnipräsenten Latin-Versatzstücke, Samples und Instrumental-Parts eher an eine - zugegeben sehr ansprechende - Nu-Jazz Variation. Die größte Stärke von "Floating Heavy" (Tru Thoughts/Groove Attack) bleibt jedoch seine Vielseitigkeit. Und wenn sich im niedlichen Coverartwork ein Elefant im kühlen Nass erfrischt, darf dies durchaus als Indiz für den musikalischen Inhalt der 14 Tracks gewertet werden. Me & You jedenfalls würden das musikalische Niveau in jedem Beach Club der Stadt enorm in die Höhe treiben...

Ein Gesamtkunstwerk, welches in seiner Machart sicherlich wenig Spielraum zwischen Begeisterung und Abneigung finden wird, haben Six Twilights aus Portland entworfen. Als audiovisuelles Projekt von A Weather-Mitglied Aaron Gerber spielte man zehn kollagenhafte Stücke zwischen Avantgarde, Folk und Pop ein, die ratlos machen. Beinahe flüsternd von einer männlichen und weiblichen Stimme vorgetragen, zerlegte der Protagonist die Tracks zurück in ihre Fragmente und fügte sie nach digitaler Bearbeitung wieder zusammen. Trotz dieser Konstruiertheit wirkt "Six Twilights" (Own Records/Alive) jedoch niemals kalt, sondern auf eine eigenwillige Weise behaglich. Ein Eindruck, welcher sich nach Genuss der beiliegenden DVD samt ihrer harmonischen Alltagsimpressionen nachdrücklich bestätigt. Seltsam, nichtsdestotrotz.

Symphony X befinden sich auf Erfolgskurs und schlagen bei ihrem neuen, gut einstündigen Epos eine ähnliche Richtung ein wie die ehemaligen Label-Kollegen von Threshold. Soll heißen: Die straighten Refrains und Harmonien werden so sehr in den Mittelpunkt gerückt, dass sie über die technischen Versiertheiten der amerikanischen Progressive-Rocker beinahe hinweg täuschen. Allerdings erreicht "Paradise Lost" (Inside Out/SPV) dabei nicht die kernige Tiefe der Engländer. Zu viele Helloween-artige "Tralala"-Melodielinien werden in die Queen-beeinflußten Bombast-Arrangements gepackt, als dass man sich vorbehaltlos für die kompositorischen Qualitäten von Symphony X begeistern könnte. Von daher gilt, wie so oft in diesem Genre: Würde man den Kitsch-Faktor auf ein Minimum reduzieren - die eigentlichen songwriterischen Stärken kämen deutlich angenehmer zur Geltung!

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