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MISC - Januar 2008 l #03

sellfish.de Spezial: Metal.Core International

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Diesmal mit:

Heaven Shall Burn | Misery Speaks | Grantig | Gwen Stacy | Too Pure To Die | S.S.S.P. | Gonna Fall Hard | Arcane Order | Degradead

Was für ein Monat für diejenigen Anhänger extremer Musik, welche sich nicht so recht zwischen Hardcore und Metal entscheiden können. Zu allererst veröffentlichen Heaven Shall Burn ihr heiß erwartetes Meisterwerk. Und eine ganze Schar an ähnlich gelagerter Kost poltert beinahe zeitgleich hinterher. Doch der Reihe nach. Denn "Iconoclast" (Century Media/SPV) sollte unbedingt der ihm zustehende Platz eingeräumt werden. Schließlich war es bestimmt kein leichter Ausgangspunkt für die Thüringer, auf das famose "Deaf To Our Prayers" noch ´mal etwas draufzusetzen. Zumindest was den Sound angeht, können die 14 Tracks diesmal tatsächlich nicht ganz mithalten. Doch in Punkto Songmaterial macht Heaven Shall Burn in diesem Genre wohl selbst international keiner etwas vor: Die Grätsche zwischen Extremität, Atmosphäre und Eingängigkeit jedenfalls gelingt auch 2008 wieder ausgezeichnet. Und mit dem Edge Of Sanity Cover "Black Tears" beweist man neben der altbekannten lyrischen Sicherheit ganz nebenbei auch noch (autobiographische) musikhistorische Kompetenz. Brillant, again.
Apropos Edge Of Sanity: Deren Kreativkopf und Soundbastler Dan Swanö hat das Zweitwerk von Misery Speaks nicht nur produziert, sondern half gleich noch an Mikro und Instrumenten aus. Wobei er den Münsteranern spürbar nahe legte, den etwas mediokren Metalcore-Sound ihres Debüts hinter sich zu lassen: "Catalogue Of Carnage" (Drakkar Records/SonyBMG) klingt stattdessen wie ein waschechtes Göteborg-Geschoss aus den neunziger Jahren. Hier werden Riffs in der Tradition von Entombed oder Dismember gezockt, dass es eine wahre Freude ist. Zumal sich unter dem Midtempo-Geschredder reichlich Höhepunkte ausmachen lassen. Was Misery Speaks im gleichen Atemzug zum legitimen Partner der zweiten deutschen Quasi-Schweden – nämlich Fleshcrawl - macht.
In guter Gesellschaft dürfen sich deswegen auch Grantig wähnen, die mit eben Misery Speaks und der österreichischen Metalcore-Hoffnung The Sorrow ein passendes Tourpackage gefunden haben. Wenngleich die Münchner sich in zwei Stilistiken von ihren Kommilitonen abheben: Zum einen orientiert man sich eher am dreckigen Blues des Anselmo-Projekts Down denn an At The Gates; des Weiteren erklingt "So Muss Es Sein" (Drakkar/SonyBMG) - der Titel läßt's erahnen - komplett in deutscher Sprache. Und, Respekt: Beides gelingt dem jungen Quartett frappierend unpeinlich. Der Knackpunkt, warum es mit dem Debüt noch nicht zur Oberliga klappt, liegt wo anders: So klingen die zwölf Tracks noch ein wenig zu gleichförmig, um wirklich durchgehend zu packen. Davon abgesehen aber stimmen hier nicht nur die Musik, sondern auch Herangehensweise und Attitüde. Sollte es also mit dem ersten Anlauf noch nicht wirklich klappen: Bitte nicht aufgeben.

Der Blick nach Übersee fällt derweil nur bedingt euphorisch aus: Gwen Stacy aus Indiana liefern auf ihrem Longplayer "The Life I Know" (Ferret /Soulfood) zumindest einige hochkarätige Ansätze. Schließlich warten ihre Kompositionen mit relativ überraschendem Hardcore- und New-School-Touch auf; darüber hinaus geriet die Atmosphäre des von ex-Battery Brian McTernan produzierten Materials angenehm dicht. Ich frage mich nur, warum auch im Falle Gwen Stacy der Sänger partiell (und natürlich in den meisten Refrains) in cleanen Gesang überwechselt. Schließlich haben wir es nicht das erste Mal damit zu tun, dass eine Stimme diesem Anspruch nicht gerecht wird. Davon abgesehen jedoch sollte nicht verschwiegen werden, dass sich der Vierer aus Indianapolis als veritabler Songwriting-Könner entpuppt. Sollte den Herren eine längere Halbwertszeit beschieden sein, als in diesem Genre derzeit üblich, sehe ich der Zukunft jedenfalls durchaus positiv entgegen. Und dies nicht nur im Vertrauen auf Ferret Records, welche nicht zum ersten Mal entwicklungsfähiges Potential einer Band erkannt hätten.
Ein Prädikat, welches man desöfteren auch Trustkill attestieren möchte. Im Falle Too Pure To Die komme ich dann jedoch etwas ins Grübeln. Nicht nur, dass Bandname und Albumtitel wie aus dem Earth Crisis-Copyshop klingen. "Confidence And Consequence" (Trustkill/SPV) entbehrt auch musikalisch jedweder Individualität. Übliche Metalcore-Schemata der Hatebreed-Schule werden abgearbeitet, ohne dass sich wirkliche Intensität einstellen kann. Was nicht zuletzt am Schlagzeuger liegt, der seinen Job beinahe relaxt wahrnimmt und dem (ohnehin etwas mageren) Sound nicht gerade den notwendigen Punch verleiht. Umso verwunderlicher, als es sich bei dieser Veröffentlichung um eine Neueinspielung handelt. Denn neun der zehn Songs erschienen bereits im vergangenen Jahr mit einem anderen (angeblich noch gesichtsloseren) Frontmann. Tut mir leid, dass so schreiben zu müssen: Aber an Too Pure To Die sollten wirklich nur diejenigen Interesse bekunden, denen im Fahrwasser von Terror, Hatebreed bzw. den verblichenen Pantera derzeit zu wenig geschieht...
S.S.S.P. rein musikalisch zu beurteilen, fällt schwer. Klar, der rüpelige New York Hardcore Sound der Formation zwischen Agnostic Front auf der einen sowie der Punk-Attitüde von The Business auf der anderen Seite gefällt. Jedoch wird "For Life" (Swell Creek/Superhero/Soulfood) von einer Reihe an dubiosen Dingen begleitet, mit denen ich mich nun wirklich nicht identifizieren kann. Von der "Hardcore Troop Support"-Fraktion bis hin zu reichlich Stars And Stripes im Artwork: Die patriotische Begeisterung dieser Skins macht Angst. Abgesehen davon: Wer von der Liebe zum britischen British Oi! ebenso getrieben ist wie von eingangs erwähntem Sound der S.S.S.P.-Heimatstadt, kann sich ohne Frage schnell auf den Sound des Duos einlassen - Zumal es die Debüt-EP als Bonus on top quasi umsonst serviert gibt. True to the core? Mike Delorenzo und Vinnie Value sammelten nicht ohne Grund Erfahrungen an der Seite von Kill Your Idols oder Warzone…

Und was passiert in Resteuropa? Da sei, viel zu spät, vor allen Dingen auf Gonna Fall Hard aus Venedig hingewiesen. Die prügeln mit zwölf Songs auf "Everybody Is Gonna Fall Hard" (Swell Creek/Superhero/Soulfood) in gerade einmal einer viertel Stunde alles kurz und klein, was sich ihnen in den Weg stellt. Doch jenseits solcher Phrasen spielt es gar keine Rolle, dass die Aufnahmen schon über zwei Jahre auf dem Buckel haben: Die Italiener haben nämlich genau das richtige Anti-Verständnis von einer Szene, welche sich zu gerne irgendwelcher Trends, Strömungen oder auch politischer Korrektheit unterwirft. Auf diesem Quasi-Longplayer dagegen regiert die pure Energie, für welche es weder eine dicke Produktion noch irgendwelche aufgepimpten Chöre braucht. Spartanisch, authentisch und mit der entscheidenden Portion Verweigerungshaltung im Hintern veröffentlicht man dieses Werk, welches sich blendend zwischen den frühen 7"es von den Bad Brains über Agnostic Front hin zu Youth Of Today ansiedeln lässt. Wohlgemerkt, ohne dabei auf irgendeiner Retro-Welle zu schwimmen. Ein Volltreffer, von dessen Kaliber es hoffentlich bald Nachschub zu hören gibt.
Deutlich gesichtsloser gehen The Arcane Order zu Werke: Ihre Mixtur aus (wenig) Metalcore- und (reichlich) Thrash-Zutaten vermag zwar so manchen Wankelmütigen erschüttern. Auf die volle Länge wirkt "In The Wake Of Collisions" (Metal Blade/SPV) jedoch etwas zu farblos. Die vielen guten Ansätze verlieren sich dabei hauptsächlich aus dem Grund, weil man etwas zu unentschlossen zwischen straighten Songstrukturen (offenbar bedingt durch Sänger Kasper Thomsens Zweitengagement bei Raunchy) und vielschichtigen Aufbauten pendelt. Die Dramaturgie geht irgendwo zwischen In-Your-Face-Attitüde und instrumentalen Kabinettstückchen (samt einiger elektronischer Effekte im Strapping Young Lad-Stil) verloren. Schade eigentlich, denn zum Beispiel der gut sechsminütige Opener "Death Is Imminent" wartet mit einer formidablen Hookline auf. Unter’m Strich liefern die Dänen dennoch einen nur leidlich gelungenen Nachfolger zum Debüt ab, dessen vorhandene lichte Momente jedoch zumindest diejenigen zufrieden stellen sollten, welche das Material gespannt erwartet haben.
Der Kreis schließt sich mit der einzigen schwedischen Band in dieser Rubrik. Degradead haben sich mit "Til Death Do Us Apart" (Dockyard 1/Soulfood) zwar weder den innovativsten Albumtitel (bzw. Bandnamen) ausgesucht, noch wird hier musikalisch eine Revolution angestoßen. Stattdessen frönen die elf Songs gediegen der göteborgschen Thrash-/Deathmetal-Schule. Und wenn im Kontext der Scheibe dann noch ein gewisser Jesper Strömblad von In Flames auftaucht, dürften alle Betroffenen die Richtung kennen. Degradead gehen auf ihrer Mission jedoch angenehm songorientiert vor: Denn selbst wenn Instrumentalarbeit und Vocals in den Strophen extrem wirken, spätestens im Refrain wird sich auch wieder dem Pop genähert. So entsteht ein durchaus gelungenes Werk, welches Anhängern von Soilwork etc. eine freudige knappe dreiviertel Stunde besorgen sollte. Auch wenn es für die Hall Of Fame noch nicht ausreicht: Wir haben es (wieder einmal) mit einem gelungenen Einstieg zu tun.

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