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Múm

Go Go Smear The Poison Ivy

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Der Giftefeu, im Englischen Poison Ivy, ist eine Pflanze der Gegensätze. Eine Berührung kann zu schmerzhaften und langwierigen Hautreizungen führen, der Kontakt mit den Augen sogar zur Erblindung. Gleichzeitig werden die Blätter des Giftefeus in der Homöopahtie gegen Rheuma, Hexenschüsse und Ischiasleiden benützt. Was wohl Múm mit dem Giftefeu vorhaben? Wohin soll man ihn schmieren?
Jedenfalls steht die Pflanze auch so ein bischen für den ausgetüftelt stimmungsvollen Soundtrack der isländischen Band, der stets zwischen Momenten erhabender Schönheit und dunkeler Traumata changierte. Im Vorfeld des Songwriting-Prozesses zum neuen Album hatte Kristín Anna Valtýsdóttir die Band verlassen, die mit ihrem Gollum-Gesang den schwer zugänglichen, letztendlich aber brillanten Vorgänger „Summer Make Good“ so düster erklingen ließ. Stattdessen haben sich Múm für die Aufnahmen anscheinend von ihrem letzten Lebenszeichen, der Wiederveröffentlichung ihres vielbeachteten 1999'er Debüts „Yesterday Was Dramatic, Today Is Ok“, inspirieren lassen und erneut ungeachtet Mendelscher Gesetzte absurd viele analoge Instrumente und digitale Tunes gekreuzt. Der entstandene Hybrid hat sich also erneut den typisch Mum'schen Klangkosmos einverleibt, ohne dabei dogmatisch zu wirken. Es rappelt, bimmelt und scheppert dermaßen zwischen poppigen Arrangements und eingestreuten, catchigen Melodien, dass es nur so eine Freude ist. Die Single „They Made Frogs Smoke `Til They Exploded“ verbraucht beinahe eine Minute mit dem Hochfahren des Synthesizers, Singsang-Loops und Mundharmonika-Sprengseln, bis der eigentliche Song befreit lospoltert, nur um nach 2:20 Minuten mit dem anfänglichen Loop wieder ausgebremst zu werden. Herrlich. Auch das wunderbare „Dancing Behind My Eyelids“ geht erst nach zweiminütiger Traumreise so richtig los und lebt danach so kurz es nur geht von seinem wunderschönen, mehrstimmigen Refrain. Zwischen diesen offensichtlichen Songhighlights - erwähnt sei auch noch das für Múm-Verhältnisse klassisch instrumentierte „Marmalade Fires“ - ist man mit der Skip-/Spultaste trotzdem schlecht beraten, weil gerade das ständige Wechselspiel zwischen Postrock, Volkslied und Elektronik, zwischen Struktur und scheinbarer Anarchie, zwischen Rast- und Zeitlosigkeit, den Reiz dieser Band ausmachen. Dabei sei allerdings auch erwähnt, dass „Go Go Smear The Poison Ivy“ letztendlich „nur“ eine faszinierende Kollektion spielerisch zustande gekommener Songskizzen ohne jegliche Sogwirkung ist. Diese scheint mit Kristín Anna Valtýsdóttir, die stattdessen bei Mice Parade ins Mikro haucht und mit Avey Tare von Animal Collective ein Album rückwärts aufnimmt, etwas abhanden gekommen zu sein. Ergo: Ein Album gegen Rheuma- und Ischiasbeschwerden.

Bewertung: 7 von 10 Sternen / Spielzeit: 44:13 / Postrock, Folk, Elektronik

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