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MISC - Februar 2008 l #08

Neben der Spur: Indie.Elektro.Rap.Folk.

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Diesmal mit:

Caput | Clubers Guide Berlin | Kool G Rap | Louis XIV | PhreQuincy | Printer | Brisa Rochée | Rodrigo Y Gabriela | Veranda Music | Pete Blume

Als einer der Jüngsten in der mittlerweile wieder von der Chartfläche verschwundenen Optik Records Szene liegen doch einige Hoffnungen in Caput alias Soner Duman. Welche er mit seinem Albumdebüt "Caputalismus" (Optik Records/Groove Attack) zumindest teilweise erfüllen kann. Sein rhythmisch komplexer Reimstil, beinahe selbstverständlich auf double-time angelegt, sucht in der gegenwärtigen Rap-Landschaft tatsächlich seinesgleichen. Auch inhaltlich werden allzu üble Fehlgriffe vermieden bzw. durch einen gewissen Charme aufgelockert. Und schließlich macht Caput auch als Produzent, unterstützt u.a. von Ercandize oder Melbeatz, eine relativ gute Figur. Warum es dennoch nicht zum erhofften großen Coup genügt? Nun, dies bleibt vor allem der Tatsache geschuldet, dass sich unter die 16 Tracks einiges an Durchschnittskost mischt. Ein paar schwächere Instrumentals sind da das geringere Problem. Doch Totalausfälle wie die drittklassige Neo-Soul-Anbiederung "Gute Zeiten" (feat. einem unerträglichen Moe Mitchell) schmälern den an sich gelungenen Gesamteindruck doch massiv. Da kann auch das obligatorische Kool Savas-Feature - welches offensichtlich allen Optik-Künstlern via Label-Deal vorgeschrieben wird - nichts ändern: Über eine Menge gute Ansätze kommt "Caputalismus" (noch) nicht hinaus.

Der Sticker "Berlin For Your Pocket" deutet auf das gelungene Konzept dieser Compilation hin: Der audiovisuelle "Clubbers Guide Berlin" (Ministry Of Sound) fusioniert den (elektronischen) Sound der Hauptstadt mit einem 64-seitigen, stylishen Booklet. Darin: In Kooperation mit dem Stadtmagazin Zitty schick aufgemachte Empfehlungen für Clubs, Cafés und Restaurants. Kurz und knapp werden hier auf Deutsch und Englisch Szene-Locations beschrieben, an welchen man als Nicht-Berliner vielleicht vorbei gelaufen wäre. Gleichermaßen relevant aber natürlich der musikalische Content: Die 19 von Daniel Rejkovic zusammengestellten Track liefern eine aktuelle Bestandsaufnahme der Elektro-/Pop-Landschaft Berlins. Darunter großartige Formationen wie die K7!-Sprößlinge Booka Shade, Clubheld Gregor Tresher oder die Get Physical-Vertreter Samim. Ebenfalls natürlich kein Vorbeikommen gibt es an 2raumwohnung ("Mir Kann Nichts Passieren" im Glove Grand Remix) oder den ex-Terranovas’ Lottergirls als Bonustrack. Analog zum beiliegenden Stadtführer enthält der Silberling jedoch Newcomer wie Geheimtipps. Am Ende steht so eine kompakte Hauptstadt-Führung, an welcher nur die sporadischen Werbeflächen im Artwork etwas stören. Der Härtetest folgt zwar erst, wenn es mich nächste Woche wieder nach Berlin verschlägt... in jeder Hinsicht gut vorbereitet fühle ich mich mit dieser attraktiv aufgemachten Veröffentlichung schon vorab. Übrigens: Aufgrund der Labelheimat von Ministry Of Sound klingt der thematische Einstand durchaus nahe liegend; eine Erweiterung auf andere relevante Städte jedoch wäre wünschenswert... und sicherlich für alle Seiten effektiv.

Mit einer guten halben Stunde bzw. als attraktiv preisgünstige Mini-Album-Variante versucht sich US Rapper Kool G Rap an seiner eigenen Rückkehr ins Business: Und auch wenn der wohl offensiv zu verstehende Opener "Risin' Up" noch etwas zerfahren wirkt - "Half A Klip" (Latchkey Rec./Groove Attack) zeigt den Helden der achtziger Jahre in überraschend guter Kondition. Als ein früher Weggefährte von New Yorker Genre-Trendsettern wie Nas überrascht das Material auch heute mit einer ungeschönten Roughness. Und selbst wenn Kool G mit diesen neun Tracks (plus zwei Remixen) nicht jederzeit mit seiner historischen Frühphase Schritt halten kann: Dank Produktionen von unter anderem DJ Premier konnte man auch auf dieser Seite den einen oder anderen Klassiker an Land ziehen. Seien wir ehrlich: Der gegenwärtigen Rap-Landschaft tut ein solch charismatischer Solo-Künstler durchaus wieder gut. Und wenn das Album am Ende noch übertrifft, was diese EP andeutet: Kool G könnte - im wahrsten Sinne des Wortes - im Jahr 2008 nochmal einiges im Rap mitzureden haben.

Die Fusion aus Neo Wave, Pop-Punk und Elektrorock bringt zwar oft viel tanzbares, selten aber auch qualitativ längerfristig erquickendes Musik auf den Plan. Insofern dürfen Louis XIV als kleine Überraschung verbucht werden. Denn ihr Zweitwerk "Slick Dogs And Ponies" (Inkubator/Soulfood) wartet zumindest mit einer handvoll Tracks auf, deren Melodieverliebtheit dem rudimentären Grundkonzept zu Gute kommt. Produziert von Sänger und Gitarrist und Keyboarder Jason Hill (welcher seine instrumentalen Aufgaben übrigens mit Bandkollege Brian Karscig teilt), überzeugen die elf Tracks mit einem ebenso zeitgemäßen wie packenden Sound. In der Tradition von Ludwig dem 14. allerdings präsentiert sich das Material nicht sonderlich innovativ: Denn wo die musikalischen Grenzpfeiler von T.Rex bis Franz Ferdinand gesetzt werden, erinnern die Vocals durchaus gar an Billy Talent. Selbst wenn man sonst eigentlich nicht viel gemein hat. Denn aggressives Potential sucht man in der Musik der Formation aus San Diego vergebens. Stattdessen wollen Tracks wie "Tina" nur eines: Direkt ins Ohr.

He's got the looks, he's got the money. Doch vor allem hat er die richtigen Freunde. Kein Wunder: Als Produktionstalent hat sich phreQuincy mittlerweile einen Ruf längst über die hamburgerische bzw. einheimische Szene erarbeitet. Dennoch entstammen die Kollaborationspartner auf "Ich Kann's Mir Leisten" (Curtains Up/Groove Attack) alten Bekannten bzw. neuen Hoffnungen der deutschen Rap-Landschaft. Unter den zwei Dutzend Tracks plus einem weiteren Dutzend Instrumentals stecken eben solche Highlights wie "Macho Man" zusammen mit dem famosen Patrick Mit Absicht. Erwähnenswert außerdem die ambitionierte Single „Krank“ zusammen mit Samy Deluxe. Mit den Vocoder-Effekten bei der Neo-Soul-Nummer "Ich Fühl Dich" geht es zwar hinab in seichte Kitsch-Untiefen, über weite Teile jedoch überzeugt diese Doppel-CD. Wahrscheinlich spiegelt eine solche Quasi-Compilation ganz einfach realistisch den Status der gegenwärtigen deutschen Rap-Szene wieder: Neben einigen wirklichen Höhepunkten (darunter auch "Ein Guter Tag" feat. Blaze) reiht sich viel zu viel Mittelmaß. Neue Impulse sind dringend notwendig. Und vielleicht können diese gerade aus der Reihe der Produzentenriege kommen.

Nach dem Postrock ist vor dem Song... Printer aus Dänemark ergänzen ein sich selbst immer wieder neu definierendes Genre mit einem Plus an Laptop-Elektrofrickeleien. Und finden ausgerechnet auf diese Weise zu konventionellen Methoden zurück. "Can You Take More?" (Adrian Recordings/Import) stößt zwar einerseits mit Vocoder-Effekten über den Vocals sowie diskussionswürdigen Eighties-Synthie-Sounds auf. Über die ganze Distanz jedoch darf man das Material als durchaus innovativ bezeichnen: Treibende Housebeats wechseln sich dort mit atmosphärischen Gitarrenelementen ab, werden übereinander gelegt und fein säuberlich wieder aufgedröselt; denn anstelle das Ganze mit barschen Brüchen zu versehen, arbeiten Printer geradezu Club-tauglich: Auf diesem Debüt finden sich nicht nur vier Remixe – und zwar nicht als Beipack-Bonus, sondern als alleinige Vertreter ihrer Kompositionen. Der gesamte Albumverlauf klingt faszinierend schlüssig. So gelang der Mix aus Independent-Bandkonzept sowie Synthesizer-Songstrukturen überzeugender als in vielen anderen Fällen. Abgerundet durch das starke Coverartwork entsteht so ein von Anfang bis Ende überzeugendes Werk, welches Club-Gänger und Notwist-Liebhaber vereinen sollte.

So eine elfenhafte Erscheinung, so zierliche Arrangements... So eine eigenwillige Stimme. Brisa Roché veröffentlichte den Vorgänger zu "Takes" (Discograph/Alive) via dem legendären "Blue Note" Label. Dabei hat das Material mit Jazz auch im weiteren Sinne kaum etwas zu tun. Doch die kalifornische Singer-Songwriterin mit Wahlheimat Paris hat einen ziemlich eigenen Kopf; welcher immer wieder während ihrer lieblichen Kompositionen durchdringt. Ein Hauch von Anna Ternheim weht über den Stücken, welche erst bei näherer Betrachtung ihre dunkle Seite offenbaren. So finden sich unter den 15 Stücken Psycho-Theatralik, kleine zynische Abrechnungen, schräge Folk-Eskapaden… Wobei so letzten Endes das Bild einer ziemlich extrovertierten jungen Dame entsteht. Welche am Ende des Tages jedoch die essentiellen Harmonien aus ihren Songbauten herausfiltert („Whistle“). Und so vielleicht die logische Konsequenz aus dem romantisch-verwegenen Flair der französischen Hauptstadt mit kalifornisch-unbeschwertem Hippie-Schönklang bildet.

Rodrigo Y Gabriela. Was beim ersten Kontakt nach virtuosem Gitarrengefrickel ohne songdienliche Basis anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eines der außergewöhnlichsten Rock-Alben der letzten Monate. Rock? Ja. Denn zwar lassen sich im Sound des mexikanischen Duos reihenweise folkloristische Elemente finden. Daraus jedoch flechten die beiden mit ihren Nylonstringgitarren treibendes Songmaterial, welches sich ziemlich elegant zwischen progressiven Texturen sowie dem bewährten Strophe-Refrain-Strophe-Schema positioniert. Daraus wurde zusammen mit John Leckie im Studio ein faszinierender, rein instrumentaler Sound kreiert, welcher das Spiel von Gabriela und Rodrigo trotz Stereoanlangen-Reproduktion beinahe live im Wohnzimmer erleben lässt. Nicht zuletzt diese Tatsache trägt ihr Übriges zum Gelingen dieses Projektes bei. Welches hoffentlich keine Einmal-Fliege bleiben wird. Doch dazu hat das selbstbetitelte Album (Pias Recordings), nicht zuletzt durch die Aufsehen erregende "Stairway To Heaven"-Coverversion, in ihrer Heimat wohl ohnehin schon zu viel Anerkennung mit auf den Weg bekommen...

Veranda Music sind ein Quartett aus Hamburg (Eingeweihte werden sogar Verknüpfungen zum Thalia-Theater entdecken), welches sich seit bald einer Dekade an seiner Adaption von Singer-Songwriter-Pop mit Charme und Atmosphäre versucht. Auch wenn davon abseits intimer Clubauftritte und Szeneschwärmereien noch nicht viele etwas mitbekamen. Nun also "Secret Scenes" (Strange Ways/Indigo); neues Material nach eigentlich viel zu langer Pause. Eine Tatsache übrigens, die weder Anhänger noch die Band sonderlich interessieren sollte. Veranda Music funktionieren auch abseits üblicher Marketing-Mechanismen; und sind für diese – auf sehr sympathische Weise – vielleicht sogar zu unspektakulär. Nach der zwischenzeitlichen Veröffentlichung einer EP voller Coverversionen zeigt sich die Band um Gitarrist/Sänger Nicolai von Schweder-Schreiner sogar etwas zeitgemäßer: Ihre von Chris Von Rautenkranz passend warm gekleideten Lieder schmeicheln der Seele, ohne faden Beigeschmack. Solide Melancholie, routiniert in ein Songwriting gefasst, welches auch ohne tiefgründige Beschäftigung gefällt. Schön.
Apropos Hamburg: Von eben dort wollen auch die zugereisten Indie-Rocker von Pete Blume auf sich aufmerksam mache. Allerdings geht ihr Versuch, an die Vorbilder Tomte, Kettcar oder Sportfreunde Stiller anzuknüpfen, dezent daneben. "Demonstrieren: Sonntags!" (Mate In Germany/Soulfood) steuert schlichtweg eine Spur zu gefällig in Richtung der radiotauglicheren Variante ihrer Kollegen. Nicht, dass es am Songmaterial liegen würde: Die zwölf Tracks stecken voll kleiner Ohrwurmmelodien und einprägsamer Riffs. Mangels Ecken und Kanten jedoch klingt das Ganze ein gutes Stück zu harmlos; irgendwie unentschlossen, um die so dringend nötigen Spuren zu hinterlassen. Pete Blume verlieren sich zwar einerseits nicht in pseudointellektuelle Lyrik, gleichermaßen meiden sie Fun-Attitüde. Das Ergebnis jedoch klingt wie eine mediokre Mischung aus Emo-Zutaten, Teenage Angst und Deutsch-Pop. Schade für die aufbruchswilligen fünf jungen Herren: Wirklich Relevantes haben sie mit dem Debüt sicherlich noch nicht geschaffen...

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