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|| Christoph Dorner ||


Top10
1. Radiohead – In Rainbows // 2. Pantha Du Prince – This Bliss // 3. Battles – Mirrored // 4. Panda Bear – Person Pitch // 5. Aereogramme - My Heart Has A Wish That You Would Not Go // 6. Animal Collective – Strawberry Jam // 7. Low – Drums and Guns // 8. Bat For Lashes – Fur and Gold // 9. Les Savy Fav – Let's Stay Friens // 10. Von Spar – Von Spar

Das Jahr 2007 wird als seltsames Übergangsjahr in Erinnerung bleiben. Zum ersten Mal werden auf der Suche nach den Alben des Jahres nicht mehr die Plattenkisten und CD-Haufen durchgestöbert, nein, das allwissende Pop-Kleinhirn mit Namen MP3-Player wird durchgescrollt. Myspace, Download-Code, begrenzter Speicherplatz: Ist es das schon, das second life in pop? Gegen alte Helden mit neuen Alben wird die Scheidung eingereicht, mit neuen Trends bzw. Raves wird man nicht warm. Kopfhörer schlägt Tanzbein. Und man ist sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob und wie lange man den alljährlichen Turnus aus Konzerten, Festivals und noch einmal Konzerten sich noch antun möchte. Selbst die einstige, bockige Maxime 'Ich höre die Musik meiner Generation – und nicht die meiner Eltern' wird aufgebrochen. Es ist ein Jahr des Komplettierens, des Stöberns im Staub der Vergangenheit. Aber auch ein Jahr des Tellerrands. Ungeahnte Zentrifugalkräfte zogen einen immer weiter weg von Rock, Punk und Stophe-Refrain-Strophe und hin zu experimenteller Musik, Techno, Dekonstruktion. Der Spagat hat gerade noch geklappt, demnächst reißen alle Bänder.

Bei aller gefühlten Dualität, man ist und bleibt doch ein Genre-Hörer. Die neue Low („Drums And Guns“) war ein wunderschön morbides Kleinod, da gefiel natürlich auch das superbe, in höheren Sphären kreisende „23“ von Blonde Redhead oder der äußerst homogene Noise-Pop von Gravenhurst („The Western Lands“). Noch bewegender war nur noch der leise Abgang der Schotten Aereogramme, die mit einem altersmilden Meisterwerk („My Heart Has A Wish That You Would Not Go“) Abschied vom Entertainment-Wahnsinn nahmen.

Zu den etwas quereren Pop-Entwürfen: Es ist wohl ein Luxusproblem, sich zwischen „Person Pitch“ von Panda Bear und „Strawberry Jam“ von seiner Weirdo-Hauptband Animal Collective entscheiden zu müssen. Wenn es denn sein muss: Ersteres Album schmeichelte sich mit knisterndem Beach Boys-Pop so wollig ins Ohr, dass zweiterem nur der Song des Jahres bleibt: Das grollend-falsettige „Peacebone“. Wenn man aber etwas länger nachdenkt, könnten die Battles diesen Titel für ihren Math-Rock mit Effekt-Lego auf „Mirrored“ ebenso einheimsen. Ob nun der Track „Atlas“, „Tonto“ oder „Tij“ das Rennen macht, keine Band war in ihrem musikalischen Ansatz originärer. Dabei ist auch das Phantom Mark E. Smith im letzten Jahr zurückgekehrt. Und das gleich doppelt. Mit „Reformation Post TLC“ gab es mal wieder ein richtig knallendes Album von The Fall und in Kollaboration mit Mouse on Mars als Von Südenfed elektronisches Wiederkäuen auf hohem Niveau („Tromatic Reflexxions“).

Nachschlag gefällig? Beste Ambient-Musik: Tied & Tickled Trio („Aelita“). Geilster Indierock: Deerhoof („Friend Opportunity“) und Les Savy Fav („Let's Stay Friends“). Interessanteste Newcomer: Yeasayer („All Hour Cymbals“). Tollste Frauen: Feist („The Reminder“), Nina Nastasia („You Follow Me“ mit Jim White), Scout Niblett („This Fool Can Die Now“), PJ Harvey (White Chalk“), Bat For Lashes („Fur And Gold“).

Und die Deutschen? Klar, die mit weißer Fahne schwenkenden Tocotronic beherrschten zu Recht den Diskurs vom Feuilleton bis tief in die Schützengräben der Foren. Wohl auch, weil uns das Grand Hotel Van Cleef in diesem Jahr mit seinem Gutfühl-Scheiß in Ruhe gelassen hat. Dann schon lieber Die Türen und Rocko Schamoni & Little Machine mit Boogie Woogie. Letzterer hat im Song „Jugendliche“ noch weit vor Roland Koch ausgesprochen, welche immensen Gefahren von den heutigen Heranwachsenden ausgehen. Richtig so. Die derbsten Typen waren aber definitiv Von Spar. Geliebt für ihren Parolen-Dance-Punk nahmen sie auf „Von Spar“ einen ähnlich radikalen Kurswechsel wie einst die Liars. Nun kommen weniger Mädchen zu ihren Konzerten, dafür sind sie jetzt eine geile Band für Freaks. Mehr Aufmerksamkeit würde man auch den ungesignten Post-Rockern von AM Thawn wünschen, so spannend wie ihre EP „Vietminh“ ist, die es auf ihrer Tour im Dezember in einer Auflage von 100 Stück zu kaufen gab. Der beste Kauf im alten Jahr.

Die besten zum Schluss: Da wäre zum einen Hendrik Weber alias Pantha Du Prince, der mit dem märchenhaften „This Bliss“ für die elektronische Sozialisation genauso wichtig werden könnte wie einst Tocotronic im Kampf für die Selbstbestimmung eines Dorfjungen. Bleibt nur der Wunsch, man hätte mehr Worte, um über dieses fantastische Techno-Album schreiben zu können. Wer fehlt jetzt noch? Richtig, Radiohead. „In Rainbows“ ist das wichtigste Album des Jahres. Nicht, weil man es umsonst herunterladen konnte, sondern weil es Musik für und gegen die digitale Moderne ist. „In Rainbows“ hat ganze drei Wochen auf Schritt und Tritt die eigentlich unverzichtbare Shuffle-Taste eines MP3-Players mit einer Kapazität von 20 Gigabyte (ca. 3500 Songs) überflüssig gemacht. Mehr muss man dazu nicht schreiben.

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