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MISC - Juli 2007 l #04

sellfish.de Spezial: Neben der Spur - Vom Wegrand aufgelesen

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Diesmal mit:

The Tangent | Robbie Fulks | The Simpsons | Melt III | Die Firma u.v.m.

Anhand einer fragmentarischen Promoversion, in welcher die Stücke deutlich vor dem regulären Ende ausgeblendet werden, wird der Presse das neue Werk von Phillip Boa & The Voodooclub (nicht gerade) schmackhaft gemacht. "Bewertung unmöglich!", schießt es da dem gewissenhaften Rezensenten in den Kopf. Doch die Neugier auf das aktuelle Schaffen von Boa samt Kollegin Lund sowie einiger neuer Unterstützer ist stärker. Leider wird die Erwartungshaltung an "Faking To Blend In" (Motor Music) enttäuscht. Zwar schaffen es immer wieder charismatische Momente unter die 13 von Klez.E/Delbo-Genie Tobias Siebert ungewöhnlich rau produzierten Tracks. Die Faszination der Früh- bzw. einiger Spätwerke dieser Independent-Ikone bleibt auf die volle Distanz jedoch aus.

Cassette stammen aus Südafrika. Soviel erstmal zum Thema Besonderheiten/Exotenbonus. Denn sie spielen, leider, ziemlich harmlosen Indie-Pop... Dem man sein Independent-Dasein angesichts der radiotauglichen Refrains höchstens noch anhand der Vertriebswege anmerkt. Und auch die Herkunft des Sextetts lässt sich höchstens noch an den sporadischen, sonnengetränkten Melodiebögen nachvollziehen. Welche als kleine Lichtblicke die melancholische Schlagseite des Materials (welches hier und da ein wenig an Last Days Of April erinnert) auflockern. Abgesehen davon bleibt "Welcome Back To Earth" (Sheer Group/Rough Trade) trotz einiger feiner Ohrwürmer jedoch ziemlich gesichtslos. Schade.

Es ist schon eine kleine Sensation, was A Dog Called Ego da mit ihrem in Eigenregie veröffentlichten Debüt an den Start gebracht haben: "Living Seriously Damages Health" (Eigenvertrieb) fusioniert Postcore-, Progressive- und Rock-Elemente zu einem nur auf Anhieb überfrachteten Gesamtkonzept. Stück für Stück kristallisiert sich während der 44:44 Minuten heraus, welch exzellente Songwriter sich hinter dieser fünfköpfigen Hamburger Formation verbergen. Gebt dem Opener "Something Huge" einen dritten, vielleicht einen vierten Hörversuch... und ihr werdet wissen, warum sein Titel ein Volltreffer ist. Ohne Klischees, ohne Plattitüden - dafür mit Ecken, Kanten, Gespür für ganz große Momente zwischen Avantgarde bzw. Pop, sowie dem entscheidenden Quentchen Humor. Lasst dieses Quintett nur eine Label-Unterstützung finden, die an seine offensichtlichen wie versteckten Qualitäten glaubt… Ein Meisterwerk. Ein Liebhaberwerk.

Sie hätten einen Platz auf dem vor Jahren anvisierten sellfish.de Sampler finden sollen, welcher leider Gottes (noch?) nicht veröffentlicht wurde. Danke, Gema. Okay, das haben wir wohl selbst vergeigt. An dieser Stelle nochmal ein „Entschuldigung!“. Doch wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... Naja, ihr wisst schon. Schön jedenfalls, nach einer vor vier Jahren erschienenen Seven Inch ("In Some June") endlich wieder ein neues Lebenszeichen von Eskimobaby eingelegt zu haben. "Actors Suicide" (FinestNoise/Radar) bringt es zwar nur auf acht Stücke. Weil die Magdeburger sich aber dafür entschieden haben, dass ein wenig Zeitlupe ihrem ebenso noisigen wie emotionalen Indierock durchaus gut tut, erreicht die Spielzeit sogar Albumlänge. Viel wichtiger aber: Die Kompositionen zwischen Logh, Ostinato und KVLR sind elegant, schräg und kommen von Herzen. Passt eben doch irgendwie zu sellfish.de, hihi.

Und schon wieder so ein zusammengekürtztes Promoexemplärchen: 21 Stücke in 37 Minuten sind hier kein old school Hardcore, sondern die verstümmelte Version des neuen Die Firma Albums "Goldene Zeiten" (LaCosaMia/JWP/SonyBMG). Mit dem tollen Resultat also, dass der Sicherheitsbevollmächtigte - sobald es doch einmal interessant wird - den Fader nach unten zieht. Zum Beispiel im feinen "Scheiß auf die Hookline", dem eigentlich nur das etwas billige Gitarrensample den Sympathiefaktor kostet. Dennoch: Das hochmelodische, mit reichlich Synthie-Streichern ausgestattete Material dürfte die Brücke weg vom Rap hin zum Pop abermals mühelos schlagen. Wermutstropfen? Vielleicht klingt Die Firma einfach ein wenig zu brav, als dass ihre Tracks wirklich Spuren hinterlassen würden.

Gleich zweimal offerieren uns Inside Out Records diesmal Reisen in die Vergangenheit. Im Falle der Flower Kings handelt es sich um eine klassische Best Of-Compilation. Wenngleich die beiden überlangen CDs von "The Road Back Home" (Inside Out/SPV) dem Schaffen der schwedischen Progressive-Folk-Rocker nur sehr partiell gerecht werden können. Schließlich schöpften ex-Transatlantic Weggefährte Roine Stolt und seine Begleiter auf sämtlichen elf Studioalben die maximal-mögliche Spielzeit aus. Dennoch finden sich unter den zweieinhalb Stunden Musik immer wieder auch groovig-tanzbare Kompositionen, welche zwischen den atmosphärisch inszenierten Folkprog-Stücken für Auflockerung sorgen. Übrigens erstrahlt sämtliches Material in neuem Glanz - samt ausführlicher Linernotes. Und sogar einen unveröffentlichten Bonustrack gibt es zu hören. Apropos: Auch bei The Tangent trieb Stolt zwischenzeitlich sein Unwesen. Auf "Going Off On One" (Inside Out/SPV) tritt er jedoch nur auf dem Bonus-Track der Doppel-CD in Erscheinung. Sonst gehört das Feld voll und ganz den schwedischen Kollegen um Keyboarder Andy Tillison (hier teilweise auch wieder an den Vocals zu hören). Welcher bei den soundtechnisch sehr gelungenen, auch auf DVD erhältlichen Konzertmitschnitten voll in seinem Element ist: Progrock der klassischen Schule - ziemlich altbacken natürlich, aber in seiner analogen Eleganz nicht nur für "The Lamb Lies Down On Broadway"-Fanatiker von Interesse. Insgesamt gibt es 14 Songs inklusive einer King Crimson Coververion ("21st Century Schizoid Man") zu hören.

Authentisch. Anachronistisch. Vom Coverartwork über das Outfit bis hin - natürlich - zur Musik. Robbie Fulks könnte leicht siebzig Jahre alt sein. Doch er gehört keineswegs zum älteren Semester. Sondern spielt gutgelaunten Alternative Country. Und weil der Amerikaner auf dem deutschen Markt noch ein Unbekannter ist, demonstriert er auf "Revenge!" (Yep Roc/Cargo) gekonnt Vielseitigkeit: Das Live-Doppelalbum gliedert sich in eine "Standing" und eine "Sitting" Seite. Welche Fulks einmal rockiger, einmal eher Singer-Songwriter-artig zeigt. Dazwischen immer wieder Folk und klassische Country-Elemente. Sowie eine herrliche Adaption von Chers unsäglichem "Believe". Doch auch der Rest fällt wunderbar humoristisch und soundtechnisch herrlich ungeschönt inszeniert aus. Für Genrefreunde sollte das Material mehr als einen Anspieltipp wert sein.

Dass das Melt-Festival zu den charmantesten seiner Größenordnung gehört, zeigt nicht nur das Engagement einiger sellfish.de-Redakteure, diesem Independent-Event in der "City of Steel" vor grandioser Kulisse beiwohnen zu können. Für 2007 müsste man ja leider schon in der Vergangenheit sprechen. Oder die Melt! III (Unter Schafen Records/Alive) Kompilation einlegen. Dort gibt es die Retrospektive in Form zweier CDs. Die erste mit den geschmackvoll ausgewählten Hits der üblichen Verdächtigen: The Thermals, Tocotronic, Bloc Party, Von Südenfed, Deichkind, Kettcar etc. Einige, zum Beispiel die Tracks der letzten beiden, gibt es in Form mehr oder minder gelungener Remixe. Überraschend gut funktioniert beispielsweise die Tim Tim-Elektronik Adaption vom Helden-Stück "Endlich ein Grund zur Panik". Überhaupt, Elektro. Den gibt es auch auf der zweiten CD. In Form des "Death Of A Festival Raver" Mixes von DJ Supermarket. Hot Chip, Simian Mobile Disco, Digitalism, Shitdisco oder das Jeans Team fusionieren da zu einer schweißtreibenden Melange. Mit welcher man ruhigen Gewissens zurück in die Clubs abtauchen kann... bevor es 2008 wieder unter freien Himmel geht.

Es ist gutes Recht und zumeist ziemlich vernünftig, alles was den Namen Simpsons trägt vorbehaltlos gut zu finden. Dementsprechend war auch die Freude groß, als sich parallel zur Film-Euphorie der entsprechende Soundtrack auf dem Postweg bei uns einfand. Schließlich bekam kein geringerer als Hans Zimmer, welcher die Musik für unzählige Hollywood-Blockbuster (zuletzt z.B. für Fluch der Karibik) fabrizierte, den Auftrag zur Erstellung des Scores. Doch dann, Ernüchterung: Schon das überarbeitete Simpsons Thema fällt wenig einfallsreich aus. Auch der Rest des Materials, immerhin 15 Tracks, wartet ohne Überraschungen auf und könnte direkt der Serie entstammen. Abgsehen von der Surf-Passage in "Release The Hounds" bleibt so am Ende eben in stinknormaler, instrumentaler Soundtrack. Zumindest ein paar Samples hättem The Simpsons Movie: The Music (Warner) gut getan.

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