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MISC - Juli 2008 l #35

sellfish.de spezial: Süße Sommerpause.

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Diesmal mit:

Asio Kids | Bang Gang | Caspian | Die 3 Von Der Tanke | The Grouch | The Herbaliser | K-Salaam | Rahel Kraska | SDP | Yann Tiersen

Manchmal freut man sich ja richtig, wenn es anders kommt als erwartet: Buback Tonträger aus Hamburg werden ja auf ewig mit der heimischen HipHop-Szene verknüpft sein. Dabei blickt man dort schon längst in die Zukunft des Genres: Die Asio Kids aus New York bzw. München (!) bedienen sich für ihre ureigene Vision trotzdem in der Vergangenheit. So klingt ihr Album "Aero" (Buback Tonträger/Indigo) zwar ziemlich old school; hat aber rein gar nichts mit Public Enemy oder N.W.A. zu tun. Stattdessen entwirft das Duo warme, groovende Analogflächen mit Vinyl-Flair (selbst mit der CD in der Stereoanlage!), welche dank ihrer Detailarbeit eine stimmungsvolle Basis für die entspannten Raps bieten. Die Samples, Scratches sowie die Instrumentalarbeit setzen sogar Maßstäbe in Punkto organische Produktion; zudem tragen die Gastfeatures aus der Notwist/Console- bzw. Weilheim-Connection ihr übriges dazu bei, "Aero" zu einem sympathischen Ausnahmestatus zu verhelfen. Klar, dass einem da die Avantgarde-Exzellenz von Anticon Records in den Sinn kommen. Womit wir bei 13 & God wären; jenem prominentem Themselves/Notwist-Projekt, welches eine ganz ähnliche Richtung verfolgte. Doch die Asio Kids sind kein Projekt, sie sind eine richtige Band. Und ihre Platte hat das Potential, über Szeneheads hinaus zu wirken.

Kurz vor der Sommerpause steckt der Kalender manchmal einfach zu voll, um all den Platten, die hier auf den letzten Drücker noch eintrudeln, die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Und doch hinterlassen Bang Gang derartig Eindruck, dass ihr Werk "Ghosts From The Past" (Discograph/Al!ve) einfach nicht untergehen darf. Schon allein aufgrund des famosen Tracks "Black Parade". Aber auch, weil die Geister der Vergangenheit offenbar eben aus jener Epoche stammen, als Velvet Underground oder Joy Division dafür sorgten, dass Wave und Indierock eine enge Liaison eingingen. Und das, obwohl das isländische Zentrum der Band - Bardi Johannsson - eigentlich über viel interessantere Standbeine verfügt: Als Modedesigner, Regisseur für eine TV Erotik Show und Produzent für Werbejingles lässt sich wohl schlichtweg besser Geld verdienen. Ich hoffe mal, dass sein wahres Herz in der hier vorliegenden Musik steckt. Zumindest lässt er sie so klingen...

Nicht einmal das Platteninfo macht einen Hehl daraus, dass der gegenwärtigen Postrock-Instrumental-Schwemme kaum noch Herr zu werden ist. Was durchaus von Reflektiertheit von Band bzw. dem sympathischen Indie-Label Make My Day Records zeugt. Und diese spiegelt sich auch in der Musik von Caspian wieder. "The Four Trees" (Make My Day Records/Alive) kann zwar ohne schlechtes Gewissen als Genrealbum bezeichnet werden. Die elf Tracks allerdings sind sich längst bewusst, dass das Spektrum in Bezug auf Wall-Of-Noise-Gehabe und Frickeleien ebenso wie mit allzu avantgardistischem Soundspielereien längst ausgereizt scheint. Insofern konzentriert sich das Quintett aus Massachusetts auf die wesentlichen Dinge: Große, sich aufbäumende Melodiebögen, welche sich zu instrumentalen Hymnen entpuppen. Und irgendwo zwischen Schwerelosigkeit und tiefer Sogwirkung so etwas wie „Schönheit“ entstehen lassen. Anhänger von Mono oder Red Sparrows werden jene schon beim ersten Hörkontakt vermuten; alle anderen geben den famosen Kompositionen bitte etwas Zeit, bevor sie in die allgemeine Euphorie der Szene mit einfallen.

Kehlkopf Aufnahmen, die etwas andere Homebase für HipHop und Elektronik, bringen ihre Schützlinge mit einem – tja – gleichermaßen etwas anderen Konzeptalbum zusammen. Dessen Basis quasi schon im Titel steckt: Kollege Schnürschuh Trifft Die 3 Von Der Tanke (Kehlkopf Aufnahmen/Groove Attack) und erbaut selbiger ein Text bzw. Ton gewordenes Manifest. Mit derben Elektrobeats von unter anderem Albumproduzent Phonk'd auf der einen; sowie dem Vokalterror von Baggefudda, El Ray und dem (sonst doch eher manierlichen) Mädness auf der anderen Seite. Als gemeinsame Glaubensgemeinschaft beschäftigt man sich in 15 Tracks mit alkoholgetriebenen Themen wie Pfandflaschen, Ladenöffnungszeiten sowie mittelschweren Reibereien. Und redet bzw. musiziert sich derart in Rage, dass einem jegliche Kritik im Halse stecken bleibt: Diese Herren brauchen wahrlich keine Features oder Fremdbeats, um – wie sagt man in der Pädagogik so schön – „…die Hörer dort abzuholen, wo sie stehen“. Oder liegen. An der Tanke. Wahnsinnsscheibe, Alder.

Im gleichen Zuge mit einer neuen EP seiner Herkunftsband Living Legends veröffentlicht The Grouch ein Solowerk. Und wo in letzter Vergangenheit bereits Kollege Luckyiam mit seinem Alleingang nachhaltig überzeugen konnte, sorgt "Show You The World" (Legendary Music/RTD) erneut für Euphorie. Das Material hat das Potential, die Hörerschaft von Coscious HipHop sowie warmen Analog/Akustik-Produktionen ganz selbstverständlich näher zusammen zu rücken. Jazz, Funk, Soul sind stets präsent, stehlen der Essenz des Genres jedoch zu keiner Sekunde die Show. Allein "The Time" gerät zu einem wunderbaren Poptrack und pusht die progressive, positive Attitüde des Werks zusätzlich. Das Fazit schien niemals deutlicher: Nur selten hat ein Mitglied einer Crew – in diesem Falle eben der Living Legends – das Zeug dazu, allein durch seine Präsenz ein ganzes Album zu tragen. Doch The Grouch alias C. Scoffern wiederlegt diese Thesen durch Inhalt, Flow, Songwriting- und Produktions-Talent mit Nachdruck.

The Herbaliser inszenieren ihre eigene Evolution auf konsequent tanzbare Weise: Und das so entzückend, dass der ganz und gar gelogene Titel "Same As It Ever Was" (!K7 Records/RTD) gar nicht weiter ins Gewicht fällt. Schließlich entfernte sich das (mindestens) fünfköpfige Londoner Kollektiv um Jake Wherry und Ollie Teeba Stück für Stück von seinen Wurzeln: HipHop und Rare Groove mögen die Essenz vieler Tracks bleiben (famos: "Street Karma"); die Neugierde treibt The Herbaliser jedoch in diverse andere Richtungen. "On Your Knees" beispielsweise mit der leidenschaftlich vertretenen Jessica Darling - die längst als neues Bandmitglied gehandelt wird - gleicht einer verschollenen, jahrzehntealten Motown-Aufnahme. Mit „Blackwater Drive“ dagegen schuf man einen komplex-dichten Jazz-Bastard, dem die anschließende Auflockerung in „Game Set And Match“ richtig gut tut. Das finale "Stranded On Earth" lässt nicht nur überdeutlich konkrete Referenzen aufblitzen sowie die eigenen Vergangenheit erkennen… das wahre Augenzwinkern bemerkt man beim Arbeitstitel des Songs: "The Dark Side Of The Moon Sequence". Vielleicht liegt die Zeit für ein Sixties-inspiriertes Funksoul-Album auf Elektronik-Basis zur Zeit kommerziell günstig. Sicher aber sind The Herbaliser so unglaublich gut, dass die Euphorie über ihre Musik zu keiner Sekunde vom Zeitgeist getrübt werden wird.

K-Salaam, US-amerikanische DJ-, Produzenten- bzw. Scratching-Koryphäe mit iranischen Wurzeln, legte in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Beatnick bereits mehrere hochgeschätzte Mixtapes vor. Nun erscheint erstmals auf breiterer Ebene ein Projekt, das es mit 18 Tracks nicht nur auf Überlänge bringt und zudem noch mit einer vernünftigen DVD-Dreingabe glänzt. Nein, Mit Talib Kweli, Rakka (Dilated People), Dead Prez oder Young Buck zeigt sich die Elite der HipHop-Szene gleichermaßen wie deren Reggae-Pendants (Sizzla, Capleton etc.) vertreten. Gemeinsam schießt man ein Feuerwerk an Highlights ab, welche von der Anhängerschaft beider Seiten nicht zu unrecht begeistert rezipiert wurden. Leider gelingt es "Whose World Is This?" (VP Records/Groove Attack) zwar nicht zu hundert Prozent, die aus der Gästeliste geschürten hohen Erwartungen völlig zu erfüllen. Teils aus etwas ärgerlichen Gründen: Die Vokoder-Effekte in "Street Life", ausgerechnet auf den Stimmen von Buju Banton und Trey Songz, hätte man sich getrost schenken können. Der Gesamteindruck aber bleibt sonnenklar: Seit Promoe's "White Man‘s Burden" wurde die Nische zwischen HipHop und Reggae nicht mehr so gelungen gefüllt! Highlight: Der vehemente Rausschmeißer "Refugees" mit Suheir Hammad.

Ein äußerst ambitioniertes Werk legt Rahel Kraska hier vor. Beinahe im Alleingang kreierte sie ihren "Soundtrack Fürs Leben" (Eigenproduktion/Eigenvertrieb). Und wiederlegt damit meine eigene, vorurteilsbehaftete These: Soul und R'n'B funktionieren tatsächlich auch auf Deutsch; vorgetragen von einer Künstlerin, die (trotz erster Assoziationen beim flüchtigen Blick auf das Coverartwork) keineswegs über afroamerikanische Wurzeln verfügt. Und wo im ersten Moment die zugänglichen Momente einer Erykah Badu am Horizont erscheinen, bin ich im nächsten Augenblick von der exzellenten, von Tomi Kaufmann eingespielten Instrumentalarbeit hingerissen. Zu keiner Sekunde überladen wird dieses Material zudem durch famose Elektronika-Elemente angereichert. Die textliche Bandbreite stagniert trotz des Hymnen-trächtigen Openers "Berlin" keineswegs auf allseits beliebter Hauptstadt-Abfeierei, sondern bezieht vielmehr Persönliches, Beziehungsgeschichten sowie eine ausgewogene Mischung aus Melancholie und Lebensfreude mit ein. Vielleicht hätte Kraska aus den 14 Tracks mit über einer Stunde Spielzeit die essentiellsten Tracks für ein noch hochwertigeres Gesamtbild ausfiltern sollen. Doch auch mit dieser Einschränkung bleibt hier das mit großem Abstand respektabelste einheimische Genre-Debüt seit Jahren!

Was angesichts Plattentitel und Bandname nach verdrehtem Politik-Kabarett klingt, entpuppt sich als sommerlich gelaunte Pop-Persiflage auf die gesellschaftlichen Themen dieser Tage. Dazu bemühen SDP keineswegs ausgefeilte Techniken, sondern singen und spielen auf "Die Rache Des Kleinen Mannes" (Berliner Plattenbau/SonyBMG Neo) eben genau das, auf was sie Lust haben. Warum auch nicht, schließlich verdient man sonst sein Geld mit dem Produzieren bzw. Remixen vermeintlich "seriöser" Musik wie Ich+Ich oder, ähem, Aggro Berlin. Naja, da taugen mir diese 18 Tracks doch deutlich mehr. Der Opener "Wasserschi Fahr'n" eröffnet mit einer Hymne auf den Klimawandeln und auch sonst stimmt die Mischung aus purem Quatsch, Tralala-Melodien sowie witziger Kollaborationen. Stilistisch wird da gerne auch mal Country, HipHop oder Rock gestreift - ohne dass es weh tut. Keine Ahnung, ob für ein solches Album in diesen Tagen wirklich jemand den vollen Preis zahlen möchte. Hängt wohl davon ab, wie nötig jemand das latente Schmunzeln während der opulenten Spielzeit hat...

Nachdem er mit dem "Amélie"-Soundtrack einen zeitlosen Klassiker schuf, geriet der indirekte Nachfolger etwas zu gleichförmig: Trotz aufregender Konzerte sowie bemerkenswerter regulärer Platten (u.a. mit Shannon Wright) klang der Score zu "Goodbye Lenin!" schlichtweg zu sehr nach einem (erfolgreichen) Abklatsch. Mit "Tabarly" (Virgin/EMI) – seinem dritten Soundtrack Album - begibt sich Yann Tiersen nun wieder auf weniger erschlossenes Terrain. Seine musikalische Huldigung an den französischen Hochseesegler Eric Tabarly verzichtet auf Opulenz, ausschweifende Emotionsstürme oder bombastische Elemente. In 15 Songminiaturen kreierte er stattdessen eine verknappte, jedoch einzigartig atmosphärische Basis für die Dokumentation über das Leben seines Protagonisten; auf den Film von Jaques Perrin (u.a. „Die Kinder des Monsieur Mathieu“) darf man schon jetzt gespannt sein. Das nur gut halbstündige Werk klingt zwar charakteristisch nach Tiersen, ja. Allerdings scheint man die Kompositionen in bislang völlig untypischen Grau-Schleiern zu vernehmen. Welche seine Musik ein wenig undurchsichtiger, im gleichen Zuge jedoch auch interessanter machen.

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