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MISC - Oktober 2007 l #02

Spezial: Knüppel Aus Dem Promosack - From Metal To Core

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Diesmal mit:

A Life Once Lost | Bombstrike |Chrome Hoof | Endstand | No Shame | Parkway Drive | Prong uvm.

Das Interessanteste an "Tripsis" (Relapse/SPV): Die kreativen Gestalten dahinter mögen zwar der Deathmetal-Szene entstammen. Ihr enorm eigenwilliger Sound jedoch wähnt sich vielmehr in der Tradition von Innovatoren wie Voivod, October File oder Cult Of Luna. Keine unnötige Frickelei, kein böses Gepose. Alchemist tönen stattdessen im einen Moment wie Killing Joke, die in einen manischen Motivationssog geraten sind; dann wieder findet man in ihrem Sound gar psychotisch-progressive Texturen. Hinter all der auf den ersten Blick monoton stampfenden Instrumental- und Synthesizer-Arbeit jedenfalls stecken imposant gewobene Songfragmente, welche im richtigen Augenblick beinahe hypnotische Züge tragen. Die teilweise enorm überschwänglichen Reaktionen auf dieses Werk kann ich zwar nicht zu hundert Prozent nachvollziehen. Atmosphärisch hoch verdichteten, treibenden Postrock mit Niveau allerdings bekommt man auch als anspruchsvoller Hörer ohne Zweifel geboten.

Meine Fresse, da hat sich aber jemand gemausert. Waren A Life Once Lost lange Zeit eigentlich nur ein weiterer Metalcore-Act mit zu großem Hang zur Vertracktheit, entdeckt das Quintett aus Philadelphia nun plötzlich den funktionierenden Song für sich. Okay, und Pantera. Und Down. Doch im Gegensatz zu ihren Trustkill-Kollegen Throwdown gelingt es "Iron Gag" (Ferret/Soulfood) ziemlich gut, nicht zum blanken Plagiat zu verblassen. Die ehemaligen Deathwish- und Roadrunner-Künstler verschweigen beim dritten Anlauf ihre ehemaligen Wurzeln zwischen Botch und Meshuggah nämlich nicht, sondern fusionieren sie mit einem gehörigen Arsch voller Rock. Dabei entstehen kraftstrotzende Mitgröhl-Tracks wie "The Wanderer" ebenso wie überdrehte, manische Momente, in denen Fontmann Bob Meadows seine Phil Anselmo-Psychose gebührend ausleben darf. A Life Once Lost haben sich seit ihrem Debüt "A Great Artist" auf einen - richtigen - Weg gemacht, den sie nun konsequent weiterverfolgen. Womit sie längst nicht mehr alleine auf weiter Flur stehen; nach dem Ableben von A Perfect Murder wurde auf diesem Terrain jedoch bekanntlich wieder ein Plätzchen frei...

Bombstrike: Jawohl, dieser Name ist Schall und Rauch. "Born Into This" (Power It Up/Twilight) - der zweite Longplayer dieser schwedischen Crustcore-Formation - erinnert an eine total abgefuckte Version ihrer Landsmänner von Wolfpack (welche mittlerweile übrigens unter dem Namen Wolfbrigade firmieren). Die musikalische Mischung aus Punkrock, Grind- bzw. Crustcore sowie einer Prise Deathmetal knallt dermaßen räudig aus den Boxen, dass einem bald die Metaphern ausgehen. Dazu: Völlig desillusionierte Lyrics zwischen Gesellschaftskritik und persönlicher Verzweiflung. Gerade einmal zwölf Tracks mit 25 Minuten Spielzeit entfachen ein Inferno aus Discharge, deren Schweden-Adaption Disfear, Motörhead und erwähnten Wolfpack, welches einfach unfassbar fernab von jeglichem Mainstream liegt. Weiteres Indiz dafür: Weil sich Bombstrike nicht einigen konnten, wer den ungeliebten Bassisten-Posten übernimmt, wird nun bei jeder Show einfach durchrotiert. Fazit: Gelebter Punkrock und ein brillant-kaputtes Album.

Als Progressive/Death Metal/Elektro bezeichnen Chrome Hoof auf ihrer Internetpräsenz das, was sie in dieser dreiviertel Stunde auf den zunächst (und bis auf weiteres) verwirrten Hörer loslassen. Einer Aussage, der ich nur stark eingeschränkt zustimmen kann. Aber würde es ein Genre namens "Post-Metal" geben... hier würde "Pre-Emptive False Rapture" (Southern Records/Soulfood) meines Erachtens deutlich besser aufgehoben sein. So begnüge ich mich vorerst 'mal mit diversen Mr. Bungle Referenzen. Vor allem dann, wenn die vollständige Bläser-Sektion zur Vertonung der geradezu unverschämt funky-rockenden Tracks am Start ist ("Circus 9000). Wie Cathedrals' Lee Dorian in diesen Big Band-Wahnsinn hinein passt? Keine Ahnung. Aber Kopfschütteln (und Headbangen!) kann man zu den elf Tracks ohnehin großartig. Das etwa zehnköpfige Londoner Kollektiv jedenfalls braucht sich mit diesem (Zweit-)Werk im Rücken nicht mehr auf seine exzessiven Live-Shows reduzieren zu lassen. An "Pre-Emptive..." gibt es für Parliament-, Acid-Disco- und Ween-Hörer genauso wenig ein Vorbeikommen, wie es für die Garde an Black Sabbath-Nachkommenschaften essentiell sein sollte.

Der Zwang nach prägnanten Soundcharakterisierungen treibt immer skurrilere Blüten: "Accessible Death-Core", so kann man auf der Rückseite dieses Promo-Pappschubers lesen, wäre eine treffliche Bezeichnung für den Sound von Dying Humanity. Doch trotz allem Grinsen: Die Bezeichnung trifft den Nagel einigermaßen auf den Kopf. Denn die Formation aus dem sächsischen Annaberg-Buchholz, ähm, holzt auf "Fallen Paradise" (Restrain Records/Cargo) zwar acht Songs mit einer guten halben Stunde Spielzeit herunter. Hinter dem ziemlich erbarmungslosen Geknüppel finden sich jedoch einige versierte Harmonielinien, welche nicht unbedingt darauf schließen lassen, dass sich Dying Humanity gerade einmal letztes Jahr gegründet haben. Eben weil das Material eher traditionell und am aktuellen Metalcore-Wahnsinn vorbeimusiziert, sollten sich Freunde der Materie mit nicht zu hoch gesteckten Erwartungen selbst ein Bild von diesem hoffnungsvollen Newcomer machen.

Finnlands Old School Hardcore-Instituion, mal wieder mit neuer Label-Unterstützung: Endstand sind nach einem Zwischenspiel bei Lifeforce mit "Spark" (Combat Rock Industry/Broken Silence) zurück auf einheimischem Terrain. Musikalisch muss man deswegen natürlich keine plötzlichen Wendungen erwarten. Warum auch? Schließlich funktioniert das Hardcore-Punk-Konzept schon seit über einer Dekade ausgezeichnet. Die elf neuen Tracks klingen noch ein wenig rockiger als der Vorgänger und gefallen mir aufgrund der höheren Hookline-Affinität sogar besser als "The Time Is Now". Das größte Charakteristikum von Endstand gilt aber gleichermaßen: Es gelingt nämlich kaum einer Band, trotz Anleihen an Sick Of It All oder Give Up The Ghost ("Dead Flies Part II") völlig unamerikanisch zu klingen. Da sieht man doch fast über das ziemlich erbärmliche Cover-"Artwork" hinweg... Zusammen mit den starken Lighthouse Project (die wie Refused in ihrer Frühphase klingen) und No Shame (siehe unten) bildet man die Speerspitze der lebhaften nordeuropäischen Hardcore-Szene.

Schon mit den beiden Longplayern für Revelation Records konnten Modern Life Is War für Aufmerksamkeit sorgen. Nun aber läuft die Hardcore-Formation zu voller Größe auf! Überdurchschnittliche Geschwindigkeit braucht man mittlerweile gar nicht mehr, "Midnight In America" (Equal Vision/Cargo) zieht seine Intensität aus ganz anderen Bereichen. Allen voran die Vocals von Sänger Jeffrey Eaton fallen aus dem Rahmen: Der gute schreit sich derart leidenschaftlich durch die von J Robbins exquisit produzierten Songs, dass es den Hörer unweigerlich in den Bann zieht. Doch auch die Instrumentalarbeit übt einen eigenwilligen Reiz aus: sie pendelt zwischen noisig und groovig, vertrackt und straight... Wobei im Endeffekt dennoch schlüssiges Material entsteht. So bleiben MLIW in ihrem Sound zwar oberflächlich betrachtet gleichförmig, genau daraus entsteht im Umkehrschluss aber die Besonderheit. Das Album bleibt von Anfang bis Ende spannend, verliert niemals den roten Faden aus den Augen und sorgt mit seiner subtilen, teils recht dissonanten Harmonieführung eben doch für Wiedererkennungswert. Was bleibt ist eine der zwingendsten Hardcore-Scheiben der letzten Zeit - mit welcher sich die Band aus Iowa über die in sie gesetzte Erwartungshaltung, nämlich die Give Up The Ghost Thronfolger-Rolle einzunehmen, selbstbewusst hinweg setzt. Respekt.

Wo man bei den Releases des Combat Rock Labels zumeist eine klare finnische (oder zumindest skandinavische) Note heraushören kann, orientieren sich No Shame mit ihrem Full Steam Records Debüt in andere Richtung. Die elf Songs auf "White Of Hope - Turning Black" (Fullsteam Records/Pias) haben klare US-amerikanische Vorbilder: Rise Against und Anti-Flag samt deren einschlägigen Texten bilden die, öhm, schamlos eingeschalteten Referenzgrößen. Denen man jedoch eine ordentliche Portion Rock a lá Hot Water Music oder Randy (also doch noch Nordmänner…) unterjubelte. Das Ergebnis klingt dabei gar nicht so gesichtslos, wie man anhand des Namedroppings in diesen Zeilen meinen könnte. Vielmehr sollte dieses ein Indiz für alle Anhänger entsprechender Musik sein, diese hochmotivierte Formation (gleich drei-viertel der Besetzung sorgen an den Vocals für Druck) anzutesten. Im mittlerweile zehnten Jahr ihres Bestehens und mit einem ganzen Haufen Hymnen im Repertoire sind No Shame jedenfalls spürbar kurz davor, die europäische Punkszene zu knacken.

In ihrer Heimat längst etabliert und sogar als Chart-kompatibel enttarnt, haben sich Parkway Drive mit dem Debüt "Killing With A Smile" in den letzten Monaten Stück für Stück auch bei uns einen veritablen Ruf als Metalcore-Geheimtipp erspielt. Was dazu führte, dass besagtes Werk zunächst als Import verfügbar war; und im folgenden dank der enormen Nachfrage zunächst via Golf Records sowie schließlich sogar durch die Branchenriesen Burning Heart/Epitaph wiederveröffentlicht wurde. Beste Chancen also für den Nachfolger "Horizons" (Burning Heart/SPV), dass die Australier nun auch bei uns durch die Decke gehen. Das dutzend Songs jedenfalls verfügt in Punkto Songwriting durchaus über das Potential, Fans zwischen Unearth und Killswitch Engage glücklich zu machen. Apropos letztere: Allein die Produktionsarbeit von Adam Dutkiewicz fällt etwas enttäuschend aus. Einen etwas dynamischeren Drum- und Gitarrensound hätten Hymnen wie "Carrion" nämlich schon verdient gehabt. Unabhängig davon bleibt nach vielfachem Genuss der 38 Minuten ein ähnliches Fazit wie beim Vorgänger: Parkway Drive gefallen mit technisch anstandslos vorgetragenem Metalcore samt hohem Kick-Ass-Faktor und Ohrwurmpotential; haben aber nach wie vor Probleme, sich im internationalen Genre-Zirkus eigenständiges Terrain zu erspielen.

Das nennt man wohl eine angenehme Überraschung: Nach ihrem verdienten Hoch in den frühen Neunzigern sowie ein paar okayen Alben um die Jahrtausendwende wurde es verdächtig lange still um Prong. Plötzlich kehrt nun eine der dienstältesten Industrial-/Crossover-Formationen mit einem potentiellen Klassiker im Gepäck zurück. So etwas wäre "Power Of The Damager" (13th Planet Record/Megaforce) zumindest vor zirka zehn Jahren gewesen; nämlich als die Fusion aus fett rockenden Riffs, Industrial-Grooves und ein paar gezielt eingesetzten Samples noch innovativ war. Mögen diese Zeiten auch vorbei sein: Die zwölf Tracks, allen voran das großartige „Pure Ether“, lassen die Zeiten von "Beg To Differ" (1990) wieder aufleben. Das Dasein an der Seite von Ministrys’ Al Jourgensen (auf dessen Label Prong mittlerweile ja auch veröffentlichen) in Kombination mit seinem Glaube an die bewährte Rezeptur jedenfalls scheinen dem Bandkopf (und einzigen verbleibenden Gründungsmitglied) Tommy Victor zu einer regelrechten Frischzellenkur verholfen zu haben: "Power Of The Damager" steht Seite an Seite mit erwähntem Bandklassiker. Allein an mein persönliches Highlight "Cleansing" reicht das Material nicht ganz heran... Trotzdem: Willkommen zurück, Mister Victor.

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