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MISC - Juni 2008 l #26

sellfish.de spezial: sellfish rockt.

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Diesmal mit:

Airbourne | The Ting Tings | Nits | Foxboro Hot Tub | Night Marchers | The Freeks | HDQ | Henry Fiat's Open Sore | Baseros | Pleased To Meet U

Let There Be Rock: Je nach Herangehensweise sind Airbourne - ausgerechnet aus Australien (!!!) bzw. den USA stammend - nicht mehr als ein fader AC/DC-Abklatsch. Oder eben die Reinkarnation der Bon Scott-Ära der wohl größten Rock-Formation aller Zeiten. Mit gut zwei Handvoll stampfender Hymnen für's Stadion, das Bierzelt oder - im Optimalfall zumindest hierzulande noch - einem schweißtriefenden Club. In der Heimat sind Airbourne dank "Runnin' Wild" (Roadrunner Records) jedenfalls schon lange durch die Decke gegangen. Kein Wunder, angesichts des uneingeschränkt einprägsamen, stur rockenden Songmaterials. Selbiges erscheint nun im zweiten Aufwasch und mit reichlich Verspätung dank Unterstützung des Indie-Riesen Roadrunner Records auch bei uns: Fans trockenen, bluesdurchtränkten Rock’n’Roll’s sollte diese Verzögerung aber nicht stören. Schließlich verdient wohl kaum eine andere Musikrichtung das Prädikat „zeitlos“ so sehr wie diese. Insofern: Probehören, Herangehensweise definieren – und dann entweder Lästern oder Abgehen...
So sehr sich nach der ersten Info, es handele sich bei Jules de Martino (Drums) und Katie White (Gesang, Gitarre) um ein neues männlich-weibliches-Indie-Duo, Ermüdungserscheinungen einstellen wollen: The Ting Tings schaffen es unumwunden, selbst kritische Hörer auf ihre Seite zu ziehen. Und zwar bestimmt nicht angesichts des Individualitätsfaktors von "We Started Nothing" (RedInk/SonyBMG). Den Titel hat man nämlich durchaus weise gewählt. Vielmehr funktionieren die zehn reichlich simplen Tracks auf Anhieb: Sie drängeln ins Ohr, lassen das Tanzbein zucken und – die Kassen der Plattenläden bzw. (seufz!) Downloadportale klingeln. Zwar weder durch einen mystischen "Sind-sie-denn-jetzt-zusammen?"-Bonus der White Stripes, noch dem Frontfrau-Extravaganza-Potential von Gossip gesegnet... dafür dank Tracks wie "That's Not My Name" mit Hits im Repertoire, welche zwischen funky Elektrobeats und Powerpop irreversible Wiedererkennungsmomente im Hirn ihrer Hörer manifestieren. Weshalb die beiden aus einem Vorort von Manchester stammenden feierlaunigen Künstler nicht nur respektable Single-Erfolge einfahren, sondern auch den einen oder anderen ertragreichen Werbe-Lizenzdeal einheimsen konnten. Insofern: Wer jenseits von strenger musikalischer Integrität Lust auf In-Your-Face-Disco-Indie hat – macht mit diesen zehn Tracks keinen Fehler.
Rechtzeitig zum Start der Europameisterschaft versuchen uns die Niederländer mit einem Export milde zu stimmen: Doch ob die Nits auf ihre alten Tage in Punkto Völkerverständigung noch etwas reißen können werden, bleibt abzuwarten. "Doing The Dishes" (Werf-Records/NEO/SonyBMG) klingt nämlich auf, wenngleich charmante Weise, reichlich antiquiert. Was man, im 20. Jahr seines Bestehens, ja durchaus auch rechtmäßig exerzieren darf. Mit einem Ergebnis, welches sich alleine in der Retro-Produktion deutlich niederschlägt. Die Mischung aus Rock, Pop, Independent, einer Prise Folk und New Wave verfügt zwar über durchaus eingängige Melodiebögen; erwirkt dabei am Ende jedoch eher eine Mischung aus Altersmilde und nostalgischer Sympathie, denn wirklicher Strahlkraft.

Dass sich hinter dem Namen Foxboro Hot Tubs Green Day verbergen, wurde via der internationalen Musikpresse nun schon zu genüge transportiert. Bleibt die Frage, ob - und wie - "Stop Drop And Roll" (Warner Music) den Fans der Punkrock-Millionäre gefallen wird. Denn anstelle zynischer Betroffenheitslyrik und sonnengereiften Melodiebögen leben Billy Armstrong, Mike Dirnt und Tre Cool hier ihr Faible für den klassischen Rock'n'Roll aus. Wobei Ausnahmen die Regel schon ziemlich zu Beginn des Albums bestätigen: "Mother Mary" würde sicherlich auch als Single-Auskopplung von "American Idiot" taugen. Mit dem überraschend ausgereiften Konzept jenes Erfolgswerkes hat "Stop Drop And Roll" (ganz bewusst) nichts zu tun. Die zwölf Tracks dürfen vielmehr durchaus als Schnellschuss empfunden werden, an dem das Trio hörbaren Spaß hat. Wirklich essenziell klingt das Ergebnis dementsprechend nicht; auf treue Anhänger und chronische Rock'n'Roller sollte der Funken dennoch problemlos überspringen.
John Reis a.k.a. Speedo mag Rocket From The Crypt dieses Jahr mit dem programmatisch betitelten Live-Album "RIP" endgültig zu Grabe getragen haben. Dank The Night Marchers entschädigt er jedoch schon Wochen später mit einer Formation, welcher der Brillanz seines bisherigen Schaffens in nichts nachsteht. "See You In Magic" (Vagrant/Pias/Rough Trade), so der Titel des ersten Longplayers, knüpft exakt an bei der Schärfe der Hot Snakes, dem räudigen Rock'n'Roll der Crypts sowie dem dreckigen Swamp-Blues von Drive Like Jehu. Vielleicht kommen die Hymnen aufgrund des spröde reduzierten Sounds diesmal sogar noch direkter auf den Punkt als in der Vergangenheit. Als Alterserscheinung darf jedenfalls allein die reduzierte Geschwindigkeit gewertet werden ("You've Got Nerve"). Und genau dieser Fakt räumt Platz frei für die Essenz der Night Marchers: Veritable Hymnen – direkt aus der schmuddeligen Garage ins heimische Wohnzimmer transportiert. Demnächst bestimmt auch wieder dorthin, wo sie eigentlich hin gehören: Auf die Bühne. Übrigens: "Jump In The Fire" klingt glatt nach Social Distortion; wenn sich dank solcher Referenzen das Spektrum der Hörerschaft nicht sogar noch erweitern wird... Gegönnt!

Bürgt eine "Stoner-Rock-Supergroup" automatisch für Qualität? Sicherlich nicht. Allerdings versammeln sich unter der Banner The Freeks dermaßen viele renommierte Namen, dass man als Rezensent geneigt ist, mit der Heiligsprechung schon vor dem ersten Hörkontakt zu beginnen. Und selbst wenn es gar nicht immer die Hauptprotagonisten hinter z. B. Nebula, Monster Magnet, Fu Manchu, Parliament oder Kyuss (!) waren, die ihre Spuren auf "The Freeks" (Cargo Records) hinterlassen - Die Gesellschaft könnte, Entschuldigung, kaum elitärer sein. Dabei scheint die Ausgangsbasis der 16 Tracks, deren Fokus klar auf Gitarren und sämtlichen damit möglichen Effekten gerichtet wird, eher unpassend: Via virtueller Freundschaften über Myspace fanden die Neun zusammen Ihr kreatives Ergebnis mag nun zwar trotzdem organisch klingen; den hohen Erwartungen wir das etwas spannungsarm-zerfahrene Werk knapp nicht.
Unter dem Zusatz Boss Tunage "Retro" veröffentlicht das englische Label seit geraumer Zeit Perlen aus der Punkrock-/Hardcore-Vergangenheit. Und hat dabei ein verständliches Interesse, verschollene Highlights der eigenen Heimat wieder zugänglich zu machen. So geschehen im Falle HDQ, deren Namen hierzulande kaum jemand auf der Rechnung gehabt haben dürfte. "Sinking“ und "Soulfinder" (beide: Boss Tunage Retro/Rookie Records/Flight 13), das zweite und dritte Album ihrer Karriere, sollen diese Wissenslücke nun als Re-Release mit reichlich Bonustracks schließen. Unter jenen auch einige Beiträge zu John Peel Sessions, was als weiteres Indiz für die Relevanz von HDQ zählen darf. Zumindest, was den Zeitgeist der späten achtziger Jahre betrifft. Das Interesse müsste jedoch auch heute noch steigen, wenn Leatherface-Gitarrist Dikkie Hammond als Bandmitglied in Erscheinung tritt. Und sich das Songmaterial als eine kreative Mischung aus treibendem Punk a lá SNUFF, der melodischen Hardcore-Attitüde von Dag Nasty bzw. den ungehobelten ersten Emo-Gehversuchen entpuppt. Durchaus typisch für den englischen Sound dieser Tage, jedoch mit einer stilistisch bemerkenswert offenen Herangehensweise. Nicht zuletzt dank der vorbildlichen Aufmachung mit informativem Booklet (Linernotes, Texte, Discographie etc.) sind die beiden CDs eine empfehlenswerte Anschaffung - nicht nur für Punk-Historiker.
Für den Fall, dass sich ernsthaft jemand Sorgen um Nachschub aus der schwedischen Punk'n'Roll-Szene gemacht hat: Henry Fiat's Open Sore sind nach jahrelanger Abstinenz wieder aufgetaucht, um euch das Gegenteil zu beweisen. Mit einem Album, welches zielgenau zwischen den Bones, The Hives und Puffball punktet. "Mondo Blotto" (Alleycat Records) nennt sich das erste Werk nach fünf Jahren Pause vom Studio. Und weil es Don Wanna, Sir Henry Fiat, Frank E Male und Instead Of A Hug (Himmel, diese Pseudonyme kommen mit dem Prädikat "dämlich" noch ganz gut weg!) eben doch irgendwie dringlich war, bringt es die Scheibe auf ganze 20 Tracks. Welche man in einer guten halben Stunde äußerst prägnant auf den Punkt steuert. Wobei die nach wie vor chronisch unterschätzten Herren netterweise die Harmonien nicht zugunsten einer Garagenattitüde außen vor lassen: Die eine oder andere Ramones-Assoziation dürfte jedenfalls nicht nur mich ereilen. Und dass die ganze Angelegenheit auf der Bühne endgültig explodiert, steht außer Frage. Fein.

Mit rheinischer Gute-Laune-Mucke haben Barseros nur am Rande zu tun: Auch wenn ihr Album "Kill, Kill, Das Ist Pop!" (Unter Schafen/Alive) des öfteren ein Lächeln provoziert – mit spießbürgerlichen Alltäglichkeiten oder „Guter Laune per Verordnung“ braucht man den Vieren nicht zu kommen. Stattdessen bandelte man für das erste Album mit richtiger Labelunterstützung mit Blackmail-Kollege Kurt Ebelhäuser an. Welcher der guten halben Stunde einen adäquaten Sound verpasste. Dennoch muss kein Geheimnis um den Fakt gemacht werden, dass Die Ärzte (bzw. deren Hamburger Ziehsöhne Montreal) hier ordentlich Pate gestanden haben. Umso erfreulicher, dass man in den legendären Hammerhead nicht nur weitere Vorbilder, sondern auch noch Freunde gefunden hat. Denn am besten klingt die abstrus betitelte halbe Stunde doch immer dann, wenn ordentlich auf den Putz gehauen wird. Der Gesang in sympathischer Schräglage, welcher auf Anhieb nicht unbedingt immer gut zu verstehen ist, mag mancherorts einen Stein des Anstoßes bilden: Am Ende des Tages wird dadurch jedoch nur die Punkrock-Attitüde der Barseros unterstrichen. Und spätestens beim dritten Durchlauf dann bewusst, dass „Kill, Kill, Das Ist Pop!“ neben pfiffigen Texten auch jede Menge Ohrwürmer enthält.
Apropos Rheinland: Diese vier Kölner dürften zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nur absoluten Insidern ein Begriff sein. Doch Pleased To Meet U verströmen mit ihrer selbstbetitelten Debüt-LP eine derart mitreißende Euphorie, dass Resonanz auf breiter(er) Ebene nur eine Frage der Zeit bleiben sollte. "Pleased To Meet U" (Salon Alter Hammer) bietet vor Energie nur so strotzenden Punk’n’Roll, dessen Faszination nicht zuletzt aus der herrlich noisigen Herangehensweise resultiert. So erinnert das Ergebnis dank einiger deutsch-englischer Lyrics gleichermaßen ein wenig an Jens Rachut-Punk, wie es mir den besonderen Kick von Bands wie Drive Like Jehu/Hot Snakes oder ein paar der X-Mist Kollegen vermittelt. Ziemlich genial und wenngleich nicht immer einfach zu konsumieren, dann doch immerhin mit reichlich Ironie inszeniert. Das schön aufgemachte Vinyl kommt übrigens mit gratis Download-Code für die (praktische) MP3-Version des Albums.

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