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MISC - Januar 2008 l #06

sellfish.de Spezial: Elektro.Pop.HipHop.

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Diesmal mit:

Climatic | Ruben Cossani | Chris Joss | Nicolay & Kay | The Orb | Robert Owens | Pitbull | Come Clean | Crunk Hits Vol. 3

Hinter dem Ein-Mann-Elektroprojekt Climatic verbirgt sich der süddeutsche Produzent Volker Dorsch. Dessen Arbeit bereits auf dem Debüt "Around And About" mit Ikonen wie Kruder & Dorfmeister assoziiert wurde. Künstler, die durchaus zu seinen Vorbildern zählen. Gleichsam wie die an dieser Stelle weiter unten berücksichtigten The Orb. Sein Zweitwerk "Incanto" (4mpo/Intergroove) unterstreicht diesen Eindruck nun: Relaxte, tropisch angehauchte Klänge wabern und pluckern aus den Boxen, dass sich schon binnen des Openers "Left" Entspannung einstellt. Der Alltagsstress scheint beinahe vom Hörer abzufallen, wenngleich das Material zu keiner Sekunde in Richtung esoterisch anmutender Seichtigkeits-Gefälle abdriftet. Man merkt, dass Dorsch sein Handwerk - in diesem Fall sogar am Mannheimer Konservatorium - gelernt hat: Jazz, Fusion und dubbige Momente... seine Adaption von Ambient, Downbeat und Deep House gibt sich betont grenzenlos. Womit er auch schon auf so mancher Compilation eher zweifelhafter Natur landete. Doch unabhängig von Niveau-Diskussionen: "Incanto" offeriert nichts anderes als 70 Minuten uneingeschränkte Wohlfühl-Momente.

Darüber, ob Ruben Cossani in dieser Rubrik richtig aufgehoben sind, kann man sich streiten. Das gebe ich zu. Aber wohin mit einer Deutschpop-Platte, die trotz ihrer Flauschigkeit eigentlich so nirgendwo wirklich hineinpassen will? "Tägliche Landschaft" (105 Music) erscheint auf der Labelheimat von u.a. Annett Louisan. Und erinnert ein wenig an einen seltsamen Zwitter aus Udo Lindenberg bzw. Erdmöbel. Zwar handelt es sich bei den Protagonisten um ein Trio, letzten Endes konzentriert sich jedoch alles auf Komponist, Produzent und Texter Michel Van Dyke. Dessen Botschaften sich auf Alltagsbeobachtungen und vor allem -Emotionen beschränken. Und welcher über einen autobiographischen Erfahrungsschatz verfügt, welcher zum Beispiel den Echt-Hit "Du trägst keine Liebe in dir" birgt. Das passt irgendwie: Die Hamburger wollen schließlich nichts weiter als eine Pop-Band mit großen Melodien samt latentem Hang zur behutsamen Dramatik darstellen. Das Resultat gelingt und erfreut mit makellosem Schönklang. Was zwischen völliger Hingabe und blankem Entsetzen auf simple Weise verschiedenste Reaktionen provozieren sollte. Und deshalb doch irgendwie spannend bleibt.

Im Zeichen des Grooves: Produzent Chris Joss widmet sich auf seinem neuesten Werk einmal mehr allem, was bewegt und die Rhythmusfraktion in den Mittelpunkt stellt. Und so besteht "Teraphonic Overdubs" (ESL Music/Soulfood) zwar im Wesentlichen aus Funk- und Dub-Versatzstücken. Das rein instrumentale Material jedoch wird von einem Pop-Fakto begleitet, welchen den Franzosen als echten Meister der effektiven Unterhaltung präsentiert: Mag es Multi-Instrumentalisten wie ihm sonst denkbar schwer fallen, funktionierende Songs jenseits von Selbstinszenierung zu basteln - diese Tatsache kümmert den Produzenten nicht. Seine 13 Tracks wühlen sich durch Blaxploitation, Sixties oder Breakbeat und finden dabei noch immer einen Weg in Hüfte und Kleinhirn. Auch, weil einem hier so manche Melodie bekannt vorkommt. Dass sein siebtes Album deshalb nicht unbedingt tief geht, stört kaum: "Teraphonic Overdubs" macht durch sein organisch-analoges Soundgefüge und die funktionierenden Kompositionen einiges wett.

Angelegt als Konzeptalbum legt der niederländische Produzent Nicolay mit "Time:Line" (Nicolay Music/Groove Attack) sein persönliches Nachfolgewerk zum The Foreign Exchange Glanzstück "Connected" vor. Unterstützt wird er dabei von Kay Jackson (The Foundation), welcher sich als MC jedoch auch abseits seines eigenen Projektes Meriten verdiente. Aus diesen beiden Umfeldern setzen sich auch die Kollaborateure dieses Werkes zusammen. Nicolay & Kay verwirklichen damit etwas mehr als die Zusammenführung ihrer beiden enormen Talente. Das Dutzend Songs lebt ebenso von den zahlreichen Features, welche die Story um notwendige Facetten erweitern. Als Wegbereiter dafür schuf Nicolay Produktionen, die gleichermaßen durch ihre smoothe Atmosphäre wie auch durch die Funktionalität überzeugen: Da darf es bei "Through The Wind" schon ´mal ein dicke poppiger Refrain sein, welcher in den darauf folgenden Tracks gerne auch durch Soul-Elemente in den richtigen Kontext gerückt wird. So bleibt "Time:Line" trotz des konzeptionellen Ansatzes klar ein entspanntes Partyalbum, an dessen dezenter easy-listening Komponente ich mich jedoch sporadisch störe.

Neuigkeiten aus der Major League der elektronischen Dance-Musik: The Orb veröffentlichen, reichlich überraschend, einen frischen Opus. Und "The Dream" (Stereo Deluxe/Edel) gefällt tatsächlich mit einer traumhaften Auslotungen dessen, was dieses Genre heutzutage offeriert. Denn mögen die Briten auch im Kontext der Rave- und Breakbeat-Hypes der neunziger Jahre ihren Zenit erreicht haben: Alex Paterson und Youth (Killing Joke) senden selbst 2007 noch auf sämtlichen relevanten Elektronika-Frequenzen. "Vuja De" beispielsweise hat das Zeug dazu, Fatboy Slims "The Rockafeller Skank" zu enterben. An anderer Stelle fühlt man sich an die Bristol-Connection um Smith & Mighty oder Massive Attack erinnert. Der Rest des Materials überzeugt ebenfalls: Zwischen rockig und atmosphärisch kreiert das Duo insgesamt 15 Kompositionen, welche auf der Tanzfläche ebenso gut funktionieren sollten wie in der (aufgedrehten) heimischen Stereoanlage. Eingelullt von Dub-Sequenzen und zahlreichen Vocal-Samples lässt man sich als Hörer gerne in diesen Soundtrip fallen.

Es dürfte immer noch viel zu viele musikbegeisterte Menschen geben, welche elektronischer Musik im Allgemeinen sowie House im Speziellen skeptisch gegenüber stehen. Jeder, der sich angesprochen fühlt, für den wird es dringend Zeit, Kontakt mit Robert Owens aufzunehmen. In Kennerkreisen genießt der Londoner Sänger nicht zuletzt dank seiner 20-jährigen Karriere längst einen exzellenten Ruf. Mit seinem neuen Werk "Night-Time Stories" (Compost Records) sollte er nun die Schar der Anhänger deutlich erweitern können. Manifestiert sich mit ihm doch eine Stimme, welche so authentisch, voller Soul und vereinnahmend klingt, dass sie auch jenseits eines Nischendaseins aufhorchen lassen wird. Insbesondere gekoppelt mit der Tatsache, dass sich Owens seit jeher mit äußerst fähigen Produzenten zusammen tat. Was auch für "Night-Time Stories" massiv zutrifft: Ian Pooley, Wahoo oder Kid Massive schraubten an den Knöpfen, wenn der Meister nicht sogar selbst Hand anlegte. So entstanden Kompositionen, welche auf elegante Weise Vergangenheit und Gegenwart von House Music fusionieren. Beats, Atmosphäre, Harmonien: Ein über die gesamte Spielzeit fesselndes, stimmiges Werk.

Auch an das neue Pitbull-Album "The Boatlift" (TVT Records) darf es nur eine Herangehensweise geben: Die 18 Tracks inklusive ihrer obligatorischen Skits müssen angesichts der an den Tage gelegten Partyambitionen bewertet werden. Sonst braucht man sich an dem Material nämlich gar nicht erst versuchen. Freilich findet sich hier keine Spur von social conscious-Lyrics (… im Gegenteil!) oder Instrumentals abseits angesagter Crunk-Standards. Jede einzelne Produktion versprüht quasi die verschwitzte Luft von Großraum-R'n'B-Diskotheken. Also: Hirn aus, Hose auf Oberschenkelhöhe herunter gelassen und die Bling-Bling-Amatur ausgepackt. Dann muss man nämlich relativ schnell eingestehen, dass der Mix aus US HipHop-Standards des Jahres 2007 und den immer wieder durchschimmernden, lateinamerikanischen Wurzeln des Protagonisten besser denn je funktioniert. Die Zielgruppe abseits des Rap-Mainstreams bleibt natürlich dennoch ebenso eingeschränkt, wie die Verkäufe in den einschlägigen Handelsketten auf die Top-Positionen der Verkaufscharts schießen dürften. Zwiespältige Sache.

Sampler Settings
: "Import/Export" (Come Clean/Rough Trade) lautet die erste Veröffentlichung des Berliner Produzenten-Teams (bestehend aus Wayco, Jay, Maxito Bandito und Luilaroc), welche eine Art Werkschau im Compilation-Outfit präsentieren. Das Ergebnis wurde zwar reichlich lieblos aufgemacht, wird musikalisch aber zumindest diejenigen überzeugen, welche auf der Underground-Seite des Hauptstadt-Straßenköter-HipHop-Charmes stehen. Urbane Lyrik prägt die gute dreiviertel Stunde, welche in ein entsprechend harsches Soundgewand gepackt wurde. Die 16 exklusiven Tracks enthalten mit Jack Orsen (M.O.R) oder Euro8000 (K.I.Z) auch etwas quasi-Prominenz, über weite Teile jedoch rangiert das Material jenseits von Radio- oder Videoairplay. Authentisch, sicher. Jedoch wird einem angesichts von Texten wie "Komm her" (Zwang & She-Raw) die traurige inhaltliche Limitierung vieler derartiger Künstler vor Augen geführt. Und weil es den Produzenten nur partiell gelingt, wirklich Akzente zu setzen, stellt sich die große Euphorie noch nicht wirklich ein.
In einer ganz anderen (kommerziellen) Liga spielt dagegen die zweite Zusammenstellung in dieser Woche: "Crunk Hits Vol.3" (TVT Records) sollte, wie schon die beiden Vorgänger, wenigstens in den Vereinigten Staaten abermals zu den Top-Sellern des Genres avancieren. Zumindest setzt das Label alles daran, und schickt mit Pitbull sein zugkräftigstes Pferd gleich zwei Mal ins Rennen (einmal feat. Lil Jon, außerdem als Opener begleitet von Trina & Young Bo$$). Auch der überwiegende Rest des Materials erweist sich als Chart-erprobt: Chris Brown, T.I., Three 6 Mafia oder die obligatorischen Ying Yang Twins steuern aktuelle Auskopplungen bei. Und machen das rappelvolle Album (diesmal übrigens nur als Einzel-CD verfügbar) zumindest für diejenigen zum Pflichtprogramm, welche sich bei der nächsten Party im Jugendclub den DJ sparen wollen…

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