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MISC - September 2007 l #01

Spezial: somewhereinbetween HipHop.Elektronika.Jazz

bootcampklik.jpgmillakay.jpgmomentan-finderlohn.jpgnorthernstate-cani.jpgpromoe-standard.jpgsolaplexus.jpgswayzak.jpgwahoo.jpg

Diesmal mit:

Jamie Cullum | Mic Geronimo | Shantel | Love Movement | Odd Nosdam uvm.

Einst neben dem Wu Tang Clan als eine der ganz großen amerikanischen Crews des Hip Hop gehandelt, propagiert die Boot Camp Clik ihre Street Cedibility auch heute noch - nicht zuletzt aufgrund ihres eigenen Labels Duck Down Records - authentischer denn viele andere. Nachdem B.C.C.-Mitglied Sean Price kürzlich erst mit seinem Soloalbum punkten konnten, nun also ein weiterer regulärer neuer Longplayer. "Casualties Of War" (Duck Down Records/Groove Attack) gefällt trotz dreckigen Beats mit überraschend melodischem, hookorientiertem Material, welches allein durch einige lyrische Tiefschläge sowie die Army-Glorifizierungen negativ auffällt. Dafür sehen die Production-Credits diesmal etwas beschaulicher aus; schließlich legte das neunköpfige New Yorker Rap-Team hier vermehrt selbst Hand an. Doch Buckshot, 9th Wonder und Konsorten sind längst nicht mehr auf prominenten Support angewiesen, um ein fettes Album zu inszenieren. Apropos: Obgleich sich die Boot Camp Clik dank Large Professor zumindest einen Produzenten mit Mic Geronimo teilen, schlägt "Alive" (Major Key/Groove Attack) in eine ziemlich andere Kerbe. Zu hören gibt es hier rauen, schnörkellosen HipHop der alten Schule. Angelehnt an Großmeister wie den frühen Nas geht Geronimo seinen Weg alleine - ohne Support großer Namen, popkompatibler Hooks oder gar einer aussagekräftigen Web-Präsenz. Selbst das rudimentäre Booklet hüllt sich zu näheren Informationen über den Künstler aus Queens bzw. seiner Tracks völlig in Schweigen. Dennoch oder gerade deswegen: Die 14 Tracks überzeugen in ihrer originären Durchschlagskraft und bieten, ähem, Underground pur. Was so oder so ähnlich auch für Necro zutrifft; gilt der umstrittene Rapper aus Brooklyn doch seit jeher als einer der echten bösen Buben seiner Zunft. Aufgrund zweier Tatsachen setzt sich Necro jedenfalls tatsächlich vom Großteil seiner Mitstreiter ab: Zum einen durch seine reichlich blasse Hautfarbe; zum anderen aufgrund seiner Verbandelung zur hiesigen Metalszene. So hört man auf dem neuesten Output "Death Rap" (Psycho+Logical/Soulfood) unter anderem Beiträge aus den Reihen von Anthrax, Shadows Fall, Cro-Mags sowie Sadus. Umso überraschender, dass am Ende trotzdem ein klassisches HipHop-Album steht, dessen flotter Reimstil nur durch die etwas dünnen Beats getrübt wird. Momentan aus Köln verfolgen dagegen einen völlig anderen Ansatz. Ihr Credo: Rap in seiner Definition als Soul Music, Blumentopf'sche Wortgewandtheit anstelle von dicker Hose-Geprolle sowie positive Vibes - welche den potentiellen Hörerkreis von "Finderlohn" (Nice Like That/Groove Attack) eben nicht eine Sekunde limitieren. Hiermit könnten sich neben der traditionellen HipHop-Community (spätestens durch das schicke Dilated Peoples-Feature) durchaus auch offene Teile der Indie-Gemeinde sowie das Pop-Publikum identifizieren. Die 19 Tracks klingen mitunter zwar ein wenig zu brav, ein wenig zu hookverliebt - können als charmantes Kontrastprogramm zur einheimischen Gangsta-Fraktion dennoch punkten. Zusammen mit den großartigen Creme Fresh die diesjährige Neuentdeckung im deutschen HipHop! In verblüffend ähnliche Richtung driften The Love Movement, welche passenderweise ebenfalls (zumindest zur Hälfte) aus Köln stammen. Allerdings positioniert das Duo auf "Stadtgespräch" (La Cosa Mia/RTD) die poppigen String-Samples schon im Opener "Soulmate" etwas zu überkandidelt. Und so gefallen unter den 14 Tracks eben jene am besten, in denen Beats und Raps über klebrigen Refrains rangieren. Was glücklicherweise zumindest bei der Hälfte der Tracks der Fall ist. Gelingt die (musikalische) Orientierung an Vorbilder wie Kanye West in Zukunft noch überzeugender, wird von The Love Movement noch zu hören sein. Promoe dagegen gehört nicht nur in seiner Heimat Schweden schon längst zu den ganz Großen. Dank unzähliger Kollaborationen sowie rastloser Bühnen-Aktivitäten erntet der Looptroop-Rapper längst auch in Resteuropa sowie über dem großen Teich zu recht Anerkennung. Mit "Standard Bearer" (Bad Taste) gibt es nun ein ziemlich definitives Fan-Package zu erstehen: Die DVD dokumentiert nicht nur den interessanten Entstehungsprozess seines letzten Longplayers "White Man's Burden", sondern enthält auch den Mitschnitt einer seiner legendären Live-Shows. Endgültig unentbehrlich wird die Sache jedoch durch die Bonus-CD mit 13 raren bzw. unveröffentlichten Tracks. Die sind zwar nicht alle zwingend. Ein witziger Kool Savas Diss, das grundehrliche "Bloodsugar" sowie die famose Myspace-Abrechnung "Murder Murdoch" alleine jedoch rechtfertigen den Kauf. Dieses Package offeriert im sprichwörtlichen Sinn großes Kino und heizt die Spannung zum nächsten Looptroop-Album ein! Schon vor zwei Jahren einmal ließ die Tengu Crew mit ihrem Album "Herne - Mitte" in der sellfish.de-Redaktion aufhorchen; erntete sonst aber zu unrecht kaum Resonanz. Mit dem Projekt Sola Plexus startet man nun eine neuerliche Offensive. Diesmal sogar englischsprachig. Keine Frage: Der Mix aus Elektronik sowie futuristischem HipHop vermag abermals voll und ganz zu überzeugen. "Pan" (Z-Music) fusioniert Raps in der Tradition von Beastie Boys mit Breakbeats, Drum'n'Bass, Dub sowie weiteren Synthie-Elementen. Das Duo Sulal Kool (Raps) sowie Zap (Produzent, Drums) holte sich zwar sporadisch Unterstützung für Scratches oder weitere Vocals; dem Spannungsbogen über 17 Tracks hätte das Konzept aber auch so stand gehalten. Der Sound von Sola Plexus funktioniert schlichtweg exzellent und verdient eine eingehendere Betrachtung aller „open minded“ HipHop- wie Elektroheads!

Mit seinen knapp 40 Jahren hat Shantel, trotz seiner an sich nicht gerade populären musikalischen Ansätze hierzulande, schon ein ziemliches Maximum an Auszeichnungen wie auch kommerziellem Erfolg eingefahren. Bislang allerdings weniger direkt durch den eigenen Namen, als vielmehr durch die Bucovina Compilations... Nun folgt mit "Disko Partizani!" (Essay Recordings/Indigo) ein weiteres Soloalbum des Frankfurters bzw. Mannheimers, dessen Wohnorte in der Musik jedoch nicht einmal eine klveine Spur hinterlassen haben. Wieder einmal scheinen die potentiellen Hits des Balkan-Pop-Krösus aus sämtlichen Multi-Kulti-Ecken zusammengetragen… und passen somit eigentlich nicht ins übliche sellfish.de Raster. Bemerkenswert jedoch, dass seine folkloristischen Orient/Okzident-Gratwanderungen mit viel Elektronik anreichert werden. Was den hohen Unterhaltungswert dieser Aufnahmen natürlich noch potenziert: "Disko Partizani!" funktioniert somit gleichermaßen in Clubs wie auf Bühne, in der Stereoanlage und wahrscheinlich sogar in der Tanzschule... Seine Dance-Adaptionen jedenfalls gefallen durch authentische Instrumentierung, zahlreiche Gäste, hohen Abwechslungsreichtum und vor allem einem Spaßfaktor, welchem sich kein Tanzbein entziehen kann. Fürwahr: Ein prächtiges Werk! Nur mit einiger Vorsicht passt auch der zweite Teil der "In The Mind Of" (District 6/RTD) Serie in diese Rubrik. Kompiliert hier doch niemand anderes als Jamie Cullum einige seiner wichtigsten Einflüsse. Welche bei dem Sänger und Jazz-Pianisten breit gesät sind. Neben zu erwartenden Größen wie Nina Simone, Herbie Hancock oder Charles Mingus findet sich nämlich auch auf den ersten Blick halbwegs abseitiges: Doch gerade die Tracks von Roni Size ("Brown Paper Bag"), Cinematic Orchestra und Donovan machen die ebenso stilvolle wie leicht konsumierbare Songauswahl interessant. Für Fans des Engländers natürlich ebenfalls relevant: Zwei bislang unveröffentlichte Titel von Cullum. Apropos leicht konsumierbar: Milla Kay bezirzt ihre Hörer auf "Out Of Place" (Rhythm Attack/Edel) mit jazzig angehauchten Liedchen an der Schwelle zum Pop. Das tut nicht weh, sondern gut und macht gerade aufgrund der feinen Arrangements, einer dezenten Band sowie nicht zu trivialen Harmonielinien Spaß. Und das ausdrücklich trotz der Tatsache, dass ihr Track "Symphony" als Werbesong der Süddeutschen Klassenlotterie fungiert... Leider klappt das bei Wahoo nicht ganz so gut: "Take It Personal" (Fine/Four Music/RTD) versucht zwar, seine House Tracks mit Seele zu füllen. Doch das Duo DJ Dixon und Georg Levin (Songwriter/Produzent) landet stattdessen unverholen im Tanzboden-kompatiblen Pop. Offensichtlich gar nicht mal unbeabsichtigt, denn so richtig ernst muss man Wahoo gar nicht nehmen. Denn siehe da: Schon funktionieren Tracks wie "Get Another Girl" oder die längst renommierte Single "Make Em Shake It" deutlich besser. Abwechslungsreichtum und Spaß sind wohl die größten Pluspunkte an einem Album, dessen künstlerischer Anspruch ebenso überzeugend transportiert wird wie im Falle Mika...

Widmen wir uns im folgenden Abschnitt doch einmal ganz unumwunden der „Zukunft der elektronischen Musik“. Da dürften Northern State nämlich einiges mitzureden haben. "I don't give a fuck we're not on Sony anymore" frotzeln die drei Damen schon im Opener "Mic Tester". Und behalten mit ihrer lapidaren Einstellung zum Musikgeschäft auch noch recht. "Can I Keep This Pen?" (Ipecac/Soulfood) positioniert sich selbstbewusst zwischen HipHop, Elektro und Rock. Mit einem Hitpotential, welches den sonst so lärmverbundenen Ipecac Dollarzeichen in die Augen stempeln dürfte. Selbige geben als Referenzen auch gleich eine ganze Latte Künstler von Beastie Boys über Peaches hin zu Beans an... und fahren damit ziemlich gut. Vielleicht also noch nicht die Zukunft elektronischer Musik, aber ganz sicher ein Garant für Spaß in diesem Genre. Welcher bei Laptop-Frickler Odd Nosdam, wenn überhaupt, dann doch deutlich subtiler von statten geht. Mit "Level Live Wires" (Anticon/Alive) setzt er seine Adaption instrumentaler Post-HipHop-Sounds nämlich konsequent fort. Und selbst wenn ich mir vor dem Genuss seiner Alben immer wieder Gedanken mache, dass ein paar Raps dem guten Mister Nosdam doch eigentlich einmal wieder ganz gut zu Gesicht stehen würden, überzeugt mich David P. Madson doch immer wieder vom Gegenteil. Zu fein gesponnen sind seine Audio-Kollagen, als dass man sich ihrem ebenso schrägen wie cineastischen Reiz entziehen könnte. Zwar wird es immer schwieriger, tatsächliche Trennlinien zwischen den Outputs seiner Labelmates Thee More Shallows, Bracken oder Dosh zu ziehen. Der Faszination solcher sampledurchtränkter 8-Spur-Symphonien tut dies aber keinen Abbruch. Nächstes Thema. Nichts anderes als eine Meisterleistung mussten Swayzak nämlich mit ihrem neuen Werk vorlegen. Die beiden Engländer sind längst selbst Schuld an dieser Erwartungshaltung. Kreieren James Taylor und David „Brun“ Brow dank ihres Dub-infizierten Techno-Sounds doch seit Jahren Alben mit besonderer Substanz. Die nicht umsonst weit über Genre-Insider hinaus Wirkung zeigen. Auch "Some Other Country" (!K7/RTD) funktioniert wieder durch Atmosphäre anstelle von Effekten. Wobei diesmal verstärkt aufgrund gezielt eingesetzter Gastvocals Akzente gesetzt werden: Die jeweils beinahe irrlichternd durch die weitgehend nebulös dichten Sounds schimmern. Also, "Silent Luv" anspielen und zugeben: Nichts anderes als eine Meisterleistung ist es auch geworden, was Swayzak hier als Nachfolger zu "Loops From The Bergerie" abliefern.

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